Das Wunder von Arnstadt: Das LEY-Buch!

Meine Leser wissen, dass ich es mit Wundern nicht so habe – doch heute habe ich Anlass, von einem zu berichten, das diese Bezeichnung wahrlich verdient, in mehrfacher Hinsicht.

Das erste Wunder besteht darin, dass entgegen alle Wahrscheinlichkeit – und alle üblicherweise vorgebrachten „Gründe“ – endlich wieder ein Buch das Licht der Welt erblickt hat, das uns eine der vielen deutschen Nischen-Automarken nahebringt, die in den 1920er Jahre untergegangen sind.

Die Rede ist von den Wagen der Maschinenfabrik Ley aus dem thüringischen Arnstadt, welche zwischen 1906 und 1928 entstanden und weit mehr als nur regionale Bedeutung erlangten.

Dennoch zählt gerade der regionale Aspekt zu den besonderen Reizen des Fabrikats und seiner Entstehung. Dass wir das in erfreulicher Ausführlichkeit auf genau 300 Seiten nachlesen dürfen, ist das Verdienst des Arnstädters Hans-Joachim König.

Was er im Jahr 2024 in Buchform unter dem bestechend schlichten Titel „LEY Arnstadt“ vorgelegt hat, ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen – gestützt auf Nachfahren der Familie Ley – und es ist mehr als nur ein Buch über eine einstige deutsche Vorkriegsautomarke.

Ja, die Automobilproduktion von Ley steht im Zentrum, aber der Autor versteht es zugleich, uns einen Zugang zu der verschwundenen Welt zu verschaffen, in der die LEY-Wagen entstanden.

Dazu gehört die schlesische Herkunft und der berufliche Werdegang von Rudolf Ley, der ab 1856 mit seiner Maschinenfabrik in Arnstadt ansässig war. Dazu gehört auch die Schilderung der Verhältnisse in der thüringischen Kleinstadt, die nebenbei eine der Wirkungsstätten von Johann Sebastian Bach war – für viele (wie mich) das größte Musikgenie überhaupt.

Wer aus der reinen Automobilperspektive das Buch von Hans-Joachim König angeht, mag sich fragen, ob er wirklich alle Details über das Arnstädter Umfeld und den Werdegang der maßgeblichen Personen der Familie Ley erfahren muss.

Doch bald begreift man den Sinn. Denn so wird deutlich, was die Voraussetzungen für die technische und organisatorische Kompetenz zum Automobilbau in einer mitteldeutschen Kleinstadt waren. Auch das ist mit meinem Titel „Das Wunder von Arnstadt“ gemeint.

Tatsächlich waren die Ley-Wagen nicht die einzigen, welche nicht in einem großstädtischen Umfeld entstanden. Das war kein Zufall, denn das jahrhundertelange Nebeneinander kleiner unabhängiger Staaten erforderte es, dass lokal das gesamte Können vorhanden sein musste, welches für ein gedeihliches Fortkommen vonnöten war.

Vielleicht nicht zufällig sind die größten kulturellen Leistungen auf deutschem Boden in diesem vielfältigen und von starkem Wettbewerb geprägten Umfeld autonomer politischer Einheiten entstanden. Auch nach der Gründung eines Zentralstaats 1871 kamen auf dem technologischen Sektor entscheidende Impulse oft noch aus der „Provinz“.

Der Erfolg von Ley im Maschinenbau – später auch im Autosegment – wäre undenkbar ohne die Exzellenz lokal ansässiger Ingenieure und Arbeiter sowie den unternehmerischen Mut der Firmenbesitzer, die unabhängig vom Berliner Politapparat agierten, der sich damals noch weitgehend auf gesamtstaatliche Kernaufgaben beschränkte.

Durch Beobachtung der sich ab 1900 dynamisch entwickelnden Verhältnisse am deutschen Automobilmarkt kam man bei Ley zu dem Schluss, dass im Kleinwagensegment ein attraktives Geschäftsfeld besteht, welches man erfolgreich mit dem „Loreley“-Wagen beackerte. Dann besetzte man mit dem 10/25 PS Typ die Nische kompakter 6-Zylinderautos, eine der bemerkenswertesten Entwicklungen von Ley.

Die Versuchung ist groß, diese Buchbesprechung mit einem Foto eines „Ley“ aus meinem Fundus oder dem befreundeter Sammler zu garnieren. Doch will ich mich heute zurücknehmen und nur dem Ley-Buch von Hans-Joachim König meine Reverenz erweisen, das wie die Marke selbst die Bezeichnung „Wunder von Arnstadt“ verdient:

Ley-Bucheinband, 2024; Bildrechte Hans-Joachim König

Sie werden darin alles finden, was man sich als Vorkriegsauto-Enthusiast wünscht, aber darüber hinaus weit mehr – nämlich ein exemplarisches Kapitel deutscher Industriegeschichte sowie liebenswerter und lebendiger Lokalhistorie.

Das Ganze als richtiges Buch mit festem Einband, wie sich das gehört und in ordentlicher Druckqualität. Perfektionisten könnten verlangen, dass die historischen Aufnahmen noch besser aufbereitet werden könnten, was Kontrast, Graustufen und Schärfe angeht, auch die eine oder andere neuzeitliche Aufnahme würde von einer Bildbearbeitung profitieren.

Doch das sind wie die sehr wenigen Tippfehler, die ich bemerkt habe, Kleinigkeiten in einem insgesamt großartigen und auf vielen Ebenen faszinierenden Werk, dem man anmerkt, dass es bei aller Präzision in der Sache mit Leidenschaft geschrieben wurde.

Präzision und Leidenschaft – das trifft zugleich die Machart der Ley-Automobile, welche als reine Manufakturfahrzeuge bei allen Qualitäten Ende der 1920er Jahre keine Chance gegen die Übermacht der sich durchsetzenden modernen Großserienfabrikate hatten.

Sie, liebe Leser und Vorkriegsautofreunde, finden das uneingeschränkt empfehlenswerte und vielleicht manchem noch zögernden Autoren als Vorbild dienende Werk unter folgender ISBN: 978-3-00-079735-4.

Erwerb im Direktvertrieb ist über diese E-Mail-Adresse möglich: akig2023@web.de. Siehe zur Marke außerdem die Website von Ley-Nachfahre Manfred Kaiser: http://www.ley-automobile.de

Das war mein heutiger Blog-Eintrag, der sich von meinen gewohnten Exkursionen in die Welt des Vorkriegsautomobils unterscheidet, aber mir ebenso wie diese ein Bedürfnis war.

Mein Dank gilt dem Verfasser, der mir ein signiertes Exemplar des Ley-Buchs zugesandt hat – außerdem allen, welche das Wunder von Arnstadt möglich gemacht haben – einst und heute.

In der Mitte Manfred Kaiser (Enkel von Alfred Ley) und Gleichgesinnte im Ley-Pavillon in Arnstadt zwischen einem Ley M8 8/36 PS von 1925 und einem Loreley von 1906; Bild via Hans-Joachim König

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog

6 Gedanken zu „Das Wunder von Arnstadt: Das LEY-Buch!

  1. Was allerdings nicht sein muß:
    Hans-Joachim König markiert „den großen Schweiger“, eine Antwort auf Kritik , Hinweise, Ergänzugen, Fehler – die gibt es einfach nicht.

    Und damit hat sich nicht das Buch, sondern der Autor disqualifiziert.

  2. Nobody’s perfect, würde ich sagen – dass es das Ley-Buch überhaupt gibt, ist schon ein Gewinn an sich. Je nach Perspektive (Techniker, Historiker, Wirtschaftsfachmann…) findet jeder etwas, dass man vielleicht auch noch gerne drin gehabt hätte oder anders sieht – ganz normal und für die Gesamtbewertung nicht entscheidend. Bis ich auf die Karl-Slevogt-Website gestoßen bin, hat es übrigens auch ein paar Jahre gedauert. Ein wichtiger Faktor beim „Gefundenwerden“ ist die laufende Aktivität, die man mit seiner Präsenz entwickelt – vor allem über ständige Verlinkungen aus Foren wie Facebook oder Blogs wie diesem bspw. Je mehr man in der Hinsicht macht, desto höher rückt man in der Suchmaschinen-Hierarchie. – Was die fehlgeleitete „Strategie“ der meisten deutschen Autobauer angeht, sehe ich das ähnlich. Nur Brennabor (anfangs) und Opel (später) erkannten, dass ohne Massenfabrikation und entsprechende Kostendegression auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen ist (allerdings muss man das auch können). Citroen mit dem 5CV, Fiat mit dem 501 und Austin mit dem Seven wiesen sehr früh den Weg. Allerdings scheint es auch so zu gewesen zu sein, dass der Markt für solche Einstiegsmodelle in Deutschland mangels ausreichender Einkommen viel kleiner war als anderswo, sodass letztlich doch nur die Oberschicht in der Lage war, überhaupt Autos zu kaufen. Kurioserweise waren die heimischen Hersteller mit Ausnahme der Spitzenfabrikate wie Horch, selbst dort kaum dauerhaft imstande, mit der Konkurrenz mitzuhalten. Man hatte nach dem 1. Weltkrieg schlicht den Anschluss verpasst – technisch, gestalterisch, ausstattungsbezogen und fertigungstechnisch. Das änderte sich grundlegend erst in den 1930er Jahren…

  3. Ich sag mal so: Wen sich der Autor etwas Mühe gegeben hätte, nicht nur in Arnstadt herum zu suchen, dann hätte er sicher auch meine Bücher und vor allem die Karl-Slevogt-Webseite gefunden und hätte sich informieren können. Dem Autor bin ich jedenfalls noch nicht mal namentlich bekannt.

    Warum alle kleinen Automobil-Hersteller in Deutschland nach dem Krieg, in einer Zeit, in der fast niemand Geld hatte, anstelle eines superbilligen, primitiven motorisierten Fortbewegungsmittel unbedingt alle „luxus-Automobile“ herzustellen (der pro-Stück-Gewinn ist hoch) für einen Markt, den es eigentlich nicht gab – ich begreife es nicht. LEY, Selve, Apollo und viele andere sind daran zugrunde gegangen und ohne „sächsische Landesbank“ hätte es auch die Auto-Union erwischt.

    Bei Nutzfahrzeugen bin ich bei Gott kein Guru, aber die geniale Federung von Büssing, die fast unkaputtbaren VOMAG, Krupp, Deutz – es gab sehr viele Hersteller auf dem Markt und nach der „Typbereinigung“ WW-II nun noch wenige Fahrzeugtypen.

  4. Mittlerweile habe ich auch das LEY-Buch erhalten und erst mal „überflogen“ – Das Buch genau zu lesen, zu studieren, verifizieren – das kostet Zeit und das muß man so nach und nach reinziehen.
    Eines kann man sicher sagen: das Buch ist mit Herzblut geschrieben, Stolz und Liebe zur Heimat kann man fast erfühlen. Da muss man den Verfasser lobpreisen, ich wünschte mehr Menschen in Deutschland wären so heimatverbunden.

    Leider wurde der Eindruck getrübt: ein LEY-Motor von1913 ohne Ölwanne soll Druckumlaufschmierung besessen haben ??? Als der Friedemann-Öler Stand der Technik war ?

    Leider findet sich im Buch keine einzige Schnittzeichnung eines LEY-Motors zu finden, was die Verifizierung doch etwas erschwert.

    Erfrischend der Einschub von Stanislaw Kiriletz, der mir auch sehr viel bei den Russland-Finnland-Connections Hilfe und Information vermittelt hat – das begann schon bei Cudell/Aachen um die Jahrhundertwende über Piccolo und Apollo. Ich denke mal, über die „technischen“ Beziehungen zwischen Russland und Deutschland könnte man einige Doktorarbeiten verfassen, auch wenn dies derzeit nicht opportun ist.

    Auf jeden Fall ein interessantes Buch, das einem zu Denken gibt.

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