Das Wunder von Arnstadt: Das LEY-Buch!

Meine Leser wissen, dass ich es mit Wundern nicht so habe – doch heute habe ich Anlass, von einem zu berichten, das diese Bezeichnung wahrlich verdient, in mehrfacher Hinsicht.

Das erste Wunder besteht darin, dass entgegen alle Wahrscheinlichkeit – und alle üblicherweise vorgebrachten „Gründe“ – endlich wieder ein Buch das Licht der Welt erblickt hat, das uns eine der vielen deutschen Nischen-Automarken nahebringt, die in den 1920er Jahre untergegangen sind.

Die Rede ist von den Wagen der Maschinenfabrik Ley aus dem thüringischen Arnstadt, welche zwischen 1906 und 1928 entstanden und weit mehr als nur regionale Bedeutung erlangten.

Dennoch zählt gerade der regionale Aspekt zu den besonderen Reizen des Fabrikats und seiner Entstehung. Dass wir das in erfreulicher Ausführlichkeit auf genau 300 Seiten nachlesen dürfen, ist das Verdienst des Arnstädters Hans-Joachim König.

Was er im Jahr 2024 in Buchform unter dem bestechend schlichten Titel „LEY Arnstadt“ vorgelegt hat, ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen – gestützt auf Nachfahren der Familie Ley – und es ist mehr als nur ein Buch über eine einstige deutsche Vorkriegsautomarke.

Ja, die Automobilproduktion von Ley steht im Zentrum, aber der Autor versteht es zugleich, uns einen Zugang zu der verschwundenen Welt zu verschaffen, in der die LEY-Wagen entstanden.

Dazu gehört die schlesische Herkunft und der berufliche Werdegang von Rudolf Ley, der ab 1856 mit seiner Maschinenfabrik in Arnstadt ansässig war. Dazu gehört auch die Schilderung der Verhältnisse in der thüringischen Kleinstadt, die nebenbei eine der Wirkungsstätten von Johann Sebastian Bach war – für viele (wie mich) das größte Musikgenie überhaupt.

Wer aus der reinen Automobilperspektive das Buch von Hans-Joachim König angeht, mag sich fragen, ob er wirklich alle Details über das Arnstädter Umfeld und den Werdegang der maßgeblichen Personen der Familie Ley erfahren muss.

Doch bald begreift man den Sinn. Denn so wird deutlich, was die Voraussetzungen für die technische und organisatorische Kompetenz zum Automobilbau in einer mitteldeutschen Kleinstadt waren. Auch das ist mit meinem Titel „Das Wunder von Arnstadt“ gemeint.

Tatsächlich waren die Ley-Wagen nicht die einzigen, welche nicht in einem großstädtischen Umfeld entstanden. Das war kein Zufall, denn das jahrhundertelange Nebeneinander kleiner unabhängiger Staaten erforderte es, dass lokal das gesamte Können vorhanden sein musste, welches für ein gedeihliches Fortkommen vonnöten war.

Vielleicht nicht zufällig sind die größten kulturellen Leistungen auf deutschem Boden in diesem vielfältigen und von starkem Wettbewerb geprägten Umfeld autonomer politischer Einheiten entstanden. Auch nach der Gründung eines Zentralstaats 1871 kamen auf dem technologischen Sektor entscheidende Impulse oft noch aus der „Provinz“.

Der Erfolg von Ley im Maschinenbau – später auch im Autosegment – wäre undenkbar ohne die Exzellenz lokal ansässiger Ingenieure und Arbeiter sowie den unternehmerischen Mut der Firmenbesitzer, die unabhängig vom Berliner Politapparat agierten, der sich damals noch weitgehend auf gesamtstaatliche Kernaufgaben beschränkte.

Durch Beobachtung der sich ab 1900 dynamisch entwickelnden Verhältnisse am deutschen Automobilmarkt kam man bei Ley zu dem Schluss, dass im Kleinwagensegment ein attraktives Geschäftsfeld besteht, welches man erfolgreich mit dem „Loreley“-Wagen beackerte. Dann besetzte man mit dem 10/25 PS Typ die Nische kompakter 6-Zylinderautos, eine der bemerkenswertesten Entwicklungen von Ley.

Die Versuchung ist groß, diese Buchbesprechung mit einem Foto eines „Ley“ aus meinem Fundus oder dem befreundeter Sammler zu garnieren. Doch will ich mich heute zurücknehmen und nur dem Ley-Buch von Hans-Joachim König meine Reverenz erweisen, das wie die Marke selbst die Bezeichnung „Wunder von Arnstadt“ verdient:

Ley-Bucheinband, 2024; Bildrechte Hans-Joachim König

Sie werden darin alles finden, was man sich als Vorkriegsauto-Enthusiast wünscht, aber darüber hinaus weit mehr – nämlich ein exemplarisches Kapitel deutscher Industriegeschichte sowie liebenswerter und lebendiger Lokalhistorie.

Das Ganze als richtiges Buch mit festem Einband, wie sich das gehört und in ordentlicher Druckqualität. Perfektionisten könnten verlangen, dass die historischen Aufnahmen noch besser aufbereitet werden könnten, was Kontrast, Graustufen und Schärfe angeht, auch die eine oder andere neuzeitliche Aufnahme würde von einer Bildbearbeitung profitieren.

Doch das sind wie die sehr wenigen Tippfehler, die ich bemerkt habe, Kleinigkeiten in einem insgesamt großartigen und auf vielen Ebenen faszinierenden Werk, dem man anmerkt, dass es bei aller Präzision in der Sache mit Leidenschaft geschrieben wurde.

Präzision und Leidenschaft – das trifft zugleich die Machart der Ley-Automobile, welche als reine Manufakturfahrzeuge bei allen Qualitäten Ende der 1920er Jahre keine Chance gegen die Übermacht der sich durchsetzenden modernen Großserienfabrikate hatten.

Sie, liebe Leser und Vorkriegsautofreunde, finden das uneingeschränkt empfehlenswerte und vielleicht manchem noch zögernden Autoren als Vorbild dienende Werk unter folgender ISBN: 978-3-00-079735-4.

Erwerb im Direktvertrieb ist über diese E-Mail-Adresse möglich: akig2023@web.de. Siehe zur Marke außerdem die Website von Ley-Nachfahre Manfred Kaiser: http://www.ley-automobile.de

Das war mein heutiger Blog-Eintrag, der sich von meinen gewohnten Exkursionen in die Welt des Vorkriegsautomobils unterscheidet, aber mir ebenso wie diese ein Bedürfnis war.

Mein Dank gilt dem Verfasser, der mir ein signiertes Exemplar des Ley-Buchs zugesandt hat – außerdem allen, welche das Wunder von Arnstadt möglich gemacht haben – einst und heute.

In der Mitte Manfred Kaiser (Enkel von Alfred Ley) und Gleichgesinnte im Ley-Pavillon in Arnstadt zwischen einem Ley M8 8/36 PS von 1925 und einem Loreley von 1906; Bild via Hans-Joachim König

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog

Vor 100 Jahren ein cooler Typ: Ley T6 Tourer

Sie werden es vielleicht aus einigen Bemerkungen erschlossen haben: Ich bin wieder einmal für eine Woche in meiner zweiten Heimat im italienischen Umbrien.

Hier gibt es genau den Sommer, den die Daheimgebliebenen dieses Jahr vermissen: Sonnenschein von morgens früh bis abends, 35 Grad Celsius und mehr – deshalb pilgern teutonische Horden mehr oder minder friedlich seit über 2000 Jahren gen Süden.

Wie daheim mache ich auch hier exakt das Gegenteil von dem, was die „Experten“ angesichts schlimmer Hitze empfehlen: Punkt 13 Uhr – also nach Sonnenstand um die Mittagszeit – schwang ich mich auf’s Rad, ein für den Einsatz auf die örtlichen Schotterpisten umgebautes Raleigh-Rennrad der 80er Jahre mit 12 Gängen.

An sich ist das Teil zu schwer und die Übersetzung unzureichend für die hiesigen heftigen Steigungen – aber: wer sich nicht quält, macht nichts für seinen Körper. Cool sieht das Radl außerdem aus, für mich unverbesserlichen Ästheten ein entscheidendes Kriterium.

Und cool – drahtig, möglichst ohne Fett daherkommen – wollen auch wir Herren, oder etwa nicht? Im letzteren Fall empfehle ich, an diesem Exemplar sich ein Vorbild zu nehmen:

Ley Typ T6 der 1920er Jahre; Originalfoto Heimatkreis Eitorf e.V., via Mirja Renout

Was sagen die Damen? Diesen jungen Burschen mit sportlichem Körperbau kann man doch durchaus einmal einem Intelligenztest unterziehen, um seine Eignung für längerfristige Projekte zu ermitteln, nicht wahr?

Dabei werden Sie feststellen, dass der Jüngling vielversprechende Anlagen hatte. Er war nämlich ein Sprößling der Familie Werres, welche vor rund 100 Jahren eine gutgehende Firma in der rechtshreinisch gelegenen Kleinstadt Eitorf unterhielt.

Das weiß ich von Mirja Renout vom Heimatkreis Eitorf e.V., die von mir wissen wollte, was das für ein Automobil war, an dem sich Herr Werres Junior hatte ablichten lassen.

Ich würde den Wagen anhand des Kühleremblems als „Ley“ aus dem thüringischen Arnstadt ansprechen – in Frage kommen aus meiner Sicht die kompakten Typen Ley T6 6/16 PS bzw. T6E 6/20 PS (Bauzeit: 1920-22 bzw. 1922/23-1925/26).

Sicher weiß es einer meiner in Sachen Ley besser informierter Leser genau. Auf jeden Fall haben wir es mit einem typischen Exemplar deutschen Automobilbaus aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre zu tun. Spitzkühler gehörten unbedingt dazu.

Aus heutiger Sicht ziemlich coole Geräte waren das. Wer mit so etwas heute noch unterwegs ist, stellt zuverlässig jeden modernen Supersportwagen in den Schatten – bloß sollte man als Fahrer auch eine gewisse Coolness und sportliche Silhouette mitbringen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der thüringische Patient: Ein „Ley“-Tourer um 1925

So wie die Identität des englischen Patienten im gleichnamigen bildgewaltigen Film von Anthony Mingella (1996) lange im Ungewissen blieb, so verhält es sich auch mit einigen Exemplaren aus dem Hause Ley im thüringischen Arnstadt.

Speziell bei den Modellen der 1920er Jahre bereitet die genaue Ansprache immer wieder Probleme, was schlicht am mangelnden Bildmaterial liegt.

Gesichert ist, dass es von 1920 bis zum Ende der Autoproduktion von Ley im Wesentlichen drei Motorisierungen gab: Dabei handelte es sich primär um seitengesteuerte Vierzylinder mit Hubräumen von 1,5 Litern, 2 Litern und 3,1 Litern. In der mittleren und der oberen Hubraumklasse gab es zuletzt auch Sechszylinder.

Mit diesen Motorisierungen korrelierte grob auch die Größe der Fahrzeuge. Zumindest die 1,5 Liter-Typen T6 6/16 PS bzw. T6E 6/20 PS von 1920-25 lassen sich als kleine Modelle recht gut auf zeitgenössischen Fotos identifizieren.

Hier haben wir einen Vertreter davon, aufgenommen in Heidelberg:

Ley 6/16 PS oder 6/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Tourer scheint nur über zwei Sitzreihen verfügt zu haben, was gut zum kurzen Radstand des T6 bzw T6E passen würde (2,67 Meter). Festzuhalten ist hier außerdem, dass die Felgen mit nur fünf Radbolzen befestigt sind.

Bei den größeren und stärkeren Modelle findet man dagegen sechs Radbolzen. Das ist auch beim folgenden Ley der Fall, den ich ebenfalls schon einmal besprochen habe:

Ley Tourer ab ca. 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar weist im Unterschied zu den frühen Ley-Wagen ab 1920 einen moderaten, vorn leicht abgerundeten Spitzkühler ab. Dieses Detail scheint um 1925 aufgetaucht zu sein, noch spätere Ausführungen hatten dann einen Flachkühler.

Genauer kann ich dies derzeit nicht sagen, auch ist aus meiner Sicht unklar, ob wir es bei obigem Fahrzeug mit einem Typ 8/36 PS oder Typ 12/45 PS zu tun haben. Dass die lediglich fünf Luftschlitze auf das schwächere der beiden Modelle verweisen, ist angesichts widersprüchlicher bzw. fehlender Angaben in der Literatur nur eine Vermutung.

Dennoch hilft uns diese Aufnahme bei der Einordnung eines anderen „thüringischen Patienten“ weiter:

Ley Tourer von ca. 1923/24; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie der eingangs gezeigte kleine Tourer des Typs T6 bzw. T6E besitzt dieser Ley (siehe das markante Logo auf dem Kühlernetz) einen scharf geschnittenen Spitzkühler und definitiv noch keine Vorderradbremsen.

Aufgrund der drei Sitzreihen ist er klar über dem T6/T6E anzusiedeln. Jedoch muss wiederum offenbleiben, ob es sich um ein Modell in der 2-Liter-Klasse (M8) oder doch eher mit 3,1 Litern Hubraum (U12) handelt.

Schwierigkeiten bereite in dem Zusammenhang auch die Frage, ob der mittelgroße M8 erst zur Mitte der 1920er Jahre eingeführt wurde oder – wie Teile der Literatur nahelegen – bereits früher verfügbar war. Letzteres halte ich für plausibler aufgrund der sonst zu großen Hubraumlücke zwischen dem kleinen T6/T6E und dem großen U12.

Letztlich bleibt festzuhalten, dass der „thüringische Patient“ noch eine Weile auf der Intensivstation bleiben muss, bis sein Status geklärt ist. Immerhin sind weitere „Patientenakten“ in Sachen Ley vorhanden, die der Einordnung harren.

So ist uns auch in dieser Hinsicht noch manche Stunde der GrübeLEY gesichert…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Erfordert etwas Tüftelei – Ley Typ M8 8/36 PS

Nach langer Pause sind heute wieder einmal die Automobile an der Reihe, die ab 1906 in der Maschinenfabrik von Rudolf Ley im thüringischen Arnstadt entstanden – übrigens ein sehr sehenswerter Ort und Pilgerstätte für Verehrer von Johann-Sebastian Bach.

Der Typ 8/36 PS von Ley ist uns schon einmal begegnet, und zwar als Tourer. Bei der Identifikation half die Gestaltung des Kühler mit dem charakteristischen dreiflügeligen Markenemblem – hier gerade noch vorn oberhalb des Scheinwerfers zu erkennen:

Ley Typ M8 8/36 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diesmal geht es um denselben Typ, jedoch mit geschlossenem Aufbau – so scheint es zumindest. Dabei erforderte die Identifikation einige Tüfte“ley“, denn auf Anhieb dürfte kaum jemand sagen können, dass auch dies ein Ley ist.

Zwar läuft der Kühler ebenfalls leicht spitz zu, aber das gab es bei zahlreichen Autos von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum bis etwa 1925.

Bevor wir uns an die Arbeit machen, lassen wir das Prachtstück erst einmal auf uns wirken:

Ley M8 8/36PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst wenn dieser Wagen für immer ein Mysterium bliebe, wäre dieses Foto dennoch eines, bei dem das Sammlerherz höher schlägt.

So einen eleganten, gar nicht schwerfällig oder langweilig wirkenden 6-fenstrigen Aufbau findet man bei Wagen der 1920er Jahre nicht alle Tage. Wie so oft ist es die Meidung streng parallel verlaufender Linien, die hier für Spannung sorgt.

Man betrachte die leichte Wölbung der Dachlinie, den Verlauf des Vorderschutzblechs, das wie eine stehende Welle wirkt und einen Kontrapunkt zu langen Haubenpartie darstellt, außerdem das eingezogene Heck, dessen Linie mit dem hinteren Schutzblech kontrastiert

Das alles wäre funktionell so nicht erforderlich, wirkt aber vollkommen harmonisch für unser Auge, das an den Formen der Natur geschult ist, wo gerade Linien die Ausnahme sind.

Die großen Glasflächen tragen zum Eindruck ungewöhnlicher Leichtigkeit bei – für eine Limousine jener Zeit sehr, sehr ungewöhnlich. Ich komme darauf zurück.

Erst einmal ist etwas Tüftelei erforderlich. Nach wiederholter Betrachtung dieses wunderbaren Autos entwickelte ich die Hypothese, dass es sich um einen Ley der 1920er Jahre handeln könnte.

Mir war die Ähnlichkeit mit diesem Ley Typ U12 12/45 PS aufgefallen. Man denke sich dazu den geschlossenen Aufbau beim eingangs gezeigten Wagen weg:

Ley Typ U 12 Tourenwagen; Abbildung aus „Die Motorfahrzeuge“, P. Wolfram, hrsg. 1928

Eine auffallende Übereinstimmung sind Position und Form der beiden Plaketten am Schweller unterhalb der Vordertür, das kann kein Zufall sein. Die gesamte Frontpartie (einschließlich der ungewöhnlich großen Positionsleuchten) stimmt ebenfalls überein – bis auf die Zahl der Luftschlitze und die Vorderradbremsen.

Allerdings begann der in meiner Ausgabe von P. Wolframs „Die Motorfahrzeuge“ abgebildete Ley Typ U12 12/5 PS seine Karriere bereits 1924 mit 12/32 PS-Motorisierung – möglich, dass er anfänglich weniger Luftschlitze und noch keine Vorderradbremsen besaß.

Für zusätzliche Verwirrung sorgte, dass in Horst Ihlings Publikation „Autoland Thüringen“ auf S. 40 eine Reklame von Ley abgebildet ist, die einen Tourenwagen mit nur fünf Luftschlitzen und ohne Vorderradbremsen zeigt – begleitet von der Nennung der drei Motorenvarianten 6/20 PS, 8/36 PS und 12/45 PS.

Man würde in einer solchen Reklame mit der gesamten Fahrzeugpalette erwarten, dass das jeweilige Spitzenmodell abgebildet ist, also der Typ U 12/45 PS. Allerdings findet sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Chauffeurlimousine mit identischer Vorderpartie (fünf Luftschlitze), die hier jedoch „nur“ als Typ M8 8/36 PS bezeichnet wird.

Besagter Typ M8 8/36 PS wird wiederum in Heinrich von Fersens Klassiker „Autos in Deutschland 1920-39 auf S. 213 mit einer Abbildung präsentiert, die acht Lufschlitze in der Haube besitzt – wie der U 12 12/45 PS im Buch von P. Wolfram.

Nach einiger Tüfte“ley“ spricht alles dafür, dass nur der große Typ U 12 12/45 PS die gesamte Motorhaube bedeckende acht Luftschlitze besaß. Abbildungen von ansonsten identischen Ley-Wagen mit fünf Luftschlitzen sind stets der kleine Typ M8 8/36 PS.

Das Vorhandensein von Vorderradbremsen könnte bei beiden Modellen baujahrabhängig sein – bis 1924 könnten die Typen M8 und U12 nur Hinterradbremsen besessen haben. Dann hätten wir hier einen Ley Typ M8 bis Ende 1924 vor uns:

Wer die Nabe des Vorderrads genau ins Visier nimmt, meint dort übrigens ein dreiteiliges Emblem zu erahnen. Auch das würde zu einem Ley passen.

Noch einmal möchte ich bei dieser Gelegenheit auf die beiden Embleme am Schweller hinweisen. Das eckige wird von Ley selbst gewesen sein, das darüberliegende könnte auf den Karosserielieferanten verweisen.

Weiß ein Leser, wer sich dahinter verbergen könnte? Es müsste derselbe Hersteller sein wie auf der Abbildung des U12 Tourers in P. Wolframs Publikation „Die Motorwagen“.

Bin ich alleine mit meiner Einschätzung, dass dieser einst im Schnee fotografierte Ley M8 eigentlich auch ein Tourenwagen war, der lediglich eine geschlossene Aufsatzkarosserie besaß, die mit etwas Tüfte“ley“ vom Unterbau abgehoben werden konnte?

Das würde auch die optische Leichtigkeit dieses Aufbaus erklären, die aus einer möglichst gewichtsparenden Konstruktion resultieren würde, welche von vier Personen ohne große Anstrengung abgehoben werden konnte.

Voller „Ley“chtigkeit ist auch die Situation, in der sich die drei Insassen dieses wunderbaren Automobils haben ablichten lassen:

Ich finde, das ist ein harmonischer Abschluss dieses kleinen Exkurses zum Typ M8 8/36 PS der thüringischen Nischenmarke Ley. 1929 war der Name Geschichte in der Automobilhistorie.

Auch für die drei hier so unbeschwert wirkenden, vielleicht an zeitgenössischen Film- und Theaterstars geschulten Zeitgenossen dürfte es bald vorbei gewesen sein mit der „Ley“chtigkeit des Seins. Davon ahnten sie in dem Moment freilich nichts.

Eine Mahnung für uns Nachgeborene, die Gegebenheiten niemals für selbstverständlich zu nehmen. Auch wir leben in Zeiten der Krisis und sich anbahnender Umbrüche (Elitenprojekt „Dekarbonisierung“). Wir wissen nur eines: Nichts bleibt, wie es ist – außer der uralten Sehnsucht nach Momenten des Glücks – ob mit oder ohne Automobil…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zeitgenossen mit Charakter: Ley Typ M8 8/36 PS

Die Automobilfabrikation des Maschinenbauers Ley aus dem thüringischen Arnstadt wird den meisten heutigen Zeitgenossen wohl nur vom Hörensagen bekannt sein.

Doch von den wenigen tausend Wagen, die ab 1905 unter der Marke Loreley und nach dem 1. Weltkrieg als Ley verkauft wurden, haben sich ausreichend originale Fotos gefunden, dass ich eine kleine „Ley“-Galerie in meinem Blog einrichten konnte.

Einige davon habe ich bereits vorgestellt, zuletzt den recht erfolgreichen Typ T6 6/16 bzw. 6/20 PS. Doch bot Ley parallel dazu auch ein wesentlich stärkeres 2-Liter-Modell an, das ab 1921 unter der Typbezeichnung M8 gebaut wurde.

Ob der bis 1927 gebaute Ley M8 von Anfang an bereits als 8/36 PS-Typ firmierte oder als 8/25 PS oder zumindest 8/30 PS-Typ begann, lässt die mir zugängliche Literatur offen.

Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass die Thüringer 1921 schon einen 8/36 PS-Wagen bauten, während die erfahrenere Rüsselsheimer Konkurrenz damals nur einen Opel 8/25 PS zustandebrachte. Der Leistungsunterschied erscheint arg groß.

Wie dem auch sei – noch interessanter als die Entwicklung der Motorisierung der Ley-Wagen des Typs M8 ist ihre formale Evolution, die sich im Deutschland der 1920er Jahre oft nur in Trippelschritten vollzog.

Als erstes Anschauungsobjekt eignet sich die folgende Aufnahme aus der schier unerschöpflichen Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Ley Typ M8; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks,

Trotz einiger lagerungs- /altersbedingter Mängel des Abzugs erkennt man hier auf Anhieb die Merkmale eines Ley Typ M8 der frühen 1920er Jahre:

  • moderater Spitzkühler mit typischem Ley-Emblem (hier sogar mit „Ley“-Schriftzug)
  • fünf niedrige, breite Luftschlitze in der Motorhaube, leicht nach hinten versetzt
  • Bremstrommeln nur an der Hinterachse, innenliegender Bremshebel.

Untypisch (soweit sich das sagen lässt) sind die filigranen Drahtspeichenräder. Sie waren bei deutschen Autos bis in die Mittelklasse generell selten, stattdessen dominierten weniger empfindliche Stahlspeichenräder.

Interessant ist, dass hier zwar noch keine Vorderradbremse verbaut wurde – was für eine frühe Entstehung bis 1924 spricht – jedoch bereits Reibungsstoßdämpfer vorhanden waren (neben der vorderen Federaufnahme zu erkennen):

Dabei kann es sich wie im Fall der sportlich-leichten Drahtspeichenräder um ein auf Wunsch erhältliches Zubehör gehandelt haben.

Die Stoßstange aus rustikal zurechtgebogenem Bandstahl folgt zeitgenössischen Vorbildern aus den USA und will nicht so recht zur Raffinesse des Ley passen.

Sehr schön zu sehen ist auf diesem Bildausschnitt neben dem geschwungenen „Ley“-Schriftzug am unteren Ende des Kühlers die leicht nach außen zeigende Stellung der Zusatzlampen unterhalb der Hauptscheinwerfer.

Damit wurde in Kurven gezielt der Straßenrand ausgeleuchtet, der damals meist unbefestigt war und entsprechend tückisch sein konnte.

Vom Kennzeichen ist leider nur ein Teil zu sehen, die Machart der Nummernschilds mit schwarzem Rahmen und schwarzer Schrift auf weißem Grund verweist aber auf eine Zulassung in Deutschland.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Seitenpartie, da sie Details zeigt, die bei etwas späteren Wagen desselben Typs verschwunden sind:

Bedingt durch die Montage der zwei (!) Reservereifen hinter dem Vorderschutzblech ist hier kein Platz für eine Fahrertür.

Das wirft die Frage auf, weshalb die Ersatzräder nicht auf der anderen Seite angebracht wurden. Nun, dann hätte es der Beifahrer beim Einsteigen schwerer gehabt als der Fahrer – damals stand der Komfort der Passagiere noch im Vordergrund.

Dasselbe gilt für das großzügige Platzangebot im Heck des Wagens. Für ausreichende Beinlänge war im Fonds von Vorkriegsautos stets gesorgt – speziell zu Zeiten, als  die  Besitzer hinten saßen und über einen angestellten Chauffeur verfügten.

Hier wurde durch einen Kunstgriff auch für zusätzliche Breite gesorgt. So kragt die Karosserie im hinteren Bereich deutlich über den Schweller hinaus, der den Rahmen kaschiert. Weiter vorne verengt sich der Aufbau dann zunehmend.

Besitzer von Vorkriegsautos, die auf „großem Fuß“ leben, wissen, wie eng es im Bereich der Pedalerie bei solchen frühen Wagen werden kann.

Passend zur Überschrift sollen auch die Zeitgenossen gewürdigt werden, die einst in diesem Ley Typ M8 unterwegs waren:

Wie die Ley-Wagen jener Zeit sind auch die Insassen eigenständige Charaktere – das erkennt man schon daran, dass hier jeder Kopf auf andere Weise gegen den Fahrtwind gewappnet ist.

Bei dem gebräunten Herrn mit Nickelbrille könnte es sich um den eigentlichen Fahrer gehandelt haben. Dafür spräche die „Prinz-Heinrich“-Mütze und das Fehlen einer auf der Rückbank solcher offener Wagen anzuratenden Schutzbrille.

Genau eine solche trägt dagegen der Beifahrer, der sie wie die Dame am Steuer eigentlich nicht unbedingt bräuchte, da vorn die Windschutzscheibe ausreichend Augenschutz bietet.

Wer übrigens außer der „Sunlicht“-Reklame auf der Werbetafel weitere Marken erkennen kann, kann dies über die Kommentarfunktion kundtun. Ich freue mich immer über Details, die aufmerksame Leser bemerken und die ich übersehen habe.

Nachtrag: Leser Matthias Schmidt aus Dresden macht mich darauf aufmerksam, dass die Anzeigentafel auch eine Reklame des Kaufhauses Renner aus seiner Heimatstadt zeigt. Somit wird dieses Foto im Umland der sächsischen Metropole entstanden sein.

Nun aber zum Vergleichsstück – einem auf den ersten Blick ganz ähnlichen Ley Typ M8 auf einem Foto aus meiner eigenen Sammlung:

Ley Typ M8; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier sehen wie einen moderaten Spitzkühler mit „Ley“-Emblem sowie fünf etwas nach hinten versetzte Luftschlitze in der Motorhaube.

Die übrigen Details erscheinen ebenfalls recht ähnlich.

Doch schaut man hier genauer hin, treten zahlreiche Unterschiede zutage – teils formaler, teils technischer Art. Beginnen wir auch hier am Vorderwagen:

Der wohl augenfälligste Unterschied gegenüber dem Ley M8 auf dem ersten Foto ist der nach hinten ausschwingende Vorderkotflügel, in den das Reserverrad eingelassen ist. Diese Lösung war nicht nur platzsparend, sondern wirkte auch gefälliger.

Im Vergleich zu den Drahtspeichenrädern kommen die lackierten Stahlspeichenräder hier zwar stämmiger daher, fügen sich aber gut in das Gesamtbild ein.

Hinter den Speichen des uns zugewandten Vorderrads ist – wenn nicht alles täuscht – der Umriss einer Bremstrommel zu erkennen. Ihr Durchmesser scheint dem der Trommel an der Hinterachse zu ähneln.

Das ist interessanter Befund: Möglicherweise waren die letzten Spitzkühlermodelle dieses Typs, die 1924/25 durch modernisierte Wagen mit Flachkühler ersetzt wurden, bereits ab Werk ebenfalls mit Vorderradbremsen ausgestattet.

Dasselbe Phänomen findet sich übrigens am Presto Typ D 9/30PS, der ausweislich zeitgenössischer Werbung zuletzt ebenfalls Vierradbremsen besaß, ohne dass die Literatur dies erwähnt.

Aufmerksamen Betrachtern dieses Bildausschnitts wird der Taxameter nicht entgangen sein, der am Frontscheibenrahmen angebracht ist. Wenn ein Wagentyp im harten Droschkenbetrieb eingesetzt wurde, was das ein Qualitätsausweis.

In der Tat besaßen die Ley-Automobile einen ausgezeichneten Ruf. Ob der hier abgebildete Ley M8 von Anfang im Taxibetrieb unterwegs war, ist aber ungewiss.

Das Foto lief nämlich erst im Juli 1930 als Postkarte. Demnach war der Ley wahrscheinlich schon etliche Jahre alt, als er auf Zelluloid gebannt wurde.

Möglicherweise gibt die Uniform des Soldaten (wenn es einer war) neben dem Wagen einen Hinweis auf das frühestmögliche Entstehungsdatum dieser Aufnahme:

Die Insassen des Ley bieten ein opulentes Spektrum an Charakteren. Vorn rechts am Steuer der wackere Fahrer, der die Verbindung zu seinem Ley mit einem entsprechenden Emblem an der Schirmmütze kundtut.

Auf dem Beifahrersitz wendet sich ein wohlgenährter Schnauzbartträger der Kamera zu. Der helle Anzug weist ihn als Flaneur aus, der viel Zeit für leibliche Genüsse hat…

Auf der Rückbank sitzt zusammengesackt sein Gegenstück im fortgeschrittenen Alter und in ungesund wirkender Verfassung – sein Schneider wird ihm demnächst eine neue Weste anfertigen müssen, wenn nicht vorzeitiges Ableben dies überflüssig macht.

Solide wie der Fahrer wirkt der zweite Schirmmützenträger im Wagen – eventuell wie dieser Angestellter eines florierenden Droschkenbetriebs.

Am sympathischsten kommt mir der gelöst wirkende ältere Herr auf der Rückbank vor. Seiner Barttracht nach zu urteilen ist er noch in der Kaiserzeit großgeworden.

Vielleicht bezieht er als ehemaliger Staatsbediensteter eine solide Pension und genießt nun im Alter die Vorzüge motorisierter Fortbewegung, deren Kindertage er als junger Bursche bewusst miterlebt hat.

Alles, was auf diesem alten Abzug festgehalten wurde, ist längst vergangen – sicher auch der Ley Typ M8 in der frühen Spitzkühlerversion. Mir ist lediglich bekannt, dass von der ab 1924/25 gebauten Flachkühlerversion zumindest ein Exemplar noch existiert.

Es würde mich aber nicht wundern, wenn sich in Skandinavien, in Osteuropa oder in Australien noch ein Spitzkühler-Ley erhalten hätte und wir es bloß nicht wissen, dass ein derartig charakterstarker Zeitgenosse auf vier Rädern noch unter uns weilt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Einst der Traum von Groß & Klein: Ley T6 Tourenwagen

Kürzlich ging es in diesem Blog für Vorkriegsautos erstmals um ein automobiles Erzeugnis der Maschinenbaufirma Ley aus dem thüringischen Arnstadt (hier).

Bei der Gelegenheit haben wir die Geschichte der bis zum 1. Weltkrieg unter dem Markennamen Loreley vertriebenen Wagen erzählt.

Nach Kriegsende, das sich am 11. November 2018 zum hundersten Mal jährt, musste die Firma Ley bei der Autoproduktion erst einmal kleinere Brötchen backen.

Sechszylinderwagen kamen für’s Erste nicht mehr in Betracht, stattdessen beschränkte sich das Programm auf kompakte Vierzylinder. Das Basismodell war ein 16 PS leistender Wagen, der auf ein technisch ähnliches Vorkriegsmodell zurückging.

Äußerlich folgte dieser Wagen dem 1914 in Deutschland einsetzenden Trend zu scharfkantigen Formen, dessen ausgeprägtestes Element der Spitzkühler war.  Hier haben wir einen perfekten Vertreter dieses Stils:

Ley Typ T6 6/16 oder 6/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlengerwww.

Der wie gemeißelt wirkende Aufbau mit integriertem Verdeckkasten spiegelt eine streng geometrische Formensprache wider – ähnlich dem zuletzt vorgestellten, zeitgleich angebotenen AGA Typ A.

Zwar bereitet der Aufnahmeort keine Schwierigkeiten – die Heidelberger Neckarbrücke mit dem Ende des 17. Jh. von französischen Truppen zerstörten Schloss war damals bereits ein beliebtes Fotomotiv.

Doch die Identifikation des vor dieser malerischen Kulisse platzierten Tourenwagens bereitete einiges Kopfzerbrechen. Erst die Präsentation der Aufnahme als „Mystery tourer in Heidelberg“ auf der Plattform www.prewarcar.com führte zum Ziel.

Ein sachkundiger Leser konnte den Wagen als Ley T6 identifizieren. Das Modell wurde 1920/21 erst mit 6/16 PS-Antrieb angeboten, ab 1922/23 bis 1925/26 (die Angaben in der Literatur variieren) als 6/20 PS-Typ.

Bemerkenswert ist, dass bereits 1917 ein Ley 6/16 PS mit Spitzkühler entstanden zu sein scheint, der noch existiert. Dies legt jedenfalls ein Hinweis auf der Website www.ley-automobile.de in der Rubrik „Bestand“ nahe.

Die ganz frühen Modelle des Typs scheinen noch über vorn abgeflachte Vorderschutzbleche verfügt zu haben, während der in Heidelberg aufgenommene Wagen stärker gerundete Kotflügel aufweist:

Hier ist auch der in Wagenfarbe lackierte Spitzkühler zu erkennen. Ein wichtiges Detail sind die auf die untere Haubenhälfte beschränkten Luftschlitze und die mittig darüber angebrachte Griffmulde zum Anheben der Haube.

Auch die v-förmig unterteilte Frontscheibe passt zum Erscheinungsbild des Ley Typ T6 auf den wenigen Vergleichsfotos.

Ein weitgehend identisches Fahrzeug ist übrigens auf Seite 39 des Standardwerks zu Autos aus Thüringen von Horst Ihling (Schrader Verlag, 2002) zu finden. Dort wird der Wagen als 6/20 PS-Modell angesprochen.

Bislang fehlen jedoch verlässliche Hinweise darauf, ob sich die Motorisierungen 6/16 bzw. 6/20 PS äußerlich unterscheiden lassen. Der Verfasser nimmt an, dass bei Einführung des auf 20 PS leistungsgesteigerten Motors zunächst die ursprüngliche Karosserieform weiter angeboten wurde.

Kennzeichnend dafür war der nach außen abgeschrägte obere Karosserieabschluss:

Die facettierte Gestaltung des hinteren Aufbaus, den man auch bei anderen deutschen Fabrikaten kurz nach dem 1. Weltkrieg findet, wich in den frühen 1920er Jahren einer schlichten, oben gerade abgeschnittenen Ausführung.

Ein Beispiel dafür sehen wir auf dem folgenden Foto, das ebenfalls einen Ley mit Spitzkühler zeigt, hier allerdings mit geschlossenem Tourenwagenverdeck.

Die merkwürdigen Spiegelungen auf den Seiten“scheiben“ weisen auf das verwendete Material hin: Zelluloid, einer der ersten Kunststoffe überhaupt.

Ley T6 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar konnte der wohl neuwertige Ley-Tourenwagen nicht nur die Erwachsenen stolz machen, die damit einst einen Ausflug nach Heidelberg unternahmen.

Hier haben wir gleich elf Kinder aller Altersstufen, die sich vor dem Wagen haben ablichten lassen. Dass die Kleinen wohl durchweg aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammen, kann man an ihrer Kleidung ablesen.

Arme Kinder besaßen damals oft nicht einmal Schuhe und trugen die abgewetzte Kleidung ihrer älteren Geschwister auf.

Vermutlich haben sich hier neugierige Nachbarskinder zusammengefunden, nur die drei kleinen Mädchen ganz rechts weisen Familienähnlichkeit auf.

Eine derartige Aufnahme, bei der jemand seinen nagelneuen Wagen mit einer ganzen Bande junger Gören abgelichtet hat, ist dem Verfasser noch nicht untergekommen.

Dennoch sehen wir auch von dem Ley genügend:

Hier haben wir wieder die bereits erwähnte Griffmulde oberhalb der Haubenschlitze, den lackierten Spitzkühler – nun auch mit dem typischen drei“armigen“ Ley-Emblem sowie Nabenkappen mit eingeprägtem LEY-Schriftzug.

Im Unterschied zum Foto des Ley in Heidelberg besitzt dieser Wagen jedoch eine flache, durchgehende Frontscheibe. An den Fensterpfosten sind ausklappbare Winker zur Anzeige der Fahrtrichtung angebracht.

Zubehörteile sind außerdem die manuell vom Fahrersitz (rechts) zu betätigende Vierfachfanfare sowie der Suchscheinwerfer mit daran angesetztem Rückspiegel.

Das Gesamtbild spricht für eine spätere Ausführung des Ley T6 mit 20 PS-Motor. Parallel dazu wurde ein größeres Vierzylindermodell angeboten, doch dessen weit größerer Motor (3,1 Liter, 32 bis 45 PS) beansprucht auf Fotos deutlich mehr Platz.

Nach der Lage der Dinge wird man bei beiden Ley-Wagen vorerst mit der Hypothese „Typ T6 6/16 oder 6/20 PS“ arbeiten müssen.

Der Charme der Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos besteht nicht zuletzt darin, dass immer noch Bilder auftauchen können, die uns eine genauere Ansprache bzw. Differenzierung erlauben.

Was vor bald 100 Jahren der Traum von Groß & Klein im verarmten Nachkriegsdeutschland war, ist auch im 21. Jahrhundert immer noch bewegend – ganz gleich ob mit 16 oder 20 PS…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.