Die Welt ist ungerecht – das gilt von jeher für die Ungleichverteilung gewisser äußerer Merkmale. Aber es gibt auch Abhilfe, wie wir heute sehen werden.
Von der Natur weniger großzügig mit optischen Reizen bedachte Damen haben früh Wege ersonnen, dies entweder kosmetisch oder mit purem Charme zu übertünchen.
Schwerer hatten es von jeher die Herren speziell dann, wenn sie etwas klein geraten waren. Schmale Schultern und Bauchansatz ließen sich ja bis in gewisser Hinsicht kompensieren – mit breiten Schulterstücke bei Uniformen hoher Militärs und zweireihigen Jacketts etwa.
Aber der kleiner Mann – der muss sich irgendwie mit seinem wenig imposanten Erscheinungsbild arrangieren. Dafür stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen:
Er kann durch schiere Leistung begeistern, als Beispiel fällt mir Tazio Nuvolari ein, einer der größten Rennfahrer überhaupt – und das mit ganzen 1,60 m!
Der kleine Mann kann sein Geltungsbedürfnis aber auch in der Politik ausleben, wie das seit Napoleon auffällig oft der Fall ist – manch‘ einem fallen auch aktuelle Beispiele ein, bei denen ein ungesundes Streben nach Größe eher schädliche Folgen zeitigt.
Als dritte Möglichkeit bleibt die, sich durch Erwerb von Statussymbolen quasi selbst als Heros über die schnöde Masse zu erheben. Das Automobil bot vom ersten Tag an beste Voraussetzungen für dergleichen Ablenkungsmanöver und mein Eindruck ist der, dass einige Frauen immer noch darauf hereinfallen – gut so für den kleinen Mann!
Wenn Sie jetzt den Kopf schütteln und sagen, dass die im Titel erwähnte Marke Fiat doch für diese therapiebedürftigen Fälle nichts im Angebot hatte, sondern nur für ökonomisch wirklich „kleine Leute“, dann kann ich Ihnen nur bedingt recht geben.
Die Turiner Marke bot nicht nur vor dem 1. Weltkrieg Luxuswagen an, die international hoch angesehen waren, sie baute auch nach Einführung des für europäische Verhältnisse revolutionären Kleinwagentyps 501 anno 1919 weiterhin auch große und starke Modelle.
Spektakulär war der ab 1922 gebaute Fiat 519 mit fast 80 PS leistendem 6-Zylindermotor und hydraulischen (!) Vierradbremsen. Ein Foto dieser Rarität konnte ich vor Jahren dingfest machen:

Nachfolger des sensationellen Fiat 519 wurde ab 1927 der nicht ganz so grandiose, aber immer noch beeindruckende Typ 525. Mit knapp 70 PS aus 3,7 Litern Hubraum bot er nach wie vor souveräne Leistung als kraftvoller Reisewagen im vielerorts bergigen Italien.
Doch dachte man bei Fiat auch an den Repräsentationsbedarf des „kleinen Manns“ in der gehobenen Mittelklasse.
So wusste man, dass ein 6-Zylinder für manchen beruflich erfolgreichen Käufer ein wichtiger Erfolgsausweis war – nur einigermaßen bezahlbar sollte er sein und weniger gigantisch daherkommen wie das Spitzenmodell, das eher in den Vorstandsetagen der schon damals hochentwickelten Industrie Norditaliens zuhause war.
So bot man parallel auf etwas kürzerem Chassis und mit „kleinem“ Sechszylinder den Typ 520 an, welcher 45 PS aus 2,3 Litern schöpfte. Das klingt nicht mehr so beeindruckend, doch um bei den Zeitgenossen groß herauszukommen, genügte das Erscheinungsbild.
Ein hübsches Beispiel dafür haben wir, wo gleich mehrere sich als Dandy gebende junge Herren neben einem solchen Fiat posieren:
Interessant ist hier, dass als Aufnahmeort Czarnikow angegeben ist, das in der ehemaligen Provinz Posen lag. Fiat war auch mit diesen gehobenen Modellen international auffallend präsent und gehörte neben den US-Herstellern zu den damals erfolgreichsten Exporteuren.
Aufgrund der Aufnahmesituation fällt hier kaum auf, dass es sich eigentlich um eine offene Version als Tourenwagen handelt. Mit geschlossenem Verdeck wirkte der Fiat beinahe so imposant wie in der Limousinenausführung.
Diese gab es natürlich auch – hier ein 6-Fenster-Exemplar mit deutscher Zulassung:
Fiats mit kompaktem 6-Zylindermotor erfreuten sich demnach auch in Deutschland einiger Beliebtheit bei den „kleinen Leuten“, denen ein großes Aggregat schlicht zu teuer war. Dass sie kein deutsches Fabrikat wählten, lag schlicht an der mangelnden Verfügbarkeit seitens der in dieser Klasse noch rein in Manufaktur arbeitenden heimischen Hersteller.
Dagegen war Fiat durch frühzeitige Übernahme US-amerikanischer Produktionsmethoden imstande, auch die größeren Typen in industriellem Maßstab – d.h. in hohen Stückzahlen und zum konkurrezfähigen Preis – zu fertigen.
So hatten die Turiner am deutschen Markt der Zwischenkriegszeit leichtes Spiel – ihre Wagen gehörten in allen Größenklassen zum Straßenbild, was sich bei heutigen Klassikerveranstaltungen hierzulande nicht annähernd widerspiegelt.
Da ist es nur konsequent, wenn das für heute letzte Foto eines Fiat 520 – dieses habe ich noch nicht bereits an anderer Stelle präsentiert – wieder einen in Deutschland zugelassenen Wagen zeigt.
Und dass der wirklich etwas für kleine Leute war, davon können Sie sich nun zum Abschluss selbst überzeugen:
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog