Die Größe muss man haben! Cadillac von 1930

Einem kleinen Geist fällt naturgemäß eines unendlich schwer: einzusehen, dass man heillos überfordert ist, dass man sich und andere hinsichtlich des eigenen Könnens getäuscht hat und dass man sich nur noch genau ein Verdienst ans Revers heften kann: Rückzug auf eine Position, der man wirklich gewachsen ist.

Vermutlich kennt jeder solche Figuren, doch ganz gleich, an wen man dabei denkt – stets ist in solchen Fällen eines vonnöten und meist unterentwickelt – die nötige Größe dazu!

Heute will ich indessen zwei Beispiele dafür zeigen, in denen man anerkennend feststellen (und zugleich heimlich für sich wünschen) möchte: „Die Größe muss man haben!“

Auf der folgenden Aufnahmen zeigen gleich zwei Zeit“genossen“ der untergegangenen DDR, dass ihnen ganz entgegen der von traurigen kleinen Geistern im Politbüro ausgegebenen Doktrin sehr wohl der Sinn nach unproletarischer Größe stand:

Cadillac von 1930; Aufnahme der 1960er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass dieser prachtvolle Cadillac des Modelljahrs 1930 ausgerechnet in der automobilmäßigen Tristesse des angeblich real existierenden Sozialismus überlebt hatte, war ein großartiger Treppenwitz der Geschichte.

Mit seinem über 90 PS leistenden V8-Motor erinnerte er die im Arbeiter- und Bauernparadies eingesperrten Landsleute an eine Tradition, die bis zum 2. Weltkrieg auf demselben Boden lebendig war und ebenfalls großartige Ergebnisse gezeitigt hatte.

Die Rede ist von den Achtzylinderwagen der sächsischen Marke „Horch“, die sich bis ins Detail der Gestaltung eng an den Wagen der US-Luxusmarke Cadillac orientierten.

„Die Größe muss man haben“ sagte man sich in Zwickau und schuf ab Ende der 1920er Jahre entsprechend grandiose Achtzylinderautos, die bis heute nicht ihren Nimbus verloren haben und die einst auch die Konkurrenz von Daimler-Benz in den Schatten stellten.

Allerdings zeigt die pure Existenz des abgebildeten Cadillac von anno 1930 auf deutschem Boden, dass einige heimische Käufer trotz aller Meriten der „Horch“-Automobile dann doch das Original wollten und einen Cadillac bestellten.

„Die Größe muss man haben“ auch als ansonsten patriotisch veranlagter Deutscher anzuerkennen, dass die amerikanischen Wagen damals letztlich eine Klasse für sich darstellten.

Im Fall des 1930er Cadillac wurde dies nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass es neben dem V8-Modell auch eine Version mit 16-Zylinder gab, die sagenhafte 170 PS leistete und nochmals aufwendiger ausgestattet war.

Diese Größe musste man vermutlich nicht unbedingt haben, zumal dieses Gerät auch mit einem phänomenal großen Preisschild daherkam.

Doch der „normale“ V8-Cadillac aus dem Jahr 1930 genügte vollauf, wenn man den Mitmenschen wahre Größe vorführen wollte. Anstatt aber nur die Nachbarn zu beeindrucken, war es den Besitzern auch ein Bedürfnis, die wahre Größe dieser kraftvollen und komfortablen Wagen auf Reisen zu erleben.

Hier haben wir das passende Beweisfoto, aufgenommen auf der Axenstraße am Südende des Vierwaldstädter Sees in der Schweiz:

Cadillac von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man war offenbar am Ostufer unterwegs und der Kühler des Cadillac zeigt in die auch von mir bevorzugte Richtung – gen Süden.

Heute verläuft die Hauptroute Richtung Gotthard von Luzern kommend auf der Westseite des Sees – doch die Galerien der alten Axenstraße sind von dort noch heute zu sehen.

Und so werde ich morgen an dieses Foto und den mächtigen Cadillac denken, wenn ich wieder Richtung Italien unterwegs bin und dort vorbeikomme. Für einen Moment reise ich dann in der Zeit zurück und fühle ich mich den Automobilisten nahe, die dort vor gut 90 Jahren Halt machten und den Blick auf den See genossen.

Die Größe dieses Wagens hätte ich dann gerne ebenfalls, wenn ich mit meinem 1,3 Liter-Vierzylinder (immerhin 150 PS) dort entlangfahre. Doch muss man auch die Größe haben einzugestehen, dass einem die automobilen Höhen der Vorkriegszeit ewig versagt bleiben werden.

Genießen kann man ein wenig davon gleichwohl auch in unseren Tagen – dank überlebender Fahrzeuge und vielleicht auch dank dieses Blogs, in dem inzwischen einige tausend Vorkriegswagen wieder „auf die Straße“ gekommmen sind, zumindest virtuell.

Mein nächstes Lebenszeichen wird dann aus dem Süden kommen und ich weiß, wie exklusiv es ist, jetzt dort weilen zu können, wenngleich mich einige Arbeit begleitet.

Auch diese Größe muss man haben – zu wissen, dass es Fortuna gut mit einem gemeint hat, selbst ohne 8 Zylinder…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog

2 Gedanken zu „Die Größe muss man haben! Cadillac von 1930

  1. Besten Dank für diese treffende Schilderung, Herr Weigold! Zum Glück bin ich dem Regen glücklich entronnen, hier in Umbrien lacht die Sonne bei 20 Grad.

  2. Ja, eine gewisse Größe muss man schon haben, um in das weitläufige (bestenfalls) gediegen elegante Innere eines solchen dem deutschen Durchschnittsbürger zu allen Zeiten ungeheuren Spitzenerzeugnisses, gleich welcher Provinienz, blicken zu können!
    Der zu Zeiten des real existierenden zweiten deutschen Staatsgebildes wohl beste Kenner der Raumfahrzeuge aus
    seiner sächsischen Heimat und Autor früher Kfz- historischer Bücher, Dr. Peter Kirchberg, nahm sich unter Inkaufnahme gewisser „ideologischer Dikrepanzen“ der Marke Horch
    besonders an.
    Überliefert ist seine Charakterisierung ihrer Geräumigkeit bei einem Vortrag:
    …und er eilte mit wenigen Schritten zum Fenster! Entnommen vielleicht aus einem real existierenden Trivialroman.
    Warum konnte man vereinzelt selbst Fahrzeuge solchen Kalibers bei den ADMV- Veranstaltungen bestaunen (war nur die Körpergröße vohanden und das Oldtimer- Herz weit genug) ?
    Spätestens mit Wirksamwerden des allgemeinen Fahrverbotes für Zivilfahrzeuge wurden sie aufgebockt in eine Ecke der meist ebenso weitläufigen Garagenanlage der Eigentümer gestellt und gerieten meist schnell in Vergessenheit. Zu alt,
    zu unökonomisch, zu teuer in Unterhalt und wenn ausländischen Ursprungs, bald auch abgeschnitten von jeglicher Versorgung mit spareparts. Selbst durch die Zugriffsraster der Militätbehörden sowie ziviler Bedarfsträger fielen sie , es sei denn, es stand HORCH drauf.
    Da wurden sie meist den noblen
    Haltern abgekauft und Firmen wie die aufstrebende Fa. Fleischer in Gera bauten sie zu Sanitätskraftwagen oder Behelfs-Feuerlösch- fz. um.
    Und selbst wenn sie, wie der hier gezeigte Caddy, unversehrt und in Bestzustand den Krieg, die „Notzeit“ und selbst die Phase der wirtschaftlichen Konsoliedierung des jungen deutschen Zweitstaates überlebten, waren sie für die bestenfalls weiter über ihre kleinere Fabrik, ihr Groß- oder Einzelhandelsgeschäft verfügenden Eigentümer uninteressant, sie brauchten ja ein unkompliziertes, neues, immer dienstbereites und eben auch ökonomisches Auto – einen F9, dann auch Wartburg oder oft
    ja auch ein Produkt der längst wieder lieferfähigen westdeutschen Auto- Industrie!
    Absolute Spitze war natürlich ein nigel-nagel-neues Wartburg – Cabrio mit Ledersitzen oder gar einen unter Zuhilfenahme gewisser „politischer Landschaftspfege“ eingeführten 220er Mercedes.
    Die Jahre gingen ins Land und irgendwann, vielleicht Ende der Fünfziger oder Mitte der Sechziger wurde es dann eng um den schönen trockenen Standplatz des nun nur noch „alten“ Caddy und es reifte der Entschluß, nach dem Tod des alten Patriarchen das Alte Eisen
    wegzugeben.
    Und das war die Stunde der neuen technischen Elite, der Kfz-ler, Mechaniker , ehem. Militärkraftfahrer die in der Lage waren, den Caddy (Horch, Benz oder was immer) abzubocken und in Betrieb zu nehmen.
    So ist mancher Schlosser zum Anerkennungspreis oder gegen gewisse Arbeitsleistung in den
    Besitz eines solchen Boliden gelangt, dessen Tankinhalt beinahe den Wert seines Monatslohnes darstellte!
    Und nun wollen wir unserem geschätzten Wanderarbeiter und Blog- Patriarchen gute Fahrt in den aktuell (von ihm) unverhofft stark durchnässten Süden wünschen !

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