Endlich Mantelwetter! 1929er Cadillac vor Burg Drachenfels

Wunderlich sind die Wege, die das Dasein nimmt – die besten Dinge darin geschehen ungeplant, meine ich. Das gilt im Großen, also im Maßstab 1:1, wie auch im Kleinen, also im Fotoformat von anno dazumal, in dem sich die Welt von gestern in Teilen erhalten hat.

Nur ausnahmsweise wähle ich für meinen Blog ein altes Autofoto bewusst aus – das ist eigentlich nur bei meinen regelmäßigen Formaten wie dem Fund des Monats der Fall.

Ansonsten lasse ich mich spontan von dem Material inspirieren, das in der digitalen Wiedervorlage schlummert oder noch im analogen Original ungeordnet auf dem Schreibtisch herumliegt und von meiner Katze Ellie als Unterlage geschätzt wird.

Oder es gibt einen äußeren Anlass in Form eines Erlebnisses im Alltag, einer Tagesparole irgendwelcher Welterklärer, Volkserzieher und Gesellschaftsklempner oder einfach dem, was sich im Postfach findet.

Letzteres war heute der Fall. So titelte der Herrenmode-Katalog von „Mey & Edlich“ autoritär: „Endlich Mantelwetter!“. Meine Beziehung zur Traditionsfirma Mey & Edlich ist die, dass ich in grauer Vorzeit in deren Dependance im Steinweg in Frankfurt am Main ein- und auszugehen pflegte, um dort Krawatten und Hemden zu kaufen.

Das war während des Abschnitts meiner Berufslaufbahn, den ich im Finanzsektor der Mainmetropole verbrachte – eine Zeit, die heute unendlich weit entfernt scheint.

Den Herrenausstatter Mey & Edlich im Frankfurter Steinweg gibt es schon lange nicht mehr, doch der Firmenname Mey & Edlich besteht bis heute fort, bloß wird er längst von einem Modeversand genutzt, dessen Angebot kaum etwas mit dem von einst zu tun hat. Nur aus heraus werfe ich den Katalog nicht gleich fort, wenngleich ich selten etwas darin finde.

Die Männermode von heute sagt mir nichts, ich bleibe im Äußeren den Klassikern treu, wenn ich aus meinem ländlichen Idyll herauskomme und nicht nur zum Baumarkt fahre.

Auch deshalb liebe ich die Autoaufnahmen der Vorkriegszeit, als nicht nur die Wagen ganz anderen Gestaltungsgesetzen unterlagen, sondern auch in der Öffentlichkeit ein aufwendiger und für das Selbstbild wichtiger Kleidungsstil gepflegt wurde.

Nachdem die Macher von Mey & Edlich „Mantelwetter“ angeordnet hatten und sich der November präzise daran hält, was Temperaturen und Luftfeuchte angeht, dachte ich spontan, dass sich etwas dazu passendes finden lassen muss.

Und genau so verfiel ich darauf, endlich diese hübsche Aufnahme zu zeigen:

Cadillac von 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lachen Sie nicht – so steht Mann halt da, wenn man Knickerbocker mit Kniestrümpfen trägt und darüber einen Mantel in adäquater Länge.

Die Damen wissen natürlich auch heute, dass man an den Unterschenkeln selten friert, aber für die Buben ist’s eher ungewöhlich, dass man in der Öffentlichkeit die bestrumpften Waderln herzeigt – wobei ich das entschieden jeder kurzen Hose vorziehe.

Sehenswertes Männergebein ist ja abseits antiker Skulpturen, Wettkampfschwimmern und Rennradlern in aller Regel nicht anzutreffen, also findet dieser Herr mit seiner Wahl meine unbedingte Zustimmung.

Selbiges gilt auch für den Wagen, vor dem er sich hat ablichten lassen – offenbar ein Cadillac des Modelljahrs 1929. Die auf zwei Drittel der Motorhaube beschränkten Luftschlitze in Verbindung mit den Werkzeugfächern in der Schwellerpartie sind typisch.

Die sächsische Firma Horch hat diesen Stil bis auf besagte Fächer beim Achtzylindertyp 375 recht genau kopiert, allerdings geadelt mit prächtigen Radkappen und mit Kühlerfigur.

Für ein Luxusautomobil kam der Cadillac äußerlich beinahe konventionell daher – man mied gestalterische Extravaganzen und verließ sich auf die Anziehungskaft des bärenstarken V8 mit 5,6 Litern Hubraum und 90 PS sowie die exklusive Innenausstattung.

Angesichts des kaum nachstehenden Angebots von Horch fanden sich nur wenige deutsch Käufer des US-„Originals“ – doch hier haben wir immerhin ein Exemplar davon.

Nachdem wir das mit der Mantelzeit und die Identität des Wagens geklärt hätten, gibt eine Sache noch Rätsel auf. Auf der Rückseite des Fotos ist vermerkt „1934, Burg Drachenfels“.

Die einzige Burg Drachenfels, die ich kenne, befindet sich im Siebengebirge im Mittelrheintal. Ich habe einige Zeit mit dem Versuch zugebracht, die Ansicht der Burg auf unserem Cadillac-Foto mit dem heutigen Erscheinungsbild der Burg Drachenfels zur Deckung zu bringen – doch ohne Erfolg.

In dieser Hinsicht setze ich auf die Ortskenntnis von Ihnen, liebe Leser. Denn nicht nur kann es sein, dass ich es bloß nicht hinbekommen habe, sondern möglich ist auch, dass wir es mit einer fehlerhaften Beschriftung zu tun haben – was bei privaten Fotos öfters vorkommt.

Vielleicht kennt aber auch jemand eine andere Burg Drachenfels, die weniger geläufig ist – denn die Botanik in deutschen Landen steht ja voll mit diesen Hinterlassenschaften des Mittelalters, und nicht jede davon hat es ins breite Bewusstsein geschafft.

Dann wäre ja die fragwürdige heutige Jubelparole „Endlich Mantelwetter“ letztlich doch für etwas mehr gut als „nur“ einen 1929er Cadillac vor schaurig-schöner November-Kulisse…

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Die Größe muss man haben! Cadillac von 1930

Einem kleinen Geist fällt naturgemäß eines unendlich schwer: einzusehen, dass man heillos überfordert ist, dass man sich und andere hinsichtlich des eigenen Könnens getäuscht hat und dass man sich nur noch genau ein Verdienst ans Revers heften kann: Rückzug auf eine Position, der man wirklich gewachsen ist.

Vermutlich kennt jeder solche Figuren, doch ganz gleich, an wen man dabei denkt – stets ist in solchen Fällen eines vonnöten und meist unterentwickelt – die nötige Größe dazu!

Heute will ich indessen zwei Beispiele dafür zeigen, in denen man anerkennend feststellen (und zugleich heimlich für sich wünschen) möchte: „Die Größe muss man haben!“

Auf der folgenden Aufnahmen zeigen gleich zwei Zeit“genossen“ der untergegangenen DDR, dass ihnen ganz entgegen der von traurigen kleinen Geistern im Politbüro ausgegebenen Doktrin sehr wohl der Sinn nach unproletarischer Größe stand:

Cadillac von 1930; Aufnahme der 1960er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass dieser prachtvolle Cadillac des Modelljahrs 1930 ausgerechnet in der automobilmäßigen Tristesse des angeblich real existierenden Sozialismus überlebt hatte, war ein großartiger Treppenwitz der Geschichte.

Mit seinem über 90 PS leistenden V8-Motor erinnerte er die im Arbeiter- und Bauernparadies eingesperrten Landsleute an eine Tradition, die bis zum 2. Weltkrieg auf demselben Boden lebendig war und ebenfalls großartige Ergebnisse gezeitigt hatte.

Die Rede ist von den Achtzylinderwagen der sächsischen Marke „Horch“, die sich bis ins Detail der Gestaltung eng an den Wagen der US-Luxusmarke Cadillac orientierten.

„Die Größe muss man haben“ sagte man sich in Zwickau und schuf ab Ende der 1920er Jahre entsprechend grandiose Achtzylinderautos, die bis heute nicht ihren Nimbus verloren haben und die einst auch die Konkurrenz von Daimler-Benz in den Schatten stellten.

Allerdings zeigt die pure Existenz des abgebildeten Cadillac von anno 1930 auf deutschem Boden, dass einige heimische Käufer trotz aller Meriten der „Horch“-Automobile dann doch das Original wollten und einen Cadillac bestellten.

„Die Größe muss man haben“ auch als ansonsten patriotisch veranlagter Deutscher anzuerkennen, dass die amerikanischen Wagen damals letztlich eine Klasse für sich darstellten.

Im Fall des 1930er Cadillac wurde dies nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass es neben dem V8-Modell auch eine Version mit 16-Zylinder gab, die sagenhafte 170 PS leistete und nochmals aufwendiger ausgestattet war.

Diese Größe musste man vermutlich nicht unbedingt haben, zumal dieses Gerät auch mit einem phänomenal großen Preisschild daherkam.

Doch der „normale“ V8-Cadillac aus dem Jahr 1930 genügte vollauf, wenn man den Mitmenschen wahre Größe vorführen wollte. Anstatt aber nur die Nachbarn zu beeindrucken, war es den Besitzern auch ein Bedürfnis, die wahre Größe dieser kraftvollen und komfortablen Wagen auf Reisen zu erleben.

Hier haben wir das passende Beweisfoto, aufgenommen auf der Axenstraße am Südende des Vierwaldstädter Sees in der Schweiz:

Cadillac von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man war offenbar am Ostufer unterwegs und der Kühler des Cadillac zeigt in die auch von mir bevorzugte Richtung – gen Süden.

Heute verläuft die Hauptroute Richtung Gotthard von Luzern kommend auf der Westseite des Sees – doch die Galerien der alten Axenstraße sind von dort noch heute zu sehen.

Und so werde ich morgen an dieses Foto und den mächtigen Cadillac denken, wenn ich wieder Richtung Italien unterwegs bin und dort vorbeikomme. Für einen Moment reise ich dann in der Zeit zurück und fühle ich mich den Automobilisten nahe, die dort vor gut 90 Jahren Halt machten und den Blick auf den See genossen.

Die Größe dieses Wagens hätte ich dann gerne ebenfalls, wenn ich mit meinem 1,3 Liter-Vierzylinder (immerhin 150 PS) dort entlangfahre. Doch muss man auch die Größe haben einzugestehen, dass einem die automobilen Höhen der Vorkriegszeit ewig versagt bleiben werden.

Genießen kann man ein wenig davon gleichwohl auch in unseren Tagen – dank überlebender Fahrzeuge und vielleicht auch dank dieses Blogs, in dem inzwischen einige tausend Vorkriegswagen wieder „auf die Straße“ gekommmen sind, zumindest virtuell.

Mein nächstes Lebenszeichen wird dann aus dem Süden kommen und ich weiß, wie exklusiv es ist, jetzt dort weilen zu können, wenngleich mich einige Arbeit begleitet.

Auch diese Größe muss man haben – zu wissen, dass es Fortuna gut mit einem gemeint hat, selbst ohne 8 Zylinder…

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Winter adé! Ein Cadillac „Eight“ von 1922

Auch wenn ich den Frühlingsmonat März als unangenehm kalt und endlos regnerisch in Erinnerung habe – zu Ostern war ich noch Zeuge starker Schneefälle im nördlichen Tessin -hörte ich dieser Tage, dass es mal wieder der „heißeste“ Monat seiner Art weltweit war.

Lassen wir die Frage ungestellt, wer eigentlich vor – sagen wir 100 Jahren – entsprechende Vergleichswerte außerhalb einiger Stationen in Europa und den USA gemessen haben soll (und womit). Jedenfalls bin ich nur zu gern geneigt, dem Winter „adé“ zu sagen.

Dazu habe ich ein Foto aus meinem Fundus hervorgeholt, in dem zwar noch etwas Winter zu sehen ist, aber die Stimmung schon dem Frühling zugeneigt zu sein scheint.

In jedem Fall können wir Vorkriegsauto-Enthusiasten uns an einem prächtigen Exemplar erwärmen so wie der wackere Vierbeiner seine Pfoten auf der Motoraube:

Cadillac Modeljahr 1922/23; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass wir es mit einem US-Fahrzeug zu tun haben, ist anhand des Kennzeichens aus dem Bundesstaat Ohio leicht zu erraten.

Dabei lassen wir uns von der Jahresangabe 1928 nicht irritieren. Denn offensichtlich muss dieses Fahrzeug wesentlich früher entstanden sein, als verchromte bzw. zuvor vernickelte Glanzteile noch kein Standard waren.

Ich bin kein besonderer Kenner der damaligen US-Fabrikate – es gab damals noch hunderte Hersteller und die Modellvielfalt war erschlagend. Doch erkannte ich rasch, dass es sich um einen Cadillac aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg handeln müsse.

Da im Modelljahr 1924 die glockenförmigen Scheinwerfergehäuse schüsselförmigen wichen, musste der Wagen früher entstanden sein. Einen Hinweis für die früheste Datierung gab die Sonnenblende oberhalb der Windschutzscheibe – sie wurde 1922 eingeführt.

Im selben Jahr wanderte auch das außenliegende Horn in den Motorraum. Weisheiten wie diese beziehe ich routinemäßig aus der US-Vorkriegsautobibel „Standard Catalog of American Cars„, welche wir der rastlosen Tätigkeit einer Dame namens Beverley R. Kimes und eines Herrn namens Henry A. Clark verdanken.

Das über 1.600 Seiten starke Opus ist zwar immer noch keine vollständige Darstellung der unglaublichen Markenvielfalt in den Vereinigten Staaten, lässt aber ahnen, wie dürftig die entsprechenden Anstrengungen hinsichtlich des überschaubaren deutschen Markts sind.

Mit weniger preußischem Pseudoperfektionismus, der oft genug gar kein Ergebnis zeitigt, und stattdessen mehr Yankee-Pragmatismus nach dem Motto „Don’t get it right, just get it done„, wären wir, von einigen lobenswerten Ausnahmen abgesehen, schon weiter.

Das war auch einer der Gedanken beim Start meines Blogs und bei der Schaffung der laufend erweiterten Markengalerien. Diese sind weder vollständig noch fehlerfrei, aber in etlichen Fällen die umfangreichsten strukturierten und frei zugänglichen ihrer Art weltweit.

Dass man das noch viel besser machen könnte, das beweist nebenbei Ferdinand Lanner mit seiner hervorragenden Dokumentation von Fiat-Automobilen (und weiteren) auf seiner Website. So etwas würde man sich für viele der großen deutschen Marken wünschen.

Zurück zum Cadillac: Der weist eine Besonderheit auf, die ich auch schon bei anderen US-Fabrikaten der 1920er Jahre gesehen habe, nämlich verstellbare Lamellen vor dem Kühler für den Winterbetrieb (so vermute ich):

Bei dieser Vorrichtung scheint es sich um ein Nachrüstteil gehandelt zu haben, über dessen genaue Funktionsweise mir aber nichts bekannt ist.

Da ich sie fast identisch unter anderem an einem banalen „Oakland Six“ von 1926 gesehen habe, möchte ich ein Cadillac-spezifisches Zubehör ausschließen. Wer mehr darüber weiß, ist aufgerufen, sein Wissen über die Kommentarfunktion zu teilen.

Wenn ich einen Sechszylinder von Oakland eben als banal abgestempelt habe, dann geschieht das natürlich aus der Perspektive eines Cadillac-Besitzers. Der fand im Motorraum seines Wagens von 1922/23 nämlich einen V8-Motor vor, der über 60 PS leistete – das war vor gut 100 Jahren Standard in der Oberklasse, übrigens auch in Europa.

Im Unterschied zu europäischen Herstellern bekamen die Amis das Kunststück hin, in den zwei Jahren der Produktion des Cadillac über 40.000 Exemplare an den Mann zu bringen.

Die damit verbundenen Skaleneffekte erlaubten zugleich erstmals Preissenkungen, zumal die Konkurrenz nicht schlief. Die Peitsche des Wetttbewerbs ist der entscheidende Faktor in dieser Hinsicht, weshalb die zunehmende Markenarmut unserer Tage so problematisch ist.

Viel mehr fällt mir zu dem heute vorgestellten Dokument gar nicht ein, vielleicht habe ich ja etwas übersehen, was eine nähere Betrachtung verdient. Das können dann Sie, liebe Leser, nachholen – und wenn es eine kenntnisreiche Kommentierung des Hunds auf der Haube ist.

Ich schließe für heute mit „Winter adé“ und gelobe, bis auf weiteres keine Fotos mit Schnee mehr zu zeigen – von nun an soll es aufwärts gehen mit den Temperaturen wie der Stimmung!

Es gibt nämlich noch so viele herrliche Sachen zu zeigen in Sachen Vorkriegsautomobile, dass ich nicht hinterherkomme…

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Groß? Great! – Ein Cadillac V16 von 1930

Ich kann Autos aller Größenklassen etwas abgewinnen – ob einem genialen Winzling wie dem Fiat 500, einer soliden Mittelklasse-Limousine wie dem Volvo „Amazon“ oder einem repräsentativen Luxuswagen wie dem Jaguar XJ.

Was sich jemand in seine Garage oder vors Haus stellt, ist seine Sache, auch wenn selbsternannte automobile Blockwarte meinen zu wissen, wieviel(e) Autos andere Leute brauchen. Anderen die eigenen Maßstäbe aufzuerlegen, ist eine nervige Unart.

Wenn einer in den 1930er Jahren mit seinem Dixi DA1 von Hamburg ins österreichische Salzkammergut fuhr, dann muss ich sagen: großartig, was sich mit so einem Wägelchen anstellen lässt und großartig, was er seinen Besitzern für Bewegungsfreiheit schenkte:

Dixi DA1; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn anno 1930 auf der anderen Seite des Atlantiks einer seinen neuen Cadillac ablichtete und das Foto der buckligen Verwandschaft in „Good old Germany“ zusandte, dann sage ich anerkennend: „great!“ – was schlicht dasselbe bedeutet, nämlich: großartig!

Dass der Wagen dermaßen dimensioniert ist, dass er nicht auf das Foto passte, mag ein Neider als Übertreibung anprangern.

Wir genießen dagegen die Details eines perfekt gestalteten Luxusautomobils, dessen eigentliche Größe unter der Motorhaube lag:

Cadillac V16 Limousine von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der majestätisch daherkommende Riese war leicht zu identifizieren: Auf den Radkappen erkennt man in der Vergrößerung ein Kürzel, das einem kurz den Atem stocken lässt: V16!

Genau das empfand die Konkurrenz, als Cadillac seinerzeit den spektakulären Motor mit 16 in spitzem V-Winkel angeordneten Zylindern und 7,4 Liter Hubraum enthüllte.

Man hatte im Vorfeld Gerüchte von einem in Entwicklung befindlichen 12-Zylinder gestreut. Die schon damals leicht zu beeindruckenden Zeitungsleute schluckten den Köder und verbreiteten die Mär.

Als Cadillac dann einen V16 präsentierte, stand die automobile Welt für einen Moment still. Zwar gab es andere Hersteller wie Duesenberg, die weit stärkere Motoren anboten – der V16 von Cadillac brachte es „nur“ auf rund 180 PS – dennoch war dieser Antrieb einzigartig.

Wohl erstmals überhaupt besaß ein Serienwagen einen hydraulischen Ventilspielausgleich und das Aggregat wurde bewusst als Kunstwerk gestaltet – mit sorgfältig kaschierten Leitungen und Kabeln und ganz auf Effekt getrimmter Oberflächenbearbeitung.

Den Motor als Designobjekt zu präsentieren, das war bis dato die Domäne von Bugatti. Am amerikanischen Luxuswagenmarkt schlug Cadillacs V16 jedenfalls ein wie eine Bombe. Genau 3.251 Exemplare entstanden im Jahr 1930.

Man erkennt die 1930er Version des V16 unter anderem an den drei übereinanderliegenden Zierleisten auf den Deckeln der Behälter, die im Schwellerblech eingelassen sind.

Das war auch schon alles, was ich heute zu diesem grandiosen Automobil berichten möchte, von dem es zahlreiche Karosserievarianten gab. Das obige Foto zeigt die serienmäßige 6-Fenster-Limousine mit Aufbau von Fleetwood – eine besonders häufige Variante.

Eine exzentrische Cabriolet-Ausführung ist im folgenden Video zu sehen, das gewohnt kenntnisreich von der amerikanischen TV-Legende Jay Leno präsentiert wird. Natürlich wird der Wagen auch ausgefahren, wie es sich gehört.

Am Ende werden Sie ebenfalls der Meinung sein: Ein wirklich großes Auto? Yeah, that’s great!

Cadillac V16 von 1930; Videoquelle: Youtube, Jay Leno’s Garage

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Kraft und Anmut: Ein Cadillac „Roadster“ von 1916

Heute geht es in der Geschichte der US-Luxusmarke Cadillac zurück in die Zeit, als man die Vierzylinder-Ära hinter sich gelassen hatte und sich auf das konzentrierte, was künftig einen Wagen dieses Herstellers auszeichnen sollte: einen bärenstarken V8-Motor.

Der Cadillac des Modelljahrs 1915 war der erste, welcher mit dem 70 PS leistenden Aggregat ausgestattet wurde, das seine Leistung aus gut 5 Litern Hubraum bezog.

Dass ich mich heute in diese entlegenen Gefilde begeben und dabei ein bemerkenswertes Rendezvous mit Kraft und Anmut haben würde, war nicht absehbar, als ich herauszufinden versuchte, was für ein Wagen auf folgendem Foto abgebildet war, das in Amerika geschossen worden war und auf unbekannten Wegen nach Europa gelangte:

Cadillac Roadster von 1916; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mein erster Gedanke beim Studium dieses zweisitzigen Cabriolets war zwar schon, dass dies ein US-Fabrikat sein muss, dafür sprach die Kühlergestaltung, doch auf Cadillac kam ich nur auf einem Umweg.

Ausgehend von den elektrischen Standlichtern im Windlauf vor der Frontscheibe lautete meine Arbeitshypothese „General Motors-Fabrikat ab 1914“.

Da die Kühlerplakette ein diagonales Element zu enthalten schien und die GM-Marke „Buick“ eine auf den ersten Blick ähnliche Plakette aufwies, probierte ich mein Glück in der „Google“-Bildersuche.

Zu meiner Überraschung stieß ich so auf Anhieb auf einen 1914er Buick „Roadster“, der eine identische Karosserie mit den schön geschwungenen Hinterkotflügeln besaß.

Die erste Begeisterung legte sich jedoch, als ich bemerkte, dass das Buick-Emblem damals doch etwas anders aussah, außerdem waren die Standlichter deutlich größer.

Die formale Übereinstimmung konnte aber kein Zufall sein, weshalb ich weitere Marken aus dem GM-Verbund durchprobierte, nun mit dem Zusatz „Roadster“. So landete ich rasch beim 1914er Cadillac, der einen fast identischen, bloß größeren Aufbau besaß.

Dummerweise war damit das Problem der zu großen Standlichter nicht gelöst, außerdem trugen Cadillacs im Modelljahr noch keine solche Kühlerplakette. Der Weg zur Lösung war allerdings nicht mehr weit, beim 1916er Cadillac „Roadster“ stimmte dann alles!

Der V8 unter der Haube war beim 1916er Cadillac bereits auf 77 PS erstarkt, geworben wurde aber weiterhin konservativ mit einer Dauerleistung von 60 PS – auch das war damals ein kolossaler Wert. Dank des enormen Drehmoments ließ sich der Wagen von starken Steigungen abgesehen praktisch schaltfrei fahren.

Die mühelose Leistungsentfaltung verbunden mit einem relativ leichten zweisitzigen und noch dazu offenen Aufbau muss es gewesen sein, die den damaligen Besitzer zu dem handschriftlichen Vermerk auf der Vorderseite veranlasste:

„To handle power is a great thing“ – In der politischen Sphäre würde man so den Genuss am Umgang mit der Macht beschreiben. Dieser kann bekanntlich fatale Konsequenzen haben , nicht nur für die Untertanen, bisweilen auch für die Mächtigen selbst.

Im automobilen Kontext ist die Bedeutung eine andere: „Mit Leistung umzugehen, ist eine großartige Sache“ oder freier: „Über Leistung satt zu verfügen, macht Laune„.

So dankbar wir für diesen authentischen Vermerk aus alter Zeit sind, so sehr beeinträchtigt er doch den Blick auf die Heckpartie des Cadillac. Daher habe ich einen – zugegeben laienhaften – Versuch unternommen, ihn wegzuretuschieren.

Das Ergebnis meiner Bemühungen stellt sich wie folgt dar:

Cadillac Roadster von 1916; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da ich selbst mein größter Kritiker bin, erspare man mir den Hinweis, dass man es hätte besser machen können – immerhin lässt sich die Linienführung des Cadillac nun ungestört studieren.

Ich mag diese anmutige, niedrig gehaltene Heckpartie, speziell den eleganten Schwung des hinteren Kotflügels, der demjenigen des vorderen entsprechen dürfte. Und da ich durchaus Verständnis für Verschwendung habe, gefällt mir der Luxus, dass ein dermaßen starker und enorm teurer Wagen bloß dem Transport von zwei Personen diente.

In Zeiten, in denen „grüne“ Ministerpräsidenten den Hubschrauber nehmen, um einen neu errichteten Aussichtsturm in einem Naturschutzgebiet zu besichtigen, empfinde ich ganz ohne Scheu Sympathie für dekadentes Wohlleben – es sollte nur privat bezahlt sein.

Man könnte es bei diesen Betrachtungen bewenden lassen, hätte mir der Zufall nicht schon vor längerer Zeit eine weitere Aufnahme beschert, die ich zwar erst einmal überhaupt nicht einordnen konnte, aber im Hinterkopf in der Rubrik „Anmut“ abgelegt hatte.

Nach der x-ten Betrachtung gelangte ich zu dem Eindruck, dass es sich bei dem angebildeten Wagen um einen frühen Cadillac handeln dürfte, aber weiter gekommen war ich nicht.

Heute kann ich endich die Auflösung dieses reizvollen Rätsels präsentieren:

Cadillac, Modeljahr 1916; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dem Zustand des Wagens und der Kleidung der jungen Dame nach zu urteilen, entstand diese wunderbare Aufnahme irgendwann in den fortgeschrittenen 1920er Jahren.

Doch das Auto muss ebenfalls ein Cadillac des Modelljahrs 1916 sein, hier allerdings mit konventionellem Tourenwagen-Aufbau, der sechs bis sieben Personen Platz bot.

Kraft und Anmut sind auf diesem Dokument auf das Schönste vereint – Herz, was willst Du mehr?

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Transatlantische Ahnenforschung: LaSalle von 1930

Wenn ich heute ein wenig automobile Ahnenforschung betreibe, ist das nicht nur mit einiger Hin- und Herreiserei über den Atlantik verbunden – es geht dabei auch rund 350 Jahre zurück in die Vergangenheit:

1658 kam in einem Städtchen in der südfranzösischen Region Okzitanien ein gewisser Antoine Laumet auf die Welt. Als junger Mann studierte er nach kurzer Militärkarriere Rechtswissenschaften.

Aus obskuren Gründen wanderte er in die französische Kolonie Acadia an der nordamerikanischen Ostküste aus. Dort schlüpfte er in die Identität eines Adligen aus seiner Heimatregion und nannte sich fortan Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac.

Unter diesem Namen führte er eine schillernde und in weiten Teilen fragwürdige Existenz als Händler, Entdecker und Militärbefehlshaber. Als solcher vollbrachte er zumindest eine Tat, die ihm bleibenden Ruhm verschaffte. So gründete Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, im Jahr 1701 das Fort Pontchartrain du Détroit.

Damit dürfte klar sein, woher der die 1902 in Detroit gegründete Marke Cadillac ihren Namen hatte. Sogar das von Antoine de la Mothe erfundene Familienwappen wurde als Logo übernommen – so erinnert noch heute jeder Cadillac an einen Hochstapler.

Auf diesem Cadillac von 1930 prangt das Wappen gleich zweimal – auf dem Kühler und auf dem Deckel, der die Öffnung für die (nur im Notfall benötigte) Starterkurbel verschließt:

Cadillac von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es ist eine Ironie, dass dieser majestätische Luxuswagen einst ausgerechnet im sogenannten „Arbeiter- und Bauern-Staat“ DDR überlebt hat, der so „demokratisch“ war wie der Adelstitel von Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, echt war.

An der Frontpartie dieses Cadillac sind also gleich mehrere Lügengebäude verewigt. Der Qualität und Schönheit des Wagens mit seinem Achtzylindermotor (knapp 100 PS) tut das freilich keinen Abbruch – er trägt dieses historische Erbe mit Würde.

Bevor es nochmals zurück über den Atlantik auf Ahnenforschung geht, nutze ich die Gelegenheit, um ein zweites Foto desselben Cadillac aus dem Modelljahr 1930 zu zeigen:

Cadillac von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier begegnet uns nicht nur das erfundene Familienwappen von Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, auf der Nabenkappe wieder – wir sehen auch die durchgehende Reihe an Luftschlitzen, an der das Modelljahr zu erkennen ist.

In vorangegangenen Modelljahren (seit 1926) reichten die Luftschlitze beim Cadillac nämlich stets nur bis zum Beginn des vorderen Haubendrittels. Einen entsprechenden Vergleich anhand mehrerer Fotos bringe ich bei Gelegenheit.

Nun aber nochmals zurück ins Dunkel der Geschichte – ins Jahr 1643. Damals wurde in Rouen (Normandie) ein gewisser René Robert Cavelier geboren. Nach kurzem Aufenthalt als Novize im Jesuitenorden brach auch er nach Amerika auf.

Zwar wechselte er ebenfalls zwischen diversen Professionen hin und her, doch letztlich machte er sich einen bleibenden Namen als Erforscher der Großen Seen und des Mississippitals bis hinunter zum Golf von Mexiko.

Im Unterschied zum Sieur de Cadillac erhielt René Robert Cavelier einen echten Adelstitel und durfte sich von nun an nach einem Familienanwesen in der alten französischen Heimat Sieur de La Salle nennen.

Auch wenn La Salle keinen direkten Bezug zur späteren US-Autometropole Detroit aufwies, wurde er zum Namenspatron einer dort neu geschaffenen Marke, die 1927 im General Motors Konzern zwischen Buick und Cadillac platziert wurde.

Auch für LaSalle musste das Familienwappen des Namensgebers herhalten, welches immerhin authentischer war als das des Sieur de Cadillac. Man findet es von Schwingen eingerahmt auf dem Kühler auch dieses Autos:

LaSalle Cabriolet, Modelljahr 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegebenermaßen ist das Emblem hier kaum zu erkennen, aber auf dem Originalabzug ist es deutlich genug sichtbar.

Zudem entspricht die gesamte Frontpartie fast vollständig der des Cadillacs von 1930, sodass das abweichende Kühleremblem nur die etwas preisgünstigere Schwestermarke LaSalle als Kandidaten übrig lässt.

Die hier zu sehenden Drahtspeichenräder sind ein optionales Zubehör, ansonsten halten sich die Unterschiede in Grenzen – zumindest am Vorderwagen.

Sehr interessant ist der Aufbau als vierfenstriges Cabriolet mit geteilter Frontscheibe. Ich dachte erst an eine in Europa gefertigte Ausführung- der abgebildete Wagen besitzt ein französisches Kennzeichen – doch tatsächlich haben wir es mit einer serienmäßigen Karosserie (Series 340 All-Weather Phaeton) zu tun.

In Abgrenzung zum Cadillac des Modelljahrs 1930 war der LaSalle etwas kompakter und sein Achtyzlindermotor leistete bei gleichen Abmessungen „nur“ 90 PS. Zu den bemerkenswerten Extras zählte übrigens ein Autoradio.

Damit wären wir fast am Ende, wenn da nicht noch die Personen auf dem Trittbrett zu würdigen wären. Wie es der Zufall will, können wir auch hier Ahnenforschung betreiben, denn auf dem Abzug ist umseitig in feiner Frauenhandschrift folgendes vermerkt:

„Ma fille, son père et son fils“. Mein Schulfranzösisch reicht aus für die Übersetzung: „Meine Tochter, ihr Vater und ihr Sohn“. Das passt perfekt zum Alter der Personen:

Leider nicht überliefert ist der Rufname des Hundes, der sich hier wie die meisten seiner Artgenossen gern bei solchen Familienfotos „auf den Arm nehmen“ lässt.

Der Kleidung nach zu urteilen, könnte dieses Foto sowohl vor dem Zweiten Weltkrieg als auch kurz danach entstanden sein. Möglicherweise gibt das Nummernschild Aufschluss diesbezüglich (ggf. Kommentarfunktion nutzen).

Auch eine regionale Einordnung wäre eine schöne Abrundung dieses heutigen Kapitels zur Ahnenforschung, das zwar räumlich und zeitlich ein wenig ausgeufert sein mag, aber dafür vielleicht die eine oder andere wenig bekannte Facette zutagegefördert hat.

Jedenfalls bin ich sicher, dass Sie, liebe Leser, künftig beim Anblick eines Cadillac und seines Emblems an den fragwürdigen Charakter des Sieur de Cadillac denken müssen und ein wenig schmunzeln werden – die heutigen Besitzer solcher Wagen wohl weniger…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ganz große Klasse: Cadillac Roadster von 1928 in Wien

Heute zeigen wir erstmals ein Vorkriegsfoto eines Wagens der US-Luxusmarke Cadillac, der einst am Vorabend der Weltwirtschaftskrise in Europa unterwegs war.

Aufgenommen wurde das eindrucksvolle Gefährt am 23. April 1929 in Wien. Vielleicht erkennt ein Leser den Aufnahmeort – ein repräsentatives öffentliches Gebäude in der Innenstadt:

Cadillac Roadster von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sicher von einem Berufsfotografen angefertigte Aufnahme begleitet den Verfasser bereits ein Vierteljahrhundert. Sie schmückte die Pinnwand in der Küche diverser Wohnungen, ohne dass klar war, was genau darauf zu sehen ist.

Erst nach so langer Zeit gelang die Identifikation des genauen Typs und das auch erst nach Erwerb der US-Vorkriegsautobibel „Standard Catalog of American Cars“ von B.R. Kimes und H.A. Clark Jr.

Einer der Vorzüge des über 1.600 Seiten starken Werks liegt darin, dass man die Recherche zu den einzelnen Herstellern Markenkennern überließ und die Ergebnisse konsolidierte, anstatt sich selbst an das ausweglose Unterfangen zu machen, die zigtausenden von US-Autobauern aufzuarbeiten.

So war es möglich, in vielen Fällen die formalen und technischen Mermale der einzelnen Fahrzeuge für jedes Baujahr genau zu erläutern. Davon werden wir auch bei der Bestimmung des Wagens auf dem Foto profitieren.

Am Anfang stand aber erst einmal die Frage, in welche Richtung eine Recherche aussichtsreich ist. Zwei Aspekte sprachen für ein US-Modell:

  • Zum einen sind die Dimensionen dieses offenen Zweisitzers sehr amerikanisch. Auf dieses Fahrgestell hätte auch eine siebensitzige Pullman-Limousine gepasst.
  • Zum anderen ist die Kombination aus Doppelstoßstangen und vollverchromten, großkalibrigen Frontscheinwerfern typisch für US-Modelle der 1920er Jahre.

Zwar gab es auch deutsche Hersteller, deren Wagen mit einigen der hier zusehenden Merkmalen daherkamen; inbesondere der Horch 8 Typ 400 käme hier in Frage, der auch die markant nach hinten versetzten Luftschlitze besaß.

Doch den Stil eines offenen Zweisitzers mit roadsterartigem Türausschnitt auf einem derartig großen Fahrgestell sucht man damals in Europa vergebens. Auch die Gestaltung der Speichenräder war eher typisch für US-Wagen.

Hinzukommt ein weiteres Detail, das erst beim näheren Hinsehen zu erkennen ist:

Der verchromte Drehgriff in der Flanke des Wagens kurz vor dem Heckschutzblech gehört nicht etwa zu einer (zweiten) Tür, sondern zu einem Gepäckabteil, das für Golfausrüstungen gedacht war.

Der Golfsport war in den USA weit verbreiteter als auf dem europäischen Kontinent. Von daher haben wir hier ein weiteres Indiz für eine überseeische Herkunft des Autos.

Ab hier war es „nur“ eine Fleißarbeit, die erwähnte US-Vorkriegsautoliteratur durchzuarbeiten – mit Blick auf Oberklassehersteller der späten 1920er Jahre. Fündig wurde der Verfasser dann beim Cadillac des Baujahrs 1928.

Tatsächlich war von der zum General Motors-Konzern gehörenden Luxusmarke ein 2-sitziger Roadster genau dieses Typs verfügbar, bei dem das Chassis der Limousinenausführungen Verwendung fand.

Neben über 3,65 m Radstand hatte der offene Zweisitzer auch den rund 90 PS leistenden V8-Motor mit 5,6 Litern Hubraum gemeinsam.

Wer bei amerikanischen V8-Motoren an lautstark „blubbernde“ Aggregate denkt, hat so einen dezenten Antrieb noch nicht erlebt, wie er für US-Vorkriegsautos der Oberklasse typisch war. Souveräne und möglichst lautlose Kraftentfaltung war ihre Stärke.

Wie können wir aber überhaupt den Wagen auf dem Foto auf das Baujahr genau datieren? Schließlich erfand man bei Cadillac damals nicht jedes Jahr die Welt völlig neu – die Marke richtete sich einst an eine konservative Kundschaft.

Tatsächlich wurde der 2-sitzige Roadster praktisch baugleich im Jahr 1929 angeboten. Doch im Detail war man nicht untätig geblieben. Die Cadillacs von 1929 erhielten Sicherheitsverglasung rundum und synchronisierte Schaltgetriebe.

Formal ändert sich ebenfalls etwas – die Positionsleuchten wanderten 1929 vom Windlauf hinter der Motorhaube auf die Vorderschutzbleche. Demnach stammt „unser“ Cadillac noch aus dem Modelljahr 1928.

Kenner von Vorkriegs-Cadillacs mögen nun noch an die Schwestermarke LaSalle denken, bei der Cadillac-Technik mit modischeren formalen Details verbunden wurde. Doch auch hier erweist sich der enorme Wert der Standardliteratur zu US-Wagen.

Denn in besagter US-Vorkriegsauto“bibel“ ist eigens erwähnt, dass der LaSalle von 1928 nur über 28 Luftschlitze in der Motorhaube verfügte, der Cadillac aber über 30.

Wer Lust hat, mag selber nachzählen, der Verfasser findet die Frage weit interessanter, wer 1929 in Wien solch‘ ein Automobil besaß. Schauen wir uns die Insassen an:

Der Fahrer mit Schirmmütze war sicher der Chauffeur. Die fesche Dame mit hochgeschlagenem Kragen und Lederhandschuhen mag die Besitzerin gewesen sein oder mochte aus der Besitzerfamilie stammen.

Für einen dritten „Mann“ war jedenfalls kein Platz in dem Cadillac – außer vielleicht im Golftaschenabteil – sodass die selbstbewusste Autoinsassin offenbar allein mit dem Fahrer unterwegs war.

Wie mögen die Verhältnisse der beiden in dem Cadillac nach dem Börsencrash 1929 und der anschließenden Weltwirtschaftskrise ausgesehen haben? Konnte man sich den mächtigen „Amerikaner“-Wagen noch leisten, behielt der Fahrer seine Anstellung?

Wir wissen es nicht. Jedenfalls hat im Fotoalbum von einem der beiden Insassen (der Chauffeur bekam oft auch einen Abzug) dieses Dokument aus dem Jahr 1929 überlebt.

Durch welche Verhältnisse der Eigentümer das Foto wohl in die Nachkriegszeit gerettet hat? War es in bedrückenden Umständen eine Erinnerung an vergangenes Glück?

Das sind die Fragen, die solche Bilder aufwerfen und die wir leider mit der besten Literatur und noch so großem Scharfsinn nicht mehr beantworten können…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Rasanz 2015: Automobile der Messingära in Aktion

Zu den wenigen Rallyes für Autos der Messingära – also Wagen bis etwa 1920 – hierzulande gehört die Kronprinz Wilhelm Rasanz am Niederrhein. Initiator ist Marcus Herfort, der mit den Classic Days auf Schloss Dyck Deutschlands wohl schönste Oldtimer-Party ins Leben gerufen hat.

Im Mai 2015 fand die Rasanz zum dritten Mal statt – mit gesteigerter Teilnehmerzahl und Wagen aus mehreren europäischen Ländern. Der Verfasser hatte das Vergnügen, als Gast mit von der Partie zu sein, und ließ sich in einem eindrucksvollen Cadillac 30 von 1912 chauffieren. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an die Besitzer!

© Cadillac 30 von 1912 bei der Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Eins vorab: Wer ein über 100 Jahre altes Auto besitzt und bewegt, muss ein Enthusiast sein. So etwas hat man nicht, weil es gerade chic ist, einen Oldtimer zu fahren, oder weil man auf Spekulationsgewinne aus ist.

Den Freunden der Messingära geht es um die Sache, sie wollen diese urigen und doch leistungsfähigen Gefährte mit all‘ ihren Unzulänglichkeiten. Die Besitzer sind durchweg gestandene, sympathische Zeitgenossen. Sie sind so individuell wie ihre Fahrzeuge, verstehen sich aber untereinander blendend.

Die zweitägige Ausfahrt führte von Schloss Krickenbeck aus über meist ruhige Nebenstraßen und war trotz teils widrigen Wetters ein großartiges Erlebnis. Für den Zuschauer sind bereits Ankunft und Ausladen der Fahrzeuge eine spannende Sache – jeder Teilnehmer hat hier seine eigene Transportlösung.

© Impressionen von der Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer einmal diese Zeugen aus der Frühzeit des Automobils in Aktion erlebt hat, versteht den Sinn solcher Veteranen-Rallyes: Es geht darum, sie der Öffentlichkeit als lebendige Boten aus einer untergegangenen Welt zu präsentieren und ihr Überleben zu sichern. Diese Fahrzeuge dürfen nicht nur in Museen ihr Dasein fristen, sie gehören auf die Straße.

Man vergisst oft, dass vor 100 Jahren die wesentlichen Bauteile des Automobils bereits erfunden waren. Jedoch wurden die Wagen noch in Handarbeit gefertigt, was mit einer Material- und Verarbeitungsqualität einhergeht, die heute unvorstellbar ist.

© Impressionen von der Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Der ästhetische Genuss der Fahrzeuge als Produkte von Erfindergeist und Handwerkskunst ist das eine – mit ihnen bei Wind und Wetter fahren ist das andere. Wer einmal Gelegenheit dazu hatte, für den ist die Reise in einem über 100 Jahre alten Automobil ein alle Sinne forderndes Erlebnis.

Vielleicht gerade weil das Wetter bei der Rasanz 2015 nicht perfekt war, dürfte die Veranstaltung den Teilnehmern in Erinnerung bleiben. Denn genau so haben unsere Vorfahren diese Wagen im Alltag erlebt, waren stolz auf das Erreichte und nahmen Härten in Kauf, die in Zeiten klimatisierter Wagen mit Servolenkung und Einparkhilfe inakzeptabel wären.

© Impressionen von der Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Bilder lassen erkennen, dass dies keine gemütliche Ausfahrt bei Sonnenschein war. Dem Sportsgeist der Teilnehmer tat das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Das gemeinsam Erlebte, das reizvolle Programm und die ausgezeichnete Organisation durch das Veranstalter-Team wogen alle Unannehmlichkeiten auf.

Es bleibt zu hoffen, dass die Rasanz eine Neuauflage im Jahr 2016 erfährt oder eine ähnliche Veranstaltung am Niederrhein ihre Nachfolge antritt. Wer sich über die Rasanz informieren möchte, kann dies auf der Website „Anno 1907″ tun. Dort gibt es auch Filmmaterial der bisherigen Veranstaltungen.

Für die Freunde der analogen Fotografie hier noch ein paar Impressionen in schwarz-weiß (Kamera: Nikon FM).

© Impressionen von der Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Race of the Century – 5.400 km quer durch die USA in 100-jährigen Automobilen

In Amerika ist alles etwas größer als bei uns – auch der Enthusiasmus für Autos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Um die Pionierrolle dieser Wagen, ihrer visionären Entwickler und furchtlosen Fahrer zu würdigen, findet 2016 ein einzigartiges Rennen in den USA statt – das Race of the Century.

Es führt von Atlantic City an der Ostküste über 5.400 km quer durch die USA nach San Diego am Pazifik. Teilnehmen dürfen ausschließlich Fahrzeuge, die mindestens 100 Jahre alt sind. Gefahren wird in Tagesetappen von bis zu 350 km und das 16 Tage lang. Die historischen Wagen werden angesichts einer Maximalgeschwindigkeit von 60 bis 80 km/h oft mehr als acht Stunden täglich unterwegs sein.

Wer die lebendige Veteranenszene in den Vereinigten Staaten kennt, zweifelt nicht daran, dass sich genügend Interessenten für diese Herausforderung finden lassen. Ausreichend leistungsfähige Wagen gab es in den USA früh, zum Beispiel den Cadillac 30. Ein Bildbericht von einer Fahrt in einem solchen über 100-jährigen Cadillac bei einer Veteranen-Rally in Deutschland findet sich hier.

© Cadillac 30 von 1912, Kronprinz Wilhelm Rasanz 2015; Bildrechte: Michael Schlenger