„Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr“ – diese Weisheit hat mir meine aus dem schlesischen Liegnitz gebürtige Mutter vermittelt.
Tatsächlich findet sich die erste Erwähnung in der Schlesischen Zeitung anno 1871 – kann also gut sein, dass ihre Großeltern dieses Sprichwort als Lokaltradition vermittelt haben. Allerdings verwendete meine Mutter es stets ironisch, wenn sich mal wieder jemand in der Öffentlichkeit als besonders edles Ergebnis der Schöpfung zu produzieren meinte.
Meist sind es kleine Leute – im Geiste, nicht der Herkunft nach – die arrogantes Auftreten und Geringschätzung des Normalbürgers als Charakterkrücke benötigen. Ihnen ist nicht geläufig, dass gerade Bescheidenheit die schönsten Ergebnisse zeitigen kann.
Allerdings ist Bescheidenheit noch kein Garant dafür, dass es „ganz schön bescheiden“ zugeht – nein, auch das will wie alles im Leben bedacht sein und beherrscht werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich heute an meinen letzten Blog-Eintrag zum Hanomag 2/10 PS anknüpfen – dem angeblich so populären Minimalauto der späten 1920er Jahre, das sich leider bloß einer unter tausend Deutschen leisten konnte – obwohl es denkbar simpel gemacht war, um nicht zu sagen: primitiv.
Dass dies nicht sein musste, hatte ich unter Verweis auf bereits Jahre zuvor etablierte Kleinwagen von Austin, Citroen und Fiat festgestellt.
Auch Hanomag hätte – wie das Opel im Fall des 4 PS-Modells erfolgreich tat – Maß an bewährten ausländischen Produkten nehmen können anstatt auf eine eigenwillige Lösung mit der Anmutung eines Eigenbaus zu verfallen. Dass dieser Sonderweg auf Anklang stieß und stößt, nehme ich zur Kenntnis nach dem Motto: „Jedem Tierchen sein Plaisierchen„.
Allerdings möchte ich meinem Unverständnis nochmals Nachdruck verleihen, und zwar anhand eines weiteren Konkurrenten im Einsteigersegment, der im positiven Sinne das Prädikat „Ganz schön bescheiden“ verdient, auch wenn sich einer der abgebildeten Herren hier sehnsüchtig nach oben zu orientieren scheint:

Dieser flott anmutende offene Zweisitzer war von den Leistungsdaten auf dem Niveau des Hanomag 2/10 PS angesiedelt. Seine rund 11-12 PS Leistung bezog er allerdings aus einem „richtigen“ 700ccm-Motor mit vier Zylindern und Wasserkühlung.
Gestartet wurde das Maschinchen mittels elektrischem Anlasser, wie das ab Anfang der 1920er Jahre rasch Standard wurde. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei rund 60 km/h.
Das alles ließ sich auch kaufmännisch problemlos mit einer gefälligen klassischen Karosserie vereinbaren, die nicht auf irgendwelche neuen Effekte setzte, welche dem Käufer keinen wirklichen Vorteil boten.
Wie schön diese wohlüberlegte Form der Bescheidenheit wirken konnte, das sehen wir auf einer zweiten Aufnahme, welche denselben Wagen mit mehr Charme zeigt:
Erfreuliche klassische Form und makelloses Finish waren also auch bei Peugeot in der Kleinwagenklasse ohne weiteres möglich.
Tatsächlich hatte man in dem Segment bereits ab 1921 mit dem noch bescheideneren Modell 161 „Quadrilette“ reichlich Erfahrung gesammelt.
Unsere französischen Nachbarn hatten auf dem Sektor neben dem Citroen 5CV also ein weiteres attraktives Angebot entwickelt, bevor man bei Hanomag überhaupt auf die Idee kam, sich in der Einsteigerklasse zu engagieren.
Weit über 50.000 Exemplare konnte Peugeot ungeachtet der starken inländischen Konkurrenz zwischen 1922 und 1928 absetzen – wobei man den Typ 172 laufend verbesserte. Ab 1926 beispielsweise wurden serienmäßig Vierradbremsen verbaut.
Nun könnte einer einwenden, dass dieser Peugeot aber doch sicher nur für den heimischen Markt bestimmt und in Deutschland gar nicht verfügbar war – außer vielleicht im Saarland.
„Nö“ möchte ich hier etwas schnodderig antworten. Tatsächlich bot Peugeot auch eine Exportversion an, wobei man offenbar auch auf den deutschen Markt abzielte:
Das wäre nun die dritte Aufnahme dieses Peugeot 172 und laut Nummernschild war dieser im Raum Essen zugelassen.
Da man reine Frankophilie im Deutschland der 1920er Jahre als Kaufmotiv ausschließen kann, werden die Besitzer sich wohl aufgrund der überzeugenden (und heimische Produkte aus dem Feld schlagenden) Qualitäten des Wagens dafür entschieden waren.
Mein Verdacht in solchen gar nicht seltenen Fällen ist zudem, dass ausländische Großserienhersteller mit festen Vertriebsstrukturen oft schneller liefern konnten, als das bei den fast ausschließlich noch der Manufaktur verhafteten deutschen Anbietern möglich war.
Bleibt die Frage, um welche Version des Peugeot 172 genau es sich bei dem schön bescheiden daherkommenden Wagen auf diesen drei Fotos handelt. Die Vielfalt der Ausführungen ist im deutschen Vorkriegs-Peugeot-Register besser beschrieben, als ich dies hier tun kann. Als langjähriges Mitglied kann ich die Adresse nur empfehlen.
Ich gehe aber mal in Vorlage und behaupte, dass wir es mit einem Peugeot 172 RE ab 1926 zu tun haben, der an seinen Vorderradbremsen zu erkennen ist. Das abschließende Urteil überlasse ich sachkundigeren Kollegen – meine eigene Peugeot-Erfahrung setzt ja erst mit dem Modell 202 ein (von einer Motorradruine des Typs P-108 abgesehen).
Ganz schön bescheiden gebe ich mich hier ganz bewusst, denn die vielen Peugeot-Typen der Zwischenkriegszeit sind eine Wissenschaft für sich, die hierzulande nur wenige beherrschen. Aber wie schon vor 100 Jahren wissen offenbar einige Enthusiasten auch in Deutschland, was die Automobile dieser Traditionsmarke in allen Klassen auszeichnete…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wenn Du einen Peugeot 172 S ansehen willst,mußt Du zu mir kommen.
Gruß : Manfred
Es gibt noch mehr auf dem Sektor – mir sind die Modelle vor den Typen mit der Null in der Mitte auch nicht geläufig – es gibt aber gute Quellen, die eine Einordnung erlauben.
Hallo,
der kleine Peugot war neu für mich. Vielen Dank fürs Bekanntmachen.
KD
Stimmt, das war eine weitere Besonderheit dieser Ausführung, die früheren Modelle waren aber alle deutlich schwächer.
Man sollte vielleicht, wenn der Kleine ein Typ RE (bzw. einer mit Vierradbremse) war, erwähnen, daß seine Motorisierung sich keineswegs mit „10 – 12 PS“ aus 700ccm begnügte sondern mit seinen 20 PS aus 950 ccm dem 4 PS- Konkurrenten von Opel entsprach (lt.W. Schmarbeck, „alle Peugeot Automobile“).