In Amerika ist traditionell alles ein bisschen größer – Hochhäuser, Unternehmen, Autos – Aber auch in Sachen Auftritt und Selbstbewusstsein ist man in den Staaten ein anderes Kaliber gewohnt. Im kleinen Deutschland wird das oft nicht recht verstanden, auch wenn ein Großteil der heutigen Amis deutsche Vorfahren hat.
Offenbar begünstigt die schwer fassbare Größe des Landes die Entstehung einer gewissen Großzügigkeit und Großmäuligkeit in allen Dingen. Ich habe kein Problem damit, soweit man den American Way of Life mit friedlichen Mitteln zu propagieren sucht.
„Geht’s auch eine Nummer kleiner“, das frage ich mich dagegen schon öfters bei manchem Ambitionen im winzigen, auch bevölkerungsmäßig wenig bedeutenden Deutschland. Da wird von globaler Verantwortung und gar Vorbildwirkung fabuliert – während sich die ungelösten Probleme vor der eigenen Haustür stapeln.
Woher kommt nur dieses teutonische Bedürfrnis sich partout größer zu machen, als man ist? Man denke nur an die Selbstbeschreibung als Land der Dichter, Denker und Ingenieure. Als ob es die nicht ebenso in Frankreich, England und Italien gegeben hätte…
Sieht man einmal von tatsächlich einsamen Größen in der Musik wie Bach, Schubert und Wagner ab, fällt einem wenig ein, was es nicht bei unseren europäischen Nachbarn auf ebensolchem Niveau gegeben hätte. Das ist ja auch kein Wunder, standen sie doch alle in derselben Tradition von Antike, Renaissance und Aufklärung…
Also bitteschön: Geht es nicht eine Nummer kleiner, wenn man meint, sich von anderen abgrenzen zu müssen?
Na klar geht das, und ausgerechnet ein US-Luxusautomobil konnte dabei beste Dienste leisten. So sollten die Nachbarn nicht auf die Idee kommen, dass man angeben wolle.
Das passende Foto habe ich erst vor einigen Tagen erstanden, wie eigentlich immer für einen Fünfer. Auch damit kommt über’s Jahr betrachtet einiges zusammen, aber man bekommt etwas dafür, was einen auf denkbar billige Weise vom Hier und Jetzt ablenkt:

Mit diesem Wagen aus dem Hause Packard – Modelljahr 1927 – fuhren Ende der 1920er Jahre Zeitgenossen aus dem Rheinland herum, die man sich als gut situiert vorstellen darf.
Der Aufbau als offener Zweisitzer – in den Staaten meist als Roadster bezeichnet, von Packard aber damals als „Runabout“ angeboten – wurde von der Mitwelt gewiss wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Anstatt für einen kolossalen Limousinenaufbau hatte man sich nämlich aus Rücksicht auf das fußgehende und radfahrende Volk für „eine Nummer kleiner“ entscheiden. Die Notsitzbank im Heck konnte zudem müden Passanten angeboten werden – kleiner Scherz.
Es musste ja nicht jeder wissen, dass ein Packard immer mit zum Teuersten gehörte, was man überhaupt serienmäßig von einem US-Autohersteller kaufen konnte.
Dabei galt vor allem die feine Achtzylinderversion mit über 100 PS aus mehr als 6 Litern Hubraum unter Kennern als begehrenswert. Wie praktisch alle damaligen US-Wagen wurde auch dieses Spitzenmodell in Deutschland angeboten. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich deutsche Kunden eher für die parallel erhältlichen 6-Zylindermodelle entschieden.
„Geht’s nicht eine Nummer kleiner?“, so dürfte im Autohaus die Frage der um die Finanzen bangenden Gattin nicht selten gelautet haben. „Posieren für die bucklige Verwandschaft kann ich doch auch unabhängig davon, was unter der Haube schlummert.“
Da hatte sie recht, die junge Schöne mit dem intensiven Blick und den feingliedrigen Händen:
Tja, wer kann solchermaßen vorgetragenen Argumenten schon widerstehen?
Und so dürfte „er“ sich frohgemut und leichten Herzens für die „Nummer kleiner“ entschieden haben. Das war im Fall des 1927er Packard die gut 80 PS leistende Sechszylinderausführung auf etwas kürzerem Chassis.
Äußerlich war das ohne Maßband kaum zu erkennen, aber wie gesagt: die Besitzer hatten sich ja bereits bei der Wahl des Aufbaus bescheiden gezeigt.
Während uns das „Downsizing“ unserer Ansprüche an die Lebensqualität von um den Globus jettenden Politikern zum Wohle des Planeten dringend angeraten wird, können wir uns ja ein Vorbild an den Besitzern dieses Packard nehmen und uns oberflächlich für „eine Nummer kleiner“ entscheiden, um heimlich weiter das tun, wonach uns der Sinn steht…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.