Schluss mit Kokosnuss! Mercedes „Mannheim“ anno 1939

Keine Sorge, ich bin der letzte, der für das Verbot exotischer Genüsse wäre. Als (Noch-)Exportnation, die der Welt verfeinerte Güter andienen muss, weil das Inland zu wenig an Möglichkeiten hergibt, allgemeinen Wohlstand zu erlangen, wäre es auch nicht ratsam, dem Import begehrter Dinge aus fernen Ländern einen Riegel vorzuschieben.

Mich interessieren zwar weder die Karibik noch die Malediven, zumal diese seit 30 Jahren knapp vor dem Untergehen stehen, weshalb man dort schnell noch neue Hotels baut.

Doch kaufe ich gern beim Chinamann, der mir für kleines Geld meist solide Qualität bei vielen Dingen des täglichen Gebrauchs bietet. In Fernost entstehen außerdem inzwischen Sachen, die man hierzulande vergeblich sucht – man wird dort immer erfinderischer.

Nachdem dies geklärt wäre, müssen wir heute dennoch von einer Sache Abschied nehmen. Auf dem Foto, das ich heute zeige, ist nämlich schon bald „Schluss mit Kokosnuss“ und zwar im ganz konkreten Sinne, wie Sie noch sehen werden.

Die Sache geht also in jedem Fall tragisch aus, doch vorher heben wir noch einmal den Blick zu zu den Sternen. Das müssen wir auch, weil es bei einem Mercedes-Benz des Typs „Mannheim“ 350 bzw. 370, um den es heute geht, vor allem die Sterne sind. welche einen auf die richtige Spur bringen.

Ansonsten waren diese ab 1929 gebauten Wagen mit 60 bzw. 70 starken Sechszylindermotoren wenig charakteristisch gestaltet. Jedenfalls galt das für die Limousinentypen – da war schon der leistungs- und größenmäßig vergleichbare Fiat 525 knackiger gezeichnet, von US-Modellen ganz zu schweigen.

Für mich sind es ohnehin die offenen Mercedes mit sportlichen Aufbauten um 1930, die Leidenschaft wecken – und das schon dann, wenn man so wenig davon sieht wie hier:

Mercedes-Benz der frühen 1930er Jahre; Werbepostkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Hätte ich nicht eingangs mit dem Ende der Kokosnuss gedroht, könnte ich an dieser Stelle Schluss machen für heute, denn viel perfekter kann man einen Mercedes-Benz nicht inszenieren.

Schon damals wusste man, dass man nicht das Produkt in den Vordergrund rücken und möglichst viele kühne Behauptungen aufstellen muss. Nein, es geht darum, was man mit einem Mercedes Großartiges erleben kann und in welchen Kreisen man verkehrt.

Wer wollte hier nicht mit von der Partie sein, wenn er nicht gerade von Schüchternheit geplagt wird? Nur der Mercedes-Stern verweist auf das beworbene Produkt, ich würde hier übrigens auf einen Typ 380 ab 1933 tippen, lasse mich aber gern beines Besseren lehren.

Wenn Sie mir jetzt noch folgen wollen, dann geht es von nun an deutlich prosaischer zu.

Schluss nicht nur mit schönen jungen Frauen, die genau wissen, wo es lang geht, Schluss auch mit rassigen Sportmodellen und vor allem: Schluss mit Kokosnuss!

Mercedes-Benz „Mannheim“ 350 oder 370; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich habe Sie ja gewarnt, das haben Sie jetzt davon: Nur der Mercedes-Stern auf der Nabenkappe des Vorderrads verrät den Hersteller dieser massigen 6-Fenster-Limousine.

Auch beim x-ten Mal muss ich in solchen Fällen etliche Vergleichsfotos studieren, um den genauen Mercedes-Typ einigermaßen zuverlässig ermitteln zu können.

Sortiert man das monströse 6-Zylindermodell 12/55 PS (1926-29) aus stilistischen Gründen und den ganz großen Typ „Nürburg“ (1928/29) mit Blick auf die Proportionen aus, landet man früher oder später beim moderater dimensionierten Oberklassetyp „Mannheim“.

Mehr will ich gar nicht dazu erzählen. Daten und Fakten sowie Vergleichsfotos dazu liefert zuverlässig die 2019er Neuausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“.

Bleibt nur noch die Klärung der merkwürdigen Ausrufs „Schluss mit Kokosnuss“, nicht wahr? Gewiss haben Sie auf der Hauswand im Hintergrund links über der Motorhaube des Mercedes die Reklame für „Kunerol“ gesehen.

Um was es sich genau dabei handelte, das weiß vielleicht spontan ein Leser (dann bitte Kommentarfunktion nutzen). Entscheidend ist, dass dieses Produkt offenbar aus Kokosnussfett hergestellt wurde.

Jedermann ist unmittelbar klar, dass es sich dabei damals wie heute um ein Importprodukt aus einer tropischen Region handelt. Der Transport erfolgte mit kohle- oder ölgefeuerten Frachtern über tausende Kilometern – der Preis des Endprodukts dürfte es nur für Mercedes-Fahrer geeignet gemacht haben.

Doch als das heute vorgestellte Foto des mutmaßlichen Mercedes-Benz „Mannheim“ entstand, sollte binnen weniger Wochen Schluss mit Kokosnuss sein. Denn das Foto ist umseitig auf August 1939 datiert, also kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs.

Sicher mögen da noch etliche deutsche Frachter oder solche verbündeter Staaten wie Italien auf hoher See mit dem begehrten Rohstoff an Bord gewesen sein. Auch gab es noch eine Weile transatlantischen Handel mit den USA bis zur kühnen deutschen Kriegserklärung im Dezember 1941.

Man dürfte auf deutscher Seite aber sehr schnell andere Prioritäten bei Rohstoffimporten gehabt haben. Wie schon im 1. Weltkrieg griff man dazu sogar auf Unterseeboote zurück, dort dürften aber nur im Einzelfall noch Kokosnüsse als Souvenir an Bord gewesen sein.

Beim Kriegführen gegen haushoch überlegene Gegner zieht man bei aller Großmäuligkeit oder fanatischen Opferbereitschaft früher oder später den Kürzeren. Der Verzicht auf Kokosnüsse ist da noch als am geringsten zu veranschlagen.

Ernst wird es, wenn man sich ohne Not auch von anderen, elementareren Rohstoffen abschneidet – dann ist nämlich bald Schluss mit lustig…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Schluss mit Kokosnuss! Mercedes „Mannheim“ anno 1939

  1. Die Kleider(un)Ordnung, die der Herr der vor seinem Mercedes posiert, zur Schau stellt, Sommeranzug zum Tirolerhut, lässt in Verbindung mit der Kunerol- Werbung darauf schließen, daß das Foto im noch nicht eingedeutschten Österreich entstanden sein könnte.

  2. Das Foto auf der Werbepostkarte mit den beiden kartenstudierenden Damen könnte vom Stil her von der Fotoagentur Dr. Paul Wolff – Alfred Tritschler/ Frankfurt am Main stammen. In Werner Schollenbergers Buch „Automobile in den 30er Jahren“ ist es allerdings nicht enthalten. Auf jeden Fall ist die Bildgestaltung sehr professionell.

  3. Es wäre interessant zu erfahren, wie verbreitet bei der allgemein sehr armen Bevölkerung im deutschsprachigen Raum dieses aus aufwendig importierten Rohstoffen hergestellte Produkt tatsächlich war. Mir als Landei ist diese Reklame noch nie begegnet und ich vermute, dass es vor allem in den Städten erhältlich war und auch dort nicht für jedermann auf täglicher Basis erschwinglich war. Kostspielig mit Reklamen und Anzeigen (sogar auf Bussen und Straßenbahnen) beworbene Produkte richteten sich nach meiner Wahrnehmung in der Vorkriegszeit an die urbane Mittel- und Oberschicht. Die breite Masse hatte ja nicht einmal das Geld für die Zeitungen und Magazine, in denen solche Werbung platziert wurde. Entsprechend unterrepräsentiert ist die Lebenswelt der meisten einfachen Leute jener Zeit in der Überlieferung.

  4. Nun ja, mit „Kunerol“ (https://oesterreichwiki.org/wiki/Kunerol) und (https://brand-history.com/unilever-austria-deutschland-schweiz/kunerol/kunerol-werke-emanuel-khuner-u-sohn-wien-im-jahre-1895-gelang-es-der-firma-khuner-in-atzgersdorf-bei-wien-ein-verfahren-ausfindig-zu-machen-durch)
    liegt man in Sachen „teuer“ völlig falsch, das war ein Billig-Produkt für die Bevölkerung, ein Ersatz für die teuere Butter, für noch teuererers Fett, und gab dem Export von Kokosnüssen erst einen Sinn und auch den Insulanern einen Verdienst. Dieses Pflanzenfett gab vielen armen Menschen mit Mangelkrankheiten die Gesundheit zurück.

  5. Meine Googel-Recherche bringt uns die Auflösung, was genau hinter Kunerol steckt(e):
    „Kunerol war eine ehemalige Pflanzenfettmarke, dessen Grundsubstanz aus dem fettreichen Kern der Kokosnuss gewonnen wurde und 1895 von der ehemaligen Firma Emanuel Khuner & Sohn in Wien, Atzergersdorf in Anlehnung an den Familiennamen in Wien auf dem Markt gebracht wurde.“

Kommentar verfassenAntwort abbrechen