Weiße Weihnacht gesucht – Für Kenner und Genießer

Weiße Weihnacht in der hessischen Wetterau, in der ich aufgewachsen und immer noch zuhause bin – nach meiner Erinnerung von jeher die seltene Ausnahme.

Schon vor über 40 Jahren machte sich meine Mutter über die Versuche der Wetterfrösche im Radio lustig, die Chancen eines Winter-Weihnachtswunders zu erörtern. Sie wusste aus Erfahrung, dass das in unserer Gegend meist nichts wird.

Das Klima hier ist ganzjährig mild und ausgewogen – der am Bad Nauheimer Johannisberg angebaute Riesling-Wein gedeiht hier ebenso wie der prächtige alte Maronenbaum im eigenen Garten und der Feigenbaum der Nachbarn.

Also an sich kein Grund zur Verzweiflung, wenn’s mal wieder nur kühl und regnerisch ist zur Weihnachtszeit, könnte man meinen. Dennoch habe ich gestern abend verzweifelt gesucht – allerdings nach der Lösung hunderter Rätsel auf alten Autofotos.

Ganz am Ende wurde ich sogar fündig – dummerweise bei einer Marke, die erst kürzlich an der Reihe war. Außerdem bedarf die Bestimmung des Baujahrs einiger Recherchen.

Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen, um Ihnen zu Weihnachten etwas Besonderes zu kredenzen. Nicht dass Sie – oder ich – darauf angewiesen wären. Aber nett ist es schon, wenigstens einmal im Jahr den Alltag in den Adelsstand zu erheben.

Ich weiß nicht wie, aber die Instanz in meinem Kopf, die mir regelmäßig Einfälle präsentiert, hatte etwas mit Schnee vorgeschlagen, am besten verbunden mit Fotorätseln, an denen Sie sich abarbeiten können, wenn Sie mögen.

Sie ersehen bei der Gelegenheit das Ausmaß der Probleme, mit denen ich mich hier fast allabendlich befasse – wenn auch selten verzweifelt. An den heute präsentierten Fällen sollen Sie sich wie immer vor allem erfreuen. Doch es dürfen sich auch die Kenner aufgerufen fühlen, spontan Thesen aufzustellen – oder gleich die Lösung zu liefern.

Begleiten Sie mich jetzt auf einer Weihnachts-Winterreise in die Welt von gestern – chronologisch und mit Schnee als Leitmotiv:

Tourenwagen mit Hamburger Zulassung; Ansichtskarte von Dezember 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen typischen Tourer aus der Zeit vor 1910 – noch ohne Windlaufblech zwischen Motorhaube und Passagierabteil und sogar ohne Frontscheibe. Letztere war bei ganz frühen Wagen ein aufpreispflichtiges Zubehör ebenso wie die Scheinwerfer.

Was die Datierung angeht, halte ich hier auch ein Automobil von ca. 1905/06 für möglich. Der Schlüssel zur Identifikation ist der Kühler, aber dessen Proportionen und das halbmondförmig gestaltete Oberteil konnte ich mit keinem Modell zur Deckung bringen.

Nächster Kandidat ist dieser Tourer aus der Zeit ab 1910:

Tourenwagen ab 1910 mit Heidelberger Zulassung; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Foto könnte auch kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden sein, doch die Gasscheinwerfer (erkennbar an den Düsen im Innern und den Abgasauslässen an der Oberseite) sowie der noch sehr einfach gehaltene Windlauf vor der (nach vorne geklappten) Scheibe deuten auf die Zeit kurz nach 1910 hin.

Im ersten Reflex dachte ich an einen kleinen Benz des Typs 8/20 PS, doch die Kühlergestaltung will bei näherer Betrachtung nicht dazu passen. Einigermaßen sicher bin ich mir nur, was die Zulassung im Raum Heidelberg angeht.

Der nächste Kandidat wurde im 1. Weltkrieg aufgenommen – trotz der verheerenden Umstände mit offensichtlich gesprengter Brücke in einer beinahe malerischen Situation:

Tourenwagen des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Abgesehen von dem auffallend großen Federweg an der Hinterachse sind hier keine Besonderheiten an dem Auto zu erkennen, das durch den preußischen Adler als deutsches Militärfahrzeug gekennzeichnet ist.

Hier würde mich auch der Aufnahmeort eher interessieren – ich tippe auf einen Kriegsschauplatz irgendwo im Osten. Dort gab es nicht ganz so viele Opfer bei den Kämpfen zwischen den Mächten wie im Westen, aber dafür die drastischsten Grenzverschiebungen, die bis heute nachwirken.

In die Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg transportiert uns die nächste Aufnahme, die mir mein australischer Sammlerkollege Jason Palmer in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Tourenwagen kurz nach dem 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Fotos solcher Tourenwagen aus der Zeit um 1920 mit teils extremen Spitzkühlern, aber ohne jedes Markenemblem finden sich in einer Vielzahl, die einen schier verzweifeln lässt.

Damals gab es nicht nur unzählige kurzlebige Marken im deutsche Sprachraum – die meist nicht dokumentiert sind – oft wurden auch leistungsfähige Vorkriegswagen modernisiert, indem man ihnen einige aktuelle Elemente verpasste.

Die expressive, an die Keilschrift der Babylonier erinnernde Gestaltung der Luftauslässe in der Motorhaube war keineswegs markentypisch. Sie findet sich bei diversen Autos kurz nach dem 1. Weltkrieg und meiner Einschätzung nach nur in einem kurzen Zeitraum.

Auch die Ausführung des hinteren Wagenkörpers mit nach innen gezogener „Schulter“ ist typisch für deutsche Wagen unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Die elektrische Beleuchtung mit den seitlich ausgestellten kleinen Lampen zur Kurvenausleuchtung wird ebenfalls direkt nach dem Krieg Standard.

Ein bizarres Relikt ist hingegen der mächtige Suchscheinwerfer vor dem Kühler. Das findet sich meines Erachtens so seigentlich nur bei Autos, die im 1. Weltkrieg militärisch genutzt wurden. Allerdings fehlen an diesem Wagen alle Hinweise auf eine Heeres-Zulassung.

Weiter geht’s durch die Zeitgeschichte, auch wenn uns das unselige Thema Krieg auch hier nicht ganz erspart bleibt:

Tourenwagen um 1925 in den Dolomiten; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese schöne Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt entstand auf dem fast 2500 Meter hohen Dolomitenpass „Col di Lana“. Der war im 1. Weltkrieg einer der vielen Schauplätze der Stellungskämpfe zwischen österreichischen und italienischen Truppen, die an Irrsinn denen in Belgien und Frankreich kaum nachstanden.

Auch hier ging es um quasi nichts, außer dass für minimale Frontverschiebungen unzählige junge Männer und die Ressourcen der beteiligten Länder verheizt wurden. In der Bereitschaft, selbstmörderisch eine ganze Generation für nirgends definierte Ziele zu opfern, unterschieden sich die Regierungen der europäischen Kriegsparteien nicht.

Wenige Jahre später war das alles egal, und wer es sich leisten konnte, fuhr mit dem Tourenwagen über die zuvor heftigst umkämpften Pässe, als wäre nichts gewesen.

Im vorliegenden Fall scheinen wir es mit einem großzügigen Modell mit Vierradbremsen und auffallend leicht erscheinender Karosserie zu tun zu haben. Ich dachte hier anfänglich an ein Exemplar des spektakulären Lancia „Lambda“ – des innovativsten Autos seiner Zeit.

Doch der Lambda kam noch leichtfüßiger daher – er war auch in Sachen filigraner Eleganz eine Klasse für sich. Daher vermute ich, dass der Wagen ein anderes Fabrikat war.

Auch das nächste Foto zeigt auf den ersten Blick einen alten Bekannten – oder wer würde hier keinen Mercedes von Mitte oder Ende der 1920er Jahre vermuten?

Limousine mit Bad Homburger Zulassung ab 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich besitze noch zwei weitere Aufnahmen desselben Wagens, der in Bad Homburg zugelassen war, also beinahe vor meiner Haustür und wie die Wetterau auf einst römischem Territorium. Bloß der Hersteller ist nirgends klar zu erkennen.

Jetzt haben Sie vielleicht eine Ahnung davon bekommen, mit was für Luxusproblemen ich mich regelmäßig herumschlage, nur um erfolgreich identifizierte Exemplare in bisweilen stundenlanger Arbeit einer überschaubaren interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Aber selbst wenn Sie gar keine Beziehung zu Vorkriegsautos haben, dürfte deutlich werden, was diese Gefährte und speziell ihre Fotodokumente von einst so besonders macht.

Mitunter sind Beispiele dabei, bei denen man wenig Hoffnung hat, dass man überhaupt herausfindet, was für ein Wagen da einst abgelichtet wurde. Aber herrje, wenn es gilt, ein wenig weiße Weihnacht zu simulieren, greift man verzweifelt auch dazu:

Limousine der 1930er Jahre, aufgenommen 1956; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser Aufnahme sind wir in der Nachkriegszeit angelangt. Denn dieses Foto zeigt zwar ein bislang nicht identifiziertes Auto der 1930er Jahre, aber es ist auf Januar 1956 datiert.

Selbst wenn der Wagen rätselhaft bleiben sollte, ist hier Verzweiflung fehl am Platz. Denn die Situation hat zeitlose Qualitäten. Da hat einer seine Liebste im Winter mit dem Auto fotografiert, weil ihm der Sinn danach stand.

Beide haben ihre Sache gut gemacht, finde ich, wobei der Fotograf ein schattenhaftes Selbstporträt zuwegegebracht hat, das auf dem Vorderkotflügel zu erkennen ist. Viel mehr kann man vom Leben nicht erwarten und mehr wird über kurz oder lang nicht bleiben.

Also, liebe Leser, genießen Sie das Ihre und machen das Beste daraus – nicht nur an Weihnachten, aber tun Sie es heute vielleicht besonders bewusst. Es sollte am Ende nichts übrigbleiben, das man verzweifelt gesucht, aber nicht gefunden hat.

Wenn ein paar alte Bilder – vielleicht aus dem eigenen Dasein – rätselhaft bleiben, ist das unerheblich. Wir werden nie alle Geheimnisse des Lebens lösen, auch das macht seinen Wert aus.

Jetzt genießen Sie ein paar Tage abseits des Alltags, feiern Sie Weihnachten oder lassen Sie es sein (so wie ich), aber beschäftigen Sie sich einmal nur und ausschließlich mit guten Dingen. Es gibt sie noch – im Zweifelsfall hier…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

14 Gedanken zu „Weiße Weihnacht gesucht – Für Kenner und Genießer

  1. HH – 562 war in Bergedorf auf Georg Jordan, der eine Fahrradhandlung betrieb, zugelassen.

    Albergo Col di Lana wurde schon vor dem 1. WK am Pordoi Joch gebaut. Das gibt es auch heute noch, wenn auch fast bis zur Unkenntlichkeit verbaut.
    Von hier aus habe ich vor 50 Jahren meine ersten Dolomitengipfel bestiegen. Biz Boe, Marmolata-Nordwand, usw.

    Der Col di Lana ist ein Berg, den man vom Pordoi Joch sehen kann.

  2. Leider kann ich zum Thema 170er Mercedes keine weiteren Informationen beifügen, möchte aber vielmehr auf die Umstände des Winterbetriebs früher Automobile eingehen, der nicht ganz selbstverständlich war.
    Die Mehrzahl der Automobilisten wird im Winter das Auto stillgelegt haben. Meine Eltern/Großeltern unterhielten zu diesem Zweck eine Batteriewerkstatt in der Batterien überwintern konnten. Sie wurden geladen und der Wasserstand ergänzt, damit im Frühjahr eine intakte Batterie abgeholt werden konnte.
    Wer im Winter fahren wollte tat gut daran die Batterie in´s Haus zu nehmen, evtl. Kühlwasser abzulassen (zuverlässiger Frostschutz setzte sich erst in den späten 30er durch) und am Morgen den Motor mit warmem Wasser aufzuwärmen.
    Evtl. wurde auch das warme Öl nach der Fahrt ablassen um es am Morgen wieder angewärmt einzufüllen.
    Aber daran denkt man nicht bei dem Spaß im offenen Fahrzeug ohne Windschutzscheibe durch die frisch verschneite Landschaft zu rollen.
    Bitte mehr solcher Bilder, kommen wir selbst doch immer weniger in den Genuss einer Schneefahrt.

  3. Ach ja: NUR und nur der 170S haben die Aufwendige Schraubenfeder-Vorderachse mit 15″ Felgen – alles Andere hoppelt mit Querblattfeder und 16″-Felgen herum.

  4. Hallo Herr Weigold, hallo alle Experten, erst mal Ruhe bewahren und ein gemeinsames Weihnachtslied anstimmen !
    Wollen wir uns an den Wundern erfreuen, welche Klein- und Sonder-Serien uns gebracht haben.
    Denn ich habe 5 dieser „Sorgenkinder“ bei mir, von dreien will ich erzählen:
    Einen Mercedes 170S, aus den Geburtswehen-Serie von 1950.
    kein, aber auch kein Teil aus dem lieferbaren Angebot passt.
    Ein DKW F93 Coupe 1956- und Pech gehabt, keine 300 Stück gefertigt – dann wurden die Türen umgestellt mit Scharnier vorn. Logo hab ich Nr. 126 – NICHTS passt. Weder Teile vom .Vorgänger, noch die Teile des Nachfolgers. Selbst die Zierleisten-Klammern sind „Spezial“ und passen für kein anderes Modell.
    Ein Alfa Romeo Giulia 1600 Super, 1967 – alles Serie ? denkste. Aussen fallen nur Cromodora-Felgen auf. Aber innen – da ist alles anders. Alfa versuchte sich in USA – daher diese „Export-Version“ namens „America“ – alle Verkleidungen, Türpappen mit Feinripp-Schwarz, Rückbank n Feinripp-Schwarz, Recaro-Sitze in Feinripp-Schwarz vorn. Angeblich wurden 300 für die USA gebaut, 100 verschifft, der Rest in Italien „verschleudert“. Die Farbe der Instrumente gibts bei keinem anderen Alfa.

    So – da beende ich mal die Erzählung.

  5. Das weiß heute offenbar auch unter den Sternguckern kaum mehr jemand:
    Der 170 wurde mit den Teilen der 230er Karosse, d.h. deren Werkzeugen auf die Maße und die Technik des 170 V zurechtgestutzt , um schnell (und billig) ein neues Modell oberhalb des 170 V herausbringen zu können.
    Auch der neue 220er Sechszyl.
    wurde in das gleiche Chassis mit der ungemein aufwändig konstruierten Vorderachse, deren evtl. Vorkriegswurzeln mir nicht bekannt sind, aber logisch erscheinen, implantiert, wohlgemerkt bei gleichem Radstand!
    Ich habs selbst mal wissen wollen und nachgemessen: Die Kühlerpartie wurde um ganze 12 cm nach vorn gerückt und 2 Zylinder hatten mehr Platz unter der Haube! Durch die Kotflügel mit den integrierten Scheinwerfern fällt das niemand auf….

  6. Danke für die weisen Worte und den Hinweis auf die Vorkriegselemente – dann lag ich zumindest vom Bauchgefühl noch fast richtig. Auf einen lehrreichen und unterhaltsamen Austausch im Neuen Jahr!

  7. Wollen wir mal die Verwirrung unter den Experten schlichten, indem wir weiter eingrenzen auf die erste Ausführung des 170 S, ab 1949 – 51, noch mit dem schmaleren Rückfenster ohne Chromleiste im Rahmen, dafür aber mit den schicken außenliegenden Kofferdeckel- Scharnieren? So, wie es noch vom letzten Vorkriegs- 230er überliefert war?
    Geruhsamen Jahreswechsel und, wenigsten individuell, ein gutes 2025!

  8. Ach so: damit nicht irgendwelche Billigheimer auf die Idee kommen, die Zierleisten am Billig-Auto zu montieren, bedarf es extrem schmaler 4-eckiger Schlitze in den Sicken der Seitenteile. Ohne Neulackieren ging da nix …

  9. Einspruch, Euerer Gnaden: NUR der 170S und niemals Billig-Versionen von DS, SD, SV hatten die Chromleiste an den Motorhauben-Seitenteilen.
    Seit1970 befasse ich mich mit dem 170er Nachkrieg – versuchen Sie bitte nicht mir Märchen zu erzählen !!

  10. Das letzte Foto der Reihe zeigt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Mercedes 170S, nicht die Basteleien 1949-1951, sondern die Serien-Ausführung ab 1953.

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