Nichts gegen Nadelstreifen! Ein 1929er DeSoto im Schnee

Wer schon länger in deutschen Landen residiert, kennt die sprichwörtlichen „Nieten in Nadelstreifen“ – großspurig auftretende Manager, die durch krasse Fehlentscheidungen von sich reden machen. Es gab Anfang der 1990er Jahre sogar ein Buch mit dem Titel.

Ich konnte der Tatbestandsbeschreibung nie viel abgewinnen – aber nicht, weil ein Nadelstreifenanzug über Jahre zu meiner beruflichen Uniform gehörte und ich nie ein grundsätzliches Problem mit Leuten hatte, die sich eine Krawatte binden können.

MIch lehrte die Lebenserfahrung, dass es Versager, Blender und sogar Kriminelle in allen Berufständen gibt – bei Ärzten, Bankern, Gewerkschaftlern, Lehrern, Pfarrern, Autohändlern oder Malermeistern.

Nur einen Berufstand – oder sollte ich sagen: eine Klasse? – will ich ausnehmen: vom Volk gewählte Politiker. Diese hegen durchweg edle Absichten, sind selbstlos und machen alles richtig – sonst wären sie ja nicht an der Macht oder blieben nicht lange an derselben.

Ich hoffe, mich hier korrekt ausgedrückt zu haben, denn ich stehe nur ungern früh auf.

Nun zum eigentlichen Thema – am Ende werden Sie übrigens zumindest einem speziellen Nadelstreifenträger mit Sympathie begegnen. Hier begegnet er uns das erste Mal:

DeSoto von 1929; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand offenbar unweit des Millstättersees im österreichischen Kärnten – darauf lässt das Schild im Hintergrund schließen.

Sicher verbindet der eine oder andere Leser etwas mit der Region, mir dagegen war die Gegend unbekannt. Aber was lernt man nicht alles beim Studium von Vorkriegsfotos auf alten Fotos – und deshalb versammeln wir uns hier ja auch beinahe täglich, nicht wahr?

Also: Der Herr im Nadelstreifenanzug rechts sowie die Dame in der Mitte und der Knickerbockerträger links scheuen sich nicht, ihr feines Schuhwerk dem Schneematsch auszusetzen. Das tun sie sicher nicht aus Vergnügen.

Meine Vermutung ist die, dass die beiden Herren die mit feinem Profil ausgestatteten Räder behelfsmäßig gegen eine Rutschpartie zu sichern versuchen – wohl mit Abschnitten eines Seils. An gängige Schneeketten hatten die Herrschaften (m/w/d) wohl nicht gedacht.

Dennoch verbietet sich hier das Votum „Nieten in Nadelstreifen“ ganz klar – denn wer selbst nicht nur von der Teppichetage aus abstrakte Arbeitsanweisungen geben kann, sondern auch selbst Hand anzulegen weiß, wenn Not am Mann ist, der verdient unsere Sympathie.

Hier haben wir unseren Nadelstreifler mit einem Mal in gebückter Position und im gemeinsamen Einsatz mit weiteren Ortskräften (kleiner Scherz) und diese Aufnahme sieht nicht gestellt aus. Der Mann wusste wirklich anzupacken:

DeSoto von 1929; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Wir sehen, was passiert ist: Die paar Seile an den Rädern haben nicht viel geholfen – oder zumindest nicht verhindert, dass der Wagen – eine große Sechsfenster-Limousine – von der Fahrbahn in den Straßengraben gerutscht ist.

Kenner der Materie werden sofort erkennen, dass das Auto aus München stammte.

Sicher ist es unangebracht, den Bayern eine generelle Distanz zum Automobil zuzuschreiben. Mir ist nur aufgefallen, dass zur genialsten Erfindung vor dem Personal Computer und dem Internet die Bajuwaren vor dem Krieg fast nichts beigetragen haben.

Selbst BMW musste das Handwerk bekanntlich mit Hilfe der „Dixi“-Leute im thüringischen Eisenach lernen. Aber lassen wir das und gehen der Frage nach, was das für ein Wagen war, der hier mit Vertretern der Münchener Schickeria auf Abwege gekommen war.

Gewohnheitsmäßige Konsumenten meines Blogs werden nun lässig aus der Hüfte schießen: „Irgendein Ami-Importwagen von Ende der 1920er Jahre.“ – Treffer!

Auch wenn alle deutschen Hersteller – mit Ausnahme von Daimler-Benz – dem dominierenden US-Stil jener Zeit nacheiferten, traf ihn keiner 100%ig und das war wohl auch die Absicht. Optischen Plagiaten sehr nahe kamen teilweise Opel und zeitweilig Horch.

Ein US-Fabrikat der 1920er Jahre lässt sich immer als solches erkennen, das ist auch hier der Fall. Vielleicht erinnern Sie sich an meinen Blog-Eintrag vom Sommer 2024, in dem ich dieses schöne Foto mit nachdenklichen Bezügen zur Gegenwart verband:

DeSoto Roadster, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Auch wenn wir es hier mit einem leichten Aufbau als Zweisitzer-Cabriolet (nach US-Diktion „Roadster“) zu tun haben, stimmt doch die Kühler- und Haubenpartie überein.

In beiden Fällen handelte es sich um einen DeSoto des Modelljahrs 1929/30. Nach US-Maßstäben war das ein bodenständiger Wagen der unteren Mittelklasse, ausgestattet mit 55 PS leistendem Sechszylindermotor.

Die Marke war überhaupt erst 1929 vom Chrysler-Konzern geschaffen worden und es beeindruckt, wie schnell man dieses völlig neue Fahrzeug auch am deutschen Markt verkaufen konnte. Für mich ein neueliches Indiz für die enorme Angebotslücke heimischer Hersteller, die von Importeuren aus den USA, Italien und Frankreich gefüllt wurde.

Die einmalige logistische Kompetenz der amerikanischen Industrie änderte aber nichts daran, dass auch ein DeSoto bei winterlichen Verhältnissen besondere Fahrkompetenz verlangte.

Sofern es daran im vorliegenden Fall gemangelt haben mag, erweist sich der am Desaster beteiligte oder gar schuldige Nadelstreifenträger aber immerhin als fähig, den Kahn in gemeinsamer Anstrengung wieder auf Kurs zu bringen.

Solches beherztes Handeln wünscht sich in unseren Tagen auch mancher von den Industriekapitänen hierzulande. Dazu muss aber erst an ganz anderer Stelle das Ruder herumgeworfen werden. Ob das geschieht, bleibt freilich abzuwarten…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Nichts gegen Nadelstreifen! Ein 1929er DeSoto im Schnee

  1. Herzlichen Dank, lieber Herr Börner – Korrekturen sind immer willkommen. Interessante Ergänzungen wie diesmal aber noch mehr. Ob und wann ich einmal auf die empfohlenen österreichischen Abwege gelange, wird sich weisen….

  2. Hallo Herr Schlenger,
    dass der Mittstätter See sich mit Doppel-l schreibt, also Millstätter See heißt, ist sicherlich nur ein Vertipper zu (fast) mitternächtlicher Stunde gewesen.
    Was ich aber eigentlich zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass Sie sich vielleicht einmal auf den Weg von Salzburg kommend über die Tauernautobahn Richtung Villach begeben sollten, denn die dortigen Seen, beginnend mit eben diesem Millstätter See, dem Ossiacher See, rechter Hand dem Faaker See und schließlich dem Wörthersee, sind nicht zu verachten und das Klima ist in der Regel um vieles besser als „nördlich des Mains“.
    Zugegeben: Wenn es Sie traditionell nach Umbrien zieht, wäre das doch ein nicht unerheblicher Umweg, andererseits geben Sie ja selber zu, ein „Kilometerfresser“ zu sein (was ich einst auch war).
    Zu eigentlichen Objekt Ihrer Betrachtungen, dem DeSoto, habe ich bedauerlicherweise nichts beizutragen.
    Sorry für die Korrektur

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