Ein Traum? Das Wetter schon…Mercedes-Benz 170H

Ein Frühlingstag wie im Traum – so kam es mir heute vor. Endlich wieder wärmende Sonne auf der Haut, die Vögel zwitschern um die Wette und im Garten geht Blüte um Blüte auf. Besonders prächtig die alten Obstbäume auf dem Nachbargrundstück.

Und plötzlich blüht auch im Kopf die Phantasie. Wie wäre es, den seit Jahren in einem Topf eingesperrten kleinen Feigenbaum, der bisher immer zwischen alten Autos und Zweirädern überwintern musste, endlich in die Freiheit zu entlassen?

Darauf brachte mich heute die bessere Hälfte und wie immer kooperieren unsere Neuronen auf das Schönste. Also nach getaner Schreibtischarbeit rasch eine entsprechende Aufgabe an meine aktuell bevorzugte KI „Grok“ versandt.

Sekunden später hatte ich eine strukturierte Anleitung, was beim „Aussetzen“ eines noch kleinen Feigenbaums in hiesigen Gefilden zu beachten ist, also Standort, Abstand zu Gebäuden, Beschaffenheit der Erde, Pflege usw.

Auf dieser Basis markierte ich einen vorläufigen Platz im Garten und schaute über den Nachmittag, ob dieser auch bei noch niedrigem Sonnenstand möglichst lange außerhalb der Schatten der angrenzenden Bauten lag.

Das Experiment gelang und so wird unser Feigenbäumchen demnächst eine neue Heimstatt finden. Die Vorstellung, dass er über die Jahre zu einer stattlichen Erscheinung heranwächst wie unser von den Vorbesitzern geerbte Maronenbaum – ein Traum!

„Ein Traum!“ – das ist auch der Titel einer Ansichtskarte, die ich Ihnen heute nahebringen möchte. Sie lief mit Geburtstagswünschen versehen Anfang April 1937 von Waldbröl nach Köln – versandt von Elisabeth an Hanna:

Mercedes-Benz 170H; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Traum, in der Tat, möchte man hier mit Blick auf das Frühlingswetter, die schlanke junge Dame und den offenbar botanisch interessierten Hund meinen.

Ganz wunderbar, aber was ist von dem sonderbaren Gefährt mit dem Mercedes-Stern auf der unglücklich gestalteten Frontpartie zu halten?

Nun ja, diesen Wagen kann man sich beim besten Willen nicht schönsehen und auch aus technischer Perspektive nicht preisen. Es handelt sich um den ab 1936 gebauten Typ 170H, mit dem Mercedes aus unerfindlichen Gründen eine Alternative zum gern gekauften klassischen Modell 170V anbieten wollte.

Man wollte wohl einer damaligen Mode auf dem europäischen Kontinent folgen und ein Fahrzeug mit Heckmotor anbieten. Das war aber bereits mit dem von 1934-36 in überschaubaren Stückzahlen gebauten Vorläufermodell 130 beim Kunden gescheitert.

Das Teil bot im Alltag nur Nachteile – speziell im Hinblick auf das Fahrverhalten – doch das hielt die Herren in der Chefetage von Daimler-Benz nicht davon ab, das fehlgeleitete Konzept unter Verwendung des Motors des 170V anno 1936 noch einmal zu erproben.

Das Ergebnis fiel ähnlich aus – auch der stärkere 170H wies im Alltag keine praktischen Vorzüge gegenüber dem klassischen 170V mit Frontmotor auf. Unter dem Aspekt der Vermarktung kam erschwerend hinzu, dass die heckgetriebene Variante noch teurer war.

Gleichwohl „musste“ das Gerät in Manufaktur (ca. 1.500 Wagen) bis 1939 weitergebaut werden – wirtschaftlich war das wohl eher ein Alptraum.

Was soll man nun sagen zu dem Konterfei dieses skurrilen Fahrzeugs, an dem gemessen der parallel entwickelte Volkswagen geradezu elegant wirkte?

Tja, das Wetter war schon ein Traum, als dieses Geschöpf abgelichtet wurde. Die reine Schönheit alles Übrigen überstrahlt hier mühelos das Unvollkommene…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

8 Gedanken zu „Ein Traum? Das Wetter schon…Mercedes-Benz 170H

  1. Danke für diesen interessanten Einblick. Nur mit starken Nerven ist die folgende Gesamtschau der unzähligen gruseligen Prototypen zu ertragen, die ab den 60ern als Käfer-Nachfolger kreiert wurden: https://sowirdsgemacht.com/articles/view/vw-kaefer-nachfolger-die-nie-in-serie-gingen. Angesichts der durchweg indiskutablen Gestaltung wundert es nicht, dass man letztlich doch am Käfer festhielt. Die naheliegendste Lösung – Wagen mit querliegendem Frontmotor – mit wirklich kompetentem Styling zu verbinden, machte am Ende doch das Rennen. Hätte man aber auch 10 Jahre vorher schon haben können. Leider meinte VW nach der ersten Serie vom knackigen Giugiaro-Styling wieder Abschied nehmen zu müssen…

  2. Das Motiv wurde unter dem Titel „Ein Traum“ als Ansichtskarte vertrieben – mit dem Profi hinter dem Sucher werden Sie richtig liegen…

  3. Ja, das sehen die Herren Weigold und Schlenger durchaus richtig:
    Der VW-Koloss tat sich damals schwer damit, dem unübersehbaren Trend zum wassergekühlten Frontmotor zu folgen und begab sich zunächst auf einen Irrweg. Auf Weisung des Vorstands unter Lotz wurde Porsche mit der Entwicklung eines Käfer-Nachfolgers betraut. Es sollte ein Auto mit wassergekühltem Vierzylinder-Unterflurmotor werden.
    Mit diesem Entwicklungsauftrag EA 266 hätte man in dieser Fahrzeugklasse zwar ein Alleinstellungsmerkmal gehabt, doch die Nachteile waren einfach nicht wegzudiskutieren: Schlechte Zugänglichkeit des Motors, thermische Probleme für Motor und Insassen, Lärm im Innenraum, kritisches Fahrverhalten (vor allem bei Nässe und Glätte), viel zu hohe Produktionskosten.
    Als (Noch-)Volontär in der Stabsabteilung der Qualitätskontrollleitung (Chef: Claus Borgward) hatte ich 1971 Zugang zu den von Porsche gebauten Prototypen. Viele Wolfsburger Entwickler hatten angesichts dieser Porsche-Prototypen so ein Gefühl, als seien hierfür Millionen sinnlos zum Fenster hinausgeflattet. Und siehe da, als Ende 1971 ein neuer CEO – Leiding – antrat, zog der ganz schnell den Stecker. Ein teures Lehrstück!
    Was blieb VW dann übrig? Man schaute sich die Parallellentwicklungen von Auto Union (Audi) an und so erhielt z.B. der Audi 80 ein Derivat namens Passat, später wurde dann der Audi 50 zum Polo. In der Zwischenzeit kam der Golf ins Laufen. Hätte der nicht bei den Kunden eingeschlagen, was wäre dann wohl aus VW geworden??

  4. Nach den Kommentaren zur Technik noch Gedanken zur Ästhetik des Fotos: Motivwahl und Bildausschnitt lassen einen Profi hinter der Kamera vermuten. Der Stil erinnert mich an Wolff und Tritschler aus Frankfurt/Main.
    Der Steillagenweinbau im Hintergrund legt einen Aufnahmeort im Neckartal nördlich von Stuttgart nahe.
    Joachim Schmidt

  5. Der schlüssigste Heckmotorist war m.E. der Fiat 500 „Nuova“ ab 1957. Aufgrund des kurzen Radstands unproblematisch zu fahren, ultrakompakt für die Innenstädte, gleichzeitig erstaunlich geräumig für die geringe Größe, simpel, zuverlässig und von jedermann reparabel. Im italienischen Alltag noch heute präsent (nicht nur als Liebhaberfahrzeug), während der Käfer völlig verschwunden ist. Die veränderungsresistente Monokultur bei Volkswagen scheint ein Mentalitätsproblem in Wolfsburg widerzuspiegeln. Wenn ich mich nicht irre, wurden auch Golf 1 und Polo hauptsächlich von Audi-NSU-Leuten entwickelt. Die damals längst etablierte internationale Tendenz (Frontantrieb mit querliegendem Motor und Heckklappe) wurde bei VW offenbar überhaupt nicht verstanden.

  6. Der Heckmotor war, ausser vielleicht bei ausgesprochenen
    Kleinwagen, eben letztlich ein Irrweg in der Kfz- Technik.
    Das ist ja heute allgemein anerkannt! Es haben nur eben die einen früher gemerkt ‐ die anderen später…
    Wenn man sich erinnert:
    VW warb noch bei Einführung des Transporters T 3, das war 1979, damit, vieviel hundert Technikere und Konstrukteure sich wie lange Gedanken über ein anderes Transporter- Konzept gemacht und kein besseres gefunden hätten…
    Da hatte der erste Transporter nach dem heute allgemein üblichen Konzept, der DKW Schnelllaster, schon 30 Jahre auf dem Buckel !

  7. In der Tat, den größeren Innenraum sieht man dem 170H schon von außen an. Da war kein Platz mehr für die traditionellen Trittbretter. Das Ganze hätte man aber auch durchaus mit Frontmotor haben können. Wanderer zeigte ja mit dem geräumigen Konkurrenzmodell W24 tendenziell, wie das aussehen konnte. Die Marke hätte auch nach dem Krieg noch Chancen gehabt…

  8. Ein Ausbund an Schönheit war er nicht für den herkömmlichen Geschmack der damaligen Kundschaft – folglich auch nicht für den heutigen Anhänger dieses.
    Ein gewisser Fortschritt gegenüber dem Vorgänger 130H
    war aber doch feststellbar.
    Der heute 87- jährige Seniorchef einer „befreundeten“ ehem. Mercedes- Werkstatt (Benz- Vertretung seit 1903) fuhr ihn noch . „Das war eine furchtbare Schleuder“ sein Urteil !
    Für die Straßenlage mit der grässlichen Pendelachse war Beladungszustand und Personenzahl allerdings entscheidend!
    Ein signifikanter Unterschied zum 170 V bestand allerdings
    In der Innenraumgröße. Da war der 170 H dem Bruder V doch deutlich überlegen, vor allem die Innenbreite vorn war fast 20 cm größer – das war schon was!

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