Fotorätsel des Monats: Ein Lehrling und „sein“ Cabrio…

Befasst man sich mit den Meisterwerken der Vergangenheit in den Bereichen Malerie, Musik oder auch Technologie, bemerkt man immer wieder, wie früh ihre Schöpfer einst ein Niveau erreichten, das ihre Vorgänger in den Schatten stellte.

Wer als Lehrling begann, hatte indessen nichts zu lachen und nichts zu melden, es galt zunächst, sich das Handwerkszeug anzueignen, das die Altvorderen über Generationen entwickelt hatten. Da wurde kein Kompromiss gemacht und diskutiert wurde schon gar nicht.

Dem lag die Erfahrung zugrunde, dass das über unzählige Generationen gereifte Können und Wissen sehr wahrscheinlich weit über das hinausgeht, was ein zufälliger Einzelner der nachwachsenden Generationen zuwegebringt.

Wer nicht mindestens das etablierte Niveau erreichte, konnte als gescheitert oder zumindest ungeeignet angesehen werden.

Die strikte Hierarchie und Disziplin mochten für das sich besonders begabt wähnende Individuum ihre Schattenseiten haben, aber sie brachten in der Breite eine Qualität hervor, die praktisch nichts Minderwertiges kennt. Man vergleiche nur einmal die Schulen oder Bahnhöfe der Gründerzeit mit den Baracken der Moderne.

Der wirklich geniale Neuerer – der echten Fortschritt und nicht lediglich Anarchie verkörpert – wird sich auch in einem zunächst Unterordnung und Anpassung fordernden Umfeld durchsetzen, selbst wenn das ein schmerzhafter Prozess sein kann.

Der vollausgebildete und am Vorbild des Meisters geschulte, wahrhaft begabte Lehrling wird diesen überflügeln, wenn er sich am Ende von den Fesseln der Tradition freimacht. Vor allem in der Kunstgeschichte gibt es unzählige faszinierende Beispiele dafür.

Was die Technikgeschichte angeht, gibt es zwar jede Menge Autodidakten, aber ich meine, dass auch von diesen jeder in irgendeiner Form eine Ausbildung durchlaufen hatte, deren inhaltlichen Anspruch und rigorose Härte man heute außer in Asien kaum mehr findet.

Die Freunde der antiautoritären Erziehung (also: keiner Erziehung) mögen es schlimm finden, wie Jugendliche andernorts auf Leistung gedrillt werden. Dann müssen sie aber die gesamte abendländische Kunst und Kultur, Wissenschaft und Technik verwerfen.

Vor allem aber dürfen sie sich auf keinen Fall an so etwas wie dem folgenden Automobil erbauen, das Ergebnis höchster Meisterschaft war, auch wenn uns hier bloß der Lehrling vermeintlich die Tür zu „seinem“ Wagen öffnet:

unbekanntes Cabriolet der 1930er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir dürfen davon ausgehen, dass der Bub in Arbeitsmontur noch weit davon entfernt war, mehr als nur ein kleines Bauteil dieses atemberaubend gestalteten Wagens anzufertigen.

Aber: Der junge Mann wusste schon ganz genau, was höchste Qualität ist, und wird den Ehrgeiz besessen haben, dereinst eines der vielen Handwerke vollkommen zu beherrschen, die an der Schöpfung eines derartigen Manufakturwagens beteiligt waren.

Was aber war das für ein Wagen mit der expressiven Kühlerfront, den Luftklappen in der Motorhaube und der niedrig gehaltenen Frontscheibe, die zwar unpraktisch war, aber zur Optik eines sportlich wirkenden Cabriolets der 30er Jahre gehörte?

Mit diesem aufregenden Gefährt, das wir anhand der seitlichen Kotflügel“schürzen“ auf frühestens 1933 datieren können, habe ich mich wiederholt beschäftigt.

Den Kühlergrill findet man ähnlich beim Wanderer der Typen W21/22 – vielleicht das großartigste Design dieser eher konservativen Marke überhaupt:

Wanderer W21 Limousine (4-Fenster), Baujahr: 1933; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Die Gestaltung des Kühlergrills ist beim „Meisterstück“ unseres Lehrlings aber nochmals progressiver und ansonsten weisen die beiden Wagen keinerlei Gemeinsamkeiten auf.

Mein Verdacht ist, dass wir es auch nicht mit einem deutschen Fabrikat zu tun haben. Den Schlüssel sollten die Kühlerfigur und der Markenschriftzug auf dem Grill liefern.

Leider bin ich daran gescheitert, hier etwas Konkretes zu erkennen, was mich der Lösung weiterbringt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir es mit einem tschechischen Manufakturwagen zu tun haben.

Tatsächlich hoben sich tschechische Autohersteller und Karosseriebauer in den 1930er Jahren durch eine hochexpressive Formensprache vom mitteleuropäischen Mainstream ab, die oft in meisterhaften Aufbauten mündete, welche als skulpturengleiche Schöpfungen angesprochen zu werden verdienen.

Dieser Stil war ein ganz eigener wie auch der italienische jener Zeit, doch basierte er auf derselben Grundlage, wie sie damals universell war: vollkommener Beherrschung der formalen wie handwerklichen Voraussetzungen zum Bau eines individuellen, einen bestimmten Stil perfekt verkörpernden Automobils.

Das meisterhafte Ergebnis, das uns hier vom Lehrling einer Autowerkstatt oder Karosseriebaufirma präsentiert wird, werden hoffentlich Sie, liebe Leser, auf Anhieb einem bestimmten Hersteller zuordnen.

Ich kann mir nur vorstellen, dass ich diesmal schlicht „auf dem Schlauch stehe“, wie man so schön sagt, wenn die naheliegende Erkenntnis einfach nicht den Weg aus dem Hinterstübchen des Hirns ins Vorzimmer des Bewusstsein finden will.

In der Hinsicht werde ich wohl ewig Lehrling bleiben, wenn ich mir die schiere Masse der Fotos betrachte, die mir Rätsel aufgeben. Aber eines möchte ich selbstbewusst feststellen: Ich erkenne herausragende Qualität, wenn sie sich darbietet.

Dafür bin ich durch eine lange Phase der Selbstschulung gegangen. Denn in Sachen Ästhetik oder gar Technikhistorie habe ich in 13 Jahren Schule exakt nichts beigebracht bekommen, was über die banale Unterscheidung romanischer und gotischer Bögen oder die Funktionsweise eines 0815-Verbrennungsmotors hinausgeht.

A bisserl wenig für den großspurigen Anspruch, den man hierzulande pflegt.

Aber herrje, warum nicht noch einmal in die Lehre gehen, wenn’s denn sein muss? Gerne dazuzulernen, echte Autorität anzuerkennen und sich immer weiterzuentwickeln, das gehört zu den wunderbar abwechslungsreichen Konstanten des Daseins.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

12 Gedanken zu „Fotorätsel des Monats: Ein Lehrling und „sein“ Cabrio…

  1. Hervorragend, vielen Dank! In meiner Facebook-Gruppe für Vorkriegsautos auf alten Fotos wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass es sich um ein Auto der 20er Jahre handeln dürfte, das in den 30ern eine komplett neue Karosserie erhielt. Das machte man sicher nur bei einem sehr hochwertigen Fahrzeug wie dem Simson Supra. Interessant wäre zu erfahren, ob man den Originalmotor einer Leistungskur unterzog, denn mit nur 40 PS war bei diesem schweren Aufbau wenig Staat zu machen. Eventuell verbaute man einen der 60-70 PS leistenden 6-Zylinder-Motoren eines späteren Simson-Modells.

  2. Die Rippen auf den Motordeckel hat Gläser 1933 gemacht (Audi Front), aber das Lenkrad rechts deutet schon mehr in die Richtung CS.

  3. Leser René hat recht. Sowohl der Schriftzug als auch die Kühlerfigur stammen von einem Simson Supra So, vgl. https://www.insuedthueringen.de/media.media.fddd9a74-9080-4ab7-a7fe-d6fe2472d4c1.original1024.jpg.
    Und dass es sich um die Neukarossierung eines älteren Fahrzeugs handelt, kann man sehr gut an der geöffneten Tür erkennen. So folgt die Karosserie der flacheren Linie der ersten Hälfte der Dreißigerjahre mit gerundeten Türen, die bis zum Trittbrett reichen. Dahinter verbirgt sich aber der viel höhere Schweller des Chassis aus den Zwanzigerjahren. Solch eine Lösung hätte wohl kein Karosseriebauer der Dreißigerjahre bei einem Neufahrzeug verwendet. Auch passen die Stahlspeichenräder zeitlich nicht mehr wirklich zur Karosserie. Schaut man sich z. B. tschechische Karosserien entsprechender Linienführung und Größe an, so finden sich dort stets Scheibenräder. Schließlich spricht auch das riesige Lenkrad, das fast bis zur Windschutzscheibenoberkante reicht, für ein Zwanzigerjahre-Fahrgestell.
    Nichtsdestotrotz ein sehr schöner Fund, von dem es interessant wäre, den Karosseriebauer zu kennen.

  4. Interessanter Vorschlag, bin aber noch nicht überzeugt 🙂 Die Kühlerfigur kann auch schlicht die Initialen des Besitzers wiedergeben. Aufschlussreicher ist aus meiner Sicht der Schriftzug auf dem Kühler. Stilistisch spricht bisher vieles für ein tschechisches Fabrikat.

  5. Also die Kühlerfigur sieht für mich aus, wie die ineinander gestellten Buchstaben A und S welche ihrerseits für „Auto Simson“ standen. Auf Grund der Kühlerfigur und der Rudge-Räder mit großen vorderen Bremstrommeln, sowie dem Thüringer Kennzeichen, würde ich auf einen in den dreißiger Jahren umkarosserierten Simson Supra Vierzylinder tippen.
    Viele Grüße René

  6. Guten Abend,
    ich würde auf Sodomka tippen. Der Prags Super Piccolo der Serie 1 von 1934 hat auffällig viele Gemeinsamkeiten mit ihrem „Rätsel“. Da ich aktuell auswärts weile steht mir mein häusliches Archiv leider nicht zur Verfügung.

    Mit Grüßen, M. Grunwald

  7. Ich habe die Vermutung, dass dieses elegante Mobil ein Praga sein könnte. Vor vielen Jahren habe ich dieser Firma mal beruflich einen Besuch abgestattet und dabei Fotos von diversen Vorkriegsautos gesehen. Da ich im Moment in Sachen Beckmann-Automobile in Breslau weile, kann ich mich daheim nicht vergewissern, ob meine Vermutung zutrifft.

  8. Mögliche Spur könnte Lajos Zupka sein mit seinen Karosserien auf Mercedes.

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