Ist auch das Rad los, ist man nicht ratlos: Adler 5/13 PS

Es geht nichts über einen gelungenen Titel – man denke nur an den grandiosen Historienroman „Der Name der Rose“ von Umberto Eco, der einst spannende Unterhaltung und anspruchsvolle Gedankenwelten meisterhaft miteinander verwob.

Atemlos folgt man dem Geschehen über hunderte von Seiten, arbeitet sich in eine fremde Epoche ein und lernt dabei mehr über das Denken und die Konflikte des europäischen Mittelalters als in jahrelangem Schulaufenthalt.

Das Geniale am Titel „Der Name der Rose“ ist, dass der Autor es am Ende dem Leser überlässt, worauf er damit anspielt.

Anspielungen gibt es auch hier wiederholt – meist auf Aktuelles, was Purismuspriestern nicht gefällt. Aber ich störe gern den Gottesdienst, wenn mir der Sinn danach steht.

Doch zumindest, was den Titel eines neuen Blogeintrags angeht, mache ich mir durchaus ernste Gedanken, wie dieser möglichst das trifft, worum es geht. Dabei darf freilich auch gekalauert werden – so wie heute.

Je abwegiger der Humor, desto besser, das Leben ist ernst genug. Dass wir Menschen uns reinen Blödsinn ausdenken und darüber lachen können, das hätte das Zeug für einen Gottesbeweis. Meines Wissens ist aber noch keiner darauf gekommen – jedenfalls nicht in der christlichen Tradition – das Lachen ist übrigens ein Thema in „Der Name der Rose„.

Der hat doch ein Rad ab!„, mag jetzt einer denken – und hat damit vollkommen recht:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine Szene wie gemalt, möchte man meinen, dabei hat hier nur einer ein verdammt gutes Gespür für Situation, Perspektive und den rechten Moment gehabt.

Heute kann jeder meisterhaft anmutende Fotos produzieren, sofern er kein Banause ist. Die Videofunktion der Kamera aktivieren, draufhalten und einen idealen Moment auswählen.

Möglich ist das, weil es keine Limitierung mehr in Form der Zahl an Negativen im Fotopapparat gibt. In der Frühzeit war das eine einzelne Glasplatte, später für lange Zeit ein Mittelformatfilm, der 12 Bilder ermöglichte. Selbst die 36 Aufnahmen der Kleinbildära stellten eine ernstzunehmende Limitierung dar, wenn man 2 Wochen Urlaub dokumentieren wollte.

Nach diesem Exkurs hat man umso mehr Respekt vor der Qualität vieler Bilder aus der Zeit vor dem Weltkrieg und die vorliegende Aufnahme ist ein perfektes Beispiel dafür.

Dass wir dieses schöne Dokument sehr genau datieren können, verdanken wir der rapiden Entwicklung des damaligen Automobilbaus. Machen wir es kurz: Das aufsteigende Windlaufblech zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe taucht im Serienautobau erst 1910 auf – nur im Sport ist es bereits ab 1907/08 zu finden.

Die trommelförmigen Gasscheinwerfer waren nach dem 1. Weltkrieg – von einfachen Cyclecars der Einsteigerklasse abgesehen – ebenso Geschichte wie die bodenlangen und hochgeschlossenen Kleider der Damen.

Insofern finden wir auf dieser Aufnahme genügend Evidenz dafür, das Foto auf 1910-14 einzugrenzen. Doch meine ich, dass es noch ein wenig genauer geht, zumindest was die Entstehung des vorderen Wagens angeht.

Zur Erinnerung: „Radlos bedeutet nicht ratlos!

1911-13 nämlich baute Adler aus Frankfurt am Main den kompakten Typ KL 5/13 PS, der den markentypischen quadratischen Kühler (mit abgerundeten Ecken und ganz leicht geschwungenem Oberteil) und genau solche filigranen Drahtspeichenrädern besaß.

Die stärkeren Modelle dieses damals bedeutenden deutschen Herstellers besaßen in der Regel Holzspeichenräder, sahen davon abgesehen genau so aus, waren nur größer.

Hier habe ich mich dem Adler KL 5/13 PS schon einmal gewidmet. Doch anstatt die Bilder von damals aufzuwärmen, kann ich heute mit einem weiteren „neuen“ aufwarten – nicht schlecht nach über 100 Jahren – wo sonst findet man so etwas frei verfügbar?

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

1921 ist diese Aufnahme entstanden – der Adler war damals schon rund 10 Jahre alt – aber im damaligen Deutschland war das Auto im Kleinwagensegment noch konkurrenzfähig. Bekanntlich brachte Opel seinen Erfolgstyp 4/12 PS erst 1924 heraus.

Der Star ist für mich ohnehin die selbstbewusste Lady mit dem breitkrempigen Hut – und weil es so schön ist, bringen wir sie gleich noch einmal.

Man sieht hier: unsere Urgroßmütter waren offenbar nicht alle unterdrückte Hascherl, welche an den Herd gekettet waren:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen von Scheinwerfern erkläre ich mir hier damit, dass man aus irgendwelchen Gründen die dazu erforderliche Karbidgasanlage entfernt hatte und den alten Adler nur noch bei Tag bewegte – offenbar störte das resultierende Beleuchtungsdefizit damals keinen.

Nachdem wir der Identität des eingangs abgebildeten Wagens ziemlich nahegekommen sind – sollte jemand anderer Meinung sein, ist seine Einschätzung willkommen – müssen wir aber noch einmal an den ursprünglichen „Tatort“ zurückkehren.

Denn in einer Hinsicht lässt mich die Aufnahme nicht nur „radlos“, sondern auch „ratlos“ zurück. Wo entstand dieses Foto? Ich tippe hier auf Süddeutschland, insbesondere Bayern, aber genau kann ich es nicht sagen:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Wappen über dem Türbogen dieser frühen „Tankstelle“ ganz rechts mag den Schlüssel dazu liefern. Und jetzt sind Sie dran, liebe Leser.

Ich werfe mir jetzt noch etwas Musik ein, die mich ratlos zurücklässt – Mozarts Klaviersonate KV 570, eingespielt von Friedrich Gulda anno 1978.

Wie kann etwas auf dem Papier so Einfaches in der Praxis so schön und zugleich so schwer zu reproduzieren sein, dass wir immer wieder auf die alten Meister zurückkommen müssen?

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Ist auch das Rad los, ist man nicht ratlos: Adler 5/13 PS

  1. Mir fällt zu der eingangs aufgenommenen Szenerie ein Sinnspruch zur Charkterisierung der Berliner (oder: Berlinschen?)
    Formulierungskunst ein, den ich vor langer Zeit aufschnappte:
    „Uffa drümnen Seite schted‘ n blauet Auto mit’n appet Radd!“

  2. Wieder ein interessanter Beitrag, wie immer. Ich möchte mich der Frage, wo denn das Bild entstand, annähern. Das Wappen am Gebäude dürfte das des Königreichs Sachsen darstellen. Das ist doch schon einmal ein Anfang:-). Beste Grüße aus dem Norden und ein schönes Wochenende

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