Rast mit Hans… Ein Chevrolet Tourer von 1923/24

Die deutsche Sprache wird allgemein als schwer empfunden, auch von den Eingeborenen selbst – das kann man hierzulande sogar bis in höchste Ämter verfolgen.

Stolpersteine zuhauf liefert nicht nur die Grammatik, der man anmerkt, dass sie nicht von am Lateinischen geschulten Humanisten in eine klare Struktur gezwungen wurde. Nein, auch im Hinblick auf die Aussprache begegnet man irritierenden Eigentümlichkeiten.

Eine davon, die mir gar nicht bewusst war, habe ich heute abend entdeckt. Ob nun jemand mit Hans durch die Gegend „rast“ oder das genaue Gegenteil tut, nämlich eine „Rast mit Hans“ macht, das schreibt sich gleich, spricht sich aber unterschiedlich aus.

Wenn Sie nun vermuten, dass mir die abendliche rasante Runde mit dem „neu“ aufgebauten, 45 Jahre alten Peugeot-Rennrad nicht gut bekommen ist, um auf solche thematischen Abwege zu gelangen, liegen Sie falsch.

Das Zweirad erwies sich als in jeder Hinsicht erfreulich, die Simplex-Schaltung erlaubte präzise, fast lautlose Gangwechsel und der oft nervig-laute Freilauf moderner Rennräder fehlt völlig. Die früh-eisenzeitlichen Mafac-Mittelzugbremsen haben zwar ihre Grenzen, aber bekanntlich gewinnt man Rennen nicht mit der Bremse.

Für den Hausgebrauch genügen die Teile, einmal richtig eingestellt. Gleiches gilt für Seilzug- oder Gestängebremsen an antiken Autos, man fährt vorausschauend mit so etwas.

So kam ich weit schneller als gedacht wohlbehalten heim – das bisher genutzte, ähnlich alte britische Raleigh-Ross geht nun in Rente, kein Vergleich mit dem französischen Renner.

Nach dieser rasanten Hatz liegt es nahe, eine Rast einzulegen – auch in übertragenem Sinne. Die nach einem Tag am Bildschirm ersehnte Erholung für das Auge fand ich hier:

Chevrolet Tourer, Modelljahr 1923/24; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier heißt es rasten und nicht rasen, auch wenn letzterer großgeschrieben eine nicht unwesentliches Element in diesem Idyll spielt.

In Raserei kann man hier allenfalls aufgrund der reinen Freude ob eines vollkommen geglückten, rund 100 Jahre alten Autofotos verfallen.

Der Wagen selbst hätte dergleichen auch nach damaligen Maßstäben nicht ermöglicht. Dem Markenlogo begegnet man heute noch öfters selbst in deutschen Landen – erst heute abend blubberte ein mächtiger Chevrolet „Colorado“ vor unserem Hof vorbei.

Sein V8-Motor ist freilich denkbar weit entfernt von dem Aggregat, welches sich einst unter der Haube des abgebildeten Chevy verbarg. Das war nämlich nur ein simpler 4-Zylinder mit gut 20 PS Leistung (immerhin mit hängenden Ventilen).

Das genügte, um in der ersten Hälfte der 1920er Jahre dem am US-Markt (und damit zugleich weltweit) dominierenden Model T von Ford halbwegs Paroli bieten zu können.

Der Chevrolet wirkte moderner, war aber auch etwas teurer. Immerhin an die 300.000 Stück konnten in den Modelljahren 1923/24 jeweils abgesetzt werden, wobei das Erscheinungsbild fast unverändert blieb.

1923 wurden die Trommelscheinwerfer eingeführt, die wir an „unserem“ Exemplar sehen, ab 1925 änderte sich dann die Gestaltung des Kühlergehäuses, was die Datierung dieses Wagens so einfach macht.

Das „Steinschlagschutzgitter“ vor dem Kühler dürfte das Produkt eines lokalen Schlossers gewesen sein – so eine rustikale Ausführung ist mir bis dato nicht begegnet.

Die vertikale Beschiftung des Nummernschilds interpretiere ich als „Michigan 1926“, bin aber offen für andere Interpretationen.

Sicher ist nur, dass der Wagen (noch) deutschsprachigen Zeitgenossen gehörte, denn auf der Rückseite heißt es „Rast mit Hans.nach dreistündiger Autofahrt.“ Außerdem erfahren wir: „Wir haben hier 35 verschiedene große Seen“.

Vielleicht ermöglicht dieses skurrile Detail einem Kenner ja am Ende sogar die Einengung der Region, in der einst „Rast mit Hans“ angesagt war…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

11 Gedanken zu „Rast mit Hans… Ein Chevrolet Tourer von 1923/24

  1. Als typischer Ertüchtigungsradler und Kenner der Fahrradkassiker haben sie natürlich recht – wenn ichs recht bedenken wars wohl wirklich „nur“ eine Zehngang- Schaltung , aber damals das
    non plus Ultra!
    Zwölf Gänge wurden es erst viel später, als ich mir ein fast neuwertiges wertvolles Villiger-
    Rad auf einem Fahrrad- Markt des ADFC kaufte welches mir mit seinen 6 Gängen eindeutig „zu kurz“ war, ich erweiterte die Schaltung auf 12.
    Die Garelli aus dem Neckermann- Katalog kam in einer Ausführung an, die viel gailer rüberkam als die sonst im Katalogbild feilgebotene und in Orange Distanz statt des Drogen
    Dunkelrot auf der Abbildung ,
    Das muß damals eine italienische Ausführung gewesen sein, die sich ins Kontingent für die Neckermann eingeschlichen hatte. Hab auch nur einmal die gleiche Ausführung gesehen damals im Feiburgen Raum.

  2. Ja, das waren noch Zeiten, als eine 50er richtig flott sein konnte – speziell die aus Italien. 12-Gang-Schaltung gab es meiner Erinnerung nach erst ab den späten 80ern, ich mag mich aber irren, kenne von damals jedenfalls nur 10-Gang-Schaltung als Nonplusultra für Amateure. Der „Steinschlagschutz“ könnte auch nur dekorativen Zwecken gediennt haben so wie mancher Spoiler unserer Tage. Vielleicht wollte man auch den einfachen Wagen wie einen höherwertigen Chandler wirken lassen. Aber wer weiß…

  3. Der derzeit gehäuft auftretende Exkurs des Blogwartes in die Welt der Freizeit- Radler erinnert mich daran, daß es nun 50 (fünfzig!) Jahre her ist, daß ich das für den täglichen Arbeitsweg genutzte GARELLI- Minicross (lief gute 60 – unfrisiert) einem jungen italienischen Arbeitskollegen verkaufte, um mir von dem Geld ein schönes Peugeot- Rennrad zu kaufen – mit 12- Gang- Kenn-
    Schaltung, so wie man sie noch wenige vorher als Schüler bewundert hatte! Der Gedanke, den Arbeitsweg zur täglichen Körperertüchtigung zu nutzen ist also nicht neu, wie man sieht!
    Denn von unserem Neu- Ulmer Vorort zu Kässbohrer in Ulm waren es 7,5 km (macht immerhin 15 Trainings- km pro Arbeitstag) .
    Das herrliche Foto mit dem kleinen Chevy bei der Rast auf in der grünen Idylle ist sehr geschickt gestellt, man empfindet sich fast als Beteiligter der Rast am Dorfteich!
    Der ungeschlachte Grill vor dem Kühler soll wohl eher Schutz vor Großwild sein sein, denn der Schutz vor Steinschlag erfordert ja ein möglichst dichtes Gitter.
    Das dürfte auch dem dümmsten
    (deutschsprachigen) Dorfschmied bekannt gewesen sein!

  4. nachtrag, ich habe noch nach einer größeren deutschen Community gefragt, hier die Antwort:

    Ja, im Jahr 1926 gab es in Michigan, insbesondere in der Region um Washtenaw County und Ann Arbor, eine bedeutende deutsche Gemeinschaft. Viele deutsche Einwanderer ließen sich im 19. Jahrhundert im Mittleren Westen nieder, und Michigan war ein beliebtes Ziel aufgrund des verfügbaren Farmlands und der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Ann Arbor hatte eine starke deutsche Prägung, mit deutschen Geschäften, Vereinen wie dem Schwaben Verein (gegründet 1888) und deutschsprachigen Kirchen. Straßen wie die Liberty Street („Freiheitsstrasse“) und Einrichtungen wie Metzger’s Restaurant zeugen von dieser Kultur. Besonders in Städten wie Frankenmuth, etwa 90 Meilen nördlich von Lyndon Township, existierte eine ausgeprägte deutsche (fränkische) Gemeinschaft, die bis heute erhalten ist.[](https://www.sonntagsblatt.de/artikel/gesellschaft/franken-michiganusa-wie-nachfahren-deutscher-siedler-das-fraenkische-erbe)%5B%5D(https://michigantoday.umich.edu/2010/10/14/a7870/)

  5. die KI ist der Meinung, dass es sich um Lyndon Township, Washtenaw County, Michigan. Yes, special for over 35 lakes, wetlands, and state recreation areas. handeln könnte. Das ist westlich von Detroit

  6. Neben Minnesota (land of 10,000 lakes) ist Michigan als das „land of 1,000 lakes“ bekannt. Passt also zum Kennzeichen.
    In der Nähe von 35 dieser Seen werden die beide wohl ihr Picknick veranstalten.
    Schöne Grüße,
    KD

  7. Hallo Herr Schlenger,
    das von Ihnen gebrachte Wortspiel kannten schon die Gallier. Jedenfalls wenn man den Machern von Asterix und Oberlix glauben darf.
    In dem Band „Asterix als Legionär“ treten die beiden der römischen Armee bei , um einen Landsmann zu retten. Auf dem Marsch der Legion haben sie es deshalb eilig, anders als die römischen Offizieren die eine „Rast“ befehlen.
    Asterix und Oberlix legen daraufhin einen Zahn zu, mit der Begründung „Aber wir rasen doch!“, womit sie die Vorgesetzten zur Verzweiflung bringen.
    Schöne Grüße,
    KD

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