Millionär, aber bodenständig: Chevrolet von 1928

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Die erste Million ist am schwersten. Denn egal wie ich rechne – ich bin immer noch weit davon entfernt und auch die schöne Zeit der Lire-Scheine ist leider vorbei, in der das Millionärsdasein relativ leicht war.

Das ist aber nicht weiter schlimm, denn wirklich leicht wird das Leben ohnehin erst ab der zweiten Million – das Foto, das ich Ihnen heute präsentieren will, bestätigt das.

Ford brauchte mit seinem Model T von 1908 bis 1920, bis erstmals die Produktion von 1 Million Fahrzeugen pro Jahr gelang. Leichter war dann der Weg bis zu 2 Millionen, diese Zahl schaffte man nämlich 1923.

Man nimmt das so gelassen zur Kenntnis, aber wenn man einmal darüber nachdenkt, ist das aus heutiger Sicht unglaublich. 1 Million Wagen pro Jahr, das waren bei sechs Arbeitstagen pro Jahr über 3.000 Stück pro Tag.

Möglich war das nicht nur dank der Fließbandmontage, sondern insbesondere durch intelligente Verteilung der Produktion auf über 20 Standorte in Nordamerika. Die Organisation einer identischen Fabrikation an so vielen Orten gleichzeitig mit demselben Standard bleibt angesichts der damaligen Mittel eine bewundernswerte Leistung.

Fords schärfster Konkurrent Chevrolet brauchte für die erste Million deutlich länger – 1927 überschritt man die Marke. Die zweite Million war dann ein Kinderspiel, sie gelang anno 1928. Und mit jeder weiteren Million – also jährlich – änderte sich auch das Erscheinungsbild des Chevy geringfügig, doch so markant, dass man die Jahrgänge unterscheiden kann.

Die Exemplare des Modelljahrs 1928 lassen sich gut an dem in einem ovalen Feld eingefassten Kühleremblem erkennen:

Chevrolet von 1928, aufgenommen vor Schloss Solitude; Originalfoto: Sammlung Plag

Technisch ist dieses Foto, das mir Michael Plag bereits vor einigen Jahren in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, ganz hervorragend.

Allerdings ist zu konstatieren, dass es den beiden Herren aus Provinz Starkenburg im südlichen Hessen doch erkennbar an Bodenhaftung mangelte. Auch die Inszenierung vor Schloss Solitude in Stuttgart wirkt etwas neureich.

Dass sich so ein Millionär mit vier Rädern auch viel bodenständiger in Szene setzen lässt und das Ergebnis gleichwohl sehr reizvoll ist, das will ich Ihnen heute beweisen.

Tatsächlich macht sich genau so ein 1928er Millionseller aus dem Hause Chevrolet auch in einem weit moderat erscheinenden Umfeld ganz ausgezeichnet. Er war ja genau für solche braven Leute gemacht, die in adretten Holzhäusern lebten.

Das war allerdings im vorliegenden Fall nicht irgendwo in den Staaten, sondern auf dem Lande wohl im Umfeld von Berlin, wo dieses Exemplar zugelassen war:

Chevrolet von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier finden sich – vom Misthaufen abgesehen – alle Elemente wieder, die ich im letzten Blog-Eintrag hervorgehoben hatte und die uns heute wie angekündigt wieder begegnen, wenn auch in abgewandelter Form.

Die Damen sind hier zwar in höheren Sphären angesiedelt, doch steht bei Bedarf eine Leiter zur Verfügung, sollte jemand das Bedürfnis verspüren, eine von ihnen auf dem kürzesten Wege aus ihrer „Miss-lichen Lage“ zu befreien.

Natürlich wäre das nur einem ausgewiesenen Gentleman erlaubt, der sich zu benehmen weiß, solange das gewünscht wird. Er sollte zudem über gewisse Mittel verfügen, um als attraktiv wahrgenommen zu werden.

Ein wackerer Schäferhund, der ganz verliebt dreinschaut, weist den einwandfrei gekleideten Herrn schon einmal als sensiblen Kenner des Animalischen aus. Der Besitz eines bodenständigen Wagens lässt zudem einen wirtschaftlich soliden Zeitgenossen vermuten:

Habe ich etwas vergessen in der Aufzählung dessen, was ein perfektes Autofoto der Vorkriegszeit ausmacht?

Vermissen Sie technische Details wie den Hubraum (2,8 Liter) des Vierzylindermotors (Seitenventiler) oder die PS-Zahl (35)? Vermutlich kaum – denn die Wirkung dieser Aufnahme beruht auf anderen Elementen.

Ergänzen möchte ich nur, dass dieses Auto in den USA für die breite Masse erschwinglich war – praktisch für jedermann, der einer regelmäßigen Arbeit nachging. Im armen Deutschland der 1920er Jahre sah das ganz anders aus – dort war selbst so ein Chevy nur für weit überdurchschnittlich Verdienende erreichbar.

Für die wenigen, die sich hierzulande so etwas leisten konnten, war das meist das erste eigene Auto und entsprechend bodenständig präsentierte man sich, auch wenn man zu einer internationalen Millionärsschicht gehörte – den Besitzern des 1928er Chevrolet!

Dass man in der deutschen Oldtimerszene des 21. Jh. dieses Fahrzeug praktisch nicht findet, obwohl es einst durchaus einige Käufer fand, finde ich merkwürdig. So etwas ist repräsentativer für den Markt im Vorkriegsdeutschland als das meiste, was man sonst an ausländischen Fabrikaten zu Gesicht bekommt.

Ich gönne ja jedem Millionär seinen Bentley oder Bugatti, aber so ein bodenständiger Vertreter seiner Art aus dem Hause General Motors von 1928 dürfte heute an Seltenheit hierzulande alles in den Schatten stellen.

In den Staaten bekommt man so ein Gerät immer noch für deutlich weniger als 10.000 Dollar – vielleicht eine Idee für jemanden, der sich einen bezahlbaren US-Klassiker zulegen will und dem die Fords jener Zeit zu allgegenwärtig sind.

Ein bisserl abheben mag man sich dann ja doch ganz gerne, wobei die Bodenhaftung mit so einem Vertreter einer einstigen US-Millionärsdynastie immer noch gegeben ist…

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Gleich zwei fliegende Holländer? Chevrolet „Master Eagle“

Eines vorab: Irgendwelche Scherze zulasten unserer Nachbarn liegen mir nicht.

Wir Deutschen sind (wie alle Völker) gut beraten, anderen Nationen mit Respekt und Sympathie für das, was uns trotz mancher Gemeinsamkeit merkwürdig erscheint, zu begegnen. Was uns eint, ist zwar angenehm, doch erst das, was uns unterscheidet, macht Europa zu einem wundersamen Kaleidoskop der Kulturen.

So kommen auch die beiden mutmaßlichen fliegenden Holländer heute bei mir gut weg – vielleicht handelte es sich auch um fliehende Holländer, das kann keiner mehr wissen.

Ob wir es überhaupt mit Holländern zu tun haben, das überlasse ich am Ende Ihrem Urteil. Wie ich auf das sprachliche Bild kam, das erfahren Sie gleich, wenn Sie das fotografische Bild gemeinsam mit mir konsumiert haben.

Zuvor fliegen wir jedoch noch rasch über den Atlantik, blieben dabei aber in derselben Zeitzone – jedenfalls, was die Epoche angeht. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diese beiden Herren aus den Staaten, die ich hier schon einmal präsentiert habe:

Chevrolet „Master Eagle“ von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der neu wirkende Wagen, vor dem sie so lässig posieren, war eines der spannendsten US-Autos seiner Zeit – es handelt sich um einen Chevrolet „Master Eagle“ von 1933.

Der Wagen besaß eine klassische, beinahe europäische Optik mit Spitzkühler und verband diese dezent mit modernen Gestaltungselementen wie den gerade erst aufkommenden seitlichen Kotflügelschürzen und ausstellbarem Dreiecksfenster. Markant, aber nicht aufgesetzt wirken die moderat dimensionierten Luftklappen in der Haube.

Unter derselben arbeitete ein feiner Sechszylindermotor mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen (ohv) – bei den meist aus dem Hubraum schöpfenden US-Aggregaten eher die Ausnahme als die Regel. 60 PS aus gut 3 Litern Hubraum waren das Ergebnis.

Wenn einem das Gesamtpaket von den äußeren wie inneren Werten beeindruckend erscheint, muss man freilich eines wissen: Nach amerikanischen Maßstäben war das bloß ein Auto der Einsteigerklasse, darunter gab es nicht viel.

Knapp eine halbe Million Exemplare des 1933er Chevy wurden damals an den Mann gebracht – einschließlich der etwas simpler ausgestatteten 50 PS-„Mercury“-Variante.

Bei solchen Qualitäten – einschließlich synchronisiertem Getriebe beim „Master Eagle“ – und solchen Stückzahlen wäre es verwunderlich, wenn einem dieses Auto nicht auch in Europa begegnen würde.

Genau das kann ich mit dem folgenden Foto belegen, das so einen Chevrolet „Master Eagle“ bei einem Stop während einer wohl längeren Reise zeigt:

Chevrolet „Master Eagle“ von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So leicht es fällt, den Wagen wiederzuerkennen, so groß ist der Kontrast, was das Erscheinungsbild der davor abgelichteten Herren angeht.

Die beiden Fotos illustrieren aus meiner Sicht ganz nebenbei die enormen kulturellen Unterschiede zwischen dem alten Europa und der Neuen Welt – die man übrigens auch in Lateinamerika registriert, wenn man Spanien als Maßstab zugrundelegt.

Man darf sich nicht von den gemeinsamen sprachlichen Wurzeln in die Irre führen lassen – die Amis haben mit den Engländern kulturell ungefähr soviel gemeinsam wie die Brasilianer mit den Portugiesen. Das soll keine Wertung in irgendeine Richtung sein, es ist nur wichtig, um die häufigen Missverständnisse zwischen den Völkern beiderseits des Atlantiks zu „verstehen“ – sie sprechen nur vordergründig eine gemeinsame Sprache.

Nachdem wir das im Vorübergehen abgehandelt hätten, kehren wir zu unserem schön in der Landschaft geparkten Chevy von anno 1933 zurück. Mit dem „Meister-Adler“ flogen mutmaßlich zwei Holländer gen Süden, wie das heute auch noch schöner Brauch ist.

Ich komme deshalb darauf, weil ich meine, auf dem ovalen Nationalitätskennzeichen am Heck des Wagens die spiegelverkehrte Prägung „NL“ zu erkennen. Sollte ich mir das nur einbilden, dann bringen Sie mir es bitte schonend bei oder gehen Sie ganz darüber hinweg.

Denn während ich diese Zeilen schrieb, hörte ich eine Reihe verschiedener Interpretationen der Ouvertüre zur Oper „Der Fliegende Holländer“, die Richard Wagner als gerade einmal 28-jähriger schrieb, nachdem er auf der Flucht vor seinen Gläubigern eine dreiwöchige turbulente Seereise von Riga in Lettland nach London überstanden hatte.

Die Story macht den ollen Wagner, der von kleinen Geistern als umstritten tituliert wird, doch gleich viel spannnender, oder? Zugegeben: Ich habe rund 30 Jahre gebraucht, um mir seine Musik zu erschließen, aber womöglich geht das schneller, wenn man nicht mit dem Ring des Nibelungen anfängt, sondern erst einmal beim Fliegenden Holländer anheuert.

Vielleicht mag ja heute einer mitgehen auf diese Reise. Den idealen Einstieg dazu bietet nach meinem Geschmack Meister Thielemann mit dem Orchester der Festspiele Bayreuth. Er gilt in manchen Kreisen als so krass konservativ, wie das SPD-Kanzler Helmut Schmidt heute wäre, mit dem er vielleicht nicht nur den scharf gezogenen Scheitel teilt.

Thielemanns Interpretation der Overtüre zum Fliegenden Holländer ist an den richtigen Stellen so wogend-wuchtig, wie man sich das bei diesem Thema wünscht. Aber er meidet dabei die aggressiven metallisch-schneidenden Bläsereinsätze, wie sie manche andere Dirigenten (z.B. Karajan) von jeher bevorzugen.

Wagner braucht dergleichen plumpe Wochenschau-Effekte überhaupt nicht und seine romantischen Seiten sind die reine Wonne, wenn man sich auf ihn einlässt…

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Rast mit Hans… Ein Chevrolet Tourer von 1923/24

Die deutsche Sprache wird allgemein als schwer empfunden, auch von den Eingeborenen selbst – das kann man hierzulande sogar bis in höchste Ämter verfolgen.

Stolpersteine zuhauf liefert nicht nur die Grammatik, der man anmerkt, dass sie nicht von am Lateinischen geschulten Humanisten in eine klare Struktur gezwungen wurde. Nein, auch im Hinblick auf die Aussprache begegnet man irritierenden Eigentümlichkeiten.

Eine davon, die mir gar nicht bewusst war, habe ich heute abend entdeckt. Ob nun jemand mit Hans durch die Gegend „rast“ oder das genaue Gegenteil tut, nämlich eine „Rast mit Hans“ macht, das schreibt sich gleich, spricht sich aber unterschiedlich aus.

Wenn Sie nun vermuten, dass mir die abendliche rasante Runde mit dem „neu“ aufgebauten, 45 Jahre alten Peugeot-Rennrad nicht gut bekommen ist, um auf solche thematischen Abwege zu gelangen, liegen Sie falsch.

Das Zweirad erwies sich als in jeder Hinsicht erfreulich, die Simplex-Schaltung erlaubte präzise, fast lautlose Gangwechsel und der oft nervig-laute Freilauf moderner Rennräder fehlt völlig. Die früh-eisenzeitlichen Mafac-Mittelzugbremsen haben zwar ihre Grenzen, aber bekanntlich gewinnt man Rennen nicht mit der Bremse.

Für den Hausgebrauch genügen die Teile, einmal richtig eingestellt. Gleiches gilt für Seilzug- oder Gestängebremsen an antiken Autos, man fährt vorausschauend mit so etwas.

So kam ich weit schneller als gedacht wohlbehalten heim – das bisher genutzte, ähnlich alte britische Raleigh-Ross geht nun in Rente, kein Vergleich mit dem französischen Renner.

Nach dieser rasanten Hatz liegt es nahe, eine Rast einzulegen – auch in übertragenem Sinne. Die nach einem Tag am Bildschirm ersehnte Erholung für das Auge fand ich hier:

Chevrolet Tourer, Modelljahr 1923/24; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier heißt es rasten und nicht rasen, auch wenn letzterer großgeschrieben eine nicht unwesentliches Element in diesem Idyll spielt.

In Raserei kann man hier allenfalls aufgrund der reinen Freude ob eines vollkommen geglückten, rund 100 Jahre alten Autofotos verfallen.

Der Wagen selbst hätte dergleichen auch nach damaligen Maßstäben nicht ermöglicht. Dem Markenlogo begegnet man heute noch öfters selbst in deutschen Landen – erst heute abend blubberte ein mächtiger Chevrolet „Colorado“ vor unserem Hof vorbei.

Sein V8-Motor ist freilich denkbar weit entfernt von dem Aggregat, welches sich einst unter der Haube des abgebildeten Chevy verbarg. Das war nämlich nur ein simpler 4-Zylinder mit gut 20 PS Leistung (immerhin mit hängenden Ventilen).

Das genügte, um in der ersten Hälfte der 1920er Jahre dem am US-Markt (und damit zugleich weltweit) dominierenden Model T von Ford halbwegs Paroli bieten zu können.

Der Chevrolet wirkte moderner, war aber auch etwas teurer. Immerhin an die 300.000 Stück konnten in den Modelljahren 1923/24 jeweils abgesetzt werden, wobei das Erscheinungsbild fast unverändert blieb.

1923 wurden die Trommelscheinwerfer eingeführt, die wir an „unserem“ Exemplar sehen, ab 1925 änderte sich dann die Gestaltung des Kühlergehäuses, was die Datierung dieses Wagens so einfach macht.

Das „Steinschlagschutzgitter“ vor dem Kühler dürfte das Produkt eines lokalen Schlossers gewesen sein – so eine rustikale Ausführung ist mir bis dato nicht begegnet.

Die vertikale Beschiftung des Nummernschilds interpretiere ich als „Michigan 1926“, bin aber offen für andere Interpretationen.

Sicher ist nur, dass der Wagen (noch) deutschsprachigen Zeitgenossen gehörte, denn auf der Rückseite heißt es „Rast mit Hans.nach dreistündiger Autofahrt.“ Außerdem erfahren wir: „Wir haben hier 35 verschiedene große Seen“.

Vielleicht ermöglicht dieses skurrile Detail einem Kenner ja am Ende sogar die Einengung der Region, in der einst „Rast mit Hans“ angesagt war…

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Ideales Nachkriegsauto: 1934er Chevrolet „Master 6“

Mit den meisten europäischen Autos der frühen Nachkriegszeit kann ich wenig anfangen. Erst in den 60ern finden sich für meinen Geschmack jede Menge Modelle mit hinreißender Linienführung und guter Motorisierung, vor allem in Italien und England.

Ausnahmen für mich sind zum einen der Peugeot 203, der 1948 wohl das modernste Automobil europäischer Provenienz war, zugleich der einzige Franzose, welcher US-Styling gekonnt in die Alte Welt transportierte, zum anderen der britische MG Y-Type von 1947, der völlig wie ein Vorkriegsauto aussah, aber bereits die Einzelradaufhängung erhielt, die auch mein 1974er MGB GT besitzt und an der ich nichts auszusetzen wüsste.

Aber als gewohnheitsmäßiger Altautokäufer wären mir diese neu entwickelten Wagen nach dem 2. Weltkrieg vielleicht fragwürdig vorgekommen. Hätte ich in den 50ern gelebt und das nötige Kleingeld gehabt, wäre es wohl ein gut motorisierter Vorkriegs-Ami geworden.

Natürlich hätte es ein bewährtes Modell sein müssen, an dem man alle wichtigen Arbeiten selbst erledigen kann und an dem auch nach 25 Jahren nichts wirklich kaputtgehen kann.

Ein Ford V8 hätte in das Schema gepasst, der ja auch in Deutschland gebaut worden war und viele Käufer gefunden hatte. Aber es gab einen Konkurrenten, der zwar nur einen Reihensechszylinder besaß, aber für mich klassischer wirkte – der 1934er Chevy.

Wie, unser Blogwart hätte sich für so ein US-Massenfabrikat begeistert, das in den Staaten sich jeder leisten konnte, der irgendeiner ehrlichen Arbeit nachging?

Nein, nein, liebe Leser, ich rede nicht vom braven 1934er Chevrolet „Standard Six“ mit lediglich 60 PS und begrenzter Auswahl an Aufbauten (fünf). Mein Favorit wäre die Mittelklasseausführung „Master Six“ gewesen, von der wir hier ein Beispiel sehen:

Chevrolet „Master Six“ Limousine von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die verchromten Lampengehäuse und die schmalen Kühlerstreben verraten uns, dass dieser 1934er Chevrolet ein „Master Six“ war. Der verfügte über ein in der Tat meisterliches Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen (ohv), das aus 3,4 Litern Hubraum 80 PS holte.

Damit wäre die souveräne Leistung gesichert gewesen, die ich für meine Reiseaktivitäten als ideal angesehen hätte. welche regelmäßig die Überquerung der Alpen beinhalten.

Alles schön und gut, werden Sie jetzt denken, aber so eine brave Familienkutsche wie auf obigem Bild aus deutschen Landen würde der Blogwart doch sicher nicht favorisiert haben. Da haben Sie vollkommen recht.

Aber seien Sie nicht zu streng mit der abgebildeten Limousine – sie liefert mit den drei horizontalen Luftschlitzen in der Haube, die von oben nach unten kürzer werden, wichtige Hinweise zur Identifikation des 1934 Chevrolet, für den ich – sagen wir Ende der 50er Jahre, als dieses Foto entstand – alles andere hätte stehengelassen:

Chevrolet „Master Six“ Cabriolet von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was sagen Sie jetzt? So eine offene Version des 1934er Chevy mit 80 PS unter der Haube war doch auch Ende der 50er schwer zu schlagen gewesen, oder?

Nimmt man an, dass dieses Exemplar als Extra nicht nur die seitlich montierten Reserveräder hatte, sondern auch die ab Werk optional verfügbare Heizung und das Radio, hätte man 25 Jahre nach der Produktion nichts Wesentliches vermissen müssen.

Und wenn einem später so ein Vorkriegs-Chevy dann doch untermotorisiert und zu wenig komfortabel vorgekommen wäre, dann hätte man ihm ja doch noch einen V8 mit rund 5 Liter Hubraum und Drehmoment ohne Ende, eine Automatik und eine gediegene Innenausstattung verpassen können.

Wie das ausssehen kann, das zeigt dieses äußerlich wie technisch modernisierte Exemplar, dem man aber immer noch ansieht, das es einmal ein 1934er Chevrolet „Master Six“ war.

Ich weiß, das Ergebnis ist nicht jedermanns Sache, aber die Amis sind auch in Sachen „Oldtimer“ ultraliberal – jeder kann mit seinem Auto machen, was er will, nur gut machen sollte er es…

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Aktuelle Analyse aus Berlin: Chevrolet & Co anno 1928

Heute bekommen Sie zur Abwechslung nur harte Fakten präsentiert – naja, sagen wir fast. Um ein passendes Bild zur Stimmungslage kommen wir dennoch nicht herum.

Keine Sorge, auf aktuelles Geschehen in der Hauptstadt gehe ich mit keinem Wort ein. Dafür gibt es eine nüchterne Betrachtung der dortigen automobilen Verhältnisse im Jahr 1928.

Die Daten dazu sind gut abgelagert, kommen aber zeitgemäß aufbereitet daher. Die Chose hat mich einige Auseinandersetzung mit den Algorithmen von ChatGTP gekostet.

Grundlage für diese Alternativbeschäftigung zum Fernsehkonsum, dem ich mich seit gut 35 Jahren verweigere – ich habe keine Zeit für Zeitverschwendung – ist eine Aufstellung, welche die deutsche „Auto Revue“ Ende der 1920er Jahre veröffentlichte.

Dabei handelte es sich um eine Übersicht aller Ende Oktober 1928 im Großraum Berlin zugelassenen Automobile (vermutlich ohne Lkw, Busse und dergleichen). Berücksichtigt sind darin rund 33.000 damals in Groß-Berlin zugelassene Fahrzeuge, also auch ältere.

Die Auflistung umfasst knapp 90 Hersteller, außerdem 670 Exemplare der wieder aktuellen Gattung „Diverse“.

Klingt zunächst eindrucksvoll. Doch bei einer Einwohnerzahl von gut 4 Millionen im Raum Groß-Berlin anno 1928 kam gerade einmal ein Auto auf 130 Einwohner. Im übrigen Deutschland sah es noch düsterer aus, denn von Metropolen wie Hamburg, Köln, Dresden und München abgesehen waren PKW damals ein seltener Anblick.

Wie sehr das Automobil Ende der 20er in Deutschland noch ein Luxusgegenstand war, und wie hoch der Anteil ausländischer Fabrikate war, das vermittelt folgende Grafik, die ich besagter KI abgerungen habe:

Top 20-Hersteller im Großraum Ende Oktober 1928; Grafik aufbereitet mit ChatGTP

Ich hoffe, Sie wissen die von mir beabsichtigte „Vintage“-Optik der Darstellung ebenso zu würdigen wie die 3D-Wiedergabe mit den Landesfarben der jeweiligen Hersteller.

Ja, etwas stimmt nicht mit den Farben der drei höchsten Säulen und die französische Flagge ist verkehrtherum. Aber irgendwann ist Schluss mit der Optimiererei.

Trotz Erziehung zu preußischem Perfektionismus im Detail weiß ich auch den pragmatischen US-Grundsatz zu beherzigen: „Don’t get it right, just get it done.“

Ich bin jedenfalls zufrieden mit dem Ergebnis. Zu beachten ist, dass ich nur die 20 wichtigsten Hersteller aus besagter Statistik einbezogen habe. Das Bild ändert sich dadurch nicht wesentlich, aber die Anschaulichkeit ist gleichzeitig größer.

Die zentrale Botschaft ist die, dass rund ein Drittel der 1928 in Berlin zugelassenen Wagen ausländische Fabrikate waren. Da darin auch viele Fahrzeuge enthalten sind, die schon einige Jahre auf dem Buckel hatten, ist das natürlich kein exaktes Bild des aktuellen Käuferverhaltens.

Dennoch ist die Tendenz eindeutig: Mit Abstand größter Konkurrent waren damals US-Fabrikate, lediglich Fiat konnte daneben nennenswerte Marktanteile erringen.

Von den deutschen Herstellern waren nur Opel und Mercedes wirklich bedeutsam, der hohe Anteil von NAG & Co spiegelt lediglich die Aggregierung von drei Marken wider.

Adler und Brennabor spielten trotz ihrer großen Geschichte nur noch eine Nebenrolle, wobei die Adlerwerke sich in den 30ern noch einmal zu einem letzten großen Flug aufschwangen.

Achtbar war die Rolle von Horch, während sich die Nachfrage gutsituierter Berliner nach Luxuswagen ansonsten breit auf Exoten von Austro-Daimler, Cadillac, Delage, Gräf & Stift, Hispano-Suiza, Minerva und andere verteilte, die unter den Top-20 nicht auftauchen.

Auch 59 Bugattis sind in der Berliner Zulassungsstatistik von anno 1928 vermerkt. Doch so sehr diese Wagen eine Klasse für sich waren, schlägt mein Herz doch für Autos, die weit bodenständiger waren, aber heute zumindest in deutschen Landen noch seltener sind.

Ein Bugatti oder zumindest ein Wagen, der so aussieht, findet sich ja auf jeder besseren Klassikerveranstaltung hierzulande und ich freue mich ganz naiv darüber.

Aber, Hand auf’s Herz; wie selten ist dagegen heute in Deutschland ein schnöder Chevrolet aus dem Jahr 1928, als die heute aufbereitete Statistk entstand! Hier haben wir ein typisches Exemplar mit Berliner Zulassung – einer von 1.514 Chevies, die damals dort fuhren:

Chevrolet Modelljahr 1928 mit Berliner Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Interpretation dieser Szene und die Charakterstudie ihrer Protagonisten überlasse ich diesmal begabten Lesern – ich bin nach dem heutigen Ringen mit ChatGPT noch ganz im Zahlenrausch.

Was meinen Sie, wieviele dieser Wagen Chevrolet allein im Jahr 1928, das wir heute betrachtet haben, herstellte?

50.000? 150.000? 500.000? – Weit gefehlt. Knapp 1,2 Millionen Exemplare waren es – in einem Jahr, wohlgemerkt. Hauptkonkurrent Ford, der damals mit der Umstellung auf das neue Model A beschäftigt war, brachte es anno 1928 auf „nur“ rund 630.000 Stück.

Aber das waren ja bloß „Massenfabrikate“ – so die hilflosen Sprüche der deutschen Hersteller, die irgendetwas von unübertroffener Werkmannsarbeit erzählten, während der heimische Arbeiter ein bitterarmer Schlucker blieb, für den schon ein Fahrrad ein Luxus war.

Soviel zur aktuellen Analyse aus dem Berlin der späten 1920er. Irgendwann muss man auch einmal fertigwerden, denn es gibt noch so vieles anderes zu tun.

Wie sang schon vor 50 Jahren die italienische Diva „Mina“? „L’importante e finire“ – „Es kommt darauf, zum Ende zu kommen“, was auch immer damit gemeint sei….

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Angebot trifft Nachfrage: Chevrolet Roadster von 1926

Für Ökonomen wie mich – und alle Leute mit praktischem Hausverstand – besteht Wirtschaften darin, wie sich eine prinzipiell unbegrenzte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mit dem naturgemäß begrenzten Angebot zur Deckung bringen lässt.

Das bisher beste Verfahren zur Messung unvermeidbarer Knappheit und zur effizienten Lenkung von Ressourcen ist der Preismechanismus. Der Preis zeigt Knappheiten an und gibt den Wirtschaftssubjekten Signale sowohl, was lohnende Investionen zur Ausweitung des Angebots betrifft, als auch im Hinblick auf die Verwendung begrenzter Mittel für Güter und Dienstleistungen mit individuell maximalem Nutzen.

Das ist – kurz gefasst – das Leitmotiv in der Ökonomie, das quasi naturgesetzlichen Charakter hat. Es hat nichts mit Ideologie oder Gesellschaftsentwürfen zu tun, es beschreibt schlicht Tatsachenzusammenhänge in unserer Welt.

Der Menschheit wäre erheblich geholfen, wenn nicht ständig irgendwelche bildungs- und arbeitsmarktfernen Zeitgenossen auf dem Planeten die Idee hätten, das preisorientierte Verfahren zur Lenkung knapper Ressourcen durch zentrale Lenkung oder irgendwelche ideologisch begründete Prinzipien zu ersetzen. Das Ergebnis ist immer Verarmung der breiten Masse, während sich die Oberschicht ungestört sanieren kann.

Stellen wir uns einmal vor, man wäre im Europa ab Mitte der 1920er Jahre so dumm gewesen, Autoexporte aus Übersee zu verbieten oder durch Strafzölle zu verteuern.

Hätten sich die Konsumenten dadurch in der Breite besser gestellt? Hätte die heimische Autoindustrie dann zum Ausgleich mehr produziert? In beiden Fällen lautet die Antwort: nein.

Betrachten wir die Sache anhand dieses Fotos:

Chevrolet „Roadster“ von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir – anhand der Kühlergestaltung und der Scheinwerferstange zu identifizieren – einen Chevrolet des Modelljahrs 1926, zugelassen in der lettischen Hauptstadt Riga.

Nach US-Maßstäben war das neben dem Model T von Ford ein absoluter Billigheimer – praktisch jeder in den Staaten konnte sich dieses Auto leisten (und zwar neu!).

Zugunsten des Chevys lässt sich anführen, dass sein 26 PS leistender Vierzylinder dank im Zylinderkopf hängender Ventile effizienter und drehfreudiger war als der des Ford.

Wie bei allen US-Marken waren trotz Massenproduktion alle gängigen Karosserieformen erhältlich. Hier haben wir den offenen Zweisitzer-Aufbau, der als „Roadster“ firmierte.

So, jetzt stellen wir uns vor, den Granden der lettischen Regierung hätte der Import solcher Autos aus den USA nicht gefallen – etwa weil sie „unnötigen Luxus“ darstellen. Dann hätte davon schon einmal nicht die inländische Autoindustrie profitiert, denn die gab es nicht.

Die potenziellen Käufer hätten sich stattdessen mit Eisenbahn, Pferdefuhrwerk oder Fahrrad begnügen müssen – alles Transportmittel mit gewissen Reizen, aber auch Limitierungen.

Wenn gut betuchte Letten partout ein Automobil besitzen wollten und dafür einen Haufen (eigenen) Geldes auf den Tisch zu blättern bereit waren, liegt es auf der Hand, dass der Wagen für sie einen erheblichen zusätzlichen Nutzen stiftete.

Und wenn das entsprechende Angebot nun einmal nur aus dem Ausland kam, war das hinzunehmen. Ob dadurch Devisen abflossen, war egal, denn die Käufer konnten mit ihrem Geld machen, was sie wollten, solange sich einer fand, der es in Dollar konvertierte.

Konsumentensouveränität nennt man das – für sich überlegen dünkende Gesellschaftsklempner schwer akzeptabel. Aber: Der Staat ist für die Bürger da, nicht umgekehrt. Die Regierung ist Angestellter des Souveräns, nicht seine Gouvernante.

Jetzt stellen wir uns aber einmal vor, es habe in Lettland eine Automobilindustrie gegeben. Hätte die Regierung dann diese vor dem „unlauteren“ Wettbewerb der billigen US-Autohersteller schützen sollen?

Nein, und das nicht nur, weil diese wahrscheinlich gar nicht diesen sehr amerikanischen Roadster-Typ angeboten hätte. Sondern auch deshalb nicht, weil die Interessen der Industrie aus ökonomischer Sicht nicht über denen der Konsumenten stehen.

Die Produzenten haben die Aufgabe, einer bestehenden Nachfrage in einer Volkswirtschaft ein bestmögliches Angebot gegenüberzustellen. Es ist nicht Aufgabe der Konsumenten, ein möglicherweise unterlegenes Angebot zu unterstützen.

Vom Wettbewerb „bedrohten“ Anbietern steht es frei, ihre Produkte wettbewerbsfähig zu machen oder innovative Produkte aufzulegen, um selbst einen Vorsprung zu erlangen. Gelingt ihnen das nicht, gibt es daran nichts zu bedauern, solange ein alternatives Angebot besteht, welches den Konsumenten das liefert, was sie wollen.

Genau das ist, was auf dem europäischen Kontinent in den 1920er Jahren am Automarkt geschah. Die Käufer des Chevrolets aus Riga haben ihren Wagen nicht gekauft, weil sie „vaterlandslose Gesellen“ waren.

Sie entschieden sich schlicht für das Angebot, das ihrer Nachfrage am besten entsprach und das war für ihren Lebensstil nun einmal dieser für sie bezahlbare Zweisitzer-Chevrolet.

So gut wie alles, was wir täglich freiwillig nutzen – und seien es Smartphones, um auf „X“ über den Kapitalismus zu schimpfen – sind Ergebnis eines weitgehend ungestörten Spiels von Angebot und Nachfrage – nicht „wohlmeinender“ zentraler Planung.

Kurioserweise waren die stets mit Varianten des Zentralismus liebäugelnden Deutschen solange mit den Tatsachen der Marktwirtschaft einverstanden, wie ihre Produkte den Weltmarkt beherrschten. Doch als die Japaner den Spieß umdrehten und auf einmal die besseren Angebote machten – bei Kameras, Stereoanlagen, Autos usw. – da war der Wettbewerb plötzlich schlecht, sollte sozialverträglich eingehegt oder ganz abgewürgt werden.

Das Ergebnis dieser marktfernen und wettbewerbsfeindlichen Mentalität können wir heute auf allen Ebenen besichtigen. Was einst der Ami besorgte, erledigt heute der Chinese und der kauft im Zweifelsfall noch die Reste der strangulierten deutschen Industrie auf.

Das ist das Gesetz der Ökonomie und egal, was die Regierung auch an Subventionen verschleudert oder sonstigem Weihrauch verteilt, man kommt an den langfristigen Konsequenzen nicht vorbei, wenn man sich nicht den Realitäten des Markts stellt.

Auch das ist die Botschaft solcher alten Autofotos, ob es einem gefällt oder nicht…

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„Outdoor“-Freunde mit Stil: Chevrolet Sedan von 1931

Bei Wind und Wetter draußen unterwegs zu sein – ausgekühlt, eingesaut oder durchgeschwitzt, das kenne ich von Kindesbeinen an.

Sei es mit Freunden durch Wald und Wiesen streunend, mit dem Fahrrad in Taunus und Vogelsberg oder später in den Semesterferien als Helfer auf archäologischen Grabungen in meiner Heimatregion- der hessischen Wetterau.

Ach ja, beim „Bund“ habe ich auch das volle „Outdoor“-Programm genossen – als Panzergrenadier mit Grundausbildung in Herbst und Winter, was ich schon einmal den auffallend vielen ungedienten Schreibtisch-Kriegern unserer Tage voraus habe.

Ich kann mich nicht erinnern, dass bei irgendeiner dieser Aktivitäten die Hervorbringungen der rührigen Outdoor-Fashionbranche eine Rolle gespielt hätten. Ich bin mit 100 % Naturmaterialien und der Natur entlehnten Farben großgeworden, ohne je dem Kult der „Grünen“ nahegestanden zu haben.

So halte ich es auch heute: An die frische Luft geht es mit Lederschuhwerk, Baumwolle, Leinen oder Schurwolle – meine liebe Mutter hat mich diesbezüglich sehr „streng“ erzogen, wofür ich ihr ewig dankbar bin.

Wenn ich vom Schreibtisch aus auf die Straße schaue, die zum örtlichen Rosenmuseum führt, bekomme ich bisweilen das ganze Spektrum farbenfroher Polyester-Derivate in Form von Jacken und Rucksäcken geboten, wenn eine Reisegruppe bei völlig normalem Wetter in einer Aufmachung draußen vorbeizieht, als habe sich eine Himalaya-Expedition verirrt.

Dabei scheint gerade bei den älteren Herrschaften (m/w/d) der Irrtum verbreitet zu sein, dass Farben aus dem Kita-Wachsmalkasten wie Giftgrün, Knallgelb und Neonpink irgendeinen Verjüngungseffekt bewirken könnten.

Zumindest in der Hinsicht war früher fast alles besser – denn heillos geschmacksverirrte Zeitgenossen waren noch die Ausnahme, wenn man alten Fotos wie diesem traut:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

So stilvoll präsentierten sich diese „Outdoor“-Fanatiker vor gut 90 Jahren. Es muss einer der ersten sonnigen Frühlingstage gewesen sein.

Doch die Luft war noch kühl und man war gut beraten, mit Mantel und Kopfbedeckung vor die Tür zu gehen. So ein Barett oder eine Schiebermütze hat weit mehr Pep als eine Baseballkappe – die ich als US-Brauchtum durchgehenlasse, bei uns aber keine Tradition hat.

Gut gefällt mir, dass einst auch die Herren Bein zeigen durften – aber im Unterschied zu den Damen nur blickdicht bestrumpft, weil man sich der Grenzen des Vorzeigbaren noch sehr bewusst war.

Wenn Sie das jetzt uninteressant oder deplatziert finden – ich weiß, in Deutschland sind Äußerlichkeiten vielen inzwischen völlig egal – kann ich es nicht ändern. Ich schreibe hier, was mir gefällt – und dazu gehört neben Vorkriegsautos eben auch das:

Wenn ich mir das Erscheinungsbild dieser Leute betrachte, bin ich einfach der Meinung, dass mit der Vorkriegszeit nicht nur in Sachen Automobilstil etwas verlorengegangen ist, dem man nachtrauern mag, das aber auch Inspiration für’s Heute birgt.

Kulturhistorisch interessant ist zudem die Tatsache, dass es die Städter damals wie heute auf’s Land trieb und man das Erlebnis suchte, sich irgendwo im Grünen niederzulassen, den Ausblick, den Geruch und die Weite des Himmels zu genießen.

Nun, wir kommen von „draußen“, denn die Welt unserer direkten Vorfahren, die in der Jungsteinzeit hiesige Gefilde besiedelten, war eben keine der betonierten Großstädte, in denen uns neuerdings verwirrte Ideologen möglichst platzsparend einkerkern wollen.

Bleibt die Frage, was unsere „Outdoor“-Freunde damals für einen Wagen fuhren. Gewiss nahmen Gleichgesinnte gern das Rad, schon deshalb weil das Kleingeld für ein motorisiertes Gefährt bei weitem nicht reichte.

Doch wer konnte, nahm natürlich das Auto, denn damit kam man weiter und schneller dorthin, wo es besonders schön war. Im vorliegenden Fall war es ein Chevrolet, der hier geduldig am Wegesrand wartet:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Den entscheidenden Hinweis auf die Marke gibt der Umriss des Emblems auf den Radkappen – übrigens heute fast unverändert Ausweis eines „Chevies“.

Dass wir es mit einem US-Fabrikat zu tun haben, darauf deuten auch die bei Mittelklassewagen deutscher Provenienz eher seltenen Drahtspeichenräder hin.

Im Fall von Chevrolet wurden sie ab dem Modelljahr 1930 verbaut, der Vorgänger besaß Scheibenräder. Die Gestaltung der Haubenschlitze erlaubt dann eine Datierung auf 1931.

Technisch war der Chevrolet in den Staaten ein solider Billigheimer – im damaligen Deutschland dagegen war der 6-Zylinderwagen mit 50 PS ein durchaus gehobenes Fahrzeug.

Damit konnte man sich „outdoor“ sehen lassen, etwa hier irgendwo am Strand:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Hier haben wir eine sonst weitgehend identische Ausführung als viertürige Limousine mit Zweifarblackierung, welche den Wagen weit attraktiver erscheinen lässt.

Was hier so repräsentativ erscheint, war wie gesagt in den Staaten ein erschwingliches Automobil für jedermann – über 620.000 Stück wurden davon 1931 gebaut.

Doch schon damals waren bereits die Tage gezählt, als man sich noch draußen mit Stil zu bewegen wusste. Die Nachkriegszeit war in vielerlei Hinsicht ein Segen, doch ab Ende der 60er (in die mein Geburt fiel) begann aus meiner Sicht ein Niedergang in ästhetischer Hinsicht, dessen Ergebnisse wir heute auf allen Ebenen besichtigen müssen….

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auf ein Bier mit der Cousine! Chevrolet Modelljahr 1927

Das Fotodokument, das ich erst vor ein paar Tagen erworben habe – wie immer für eine handvoll Euros – ist in vielerlei Hinsicht ein liebenswertes Dokument. Dabei ist das Auto, das darauf abgebildet ist, nun wirklich nichts, für das man sich entflammen kann.

Wir haben es nämlich mit einem braven Chevrolet des Modelljahrs 1927 zu tun, der einen 26 PS leistenden Vierzylinder besaß und auch sonst konventionell daherkam – wahrlich kein Aufreger in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Aber man hüte sich in diesem Fall vor der Arroganz, mit der das Alte Europa selten gut gefahren ist. Tatsächlich wurde der auf den ersten Blick so banale Chevy auch hierzulande geschätzt, und das hatte gute Gründe:

Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Herrschaften (m/w/d – soviel Zeit muss sein…) kommen Ihnen vielleicht bekannt vor – ich habe sie nämlich schon einmal mitsamt ihrem Chevrolet aus dem Jahr 1927 vorgestellt.

Das waren deutsche Landsleute und ich habe keinen Zweifel, dass sie in einer grundsoliden Villa der Jahrhundertwende aus massivem Ziegelmauerwerk mit 3,50 Meter hohen Decken, Stuck und Holzvertäfelungen residierten.

Eigner einer solchen – ob ihrer ästhetischen Qualitäten und Dauerhaftigkeit immer noch hochgeschätzten – Immobilie zu sein, das war im Deutschland der Vorkriegszeit die Voraussetzung, sich auch nur irgendein einfaches Automobil leisten zu können.

Von der Armut der breiten Masse hierzulande macht man sich heute keine Vorstellung.

Das empörende Elend der deutschen Unter- und Mittelschicht wird von den Fotos der „Goldenen 1920er“ Jahre überstrahlt, die meist aus der Metropole Berlin stammen und bei aller Großartigkeit ein völlig falsches Bild jener Epoche zeichnen.

Wie gesagt, mit ihrem kleinen Chevrolet standen diese Leute damals ganz klar auf der Seite der Privilegierten in Deutschland.

Nur am Rande sei darauf verwiesen, dass man das 1927er Modell an der kleinen Spitze erkennt, die in den Kühlergrill hineinragt – darüber sieht man das unerwechselbare Markenlogo, das noch heutige Chevies tragen.

Soviel zur ersten Einordnung. Jetzt wechseln wir auf die andere Seite des Atlantiks.

Von dort schickten anno 1933 deutsche Auswanderer das folgende Foto an die Verwandschaft in Good old Germany, das sich gerade anschickte, auf eine damals noch unabsehbare Höllenfahrt zu gehen:

Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lassen Sie sich nicht von dem Schriftzug „Milwaukee“ auf dem Kühler des hier abgebildeten Wagens auf eine falsche Fährte locken.

Natürlich ist auch dieses Auto ein 1927er Chevrolet, aber die Besitzer waren gut integrierte Lokalpatrioten und wollten unbedingt den Namen der größten Stadt im US-Bundesstaat Wisconsin festgehalten wissen, wo ihr Auto zuhause war.

Im Unterschied zu dem in Deutschland zugelassenen Wagen verfügte dieses Exemplar nicht über die aufpreispflichtige Vorderstoßstange und die unterschiedlichen Reifenprofile künden von einer damals verbreiteten Nonchalance in dieser Hinsicht.

Oje, denkt nun der gemeine Mitteleuropäer, das müssen arme Leute gewesen sein. Das sieht man ja auch an dem schlichten Holzhaus, nicht wahr?

Ja, das waren damals Leute, die eher am unteren Ende der sozialen Stufenleiter angesiedelt waren – gemessen an den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten zumindest.

Doch für Überheblichkeit gibt es nicht den geringsten Anlass – speziell nicht aus Sicht eines Betrachters aus Deutschland. Noch heute macht sich mancher lustig über die Holzhäuser der Amis – dabei waren und sind wir das Schlusslicht, was Immobilienbesitz in Europa angeht. Das passt so gar nicht zur Erzählung vom reichen Deutschland, nicht wahr?

Schon in den 1930er Jahren verfügte hierzulande vor allem der Fiskus über kolossales Vermögen und plünderte dafür die Bevölkerung aus. Ab 1933 – also als dieses Foto entstand – waren unermessliche Mittel für Autobahnen vorhanden, doch der gemeine „Volksgenosse“ konnte nicht darauf fahren, weil es bestenfalls für ein Moped reichte.

Dass er vielleicht zur Miete in einem der grandiosen Gründerzeithäuser mit Stuck, schmiedeeisernen Balkongittern und Holzvertäfelung wohnte, nutzte ihm herzlich wenig, wenn er einmal zur Cousine fahren wollte, die weit draußen auf dem Lande wohnte.

Da musste er zusehen, wie er mit der Eisenbahn möglichst weit kam, um den Rest der Strecke zu Fuß zurückzulegen – oder als Passagier auf einem von Ochsen gezogenen Heuwagen. Autos werden ihm dabei kaum begegnet sein.

Auf einmal sehen wir die Situation aus den Staaten mit ganz anderen Augen:

Die beiden Kinder tragen Schuhe – im Deutschland der Vorkriegszeit liefen die Kleinen auf dem Land barfuß herum – und man hat Geld, um sich Haustiere leisten zu können.

Oder haben Sie etwa die drei Kätzchen übersehen, die hier von dem Buben mit aufmerksamem Blick bedacht werden und noch nach 90 Jahren das Herz erfreuen?

Der Junge hieß Kenneth und er ist hier mit seiner älteren Cousine zu sehen, die skeptisch in die Kamera schaut. Mit der Puppe im Arm scheint sie nicht so recht glücklich zu sein.

Sollte ihre Leidenschaft eher den kuscheligen Vierbeinern gegolten haben oder gar der Benzinkutsche im Hintergrund?

Wir wissen es nicht, nur dass die beiden gerade ein „Glass“ Bier tranken, das ist jedenfalls auf der Rückseite in nur noch mühsam beherrschter deutscher Sprache überliefert. Ob das ein Scherz war oder amerikanische Wirklichkeit, lässt sich nicht sagen.

Kein Scherz, sondern grundsolide Wirklichkeit war der Chevrolet im Hintergrund – und zwar auch bei einfachen Leuten in vermeintlich primitiven Holzhäusern. Dort stand damals nämlich mit großer Selbstverständlichkeit entweder ein Ford oder ein Chevy vor der Tür.

Dazu musste man gerade nicht vermögend sein. Jeder, wirklich jeder konnte sich in den USA Ende der 1920er Jahre ein ordentliches Auto leisten. Möglich machte das der in Deutschland damals wie heute mit Schaum vor dem Mund kritisierte Kapitalismus.

Ohne den wäre Chevrolet nicht imstande gewesen, im Modelljahr 1927 sage und schreibe 1 Million Fahrzeuge dieses Typs zu fertigen. Um genau zu sein: 1.001.820 Exemplare.

Wenn Sie die Wahl hätten zwischen einer kernsoliden Mietskaserne im Berlin jener Zeit, vielleicht garniert mit einem mühsam zusammengesparten Fahrrad im Keller, und einem hübschen Holzhaus irgendwo auf dem Land in Wyoming, vor dem ein 1927er Chevy steht, wie würden Sie entscheiden?

Um mit der draußen auf dem Land wohnenden Cousine ein Bier trinken zu können – ich würde freilich einen Wein bevorzugen, sie wohl auch – und mit den Kätzchen zu spielen, dafür würde ich die durchaus vorhandenen Zumutungen des Kapitalismus jederzeit denen des Sozialismus jedweder Couleur vorziehen – damals wie heute.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Masse mit Klasse: Chevrolet Coupé von 1927

„Klasse statt Masse“ – so pflegen die Gourmets in so ziemlich allen Bereichen zu sagen, in denen es auf Kennertum und Exklusivität ankommt. Und wer unter uns Vorkriegsauto-Enthusiasten würde sich nicht für die meisterhaften Manufakturwagen jener Zeit begeistern?

Als Freund des „sowohl als auch“ und unverbesserlicher Kapitalismus-Sympathisant schlägt mein Herz jedoch ebenso für die industrielle Massenproduktion, welche Klasse auch der Masse zugänglich macht – was Snobs stets zuwider war und bis heute ist.

Was ist denn auch so ein kompakter Vierzylinder-Wagen mit nicht einmal 30 PS Leistung, der obendrein reichlich bieder daherkommt?

Nun, das kann ein selbst für recht gut Situierte unerschwingliches Manufakturauto aus deutscher Produktion mit banalster Technik sein – dann wird es heute dennoch gefeiert, weil es so ungeheuer selten ist (und schon zur Entstehungszeit war).

Es kann aber auch einer der von vielen geringgeschätzten US-Großserienwagen sein, die erstmals jedermann – wirklich jedermann – den Besitz eines Automobils ermöglichten.

Neben Ford war es vor allem die Marke Chevrolet, die um die Mitte der 1920er Jahre unbegrenzte Mobilität für die Masse ermöglichte.

Im Modelljahr 1927 knackte der Hersteller erstmals die Marke von 1 Millionen Fahrzeugen – keineswegs kumuliert seit dem ersten „Chevy“ von anno 1912, sondern pro Jahr!

Dass aus dieser in Europa völlig unvorstellbaren Masse durchaus Klasse werden konnte, das will ich heute anhand einiger „neuer“ alter Fotos zeigen.

Zur Auffrischung der Erinnerung aber erst einmal eine Aufnahme eines dieser 1927er Chevrolets, welche ich schon einmal präsentiert habe:

Chevrolet 4-Türer von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser 4-türigen Limousine sind alle wesentlichen Details zu sehen:

Der Kühler mit dem Markenlogo und der ins Kühlernetz hineinragenden Spitze, die es nur 1927 gab, die Stahlscheibenräder mit sechs Radbolzen, die konisch geformten Scheinwerfergehäuse und die Zierleiste, die von der Motorhaube kommend die gesamte Flanke entlangläuft.

Mit solchermaßen geschärftem Blick können wir uns nun der nächsten Variante über das Thema „Masse mit Klasse“ nähern.

Hier finden wir alle erwähnten Details wieder, doch nun in Kombination mit einem nur zweitürigen geschlossenen Aufbau – in den Staaten als „Coach“ bezeichnet, während der Viertürer als „Sedan“ firmierte:

Chevrolet 2-Türer von 1927; Originalfoto aus Familienbesitz (Jochen Kruse)

Auch mit nur zwei Türen waren diese Herrschaften einst mit Klasse unterwegs – denn im Deutschland der 1920er Jahre war selbst ein solcher Chevrolet für die allermeisten Bürger ein unerschwingliches Luxusobjekt.

Klasse finde ich an diesem Exemplar nicht zuletzt, dass wir die Namen der Besitzer kennen, welche vorne sitzen: Am Steuer haben wir Lotte Engler und neben ihr Ehemann Franz. Sie waren die Großeltern von Jochen Kruse, dem wir dieses schöne Dokument verdanken.

Hinten war offenbar reichlich Platz für die Passagiere – amerikanische Serien-„Kleinwagen“ waren stets erwachsene Autos, keine mitleiderregenden Minimalmobile, wie sie so viele deutsche Phantasten in den 1920er Jahren ohne Erfolgsaussicht zu bauen versuchten.

Na, haben Sie sich schon ein wenig mit dem Konzept Masse mit Klasse vertraut gemacht?

Dann werden Sie keine Mühe haben, auch den folgenden Wagen als 1927er Chevrolet anzusprechen, obwohl die Chancen aus dieser Perspektive für gewöhnlich schlecht stehen:

Chevrolet 2-Türer von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst ohne den „Chevrolet“-Schriftzug auf der Reserverradhülle ließe sich dieser Wagen identifizieren. Zwar wies das 1928er Modell noch ähnliche Details auf – doch der kurze Radstand verweist klar auf 1927.

Die beiden Damen, denen wir hier beim Einsteigen zusehen dürfen, sehen nicht so aus, als sei ihnen dieses Massenfabrikat in irgendeiner Weise peinlich – im Gegenteil werden sie gewusst haben, dass ein solcher Wagen im damaligen Deutschland der vermögenden Klasse vorbehalten war. Der Durchschnittsbürger besaß bestenfalls ein Fahrrad.

Doch selbst bei den Privilegierten, welche sich hierzulande einen Chevrolet leisten konnten, den in den Staaten jeder Arbeiter oder Bauer fuhr (wenn er nicht Ford bevorzugte) war zwecks Abgrenzung von der bloßen Masse in Sachen Klasse noch etwas drin.

Schauen Sie sich dazu einmal dieses Exemplar an – das ist doch eine Klasse für sich:

Chevrolet Sports Coupe von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Für den an der Masse geschulten Blick ist der Fall klar: Auch das muss ein 1927er Chevrolet sein, aber einer mit Extra-Klasse!

Selbst die Nieten für den innenliegenden Halter des Vorderkotflügels sind an der richtigen Stelle. Oberhalb der „Gürtellinie“ ist dieses Exemplar aus deutschen Landen jedoch eigen.

Ganz offensichtlich handelt es sich um die seltene Ausführung als zweisitziges Coupe mit im Heck befindlichen „Schwiegermuttersitz“ – im Amerikanischen als „rumble seat“ bezeichnet.

Das wäre es schon fast gewesen – viel mehr muss man über diesen Vertreter des basisdemokratischen Konzepts „Masse mit Klasse“ gar nicht wissen.

Eines vielleicht aber doch: Der 1927er Chevy besaß sogar im Zylinderkopf hängende Ventile, ganz entgegen dem Standard, welcher Seitenventile bis in die 1930er Jahre vorsah.

Das und weiteres erfahren wir im folgenden Video, das einen Überlebenden genau dieses Typs zeigt, natürlich in den USA, wo noch tausende dieser prinzipiell für die Ewigkeit gemachten Wagen existieren.

Mit den Chevys und Fords der Vorkriegszeit ist auch heute für jedermann erschwingliche Vorkriegsmobilität möglich, wenn man Sinn für die Klasse eines gut abgestandenen Originals und kein Snob-Problem mit Masse hat…

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von Ben Logan

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eleganter geht’s nicht: Chevrolet von 1925/26

Einige Leser konsumieren meinen Blog noch des Nachts kurz nach Erscheinen des neusten Eintrags, andere schätzen die Lektüre zum Frühstück, wiederum andere kommen erst abends dazu.

Sie alle eint das Vergnügen an einer im deutschen Sprachraum einzigartigen Auseinandersetzung mit der Welt des Vorkriegsautomobils – sehr subjektiv, aber mit dem Anspruch, der Vielfalt an Herstellern, Konstruktionen und Gestaltungsformen einigermaßen umfassend (und unterhaltsam) gerecht zu werden.

Mal geht es dabei weit in die Frühzeit zurück, dann steht die „Nietenzählerei“ im Vordergrund (keine Anspielung auf die Regierung, übrigens). Ein andermal wird genüsslich eine rare Ausführung mit Manufakturkarosserie zelebriert. Bisweilen – eher die Ausnahme – wird auch technischen Besonderheiten Raum gegeben.

Meine bevorzugte Disziplin ist eine andere: Mich begeistert beim klassischen Automobil nichts so sehr wie das Miteinander von Mensch und Maschine. Im Idealfall findet beides in schönster Weise zusammen wie hier:

unbekanntes Automobil um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Besondere daran, ein Auto zu besitzen, es zu beherrschen – auch dann, wenn es besondere Zuwendung braucht – Freude wie Missgeschicke damit gemeinsam zu erleben, das lässt sich kaum besser illustrieren bringen als so.

Meine Damen, wenn Sie sich schon immer gefragt haben, warum manche Männer so ein lustvolles Verhältnis zum Auto haben, dann sehen Sie sich diese beiden Herren an: Die sind hier vollkommen in ihrem Element und brauchen keinen Psychiater.

Es gibt aber auch Aufnahmen, bei denen das Auto nur eine Statistenrolle spielt oder allenfalls Teil des Bühnenbilds ist, während im Vordergrund die menschliche Komponente alles überstrahlt – erst recht die ewiggleiche Sachlichkeit moderner Architektur:

Adler Trumpf vor dem Kurhaus Warnemünde; Originalaufnahme von 1935 aus Sammlung Michael Schlenger

Das Kurhaus in Warnemünde hat die Zeiten überdauert; heute fotografiert man sich in sogenannter Funktionskleidung aus mehr oder minder höheren Poylester-Derivaten davor. Die Autos sind vollkommen, bloß interessant sind sie meistens nicht mehr.

Wie die beiden Ladies allem die Schau stehlen, finde ich phänomenal, wo man doch sonst gleich herausfinden möchte, was das für ein Fahrzeug im Hintergrund ist. Hier ist es völlig egal.

Letztlich ist der Mensch für uns das Bemerkenswerteste, Anziehendste oder Abstoßendste – jedenfalls das, was die stärkste Reaktion in uns hervorruft. So, das war ein langer Vorspann.

Meine Begleitmusik ist verklungen, doch ich lasse sie einfach vorne spielen:

Bach-Kantaten Nr. 88, 93 und 131, eingespielt in der Blasiuskirche Mühlhausen am 23. Juli 2000 von den English Baroque Soloists mit dem Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner.

Man braucht kein bisschen gläubig zu sein, um sich von der Schönheit dieser Musik ergreifen zu lassen. „Meine Seele wartet auf den Herrn„, die Nr. 4 aus BWV 131 kann jeder für sich auslegen als Erwartung der Erlösung von den Scheußlichkeiten des Alltags, den Widerwärtigkeiten mancher Mitmenschen, des Daseins überhaupt.

Die schiere Eleganz der Kantate lässt – wie so oft bei Meister Bach – völlig vergessen, dass es sich um ein geistliches Werk handelt. Sich in irgendeiner Form der Schönheit zuzuwenden und darin Erbauung zu finden, sich gegen die Zumutungen des Hier und Jetzt zu wappnen, das ist aus meiner Sicht Lebenskunst.

Solches geht – und das ist eine steile These, aber immerhin bringt sie mich zum Thema zurück – sogar mit einem banalen Chevrolet von anno 1925.

Der war damals der schärfste Konkurrent des Ford Model „T“ und wie dieses musste er robust, leistungsfähig und leicht zu reparieren sein – vor allem aber: für jedermann erschwinglich, einschließlich der Männer, die ihn bauten.

Eleganz war das letzte, woran man bei der Konstruktion dieser Gefährte dachte, die mehr für die Freiheit des Einzelnen geleistet haben als alle politischen Parteien zusammen.

Ford Model „T“ um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In den Weiten des nordamerikanischen Kontinents mussten solche Autos auch noch geländegängig sein, denn mit befestigten Straßen war nur ausnahmsweise zu rechnen.

Das erklärt, weshalb der Chevy wie der Ford so „breitbeinig“ und „hochbeinig“ daherkamen und über enorme Federwege verfügten. Schön konnte das Ergebnis nicht sein und so waren auch die Standardaufbauten optisch anspruchslos.

Immerhin bot Chevrolet Mitte der 1920er technisch einiges, was das Ford Model T vermissen ließ: Beispielsweise war der Vierzylindermotor bereits kopfgesteuert (ohv) und leistete trotz gleichen Hubraums 26 statt bloß 20 PS wie der Ford.

Insgesamt war der Chevy das anspruchsvollere – wenn auch etwas teurere – Auto und man findet ihn daher auch öfters in Europa zu jener Zeit, als der Besitz eines Wagens dort noch eine exklusive und nicht jedermann zugängliche Sache war.

So konnte um die Mitte der 1920er Jahre in Luxemburg das folgende Foto entstehen:

Chevrolet von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier übersieht man glatt den kurz und kastig daherkommenden Wagen mit seiner kolossalen Bodenfreiheit.

Nichts gegen die grundsoliden Besitzer des Model T auf dem vorherigen Foto, die sich für selbiges in Schale geworfen haben. Doch wenn man dagegen die Aufnahme dieses ebenso vierschrötig wirkenden Chevrolet betrachtet, muss man einfach feststellen:

„Eleganter geht es nicht!“. Das ist keineswegs das Verdienst des Herstellers, sondern einzig und allein von Ilse, Rudi und Helene Buse, die sich auf diesem Foto von ihrer besten Seite zeigten und den proletarischen Chevy quasi in den großbürgerlichen Stand erhoben…

„Sing, bet und geh auf Gottes Wegen“ heißt es gerade in Nr. 7 von BWV 88. Das mag ein jeder für sich auslegen, wie er will. Für mich heißt es: Beharrlich fortschreiten auf der Suche nach Schönheit, Frieden und Vollkommenheit – rare Güter in unseren Tagen.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles, bloß keinen Opel! 1927er Chevrolet Limousine

Mein Verhältnis zur Automarke Opel ist ein gespaltenes.

Das erste Auto, das ich selbst fahren durfte mit etwa 14 Jahren – eine Strecke auf einem Feldweg – war der Opel Kadett meines Paderborner Großonkels, das vergisst man nicht.

Noch heute sehe ich den hellorangenen Wagen der späten 1960er Jahre vor der Garage seines großzügigen Hauses mit dem schönen Obstbaumgarten stehen. Eine nicht sonderlich attraktive Blechkiste war der Kadett, das fiel mir bereits damals auf.

Onkel Ferdinand, den ich nur mit gestärktem Hemd und Krawatte kannte, hätte sich etwas Schickeres leisten können – zumal er als früher Witwer der holden Weiblichkeit sehr zugetan war und auch sonst allem Schönen.

Aber aus irgendeinem Grund hing er an dem Opel, den er rund 20 Jahre lang besaß.

Wirklich schlimm war dann der Kadett D Diesel meiner Mutter, den ich mir als Führerschein-Novize ab und zu auslieh. Ein Schulkamerad, der über den schicken Mercedes 280 CE seines alten Herrn verfügen durfte, spottete zurecht über meinen „Heizöl-Maserati“.

Diese Krücke wurde nur durch den „Omega“-Kombi des Vaters meiner damaligen Freundin übertroffen – die äußere Gestalt ist wie beim Ford „Scorpio“ nicht in Worte zufassen, innen Plastiklandschaften primitiver Machart und fiese Plüschsitze.

Vermutlich war ich zu dem Zeitpunkt schon dadurch verdorben, dass ein Schulkamerad sich als erstes Auto eine Alfa-Romeo Giulia 1600 angeschafft hatte.

Das war Ende der 1980er Jahre zwar schon eine alte Kiste, aber wer einmal mit dem heiseren Klang und der Drehfreude des Doppelnockenwellen-Motors konfrontiert worden war, außerdem mit der beeindruckenden Instrumentensammlung und der knackigen Optik, war für zeitgenössische deutsche Familienkutschen verloren.

Besagte Opels rosteten übrigens alle mindestens so heftig wie die Italiener damals. Für mich war der Fall klar: Alles, bloß kein Opel!

Dass die Rüsselsheimer Firma einst zu den deutschen Oberklasse-Herstellern gehört und höchstes Ansehen genossen hatte, erfuhr ich erst im Zuge meiner Beschäftigung mit den Modellen vor dem 1. Weltkrieg.

Doch auch in der Zwischenkriegszeit sollte es auch noch den einen oder anderen Glanzpunkt geben. Das lernen wir heute am Beispiel eines Chevrolet:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Familienbesitz (via Joachim Kruse)

Dieses schöne Foto erhielt ich vor einiger Zeit von Joachim Kruse, dessen Großeltern die abgebildete Limousine besaßen. Natürlich wollte er wissen, was für ein Auto das war.

In solchen Fällen helfe ich gern, wenn ich kann. Einzige Bedingung ist, dass ich die Aufnahme im Blog zeigen darf, sofern mich das Foto und der Wagen interessieren.

Nun handelt es sich nicht gerade um eine Rarität, wie wir gleich sehen werden, aber der Wagen ist mitsamt Insassen ausgezeichnet wiedergegeben.

Von der Kühlerpartie sieht man gerade noch genug, um das Auto als Chevrolet von 1927 identifizieren zu können. Nur damals besaßen die Wagen des Ford-Konkurrenten nämlich den „Zipfel“, der mittig von oben in das Kühlernetz hineinragte.

Auch die Scheibenräder und die übrigen Details des Aufbaus passen zu einem Chevrolet des Modelljahrs 1927. Damals überholte man erstmals den Erzrivalen Ford, der mit dem inzwischen veralteten „Model T“ ins Hintertreffen geriet.

Während Ford noch am Nachfolgemodell „A“ arbeitete, machte Chevrolet mit seinem simplen 30 PS-Wagen 1927 das Rennen. Was die Kräfte des Wettbewerbs vermögen – nicht etwa Bonzen, Bürokraten und Bedenkenträger – illustriert dieses Auto.

Chevrolet setzte von dem 1927er Modell weltweit über 1 Million Exemplare ab – eine noch heute unfassbare Zahl, welche Ford klarmachte, was die Stunde geschlagen hatte.

Selbst in Deutschland, wo es damals nur einen winzigen Markt für Automobile gab, fand der 1927er Chevrolet Anklang. Hier haben wir ein Exemplar aus Halberstadt:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der nächste Kandidat findet sich auf der folgenden Aufnahme, diesmal nicht als Tourer, sondern als viertürige Limousine mit Zulassung im Bezirk Chemnitz.

Dem Wagen und dem jungen Herrn begegnen wir gleich noch einmal:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vom selben Wagen gibt es nämlich eine weitere Aufnahme, welche die Ergänzung des Nummernschilds erlaubt.

Das Foto verdient auch sonst die Wiedergabe, obwohl es sich bei dem abgebildeten Fahrzeug nur um ein simpel gestricktes Massenfabrikat handelt:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich gibt es Dutzende weiterer solcher Aufnahmen von Chevrolets des Modelljahrs aus Deutschland. Aber – und jetzt kommt Opel wieder ins Spiel – warum kaufte man eigentlich hierzulande so einen 1927er Chevrolet?

Klar, in den Staaten war er so spottbillig, dass wirklich jeder ihn sich leisten konnte.

Doch wenn die Angabe in der alten Ausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“ von 2001 stimmt, kostete der Chevrolet in Deutschland anno 1927 als Limousine dasselbe wie ein Opel 7/34 PS, nämlich rund 4.900 Mark.

Der Opel verfügte aber nicht nur über einen kultivierteren Sechszylindermotor mit einigen PS extra, er war dank des weit geringeren Hubraums von nur 1,7 Liter (statt 2,8 Liter beim Chevrolet) auch steuerlich günstiger und weniger durstig.

Ich kann mir neben der vermutlich weit größeren Elastizität des Chevrolet-Aggregats daher nur ein subjektives Motiv vorstellen: „Bloß keinen Opel!“

Nun sind Sie an der Reihe, geschätzte Leser, was die Gründe dafür angeht, weshalb hierzulande etliche Käufer dem von der Papierform unterlegenen Chevy den Vorzug gaben.

Sie können dabei auch gern Ihre ganz anderen Erfahrungen mit neuzeitlichen Opel-Wagen schildern. Denn ganz gleich wie diese auch waren, für mich steht wie für die Chevrolet-Käufer von 1927 eines unverbrüchlich fest: Alles, bloß keinen Opel!

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mysteriöse Extras: 1933er Chevrolet „Master Eagle“

Vorurteile sind nicht grundsätzlich schlecht – sie müssen sich in der Menschheitsgeschichte irgendwie bewährt haben, sonst hätten wir keine.

Man muss sie jedoch ab und an auf den Prüfstand stellen – es könnte nämlich sein, dass man vielleicht ein Dutzendmal damit gut gefahren ist und dann einmal daneben liegt.

So geht das vielleicht jetzt manchem mit der US-Marke Chevrolet – neben Ford lange Zeit der amerikanische „Brot-und-Butter“-Hersteller schlechthin.

Abgesehen vom nicht zu unterschätzenden Verdienst, von jedermann bezahlbare Autos zu einer Zeit zu bauen, als ein eigenes Kraftfahrzeug in der übrigen Welt ein Luxus war, kann auch ein Chevrolet im Einzelfall mit Qualitäten aufwarten, die Vorurteile widerlegen.

Ein Paradebeispiel ist das 1933 eingeführte Modell „Master Eagle“, das uns hier von zwei smarten Herren präsentiert wird:

Chevrolet „Master Eagle“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich finde, dieser Wagen sieht ausgezeichnet aus – nichs daran wirkt unbeholfen oder gar billig. Dabei war er genau das aus Sicht des amerikanischen Käufers: billig.

565 Dollar waren für diese viertürige Limousine zu berappen, wesentlich günstiger war nur das Ford Model 40 mit 50 PS-Vierzylinder. Der Chevy verfügte jedoch über einen über 60 PS leistenden Reihensechser, noch dazu mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen (ohv).

Der Chevrolet „Master Eagle“ von 1933 bot außerdem ein synchronisiertes Getriebe und kam mit vollverchromten Scheinwerfern und eleganten Drahtspeichenrädern daher.

Die von innen verstellbaren Entlüftungsklappen in der Motorhaube unterstreichen das repräsentative Erscheinungsbild.

Doch manchen Käufern war dies offenbar nicht genug – sie rüsteten ihren „Master Eagle“ nachträglich mit ein paar ausgesprochen mysteriösen Extras aus, die noch interessanter sind als das Auto selbst:

Chevrolet „Master Eagle“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hauptunterschied zu dem zuvor gezeigten Wagen ist natürlich der zweitürige Coupé-Aufbau mit außenliegendem „Schwiegermuttersitz“.

Mit 60.000 Exemplaren (in einem Jahr!) war diese Ausführung deutlich seltener als die Limousinenversionen, die es (mit zwei bzw. vier Türen) auf über 350.000 Stück brachten – für damalige US-Verhältnisse völlig normale Größenordnungen.

Ansonsten ist zu dem Auto als solchem eigentlich alles gesagt. Was mir indessen anhaltendes Kopfzerbrechen bereitet, ist die Aufnahmesituation.

Das Foto ist in Mitteleuropa entstanden, worauf unter anderem die Details des schlichten Gründerzeitbaus im Hintergrund hindeuten. Das Kennzeichen mit weißem Untergrund könnte ein deutsches gewesen sein – ich würde aber einen unserer Nachbarstaaten nicht ausschließen.

Die Kleidung der Personen auf dem Bild wirkt auf mich etwas zusammengewürfelt – jedenfalls untypisch für die 1930er Jahre:

Der Reservekanister ist ein typisches Exemplar der von den Alliierten so bezeichneten „jerry can“ – dabei war „Jerry“ ein Spitzname für deutsche Soldaten und „can“ stand für Kanister.

Diese bis heute gängige Ausführung mit dem charakteristischen Prägemuster und eingen ingeniösen Detaillösungen wurde eigens für die deutsche Wehrmacht entwickelt und insbesondere von den Briten fast identisch kopiert – die Amerikaner ließen sich zu einer etwas abweichenden Version inspirieren.

Von diesen Kanistern, die den Alltag der Soldaten an allen Fronten prägten, müssen Millionen produziert worden sein – in meiner Garage findet sich eine originale britische Ausführung mit Prägung „W.D.“ für „War Department“ und „1943“.

Jedenfalls gelangten diese Relikte des Kriegs nach der Kapitulation haufenweise in zivile Hände, wo sie noch viele Jahre ihren Zweck erfüllten.

Mysteriöser erscheint mir dagegen das Objekt, welches der Herr am rechten Bildrand zu präsentieren scheint (oder ist es mit einem Pfahl am Boden befestigt?).

Ebenso wirft das „Notdach“ Fragen auf, welches über dem Schwiegermuttersitz angebracht ist. „Was geht hier vor?“ – fragt man sich. Oder auch: „Was haben diese Leute mit dem Chevrolet vor?“

Ich meine, dass wir es mit einer Aufnahme der frühen Nachkriegszeit zu tun haben – dazu würde auch das ramponierte Trittbrett des Chevrolet passen. Doch zu einer konkreteren Interpretation dieser bemerkenswerten Szene konnte ich mich nicht durchringen.

Das überlasse ich gerne Ihnen, liebe Leser, und ich bin gespannt, was Ihnen zu diesem Chevrolet „Master Eagle“ und seinen mysteriösen Extras alles einfällt…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Unerwartete Besatzung: Ein 1938er Chevrolet in Paris

Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen kommt man an einem Kapitel nicht vorbei – ihrem Einsatz im Krieg.

In Europa entfiel über ein Viertel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf militärische Konflikte, zählt man die Auseinandersetzungen zwischen deutschen Freikorps und russischen Truppen nach dem 1. Weltkrieg und den Spanischen Bürgerkrieg kurz vor dem 2. Weltkrieg dazu.

Automobile wurden dabei in zunehmender Anzahl für alle möglichen Zwecke herangezogen – zur Aufklärung, zur Bergung Verwundeter, für Kurierdienste und natürlich zum Transport von Soldaten, Waffen und Versorgungsgütern.

Fotos entsprechender Einsätze sind vor allem im 2. Weltkrieg massenhaft entstanden – und keineswegs nur von speziellen Militärversionen, die anfangs noch die Ausnahme waren, sondern vor allem von beschlagnahmten Zivilfahrzeugen.

So katastrophal das Kriegsgeschehen für die involvierten Länder auch war und keine Beschönigung auf irgendeiner Seite verdient, so interessant sind die fotografischen Dokumente jener Zeit – zeigen sie doch häufig ganz Unerwartetes.

Noch im Rahmen des Üblichen bewegt sich diese Aufnahme, die vermutlich 1940 beim Übergang nachrückender deutscher Einheiten über einen Fluss in Frankreich entstand:

Übergang deutscher Truppen vermutlich über die Maas; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir eine von Pionieren errichtete Behelfsbrücke, die gerade von einer deutschen Fahrzeugkolonne überquert wird.

Das Frontgeschehen muss weiter vorne gelegen haben, da man hier relativ ungeschützt unterwegs ist – der Kradfahrer vor uns hat nicht einmal seinen Karabiner umgeschnallt und im Wagen davor scheint man auch eher auf eine „Besichtigungsfahrt“ eingerichtet zu sein.

Das zivile Kennzeichen des Cabriolets deutet auf die Frühphase des 2. Weltkriegs hin, als in großer Zahl Privat-PKW für die Wehrmacht beschlagnahmt wurden und in den Militäreinsatz gelangten, bevor man Zeit hatte, ihnen Armee-Nummernschilder zu verpassen.

Nur für den üblichen mattgrauen Anstrich hatte es noch gereicht. Bekanntlich hatte Frankreich nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939 Deutschland zwar den Krieg erklärt, unternahm aber nichts, was dem militärisch schwachen Polen hätte helfen können.

Auf eine Kriegserklärung an Russland verzichtete man gleich ganz, obwohl die Sowjetunion fast zeitgleich in Abstimmung mit dem Deutschen Reich in Polen einfiel.

Der französische Volksmund nannte diese merkwürdige Phase des Nichtstuns „drôle de guerre“ – auf deutscher Seite war vom „Sitzkrieg“ die Rede, da man an der Grenze zu Frankreich kaum etwas zu tun hatte – während die Wehrmacht Polen besiegte und besetzte.

Das war ebenso unerwartet wie der anschließende Sieg der Wehrmacht über Frankreich im Sommer 1940 binnen weniger Wochen. Offenbar hatte man sich in Frankreich über die formale Kriegserklärung hinaus keinerlei Strategie gegen Deutschland überlegt.

So gab sich eine auf dem Papier – speziell im Hinblick auf Kampfpanzer – haushoch überlegene französische Armee der deutschen Offensive geschlagen, die von nur wenigen veralteten, aber hocheffektiv geführten Panzern geführt wurde.

Dass dieser für alle Beteiligten unerwartet ausgehende „Blitzkrieg“ überwiegend noch mit Vehikeln des 1. Weltkriegs durchgeführt wurde, wird oft übersehen. Hier haben wir eine typische Aufnahme, die nachrückende deutsche Kolonnen an der Westfront zeigt:

Hanomag „Rekord“, aufgenommen ab 1940; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hanomag „Rekord“ der hier Unteroffizieren und einem Gefreiten als fahrbarer Untersatz dient, stellte die Ausnahme dar – den Großteil der Transportleistung erbrachten neben der Eisenbahn Pferdegespanne, wie schon im 1. Weltkrieg.

Der Hanomag war ein reines Zivilmodell, das zwar für seine außergewöhnlich solide Bauweise und die Nehmerqualitäten seiner Mechanik bekannt war, aber für den Militäreinsatz war er wie die meisten eingezogenen Zivil-PKW nur bedingt geeignet.

Daneben wurden jedoch auch auf Zivilmodellen basierende Kübelwagen eingesetzt, die zumindest von der Bodenfreiheit und Bereifung her eher für den harten Kriegseinsatz in Betracht kamen.

Hier haben wir – ebenfalls aufgenommen während des deutschen Westfeldzugs 1940 – einen Adler 3GD Kübelwagen (links), während rechts ein ehemals ziviler Mercedes zu sehen ist:

Deutsche Kolonne im Mai 1940 bei Hautmont; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit solchen zusammengewürfelten Fahrzeugen gelang der Wehrmacht im Sommer 1940 der unerwartete Sieg über Frankreich – in erster Linie Ergebnis moderner Führungsprinzipien, die entgegen dem Klischee vom deutschen Galgengehorsam nicht auf minutiös zu befolgenden Befehlen basierte, sondern flexibel auf die Situation vor Ort reagierende dezentrale Entscheidungen zuließen – auf französischer Seite undenkbar.

So kam es, dass man nach der raschen Kapitulation in Frankreich im Sommer 1940 unerwünschte deutsche „Besucher“ zur Kenntnis zu nehmen hatte.

In Paris etwa dominierten nun nicht mehr glänzende Citroens, Peugeots und Renaults das Straßenbild – die wurden rasch von der Wehrmacht einkassiert – sondern düstere deutsche Militärfahrzeuge wie auf dieser an der Place de la Concorde entstandenen Aufnahme:

Wehrmachtsfahrzeuge in Paris ab 1940; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die kleine Limousine im Vordergrund ist übrigens ein Simca 6CV – ein französischer Lizenznachbau des Fiat 508.

Auch dieses Auto wurde offenbar von der Wehrmacht beschlagnahmt – im Originalfoto erkennt man das Kürzel „WH“ (=Wehrmacht Heer) auf einem provisorisch hinter der Frontscheibe angebrachten Papier.

Die Besetzung Frankreichs bedeutete für Taxifahrer in der Hauptstadt, dass sie es häufig mit einer unerwarteten „Besatzung“ zu tun hatten – deutschen Soldaten, die in ihrer Freizeit die Sehenswürdigkeiten von Paris im Automobil „erfahren“ wollten.

Hier haben wir drei Unteroffiziersanwärter (noch im Gefreitenrang) der Wehrmacht, die sich wohl von einem Kameraden vor dem Taxi ablichten ließen, mit dem sie unterwegs waren:

Chevrolet Modelljahr 1938; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die eindrucksvolle Sechsfenster-Limousine mit moderaten aerodynamischen Elementen ließ sich als Chevrolet des Modelljahrs 1938 identifizieren.

Die Typbezeichnung lautete „Master Six“ – denkbar ist auch ein „Master DeLuxe“-Modell, das an Stoßstangenhörnern zu erkennen war, die man hier aber nicht sehen kann. Verbaut wurde ein 85 PS leistender 6-Zylindermotor mit kopfgesteuerten Ventilen (ohv).

Von den fast 500.000 Exemplaren dieses Chevrolet landeten auch einige in Europa – hier eines, das wohl als Taxi in Paris eingesetzt wurde. Den Fahrer mit Schirmmütze sehen wir übrigens neben der Motorhaube – von der Kamera abgewandt und eine Zigarette rauchend.

Mit einer solchen unerwarteten Besatzung seines Chevrolet musste sich der französische Fahrer wohl oder übel arrangieren, wollte er seine Verdienstquelle behalten. Wer eine Familie zu ernähren hatte, konnte sich den Luxus nicht leisten, sich in einen meist sinnlosen „Widerstand“ gegen eine überlegene Macht zu begeben.

Im Unterschied zu anderen von Deutschland im 2. Weltkrieg besetzten Gebieten kam Frankreich einigermaßen glimpflich davon.

Speziell Paris blieb dank des klugen Taktierens der deutschen Stadtkommandantur im August 1944 angesichts des Näherrückens der Alliierten ungeschoren, nicht zuletzt indem man die oft über Gebühr glorifizierte „Resistance“ in Schach hielt.

So muss man angesichts der unerwarteten deutschen Besatzung dieses Chevrolet ausnahmsweise kein reflexhaft schlechtes Gewissen haben…

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Stets für eine Überraschung gut: Chevrolet 1929

Ich weiß zwar nicht, ob meine Leser es schätzen, aber ich lege bei der Besprechung von Vorkriegsautos, die einst in deutschen Landen unterwegs waren, auch Wert darauf, der zeitweilig enormen Präsenz von US-Fabrikaten Rechnung zu tragen.

So weit ich weiß, kommen in sonst keinem deutschsprachigen Medium amerikanische Vorkriegsmodelle so häufig zu ihrem Recht. Das ist keineswegs Reflex einer speziellen Vorliebe, es hat sich einfach so ergeben.

Denn ich versuche, in meinem Blog-Projekt möglichst die ganze Bandbreite an Automobilen zu berücksichtigen, die einst die Straßen Deutschlands belebt haben. Leiten lasse ich mich dabei von dem Angebot an erhaltenen zeitgenössischen Fotos, das heute ein weit repräsentativeres Bild der Markenvielfalt zeichnet als jede Klassikerveranstaltung.

Insofern sind selbst Aufnahmen einst sehr weit verbreiteter US-Wagen stets für eine Überraschung gut, weil abgesehen von den bekannten Ford-Modellen keiner davon mehr in größerer Zahl hierzulande existiert.

Dass dies speziell Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre ganz anders aussah, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Nachbarländern, lässt sich am Chevrolet des Modelljahrs 1929 illustrieren.

Über 1,3 Millionen Exemplare wurden davon gebaut und trugen nicht zufällig die Bezeichnung „International“ – kein Wunder, dass sie einem auch in der Alten Welt auf Schritt und Tritt begegnen:

Chevrolet International AC von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir die gängige Ausführung als zweitürige Limousine („2-door coach“) vor uns – mit dänischer Zulassung, wenn ich es richtig sehe. Typisch für das Modelljahr 1929 sind die Kühlermaske, die mittig etwas in das Kühlergitter hineinragt, sowie die auf die hintere Haubenhälfte beschränkten Luftschlitze.

Von den aufpreispflichtigen Stoßstangen abgesehen, entspricht dieses Exemplar ziemlich genau der Basisausstattung. Optional waren unter anderem seitlich montierte Ersatzräder, Drahtspeichenräder und Trittschutzbleche am Schweller.

Solches Zubehör fand sich an 1929er Chevrolets, die in Europa verkauft wurden, nur selten. Diese Wagen, die in den Staaten praktisch für jedermann erschwinglich waren, stellten bei uns Luxusgegenstände dar, die sich nur eine gutbetuchte Schicht leisten konnte.

Selbst im gehobenen Bürgertum war oft genug nur die Basisausführung erschwinglich, was sich in den seinerzeit abgelichteten Fahrzeugen widerspiegelt:

Chevrolet International AC von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Herren beispielsweise hatten sogar auf die Stoßstange verzichtet und sich für die billigste Karosserievariante entschieden – den Tourenwagen mit ungefüttertem Verdeck. In den USA galt der Tourer dagegen längst als von gestern.

Doch ein vergleichbar simpel ausgestattetes Auto aus heimischer Produktion wäre nochmals deutlich teurer gewesen. Im Unterschied zu den amerikanischen Fabrikaten schenkte man hierzulande betriebswirtschaftlichen Aspekten bei Konzeption und Konstruktion nicht dieselbe Aufmerksamkeit; allzuoft verschwendete man die Energie auf technische Detaillösungen und vernachlässigte die Produktionseffizienz.

Ausgerechnet Fiat aus dem weit ärmeren Italien machte bereits damals vor, dass sich Massenfabrikation – richtig umgesetzt – auch in Europa auszahlen kann. So gehörten die Turiner neben den US-Großserienherstellern zu den ausländischen Anbietern, die Ende der 1920er Jahre insgesamt rund 30 % des deutschen Marktes auf sich vereinten.

Ihre Modelle waren dabei in technischer Hinsicht weder besonders fortschrittlich noch raffiniert, sie waren aber problemlos in den Zahlen verfügbar, die deutsche Käufer nachfragten, jedoch von den in Sachen Produktionsökonomie rückständigen inländischen Herstellern nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen geliefert werden konnten.

Der damals haushoch überlegenen Managementkompetenz in der amerikanischen Autoindustrie darf man gerade mit Blick auf die Massenfabrikation bei Ford und Chevrolet auch aus heutiger Sicht größte Anerkennung zollen.

Dabei waren stets zahlreiche Karosserie- und Ausstattungsvarianten erhältlich, wobei teilweise auch erst am Absatzmarkt abschließend Hand angelegt wurde. So stößt man auch beim Chevrolet „International“ immer wieder auf überraschende Funde wie diesen:

Chevrolet International AC von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser im sächsischen Kreis Rochlitz zugelassene Chevrolet war nämlich weder eine konventionelle Limousine noch ein spartanischer Tourenwagen.

Vielmehr deutet die massive Ausführung des Frontscheibenrahmens auf einen Aufbau als zweitüriges Cabriolet mit Kurbelscheiben und gefüttertem Verdeck hin. Dieses Fahrzeug bot damit geschlossen ein ähnliches Erscheinungsbild und vergleichbaren Komfort wie eine Limousine.

Gut möglich, dass für den hinteren Aufbau sogar eine deutsche Karosseriemanufaktur in Anspruch genommen wurde – einem US-Käufer eines solchen „Billigheimers“ wäre dieser Aufwand abwegig vorgekommen.

Das Foto ist aber noch in anderer Hinsicht für Überraschungen gut. So findet sich auf dem Kühler des im Raum Rochlitz zugelassenen Wagens ein Emblem mit zwei gekreuzten Schwerter – auf den ersten Blick ein Hinweis auf die berühmte Porzellanmanufaktur in Meißen, das rund 70 km entfernt gelegen ist, aber auch auf das historische Kurfürstentum Sachsen:

Wie mir Leser Reinhard Barthel mitgeteilt hat, verweist dieses Kühlemblem jedoch auf das im Oktober 1936 gegründete „Heimatwerk Sachsen“ – ein Verband zur Förderung der sächsischen Regionalkultur, freilich unter nationalsozialistischem Vorzeichen.

Des weiteren sehen wir bei dem halbstark posierenden jungen Mann ganz links ein Hemd mit kurzen Ärmeln – ein der Welt des Sports entlehntes Kleidungsstück, das man auf Alltagsfotos aus den frühen 1930er Jahre nur selten findet.

Nicht so lässig, aber keineswegs übermäßig konservativ ist dagegen das Erscheinungsbild der Damen. Der kleine Bub auf dem Fahrersitz, der nichts von der Kamera bemerkt, könnte hochbetagt noch unter uns weilen, vielleicht sogar die uns schelmisch zuzwinkernde Schwester – das Foto ist ja frühestens 1937 entstanden.

Damit auch ganz am Ende das Motto „Stets für eine Überraschung gut“ zutrifft, hier noch eine kolorierte und nachbearbeitete Version des letzten Fotos. Mit diesem Chevrolet-Cabriolet von 1929 musste man sich nicht verstecken…

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Vom Schaffer zum Schönling: Chevrolet 1924-29

Heute geht es in die (vermeintlichen) Niederungen der Vorkriegsautomobilität – und zugleich in die Tiefen unserer an Merkwürdigkeiten so reichen Sprache.

Wer beim Titel eher an den „Schaffner“ denkt, liegt nicht verkehrt, doch der damit verwandte „Schaffer“ ist bewusst gewählt. Der alte Name bezeichnet ursprünglich jemanden, der auf einem landwirtschaftlichen Anwesen Herr über Keller und Küche war.

Er sorgte dafür, dass stets genügend Lebensmittel vorhanden waren, war quasi in kulinarischer Hinsicht „schöpferisch“ tätig – dieses Wort ist sprachgeschichtlich damit eng verwandt.

Erst später wich die konkrete Bedeutung von „schaffen“ und „schöpfen“ einer allgemeineren – man denke nur an die Kultur“schaffenden“ – eine Wortschöpfung der 1920er Jahre, die in der DDR Karriere machte und sich neuerdings wieder breitmacht.

Da bleibe ich lieber beim traditionellen „Schaffer“ – der norddeutschen Variante des „Schaffners“, die sich vor allem in der Seemannssprache findet.

In Norddeutschland – und in einem gewissem maritimen Kontext – ist auch das erste der beiden Fotos entstanden, anhand derer ich die steile Karriere des Chevrolet vom „Schaffer“ zum „Schönling“ illustriere, die sich von 1924 bis 1929 vollzog:

Chevrolet von 1924; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese herrlich inszenierte Situation ist auf einem Foto festgehalten, das ich Leser Klaas Dierks verdanke.

Die Aufnahme transportiert uns mitten in das Leben auf einem Gutshof irgendwo im Raum Lübeck – das lässt zumindest das Kennzeichen der Hansestadt vermuten. Der maritime Kontext erschöpft sich zwar damit, aber dass wir es hier mit „Schaffern“ zu tun haben, steht außer Frage.

Dazu zählt für mich auch der Pritschenwagen mit hölzerner Bordwand, der hier vermutlich zum Transport von Feldfrüchten eingesetzt wurde. Das urig wirkende Vehikel ist unschwer am markentypischen Kühleremblem als Chevrolet zu identifizieren.

Zwar sind kaum Details des Vorderwagens zu erkennen, aber was man sieht, genügt zur zeitlichen Einordnung. Die kleinen Positionsleuchten vor der Windschutzscheibe tauchen ab 1924 in der Serienausführung auf, zuvor gab es sie nur als Extra.

Spätere Modelljahre kann man ausschließen, da die Oberseite des Kühlers dann unten nicht mehr waagerecht, sondern nach unten geschwungen verlief bzw. eine nach unten weisende Spitze besaß.

Über eine Viertelmillion Chevrolet-Wagen des Modelljahrs 1924 wurden weltweit abgesetzt. Die einfachen, aber robusten und preisgünstigen Chevies verkauften sich auch in Europa ausgezeichnet. In Deutschland fand man ebenfalls Abnehmer, wie man sieht.

Während ein Großteil der deutschen Landwirte so arm war, dass sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt motorisierte Fahrzeuge erwerben konnten, haben wir es hier zweifellos mit einem Auto zu tun, das zu einem großen, wirtschaftlich erfolgreichen Hof gehörte.

Für die jungen „Schaffer“ auf dem Foto, gehörte der fleißige Chevrolet zwar zum Alltag, aber für sie selbst blieb ein Automobil unerreichbar, sofern sie es nicht später irgendwann „schafften“:

Diesen Burschen steht die harte Arbeit bereits in Gesicht geschrieben, aber das war nun einmal der Alltag für den Großteil derer, die zwischen den Weltkriegen aufwuchsen. Ihre Kleidung ist die von Erwachsenen – die Kindheit war kurz und prosaisch in jener Zeit.

Hier heutige Maßstäbe anzulegen, ist müßig. Unsere Vorfahren hatten schlicht keine andere Wahl, während heute viel zuviele ihr Zeit (und das Geld der Eltern) mit brotlosen Studien verplempern.

Selbstbewusst schauen die Drei in die Kamera, nur die gleißende Sonne hinter dem Fotografen zwingt sie, die Augen zusammenzukneifen. Wie kommen wir nun von diesen Schaffern vor dem tüchtigen Chevy zum titelgebenden Schönling?

Nun, der kündigt sich bereits auf dieser Aufnahme an:

Der uns ernst fixierende junge Mann mit der Handluftpumpe kennt zweifellos die Welt der Schaffer. Die kräftigen Schuhe mit Ledergamaschen und die zerknitterte Hose sehen nach Arbeit auf dem Lande aus. Doch unter der Jacke schaut ein weißes Oberhemd mit elegant gestreifter Krawatte hervor.

Dieser Mischung aus ländlicher Kluft und städtischem Chic steht ihm ausgezeichnet und mit diesem Stil wäre man auch heute mit einem Vorkriegswagen authentisch unterwegs. Selbst wenn er hier etwas grimmig schaut, scheint mir das ein gutaussehender Mann zu sein – die Damen in meiner Leserschaft werden das hoffentlich bestätigen.

Neben unserem Schönling vom Lande steht ebenfalls ernst und würdevoll ein Vertreter der vorherigen Generation – ich bin sicher, dass wir hier Vater und Sohn vor uns haben.

Wer genau hinschaut, wird hier nicht nur die Übereinstimmung des Gesichts bemerken, sondern auch den Willen zu korrekter Kleidung trotz des Arbeitsumfelds. Wenn ich mich nicht täusche, trägt er eine Fliege zum Vatermörder-Kragen.

Vermutlich sehen wir hier den Besitzer eines großen Hofs, der nicht nur etwas von der Arbeit, sondern auch vom Geschäft versteht. Mit Anzug würde er in einer Runde zeitgenössischer Unternehmer nicht auffallen – eine eindrucksvolle Persönlichkeit.

Nun fehlt nur noch der Schönling in automobiler Hinsicht – dem Arbeit zwar nach wie vor nicht fremd ist, der sich aber eher in städtischer Umgebung wohlfühlt, hier ist er!

Chevrolet Series AC International; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kaum zu glauben, dass zwischen dem Chevrolet auf dem ersten Foto und auf diesem gerade einmal fünf Jahre liegen.

Auf einmal haben wir hier einen prächtig verchromten Kühler mit nunmehr modifiziertem Markenemblem und eine Doppelstoßstange ebenfalls mit schwerer Chromauflage. Die Kotflügel sind nun gleichmäßig gerundet und vor dem Kühler befindet sich ein Blech, das sowohl den Straßenschmutz abweist als auch auch den Blick die Achse kaschiert.

Typisch für das Modelljahr 1929 sind die schmalen und hohen, nach hinten versetzten Luftschlitze in der Motorhaube. Die Scheibenräder gab es wahlweise auch bei früheren Modellen, sie verraten daher wenig über das Baujahr.

Interessant finde ich das Kennzeichen, das auf eine Zulassung in Zwickau in Sachsen verweist, damals eines der Zentren der deutschen Automobilindustrie. Warum kaufte dort jemand lieber einen solchen Chevrolet als beispielsweise einen Wanderer?

Versetzen wir uns in die Lage des Besitzers: Ein solcher Chevrolet mit 6-Zylindermotor (46 PS) kostete als Limousine 4.800 Reichsmark. Für einen Durchschnittsverdiener war das damals unglaublich viel Geld und völlig unerreichbar.

Doch auch wer weit besser verdiente, musste mit der Mark rechnen. Ein 6-Zylinder-Wanderer (Typ W11) bot zwar 5 PS Mehrleistung und eine günstigere Steuerklasse. Aber er kostete als ebenfalls viertürige Limousine ungeheure 8.000 Reichsmark.

Selbst der schwächere Wanderer Vierzylindertyp 8/40 PS (W10-II) war mit 6.750 RM preislich nicht annähernd konkurrenzfähig. Kein Wunder, dass US-Importwagen Ende der 1920er Jahre mehr als ein Viertel Marktanteil in Deutschland hatten.

Da war die Entscheidung schnell für den US-Wagen gefallen, und sein Besitzer scheint ausgesprochen zufrieden damit zu wirken. Er mag selbst nicht als „Schönling“ durchgehen, doch sein Erscheinungsbild weist ihn als Mann von urbanem Geschmack aus.

Die Knickerbockerhose mit Pepita- oder Hahnentrittmuster in Kombination mit den raffiniert gemusterten Socken wäre bei den eingangs vorgestellten norddeutschen Gutsbesitzern sicher als überkandidelt wahrgenommen worden.

Auch das Oberteil mit regulierbarem Kragen war ein ausgesprochen modisches Stück, dessen Herkunft ebenfalls in den USA zu suchen sein könnte (weiß es jemand genau?). Immerhin ist darunter das damals unvermeidliche Oberhemd mit Krawatte zu erahnen.

Mir gefällt dieses Outfit ausgezeichnet, auch wenn es damals auf Vertreter des konservativen Geschmacks vielleicht etwas ganovenhaft gewirkt hätte.

Der Chevrolet genoß 1929 auf jeden Fall einen seriösen Ruf als achtbarer Mitteklassewagen. Er hatte sich binnen weniger Jahre aus der Welt der Schaffer hochgearbeitet und wusste nun mit schönen Details zu glänzen, für die man zuvor weder Geld noch Sinn hatte. Sein Erfolg macht auch heute noch sprachlos: Über 1,3 Millionen Exemplare des 1929er Modells wurden einst gebaut!

Für viele Besitzer folgte auf diesen kometenhaften Aufstieg 1929 leider wieder ein jäher Absturz, doch das ist eine andere Geschichte…

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Familienbande: Chevrolet Confederate & Opel 1,8 Liter

Familienbande – ein herrlich doppeldeutiges Wort ganz nach meinem Geschmack.

Manche legen es positiv aus im Sinne des Sprichworts „Blut ist dicker als Wasser“, andere finden nichts schlimmer, als mit Verwandten zusammensein zu müssen, die man aus freien Stücken nie in den Kreis seiner Bekannten und Freunde zählen wollte.

Als Individualist sind mir die aus Neigung oder Interesse freiwillig eingegangenen Bindungen die liebsten – im Privaten wie im großen Ganzen. So muss bei der heutigen Gegenüberstellung eines deutschen Opel 1,8 Liter und eines Chevrolet der frühen 1930er Jahre der Nationalstolz hintanstehen.

Schon vom Namenszusatz her genießt der amerikanische „Confederate“ meine ganze Sympathie. Dem entspricht ja im Deutschen der „Verbündete“ oder „Partner“, mit dem man einen Vertrag zum wechselseitigen Vorteil geschlossen hat.

Einen solchen Vertrag schloss man (mündlich), wenn man den Chevrolet „Confederate“ so nutzte, wie er uns auf diesem in Wolfenbüttel entstandenen Foto begegnet – als Taxi:

Chevrolet „Confederate“ von 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das auf den Taxi-Betrieb hindeutende „FREI“-Zeichen an der Wagenseite war rasch entdeckt. Deutlich länger dauerte es, bis ich herausgefunden hatte, was das eigentlich für ein Wagen ist, der in Deutschland einst eine ungewöhnliche Erscheinung war.

Dabei war das Auto an sich keineswegs selten – mehr als 300.000 Exemplare davon liefen binnen eines einzigen Jahres vom Band. Doch eine unübersehbare Familienähnlichkeit lockte mich zunächst auf eine falsche Fährte.

So erinnerte mich die Kühlerpartie spontan an den Opel Sechszylindertyp „1,8 Liter“ von 1932/33. Dieser besaß nicht nur einen ähnlichen Kühler, sondern auch genau solch einen doppelten Chrombügel, der die Scheinwerfer trug. Ebenfalls vergleichbar war die einteilige Stoßstange.

Zur Illustration hier ein zeitgenössisches Foto des Opel 1,8 Liter in der Ausführung als viertürige „Speziallimousine“ von 1933:

Opel 1,8 Liter „Speziallimousine“; Foto aus Sammlung Dahlström (erhalten via Facebook)

Bei aller Ähnlichkeit fallen aber auch Unterschiede ins Auge. Zum einen fehlen dem Opel die seitlichen Luftklappen in der Motorhaube, zum anderen besaß er serienmäßig nur Scheibenräder – Drahtspeichenräder waren Sondermodellen vorbehalten.

Weitere Abweichungen betreffen die Dachpartie sowie die seitlichen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln des hier gezeigten Opel. Zwar sind diese Details baujahrbedingt, dennoch sind bereits die übrigen Unterschiede zu zahlreich und zu groß.

Der Befund setzt sich unter der Haube fort: Beide Fahrzeuge besaßen einen Sechszylindermotor, doch der Opel 1,8 Liter musste sich mit 32 PS Leistung begnügen, während es bei der Taxi-Limousine auf dem ersten Foto fast das Doppelte war: 60 PS.

Daran (und an der genannten Stückzahl) ist zu erkennen, dass es sich bei dem mysteriösen Auto aus Wolfenbüttel um ein amerikanisches Fabrikat handeln muss, aber eines, das sich durch „Familienbande“ mit dem Opel auszeichnete.

Tatsächlich war das fragliche Fahrzeug ein Chevrolet „Confederate“ aus dem General Motors-Verbund, dem Opel ebenfalls angehörte. Der Opel 1,8 Liter kann letztlich als verkleinerte Version des Chevrolet gesehen werden.

Dabei blieb der Opel nicht nur in punkto Leistung und Größe bescheidener als der „reiche Onkel aus Amerika“. Auch Komfortelemente wie die synchronisierte Schaltung des Chevrolet und eine Heizung blieben ihm vorenthalten.

Das Bild spiegelt sich auch in den Stückzahlen wider: Vom Opel 1,8 PS-Modell entstand in drei Jahren nur ein gutes Zehntel der Stückzahl des Chevrolet von 1932. Erfolgreicher war damals der erschwinglichere Vierzylinder-Opel 1,2 Liter.

Der deutsche Markt für 6-Zylinderwagen war schlicht zu klein, um dem 1,8 Liter einen größeren Erfolg zu erlauben – entsprechend selten findet sich heute ein Überlebender.

Die Frage, wie es dennoch der größere, teurere und durstige Chevrolet „Confederate“ von 1932 nach Deutschland schaffte, ist schwer zu beantworten. Vielleicht war das in Wolfenbüttel zugelassene Exemplar ein ehemaliges US-Geschäfts- oder Botschaftsfahrzeug, das später zum Taxi umgewandelt wurde.

Was mögen wohl einst Besitzer des braven Opel 1,8 Liter PS gedacht haben, wenn sie hierzulande diesem auf großem Fuß daherkommenden Familienmitglied begegneten? Nun, die Familienbande werden wohl kaum verhindert haben, dass sich der schiere Neid in Worten wie „Aufschneider, Verschwender, Egomane“ Bahn brach…

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Das hat gerade noch gefehlt – Chevrolet von 1928

„Das hat gerade noch gefehlt“ – so könnte jetzt einer denken, der mit Vorkriegsautos nur luxuriöse Karossen, rassige Sportwagen und exzentrische Konstruktionen verbindet.

Was soll man als Gourmet auch von einem Auto halten, von dem in einem Jahr fast 1,2 Millionen Stück produziert wurden? Ja, Sie haben richtig gelesen – 1.193.212 Wagen (um genau zu sein) wurden einst vom Chevrolet des Modelljahrs 1928 gefertigt.

Natürlich ist so ein simples 35 PS-Mobil mit Vierzylindermotor (immerhin mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen) nichts, was in technischer Hinsicht beeindrucken kann.

Was seinerzeit Chevrolet (und Ford natürlich) mit ihren gigantischen Stückzahlen zustandebrachten, verdient dennoch höchste Bewunderung für das dazu erforderliche organisatorische und logistische Können, das weltweit seinesgleichen suchte.

Im Deutschland der 1920er Jahre hatte dem kein Hersteller etwas entgegenzusetzen, auch wenn hiesige Enthusiasten mitunter versuchen, ihren persönlichen Liebling wie etwa das skurrile Hanomag Kommissbrot zum „Volkswagen“ hochzuschreiben.

Erst VW war in den 1960er Jahren zu einer derart rationellen Produktion fähig. Was in den USA in den 1920er Jahren ein Auto für wirklich jedermann war, blieb in Deutschland dagegen einer hauchdünnen Schicht vorbehalten.

So ist es kein Zufall, dass man hierzulande einem Chevrolet der späten 1920er Jahre auf alten Fotos meist in großbürgerlichen Verhältnissen begegnet:

Chevrolet des Modelljahrs 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Treue Leser meines Blogs werden das charmante Foto sicher wiederkennen – diesen Chevrolet des Modelljahrs 1927 habe ich einst hier vorgestellt.

Das bis heute nur geringfügig veränderte Chevrolet-Emblem ist hier deutlich auf dem Kühler zu sehen – die unterhalb davon in das Kühlernetz hineinragende Spitze ist charakteristisch für den 1927er Chevy. Mit 26 PS war der Wagen eher sparsam motorisiert.

Zwei Jahre später – im Modelljahr 1929 – ist der charakteristische Knick nach unten immer noch da, doch das Emblem befindet sich nun in einem um 90 Grad gedrehten Oval und der Kühler ist höher und schlanker geworden:

Chevrolet Series „AC International“, Modelljahr 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch das ist ein Foto aus meiner Sammlung, das ich bereits im Blog präsentiert habe (hier). Mit einer Stückzahl von 1,3 Millionen blieb Chevrolet 1929 nur knapp hinter Hauptkonkurrent Ford. Motorenseitig hatte man ein Schippe draufgelegt: 45 PS.

Doch was ist mit dem Modelljahr 1928? Man könnte meinen, dass Chevrolet bei den gigantischen Stückzahlen Interesse daran hatte, nicht jedes Jahr größere Veränderungen vorzunehmen – doch genau das war der Fall.

Nicht nur äußerlich wurden die Wagen laufend weiterentwickelt, auch die grundsätzlich bodenständige Technik wurde ständig optimiert. Der Grund dafür war die Peitsche des Wettbewerbs – der Faktor, der Unternehmen dazu zwingt, ständig den Markt im Blick zu behalten und nicht selbstzufrieden zu werden und abwegige Ziele zu verfolgen.

Zwischen der Motorisierung des Chevrolets der Modelljahre 1927 und 1929 klafft eine auffallende Lücke (26 vs. 46 PS) – der 1928er Chevy füllte sie mit 35 PS. Und natürlich wies er auch äußerlich Besonderheiten auf, an denen man ihn erkennen kann.

Ein ästhetisch äußerst reizvolles Foto eines solchen Chevrolet des Modelljahrs 1928 hat mir vor einiger Zeit Leser Michael Plag zur Verfügung gestellt:

Chevrolet von 1928, aufgenommen vor Schloss Solitude in Stuttgart; Originalfoto aus Sammlung Michael Plag

Eine solche Aufnahme ist zwar in fotografischer Hinsicht ein absoluter Leckerbissen – und erlaubt auch das Studium der typischen Kühlerpartie des 1929er Chevrolet auf geradezu ideale Weise: hier ist das Markenemblem auf einmal in einem Oval eingefasst.

Doch so wunderbar die Aufnahme auch ist, die das Werk eines Profifotografen gewesen sein dürfte, zeigt sie den Wagen doch hauptsächlich als Staffage und nicht in ihrer „natürlichen Umgebung“ – und das ist bei einem Auto die Straße.

Auch auf freier Strecke wurde gern haltgemacht und so posiert, wie man das für vorteilhaft hielt, doch das künstlerische Element tritt hier in den Hintergrund:

Chevrolet Limousine, Modelljahr 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Und so war mein Gedanke beim Anblick dieser schönen, aber von jedem künstlerischem Anspruch unbelasteten Aufnahme: „Das hat mir gerade noch gefehlt!“

Damit kann ich meine US-Auto-Galerie um ein weiteres Chevrolet-Puzzlestück aus deutschen Landen ergänzen, denn dieser Wagen war im Raum Duisburg zugelassen.

Der Besitzer, der hier mit entschlossen wirkender Haltung posiert, die wohl von den zu kurzen Hosen (sehr merkwürdig) ablenken soll, hatte sich für die Basisversion des Chevrolet „National Model AB Four“ entschieden.

Auf Extras wie Stoßstange, Speichenräder, außen montierte Ersatzräder, außen angebrachter Benzin- und Ölkanister hatte er verzichtet. Damit wäre dieses Auto in den USA am untersten Ende der sozialen Stufenleiter angesiedelt gewesen.

Im Deutschland der späten 1920er Jahre war ein solcher Chevrolet ein Luxusobjekt, das für durchschnittliche Arbeiter und Angestellte unerreichbar war.

„Das hat gerade noch gefehlt – ein eigenes Automobil“, das werden sich damals Millionen von Deutschen beim Anblick eines solchen Chevrolet gedacht haben, die damals ganz andere Sorgen hatten.

„Das hat gerade noch gefehlt“ – gilt aber auch für das Fehlen solcher US-Einsteigerautos aus der Vorkriegszeit auf einschlägigen Veranstaltungen hierzulande. Einem Model A Ford begegnet man zwar immer wieder – doch der direkte Kokurrent von Chevrolet scheint wie ausgestorben. Ich habe jedenfalls noch nie einen in natura gesehen…

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Chicer Chevy: „Master“ Cabriolet von 1934

Chevrolet und Chic – wie geht das zusammen? Nun, wenn man das ignoriert, was in der Neuzeit unter diesem Markennamen auf die Menschheit losgelassen wird, passt das ganz hervorragend.

Dass ein Billigheimer richtig gut aussehen kann, hat nicht nur die US-Automobilindustrie längst verlernt. Vor dem 2. Weltkrieg sah das noch anders aus.

Zur Erinnerung zunächst ein bereits vorgestelltes Foto, das aus meiner Sicht ein schönes Beispiel dafür ist, wie wirkungsvoll ein Chevrolet einst daherkommen konnte:

Chevrolet „Master Eagle“ von 1933; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vollverchromte Scheinwerfer, Drahtspeichenräder und elegante Luftklappen in Verbindung mit einem 65 PS leistenden 6-Zylinder und synchronisiertem Getriebe – und das alles zu einem volkstümlichen Preis: je nach Ausführung 485 bis 565 Dollar.

Unglaubliche 450.000 Exemplare konnte Chevrolet von den Wagen der „Eagle“ Serie absetzen – in einem einzigen Jahr: 1933.

Das verdeutlicht, wie weit man selbst in den 1930er Jahren in Deutschland noch von einem echten Wagen für’s Volk entfernt war, von den 1920ern ganz zu schweigen, als selbst ein Minimalauto wie der Hanomag „Kommissbrot“ ein exklusives Vergnügen war.

Interessanterweise sind die einst auch hierzulande gern gekauften „Chevies“ fast völlig ausgestorben. In der deutschen Vorkriegsszene gibt es zwar reichlich Exemplare eines anderen Erfolgsmodells – des Ford „A“ – selbst die sind aber oft importiert.

Ehedem billige Buicks und Chevrolets sind seltener als ein BMW, Mercedes oder Horch. Wie anders stellt sich die Situation auf Fotos der Vorkriegszeit dar, dort begegnet man amerikanischen Brot- und Butter-Wagen auch in Deutschland auf Schritt und Tritt.

Treue Leser meines Blogs erinnern sich vielleicht an diese Sechsfenster-Limousine mit Zulassung in Dresden, die vor genau 85 Jahren – im Februar 1935 – abgelichtet wurde.

Chevrolet „Standard Six“: Baujahr: 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gegenüber dem Chevrolet des Modelljahrs 1933 hatte sich äußerlich nur wenig getan. Die auffallendste Änderung war der Wechsel zu drei horizontalen Luftschlitzen, die von oben nach unten kürzer wurden.

Inspiriert war dieses Detail vom Chrysler „Airflow“ – der zwar aufgrund seiner monströsen Erscheinung beim Kunden zurecht durchfiel, aber erheblichen Einfluss auf die Karosseriemode jener Zeit hatte.

Wo aber bleibt der versprochene Chic bei diesem Chevy? Zugegeben: die Limousine des 1934er Chevrolet wirkt eher massiv und behäbig.

Inzwischen ist aber das Foto eines wirklich attraktiv gezeichneten Chevrolet desselben Modelljahrs aufgetaucht, das dem Spürsinn von Leser Klaas Dierks zu verdanken ist:

Chevrolet „Master“ von 1934; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch wenn sich das Fotomodell auf dem Trittbrett um einen möglichst griesgrämigen Gesichtsausdruck bemüht, tut das den Qualitäten des zweitürigen Cabriolets keinen Abbruch.

In wünschenswerter Deutlichkeit sind hier die erwähnten Luftschlitze in der Motorhaube zu sehen, die sonst meist teilweise verdeckt sind.

Die vollverchromten Scheinwerfergehäuse sind ein Indiz dafür, dass wir es mit der gehoben ausgestatteten „Master“-Serie zu tun haben, bei der der Chromschmuck üppiger war als bei der Basisversion „Standard“.

Übrigens fiel auch die Motorleistung des Chevrolet „Master“ mit nunmehr 80 PS deutlich opulenter aus als beim „Standard“, der weiterhin „nur“ 60 PS bot. Beide Aggregate besaßen strömungsgünstig im Zylinderkopf liegende Ventile (ohv-Anordnung).

Der Werksaufbau als zweitüriges Cabriolet war dem „Master“ vorbehalten und war mit 695 Dollar zugleich der teuerste. Beim Chevrolet „Standard“ gab es nur fünf statt acht Karosserieversionen, deren billigste der Roadster mit 465 Dollar war.

Kostentreibend waren beim Cabriolet unter anderem die versenkbaren Seitenscheiben und die aufwendige Verdeckkonstruktion, die im Unterschied zur Dachpartie geschlossener Versionen viel Handarbeit erforderte.

Auch wenn mir keine Produktionszahlen zu dem schicken 2-türigen Cabriolet auf obigem Foto vorliegen, darf man davon ausgehen, dass es nur selten geordert wurde.

Anders sind nämlich die Stückzahlen des Chevrolet im Modelljahr 1934 nicht zu erklären. Allein vom „Standard“-Typ enstanden fast 100.000 Stück. Noch größeren Absatz fand jedoch der besser ausgestattete „Master“ mit beinahe 460.000 Wagen.

Angesichts solcher Größenordnungen und der Exporterfolge amerikanischer Hersteller auch am deutschen Markt liegt es für mich auf der Hand, dass US-Vorkriegswagen bei Klassikerveranstaltungen hierzulande heute stark unterrepräsentiert sind.

Dabei sind amerikanische Autos praktisch die einzigen, bei denen attraktives Äußeres und großzügige Motorisierung noch für einigermaßen erträgliche Preise zu bekommen sind. Interessanterweise wusste die Generation der einstigen Besitzer das noch – während bei heutigen Enthusiasten allzuoft nur das Prestige teurer Manufakturmarken zählt…

Literatur: B.R. Kimes/H.A.Clark: Standard Catalog of American Cars, 3. Auflage, 1996

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Bodenständig bis bürgerlich – Chevrolets Markenzeichen

Die US-Volumenmarke Chevrolet haben wir zuletzt in einem Blog-Eintrag zum NSU 8/30 PS von 1928 gestreift. Heute gönnen wir uns einen ausführlichen Ausflug in zehn Jahre Markengeschichte von 1919 bis 1929.

Dabei wird deutlich, wie souverän Chevrolet einst sowohl ganz bodenständigen Transportbedarf als auch bürgerliche Repräsentationsansprüche bediente –  und das zu Preisen, neben denen nur Ford bestehen konnte.

Beginnen wir mit folgender Aufnahme aus den USA:

Chevrolet Series FB Four; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir die Limousine des Typs Series FB Four von 1919, die sich durch den kecken Schwung der zuvor gerade auf das Trittbrett stoßenden Vorderschutzbleche vom Vorgänger unterschied.

 

Die Marke als solche ist leicht an dem bis heute nur geringfügig veränderten Kühleremblem zu erkennen, das eine stilisierte Fliege („Bowtie“) darstellt. Übrigens war Chevrolet 1919 gerade erst sieben Jahre am Markt.

Der schillernde US-Geschäftsmann William Durant hatte 1912 von Louis Chevrolet – der zuvor bei Buick tätig war – einen Sechszylinder konstruieren lassen, der anfänglich nicht so recht zu den eigentlichen Ambitionen von Durant passen wollte.

Ab 1914 war dann auch ein Vierzylinder von Chevrolet erhältlich, der die Grundlage für einen von Jahr zu Jahr steigenden Erfolg im Segment von Fords Model T schuf.

Die Limousine von 1919 auf unserem Foto, vor dem eine junge Dame aus zweifellos gutbügerlichem Hause selbstbewusst posiert, leistete 37 PS – für ein Einstiegsmodell damals ein überragender Wert (der Tourer beschränkte sich auf 26 PS).

Chevrolet fertigte vom „Four“ des Modelljahrs 1919 aus europäischer Hinsicht unfassbare 127.000 Exemplare. Der Erfolg war schon bald auch ein internationaler:

Chevrolet Pritschenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese eventuell in einem skandinavischen Land entstandene Aufnahme zeigt einen Chevrolet wohl des Modelljahrs 1923 in einer Ausführung als Pritschenwagen.

Für die Nutzfahrzeugversionen von PKW verwendete man einst gedrosselte Motoren, die eher auf Zugkraft abgestimmt waren, daher vermutlich der Hinweis auf das Maximaltempo von 30 km/h an der Seitenwand.

Dort ist auch das Leergewicht (1.060 kg) und das zulässige Gesamtgewicht (1.540 kg) vermerkt – knapp eine halbe Tonne Zuladung war demnach möglich.

Bis zur Frontscheibe war dieser Wagen identisch mit dem Tourer auf folgendem Foto: 

Chevrolet Superior Model B; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser im Original leider stark beeinträchtige Abzug zeigt nun einen Chevrolet Superior – Model B – „Four“ des Modelljahrs 1923 oder 1924.

Man sieht hier gegenüber 1919 einige Veränderungen an der Kühlerpartie und an den Luftschlitzen – neu waren außerdem die trommelförmigen Scheinwerfer. Die verstellbare Frontscheibe könnte auf das Modelljahr 1924 verweisen.

Die Leistung des Tourers betrug unverändert 26 PS. Doch mittlerweile hatte Chevrolet den jährlichen Ausstoß an Fahrzeugen auf über 300.000 gesteigert. Kein Wunder, dass in der ersten Hälfte der 1920er Jahre auch welche in Deutschland auftauchten.

Obige Aufnahme zeigt wohl eines der frühesten Exemplare hierzulande, dem Kennzeichen nach aus dem badischen Landkreis Villingen. Wir haben das Foto bereits bei einer früheren Gelegenheit gezeigt, doch nun können wir einen Kontext dazu bieten.

Außerdem ist eine zweite Aufnahme desselben Autos aufgetaucht, ebenfalls in schlechtem Zustand.

Chevrolet Superior Model B; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schemenhaft ist hier das Mädchen mit den Zöpfen von der vorherigen Aufnahme zu erkennen – nun am Lenkrad. Offenbar hat der Verkäufer die ursprünglich zusammengehörigen Fotos aus dem Kontext gerissen und einzeln verkauft.

Ein Trost mag sein, dass sie hier wieder zusammengefunden haben.

Außerdem fand sich auf der Rückseite des noch auf Albumpapier festgeklebten Abzugs ein weiteres Bild, das wir den Lesern nicht vorenthalten wollen, auch wenn es nur am Rande mit Vorkriegsmobilität zu tun hat:

Wer seinem Kind ein so aufwendiges Spielzeug schenken konnte, war auch betucht genug, um sich ein einfaches Automobil wie den Chevrolet leisten zu können.

Warum man jedoch gleichzeitig sein Haus so offenkundig vernachlässigte, bleibt ein Rätsel (vielleicht war’s das Haus des Nachbarn…).

Verlassen wir nun die bodenständige Welt, in der der Chevrolet einst zuhause war und nähern wir uns beinahe schon großbürgerlichen Verhältnissen, in denen hierzulande ebenfalls Chevrolet gefahren wurde:

Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist das Foto im Jahr 1928 – offenbar an einem kühlen Tag. Der Mantel mit Pelzkragen, den die fröhlich in die Kamera schauende Dame an der Vordertür trägt, war vermutlich ebensowenig „von der Stange“ wie der Matrosenanzug des kleinen Burschen neben ihr, der auf dem Trittbrett balanciert.

Der Chevrolet war zum Aufnahmezeitpunkt erst rund ein Jahr alt – er ist ein Vertreter des Modelljahrs 1927, was an dem nach unten zeigenden „Zipfel“ an der Oberseite des Kühlerausschnitts zu erkennen ist. Dazu passen die nunmehr tropfenförmigen Scheinwerfer.

Die Leistung des Motors, der übrigens bereits seit 1919 im Zylinderkopf strömungsgünstig „hängende“ Ventile statt der altertümlichen Seitenventile besaß, betrug bei diesem Typ unverändert 26 PS, auch bei geschlossenen Aufbauten.

Unterdessen hatte Chevrolet seinen Markterfolg weiter ausbauen können. 1927 zog man mit über 1 Million Fahrzeugen erstmals an Ford vorbei. Man hegt Zweifel daran, dass so etwas heute mit den damaligen Mitteln wiederholbar wäre – unterdessen führt ein fanatischer Abmahnverein höchst erfolgreich Krieg gegen die Volksmotorisierung…

1928 war von diesem Irrsinn nichts zu ahnen, dabei qualmten die Schlote, Kamine und Dampfloks allerorten und die Automobile bliesen allenfalls halbverbranntes Gemisch in die Luft – die Umweltbelastung jener Zeit wäre heute unvorstellbar.

Umso mehr genoss man – wenn man es sich leisten konnte – einen Ausflug aufs Land, wo noch heile Welt herrschte (und nicht wie heute allerorten Wälder und Kulturlandschaften zerstörende Windstromanlagen standen).

Man war sich seines Privilegs durchaus bewusst, mit einem eigenen Automobil der Stadt entkommen zu können und sich auf fast menschenleeren Straßen des „Autowanderns“ zu erfreuen. Ein Erinnerungsfoto gehörte dazu:

Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist derselbe Chevrolet des Baujahrs 1927, den wir zuvor bereits gesehen haben. Auch den sympatisch wirkenden jungen Herrn vorne auf der Stoßstange erkennen wir wieder. Ob es wohl „sein“ Automobil war?

Diese Aufnahme strahlt gediegene Bürgerlichkeit und einen verhaltenen Stolz auf das Erreichte aus.

Man vergleiche die Großzügigkeit und würdevolle Ausstrahlung des Chevrolet besser nicht mit dem, was heute unter diesem Namen herumfährt. Was die Amerikaner einst in dieser Klasse zustandebrachten, suchte schon damals seinesgleichen.

Die deutsche Konkurrenz versuchte, diese in fast jeder Hinsicht überlegenen US-Fahrzeuge als „Massenfabrikate“ verächtlich zu machen. Dabei boten die amerikanischen Hersteller neben bester Qualität ab Werk eine Karosserievielfalt, die hierzulande nur Manufakturhersteller aus eigenen Kräften zuwegebrachten.

Der Chevrolet war in acht offenen und geschlossenen Versionen erhältlich, höherwertige Marken boten noch mehr Varianten. Daneben gab es eine Auswahl an Sonderausstattungen, die hierzulande ihresgleichen suchte.

Man kann es auf diesen Fotos gut erkennen: Die einstigen Besitzer aus deutschen Landen wussten zu schätzen, was sie an ihrem Chevrolet hatten.

Die Sphäre des Bodenständigen bis Gutbürgerlichen, in der Chevrolet einst einen ausgezeichneten Ruf besaß, meint man am Ende jedoch zu verlassen, wenn man sich folgendes herausragende Zeugnis betrachtet:

Chevrolet von 1928; Originalfoto bereitgestellt von Michael Plag

Zu verdanken haben wir diese fast professionell wirkende Aufnahme Leser Michael Plag, dem an dieser Stelle für die Genehmigung der Wiedergabe gedankt sei.

Ein Foto mit einem so raffinierten Bildaufbau, dermaßen präziser Tiefenschärfe und hervorragender Belichtung – noch dazu in so guter Erhaltung – ist für sich genommen schon eine Seltenheit.

Soviel Aufwand „nur“ für einen Chevrolet – das hat schon etwas Künstlerisches. Und tatsächlich mögen die beiden Herren einen Zug ins Bohemienhafte gehabt haben.

Wer meint, dass sie sich von einem Profifotografen vor einer (dem Verfasser unbekannten) barocken Schlossfassade haben ablichten lassen, der irrt.

Schaut man genau hin, sieht man in der rechten Hand des konzentriert ins Objektiv schauenden jungen Mannes den Drahtauslöser, über den er dieses großartige Selbstporträt mitsamt versonnen in die Ferne schauenden Gefährten fabrizierte.

Hier wusste jemand ganz genau, was er tat. Leider wissen wir nichts Genaues über die beiden Herren, die sich mit ihrem Chevrolet einst auf so hinreißende Weise inszenierten.

Ach ja, das Auto hätten wir vor lauter Begeisterung beinahe vergessen: Es handelt sich um einen Chevrolet National – Model AB- Four des Modelljahrs 1928. Zu erkennen ist das vor allem an dem nunmehr oval eingefassten Markenemblem.

Die Leistung dieses Modells war auf 35 PS gestiegen, um nicht hinter das Model A von Ford zurückzufallen. Nochmals erhöht hatte man außerdem die Produktionszahlen: Fast 1,2 Millionen Exemplare entstanden vom Modelljahr 1928.

Schließen wollen wir diesen Reigen aus Originalfotos von Chevrolets aus der Zeit von 1919 bis 1929 mit einem Foto, das wir zwar bereits vor längerem gezeigt haben, das sich aber heute hervorragend als Schlussakkkord eignet:

Man weiß nicht, ob diese drei Herren tatsächlich die besten Schwiegersöhne abgegeben hätten, doch in modischer Hinsicht waren sie über jeden Zweifel erhaben.

Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass selbst der größte Tunichtgut durch einen gut sitzenden und lässig getragenen Anzug geadelt wird, nicht zu verwechseln mit den konfirmandenhaft knapp geschnittenen Teilen, wie man sie heute oft sieht.

Dazu passte schon immer ein gediegener Sechszylinder, wie ihn Chevrolet in Form des „International“ AC Six ab 1929 anbot. Vom Vierzylinder hatte man sich verabschiedet und mit 46 PS Leistung die Latte in der Einsteigerklasse höher gehängt.

In preislicher Hinsicht bot kein deutscher Hersteller Vergleichbares, weshalb dieses Segment weitgehend von den „Amerikanerwagen“ dominiert wurde.

Das war der Stand der Dinge vor rund 90 Jahren. Bei der Betrachtung dieser Fotos mag man sich fragen, was wir seither hinzugewonnen haben (gewiss eine ganze Menge), aber auch, was verlorengegangen ist.

Der Reiz von Vorkriegsautos auf alten Fotos ist nicht zuletzt das: eine Zeitreise in eine untergegangene, immer fremdartiger anmutende Welt. Nur die Autos sind in manchen Fällen geblieben und oft unsere einzige Verbindung zum Gestern.

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Klassenziel leider verfehlt: NSU 6/30 PS von 1928

Der von den großen US-Autoherstellern in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entfachte scharfe Wettbewerb auf dem deutschen Markt gehört zu den zuverlässig wiederkehrenden Themen in diesem Blog für Vorkriegswagen.

Der Verfasser hegt eigentlich keine besondere Sympathie für amerikanische Fahrzeuge, vor allem nicht, was die Nachkriegsproduktion angeht.

Doch ergibt sich bei unvoreingenommener Betrachtung, dass die US-Industrie in der Zwischenkriegszeit einheimischen Fabrikaten in fast jeder Hinsicht überlegen war.

Dadurch sollen die vielen reizvollen Wagen deutscher Provenienz keineswegs herabgewürdigt werden, sie müssen bloß in der damaligen automobilen Hierarchie richtig eingeordnet werden.

Das lässt sich heute anhand folgender Aufnahme mustergültig tun:

NSU 6/30 PS und Chevrolet 11/30 PS Series AA; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese leider etwas unscharfe, doch ansonsten durchaus gelungene Aufnahme entstand vor 90 Jahren – im Jahr 1928 – in Halberstadt in Sachsen-Anhalt.

Die über 1200 Jahre alte Domstadt kann mit dem traurigen Rekord aufwarten, nur drei Tage vor der Besetzung durch amerikanische Streitkräfte im April 1945 von alliierten Bombern zu 80 % zerstört zu werden.

Die Reste der Altstadt fielen dem Modernisierungsfuror des neuen, statt braunen nunmehr roten sozialistischen Regimes weitgehend zum Opfer. So ist auch dieses alte Autofoto ein Rückblick in eine unwiderbringlich verschwundene Welt.

Einmal mehr ist hier Erstaunliches zu entdecken – ein kompakter überteuerter Sechszylinder neben einem großzügig dimensionierten preisgünstigen Vierzylinder.

Kenner ahnen bereits, wie die Sache ausgeht. Doch eins nach dem anderen:

Hier haben wir einen NSU der späten 1920er Jahre vor uns, auch wenn das typische Emblem auf der ähnlich wie bei zeitgenössischen Fiats gestalteten Kühlermaske nur schemenhaft zu erkennen ist.

Bei der Limousine auf dem Foto von 1928 handelt es sich wohl um einen NSU 6/30 PS, da das äußerlich identische Modell 7/34 PS erst im November 1928 vorgestellt wurde.

Mit dem nur 1,6 Liter messenden 6-Zylinder hatte sich NSU alle Mühe gegeben, doch blieben zum einen Kinderkrankheiten an dem Aggregat. Zum anderen war der Wagen viel zu teuer geraten.

Dennoch bewarb NSU den 6/30 PS-Typ kühn als den „billigeren Wagen“:

Originalreklame für den NSU 10/30PS aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst der in der Reklame hervorgehobene Preis der Basisversion von 5.550 Mark war nicht konkurrenzfähig.

So gab es von Opel zeitgleich das stärkere und größere Sechszylindermodell 7/34 PS, das in der Limousinenausführung nur 4.900 Mark kostete.

Vor allem aber gab es eine unschlagbare Konkurrenz aus Übersee, die auf dem eingangs gezeigten Foto neben dem NSU steht.

Ignorieren wir für einen Moment das Kürzel AFZ auf der Scheibe an der Scheinwerferstange:

Die Gestaltung der Kühlermaske mit dem mittigen „Zipfel“ an der Oberseite des Kühlerausschnitts verweist auf einen Chevrolet des Modelljahrs 1927.

Dabei handelte es sich um einen Wagen mit 2,8 Liter großem Vierzylinder, für den je nach Quelle Leistungen bis 30 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h angegeben werden.

War auch der Kraftstoffverbrauch des Ami-Wagens mit 14 Litern/100 km/h höher als der des in etwa gleichstarken, doch weniger elastischen NSU (12 Liter), machte der Kaufpreis den entscheidenden Unterschied:

Der Vierzylinder-Chevrolet war in der Limousinenausführung 1928 hierzulande für 4.625 Mark erhältlich, war also noch günstiger als der erwähnte Opel Typ 7/34 PS, der freilich etwas größer und stärker war.

Auf unserem Foto ist die Überlegenheit des stämmigen „Amerikaner-Wagens“ unmittelbar ersichtlich:

Wie konnte Chevrolet einen solchen Wagen trotz Transportkosten und Importzöllen auf dem deutschen Markt so günstig anbieten?

Die Antwort ist eine siebenstellige Produktionszahl, die enorme Kostenvorteile ermöglichte:

  • 1.193.212 Chevrolets entstanden von dem Wagen des Modelljahrs 1928
  • im Vorjahr 1927 waren es bereits 1.001.820 Fahrzeuge und
  • im Krisenjahr 1929 unfassbare 1.328.050 Stück.

Quelle: B.R. Kimes/H.A.Clark, Standard Catalog of American Cars, 1996

Diese Zahlen mögen das enorme Können der damaligen Entwickler, Logistiker und Arbeiter veranschaulichen, die heute nach kurzer Nachschulung vermutlich einen Flughafen in der Hauptstadt binnen zwei Jahren fertigstellen könnten…

Übrigens: 1929 bot Chevrolet dann auch ein Sechszylindermodell mit 46 PS an, das mit 4.800 Mark in der Limousinenausführung hierzulande immer noch erschwinglicher war als der laut Werbung „billigere Wagen“ von NSU.

Zu diesem Zeitpunkt war das Schicksal von NSU als unabhängigem Automobilhersteller längst besiegelt. 1928/29 wurde die Automobilfabrikation von NSU vom erfahrenen Großserienhersteller Fiat übernommen.

Was aber hat es mit dem Kürzel AFZ auf der Scheinwerferstange des Chevrolet auf sich? Nun, dem Verfasser ist nur die seit Ende des 19. Jh existierenden Publikation „Allgemeine Fleischer Zeitung“ in den Sinn gekommen…

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