Seit ziemlich genau 10 Jahren betreibe ich diesen Blog aus reinem Vergnügen – er dient keinem anderen Zweck, als Gleichgesinnte an meiner Sicht auf die Wunderwelt der Vorkriegswagen anhand alter Fotos teilhaben zu lassen – kostenlos und werbefrei.
Der einzige Preis, den meine Leser zu zahlen haben ist der, dass es hier nicht sonderlich systematisch oder gar „wissenschaftlich“ zugeht. Ich mache und schreibe hier nur das, was mir beliebt – wer damit ein Problem hat, kann sich anderweitig orientieren.
Doch diese Zwanglosigkeit – um nicht zu sagen: Willkür – bei der Auswahl der betrachteten Objekte und der Formulierung meiner Gedanken dazu, diese Zwanglosigkeit stieß jüngst erstmals an eine Grenze.
Das sich daraus ergebende „Problem“ ließ sich jedoch auf eine Weile lösen, dass ich mit keinen Beschwerden dahingehend rechne, dass ich von meinen Prinzipien abweiche.
Im Gegenteil profitieren Sie hier und heute davon, dass ich erstmals ein bestimmtes Fahrzeug präsentieren „muss“. Ich habe tatsächlich vorhin während einer kurzen Ruhepause in liegender Position darüber nachgedacht, ob ich mich wirklich fügen will.
Besagter Zwang ergab sich als Folge davon, dass ich jüngst dieses großartige Dokument als „Rätselfoto des Monats“ präsentiert habe:

Zusammen mit dem Besitzer der Originalaufnahme – Matthias Schmidt aus Dresden – war ich der Auffassung,. dass wir es mit einem „Joswin“ der frühen 1920er Jahre zu tun haben – ein Berliner Fabrikat, das mit mindestens drei verschiedenen Sechszylindern nach dem technischen Vorbild von Flugmotoren angeboten wurde.
Dabei hatten wir uns von einer Abbildung in der 2019er Neuauflage von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ dazu verleiten lassen, nicht weiter zu recherchieren.
Wir hätten es besser wissen müssen, denn bei allen Verdiensten enthält auch diese Neuauflage etliche Fehler – alte und neue. Ich sehe das entspannt, da der Vorteil einer erheblich erweiterten und weit besser bebilderten neuen Auflage überwiegt.
Zum Glück waren einige Leser hier und in meiner parallelen Facebook-Gruppe aufmerksamer und kritischer. So zeichnete sich bald ab, dass wir es in Wahrheit mit einem anderen Fabrikat zu tun haben – ebenfalls aus Deutschland und aus derselben Zeit.
So ergab sich der eingangs beschriebene Zwang, ein veritables Luxusproblem, wie Sie noch sehen werden. Denn mit der Lüftung der wahren Identität des vermeintlichen „Joswin“ ergab sich der „Fund des Monats“ praktisch von alleine.
So versuchte ich erst gar nicht, nach einem anderen Kandidaten zu suchen, sondern begriff die Gelegenheit positiv als „kairos“ – den rechten Augenblick, den günstigen Moment im Verständnis der alten Griechen.
Einer solchen Fügung unterwirft sich der kluge Mensch gerne, so sehr er auch sonst Herr des eigenen Daseins sein möchte. Also sind wir staunende Zeugen, wie sich die Metamorphose des Berliner „Joswin“ in einen „Otto“ aus Bayern vollzieht.
Betrachtete man den vorgestellten Wagen von der anderen Seite und nähme die rechte Hälfte der Motorhaube heraus, sähe er nämlich ziemlich genau wie dieser aus:
Neben der vollkommen identischen Silhouette des Aufbaus – wenn auch hier in schillernder Metalloptik ausgeführt – ist es die Kontour des Kühlers, die übereinstimmt und die bei einem echten Joswin tatsächlich etwas anders ausfiel.
Sie sehen nun, warum ich diese exzellente Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks schon von Jahren in digitaler Kopie zugesandt hatte, einfach bringen musste.
So ist also heute die Gelegenheit, die Automobile der Otto-Werke zu würdigen – viel scheint leider nicht darüber bekannt zu sein. Firmengründer war Gustav Otto – Sohn des Erfinders des gleichnamigen Motors, der bis heute unsere Mobilität maßgeblich mitbestimmt.
Gustav Otto hatte seine eigenen technischen Bestrebungen auf die Fliegerei konzentriert – er war einer der Pioniere des Motorflugs in Deutschland und baute bereits ab 1910 Flugzeuge:
Seine Firma wurde während des 1. Weltkriegs übrigens eine der Keimzelle der späteren Bayerischen Motoren-Werke (BMW), aber das nur nebenbei.
Nach dem Krieg gründete er eine neue Firma unter seinem Namen, in der neben Motorrädern und Fahrrädern für kurze Zeit – wohl nur 1923/24 – mächtige Sportwagen in geringen Stückzahlen entstanden.
Wie die Joswin-Wagen waren auch die Otto-Automobile mit großvolumigen und sehr leistungsfähigen Sechszylindermotoren ausgestattet. Woher genau sie stammten, scheint nicht bekannt zu sein.
Zu den besten Kunden der Firma gehörte offenbar Gustav Otto selbst, der laut Literatur öfters mit seiner Frau an Sportveranstaltungen teilnahm. Hier haben wir die beiden in einer anderen Ausführung des Wagens vor repräsentativer Kulisse (in München vermutlich):
Leider starb Otto schon 1926 mit nur 43 Jahren – wer weiß, was er sonst noch zustandegebracht hätte auf seinem Weg.
So endet diese Geschichte zwangsläufig vor rund 100 Jahren, doch wir lassen das wenige, was bekannt ist, staunend noch einmal anhand dieser alten Dokumente Revue passieren.
Wer weiteres Material zu den Otto-Wagen bereitstellen möchte, möge das bitte per Mail tun. Ich lade diese dann in meiner Exoten-Galerie hoch, wo ich auch einige Joswin-Dokumente einstellen werde.
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.