Borduhr? Bei Sonne überflüssig! Horch 350 Cabriolet

Auf meinen Touren nach Italien und zurück sind vor allem zwei Instrumente an Bord wichtig: Die Geschwindigkeitsanzeige und die Uhrzeit.

Erstere, um stets gerade so weit über dem Tempolimit unterwegs zu sein, dass es im Zweifelsfall nicht teuer wird. Besonders wichtig ist das in der Schweiz – wobei mir die Fahrweise der Einheimischen im Tessin verrät, dass man das dort nicht so militant sieht wie nördlich der Alpen.

In Italien orientiert man sich ohnehin am besten an dem, was die Ortsansässigen mehrheitlich praktizieren. Abgesehen von wenigen Lokalitäten wie rund um Bologna hat das meist wenig mit den aufgestellten Schildern zu tun.

Begegnet einem unterwegs doch einmal ein Vorschriftsgläubiger, der am Wochenende durch eine inaktive Schnellstraßen-Baustelle mit 40-50 km/h fährt und eine endlose Kette an Autos hinter sich hat, ist das nach meiner Erfahrung in 99 % der Fälle ein Deutscher…

Die zweite Anzeige ist die Borduhr – bzw. um genau zu sein – die digitale Uhrzeit, die ich zusammen mit dem Tempo auf einem Zusatzinstrument angezeigt bekomme. Dieses habe ich auf dem Armaturenbrett so montiert, dass ich die Augen nicht von der Straße nehmen muss, um beide Daten jederzeit ablesen zu können.

Das dank GPS absolut präzise, vielfach einstellbare und bei jeder Beleuchtung gut ablesbare Teil stammt natürlich vom Chinamann und ist über die vielgeschmähte amazon-Plattform erhältlich. Dort gibt es aber nun einmal die unzähligen praktischen, durchdachten und günstigen Sachen, die man hierzulande verschlafen hat – wie so ziemlich alles, was Elektronik enthält, einfach zu bedienen ist und dabei oft noch schick aussieht.

Warum aber ist mir die Borduhr so wichtig? Nun, damit kann ich bei einer regelmäßig absolvierten Strecke gut abschätzen, wie ich vorwärtskomme bzw. dass ich eine Schippe drauflegen muss, wenn ich unterwegs Zeit verloren habe.

Auf dem Weg nach Italien will ich ja möglichst schnell am Ziel sein und auf dem Weg zurück werde ich von allerlei Mitbewohnern erwartet – das muss als Erklärung genügen.

Ansonsten komme ich im Alltag ganz gut ohne Uhr klar, die biologische ist erstaunlich gut. Versuchen Sie mal, ohne groß darüber nachzudenken, die Uhrzeit zu raten – auf eine Viertelstunde genau kann man es oft aus dem Bauch heraus sagen.

Dabei hilft speziell auf dem Land, wo man noch Sonne, Mond und Sterne kennt, bisweilen der Blick zum Himmel. Der war und ist auch ein verlässlicher Gehilfe, wenn man im Cabrio unterwegs ist und das Verdeck niedergelegt ist.

Genau aus diesem Grund brauchte der prächtige Horch-Achtzylinder von Ende der 1920er Jahre auf folgender Aufnahme keine Borduhr:

Horch „8“ Typ 350 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu den heute noch begehrten 8-Zylindermodellen, die Horch damals baute – hier noch stark an das US-Vorbild Cadillac angelehnt – muss ich nicht viel sagen.

Ich habe bereits x Varianten davon vorgestellt und in meiner Horch-Galerie finden Sie mehr historische Fotos davon als in irgendeiner anderen Publikation.

Heute geht es mir vor allem um das Thema Borduhr, wobei ich mir vorstellen kann, dass die sächsische Automarke ihre Spitzenprodukte bereits in den 1920er Jahren damit austattete.

Doch – wie dargelegt – wenn man in einem Cabrio unterwegs ist und die Sonne lacht, brauchte man das eigentlich nicht. Das hier abgelichtete Horch-Exemplar illustriert das in schwer überbietbarer Weise.

Das ist eine These so steil wie die Weinberge in der prächtigen Landschaft entlang einer Flußschleife, die hier gerade von einer Fähre überquert wird:

Schön, nicht wahr? Und – was im Deutschland des 21. Jh. nicht selbstverständlich ist – diese grandiose Szenerie bietet sich einem heute noch genauso dar.

Man muss nicht einmal dagewesen sein, um zu wissen: so hochdramatisch sind die Weinberge in deutschen Landen nur an der Mosel angelegt.

Ergo brauchte ich nicht lange, um den Aufnahmeort mit der Präzision meines kleinen GPS-Instruments im Auto zu bestimmen: Der Horch hatte vor dem Ortseingang von Ürzig gehalten, das sich zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach befindet.

Jetzt mögen Sie sich fragen, weshalb ich mir so sicher bin – Moselschleifen mit Weinbau in Steillagen gibt es immerhin einige.

Nun, die Antwort findet sich auf folgendem Bildausschnitt:

Hier sehen wir nicht nur den Achtzylinder-Horch mit dem mutmaßlichen Wunschkennzeichen „8-1000“, darüber erkennt man auch die monumentale Ürziger Sonnenuhr, die dort an einer Turmruine des Mittelalters prangt.

Zwecks Bestimmung der Uhrzeit hatte der Horch dort gewiss nicht gehalten, selbst wenn er keine Borduhr besaß. Es ist schlicht eine beeindruckende Szenerie, wenngleich die heutige Bundesstraße 53 dort – wie die darauf verkehrenden Autos – etwas prosaischer erscheint.

Doch der Schönheit dieses Orts tut das keinen Abbruch. Übrigens: Schon vor 2000 Jahren bot sich auf der damaligen Römerstraße dieselbe Szenerie dar, nur ohne Achtzylinder. Auch die Weinberge gab es schon, wie die beiden unweit gelegenen römischen Kelteranlagen in der steilen Südlage „Erdener Treppchen“ beweisen.

Die wurden aber erst in den 1990er Jahren entdeckt, schlummerten also noch ihrer Wiederentdeckung entgegen, als „unser Horch“ dort einst halt machte. Wenn Sie mal in der Nähe sind, können Sie die konservierten und gut erläuterten Kelteranlagen besuchen.

Dann überlassen Sie sich der segensreichen Wirkung der Sonne und träumen Sie sich in eine Epoche ihrer Wahl zurück – vielleicht begegnet Ihnen dann ja der Horch im Tagtraum.. Jedenfalls können Sie an dem Ort Zeit vergessen – eine Borduhr braucht man dort nicht…

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