Was meinen Sie, ist man mit der konsequenten Beschäftigung mit Autos der Vorkriegszeit „gegen den Strom“?
Nein, das wäre auch irrational. Zum einen: Mit elektrischem Strom betriebene Automobile waren vor allem in den USA vor dem 1. Weltkrieg sehr verbreitet. Es gab unzählige Hersteller und die anstrengungslos zu startenden Elektrowagen waren vor allem bei Frauen aus vermögenden Familien gefragt.
Wer einmal einen 120 Jahre alten Detroit Electric in Betrieb erlebt hat, versteht warum. Die Leichtigkeit der Fortbewegung und die Eleganz des Aufbaus begeistert.
Auch der Blogwart ist ein entschiedener Verfechter der Elektromobilität. Nicht nur bei Kettensägen oder Schlagschraubern schätzt er den Akkubetrieb. Auch auf seiner Scalextric-Rennbahn lässt er gern historische Verbrennermodelle sausen. Dort kann er sich all die Geräte leisten, die ansonsten völlig unerreichbar sind wie Jaguar E-Type & Co.
Ja, aber wie hält er es mit Elektrofahrzeugen im Maßstab 1:1? Nun, ich finde sie ganz großartig – solange jemand sie ganz aus dem eigenen Portemonnaie bezahlt
Über die gutsituierten Zeitgenossen, die sich ihr Batteriefahrzeug aus den Steuergeldern der Verkäuferin und des Bauarbeiters bezuschussen lassen, habe ich eine sehr klare Meinung…
Was den eigenen Fuhrpark angeht, gehört dazu eine Elektro-Vespa, die ich für Fahrten in der näheren Umgebung nutze und wunderbar finde. Das Teil schafft knapp Tempo 50, hat mit zwei herausnehmbaren Akkus 80 km Reichweite und sieht herrlich „retro“ aus.
Natürlich stammt das Ding vom Chinamann, ist entsprechend günstig und im Betrieb völlig unkompliziert. Mit ein paar Anpassungen habe ich dem Teil die Optik einer Vespa der 50/60er Jahre verpasst. Es sind sogar originale Piaggio-Teile daran verbaut.
Bisher ist noch jeder darauf hereingefallen, auch das bereitet mir Spaß. Natürlich sind die teuersten Teile die Akkus – solange die mehr kosten als ein Benzintank und sich nicht in drei Minuten zu 100 % befüllen lassen, wird das nichts mit der Elektromobilität in der Breite.
Sie sehen: wirklich gegen den Strom bin ich gar nicht, auch wenn es bisweilen so scheinen mag. Man sollte halt nicht nur nach dem Bauchgefühl beurteilen, etwa diese Leute:

Na, was würden Sie über diese Leute aus dem Deutschland der späten 1930er Jahre denken, die hier neben ihrem Auto mit Zulassung in Recklinghausen posieren?
So richtig sympathisch wirken sie erstmal nicht, oder? Aber wir wissen nichts über sie außer einer Sache: Sie hatten sich einen neuen amerikanischen Wagen gekauft.
Das war an sich nichts ungewöhnliches in der Zwischenkriegszeit, da die deutsche Autoindustrie mit ihren überwiegend veralteten Modellen und rückständigen Fertigungsmethoden unfähig war, die ständig steigende Nachfrage zu bedienen.
So ist es zu erklären, dass diejenigen, denen nicht die Propaganda von der einzigartigen „deutschen Werkmannsarbeit“ das Urteilsvermögen trübte, die günstigeren, moderneren und besser ausgestatteten Modelle ausländischer Hersteller kauften.
Vor allem Ende der 1920er Jahre war das der Fall. Jede vierte Neuzulassung in Deutschland entfiel auf US-Fabrikate sowie italienische und österreichische Marken.
Der Anteil solcher „vaterlandslosen Gesellen“ unter den Käufern ging in den 1930er Jahren zurück, als die deutsche Autoindustrie aufholte und ein eigenständiges Profil entwickelte.
Doch ganz offenbar gab es auch im national-sozialistischen Kollektiv immer noch unverbesserliche „Volksgenossen“, die sich gegen den Strom entschieden.
Und das tat dieses Paar ganz offensichtlich mit dem Kauf eines 1935er Chrysler „Airstream“, der zumindest dem Namen nach dem Strom entgegengesetzt war – nämlich den Fahrtwind, durch dem man sich möglichst geschmeidig hindurchbewegen wollte.
Das 1935er Modell von Chrysler verkörperte dieses „gegen den Strom“ gerichtete Ideal nicht so radikal wie der am Markt gescheiterte Vorgänger, aber der Anspruch war noch da.
Im Zweifel half die Motorisierung, locker gegen den Strom zu schwimmen. Die 8-Zylinderversionen leisteten zwischen 105 und 150 PS, doch auch die Basisversion mit 6 Zylindern war mit gut 90 PS für deutsche Verhältnisse extraordinär.
Das heute vorgestellte Foto weist Elemente des 8-Zylinder-Typs auf wie die Doppelfanfaren an der Front, während der einfache Scheibenwischer eher auf einen Sechszylinder verweist.
Wie es sich auch verhielt, mit so einem Chrysler bewegte man sich Mitte der 30er Jahre abseits des Mainstreams, was mir das Besitzerpaar am Ende doch sympathisch macht.
Wer die beiden waren und was aus ihnen wurde, das wissen wir leider nicht. Ich weiß aber, was aus den fast 300 Deutschen wurde, die damals in meiner Heimatstadt Bad Nauheim lebten und ermordet wurden, weil sie „jüdischer Herkunft“ waren.
Das waren fast durchweg gut situierte Bürger, deren wirtschaftlicher Erfolg und kultivierter Lebenstil den Neid der Minderbemittelten weckten – nebenbei eine Erklärung, weshalb ihre Entrechtung reibungslos und in aller Öffentlichkeit am hellichten Tag geschehen konnte.
Auf der Website von Dr. Thomas Schwab (AG Geschichte Bad Nauheim) wird der Bericht des NS-Bürgermeisters von 1937 wiedergegeben:
„Die Anzahl der jüdischen Geschäfte ist im Laufe dieses Jahres zurückgegangen. Es sind noch einige wenige jüdische Geschäfte in Bad Nauheim vorhanden,die aber im Laufe der Zeit verschwinden werden. Besonders angenehm wird es empfunden, daß die Zahl der jüdischen Kurgäste zurückgegangen ist, die früher in Bad Nauheim sehr hoch war. Inzwischen hat sich genügend Ersatz für die ausgefallenen jüdischen Gäste gefunden“.
Es gab auch damals Menschen, deren Tun gegen den Strom gerichtet war und sie verdienen unsere Sympathie. Leider waren es zu wenige und leider bleiben viele Namen ungenannt. Wer sich in der Nachkriegszeit damit befasste, bewegte sich gegen den Strom.
Jetzt sehen Sie, was aus dem eingangs lässigen Wortspiel geworden ist. Man blickt auf einmal anders auf manche Menschen auf den Fotos von damals, über die man nicht mehr weiß als im besten Fall den Hersteller eines darauf abgebildeten Automobils.
Hüten wir uns vor einfachen Zuschreibungen und Bekundungen von Zuneigung und Abneigung anhand purer Äußerlichkeiten, die gerade heute in einer Zeit unbegrenzter Verfügbarkeit von Bildmaterial scheinbar leicht fallen.
Auch in der Hinsicht ist man gut beraten, sich gegen Strom zu wenden – mit ausreichend positiver Energie ausgerüstet, fällt das ganz leicht…
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Bei der Automobilwahl ab 1933 gegen den Strom zu schwimmen, wäre auch ein erforschenswerter Aspekt. Aber gerade 5 Jahre zuvor hatten die Amerikanerwagen sowie auch Citroën ihre größte Erfolgsphase am deutschen Automarkt. Über Shapiro und Schebera oder die von Michelin als neuem Eigentümer am Quai de Javel getroffene Entscheidung zur Aufgabe der Auslandsfertigung in Poll gibt es nichts Neues zu vermelden; bei den Händlern und Kunden ausländischer Autos gäbe es aber noch manches zu erforschen. Jedenfalls kann ich mit 2 Beispielen aufwarten, in denen es eine Verbindung vom Fahrzeug einer GM-Marke aus Borsigwalde zur persönlichen Betroffenheit ab 1933 gibt : Einmal wäre da Hermann Krehan, ein Bühnenkünstler, der ausweislich seines Buches „Von der Spree zum Manzanares“ einen Pontiac 6-28 fuhr, und desweiteren Siegfried Frank als Teilhaber der Firma Frank & Hipp in Sigmaringen, die als Autohändler Oakland, Pontiac und Chevrolet vertrieb. So wie hier beim Chrysler Airflow ist mehr als eine regionale Zuordnung kaum möglich und selbst wenn ein Bild vor einer Synagoge entstanden wäre, könnte dies purer Zufall sein.