Nach 10 Jahren Bloggerei in Sachen Vorkriegsautos auf alten Fotos ist es für mich immer noch der schönste Lohn meiner Arbeit, wenn jemand dank der hier einsehbaren tausenden Aufnahmen das Fahrzeug identifizieren kann, mit dem einst ein Vorfahre den Weg durchs Dasein bewältigte.
Ich bitte in solchen Fällen darum, das Foto auch besprechen zu dürfen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bekomme ich fast immer die Freigabe dafür.
Diesmal war es Hans-Werner Dicke aus Freudenberg im Siegerland, der mir eine Aufnahme übersandte, die seinen Großvater im 1. Weltkrieg zusammen mit einem Tourenwagen zeigt. Dank meiner Dokumentation konnte er das Auto selbst als „Phänomen“ identifizieren.
So bleibt mir diesmal nicht viel zu tun, außer den Wagen und die Situation geschichtlich „einzurahmen“. Die Phänomen-Werke aus Zittau hatten nach ihrem bekannten dreirädigen Phänomobil ab 1910 auch vollwertige Autos im Programm.
Recht verbreitet war der 1912 eingeführte Typ 10/28 PS, der einem vor allem auf Fotos aus dem 1. Weltkrieg begegnet – dieses Exemplar hatte ich bereits einmal vorgestellt:

Diese Wagen wurden wie einige andere renommierte Fabrikate (Adler, Benz, Daimler, Opel, Protos, Stoewer…) vor allem als Offiziersautos eingesetzt. Für frontnahe Einsätze wie Aufklärungsfahrten wurde der leichte und kompakte Wanderer bevorzugt.
Auffallend an diesen Phänomen-Wagen ist, dass sie fast denselben birnenfömigen Kühler trugen wie beispielsweise zeitgenössische NSUs oder NAWs. Daher ist meist ein gut lesbarer Markenschriftzug auf dem Kühleremblem der Schlüssel zur Identifikation.
Das half auch Hans-Werner Dicke dabei, den Wagen seines Großvaters als einen solchen Phänomen zu erkennen. Hier haben wir die von ihm übersandte ausgezeichnete Aufnahme, auf der Mensch und Maschine eindrucksvoll für die Nachwelt festgehalten sind:
Dass sich der Hüter der Maschine hier selbst so gut behütet präsentiert, darauf kommen wir noch zurück.
Zuvor will ich Ihr Augenmerk auf ein Detail auf dem Kühler lenken, welches sich neben dem Markenemblem befindet.
Dort hat nämlich jemand „9/27“ aufgemalt. Das erinnert mich an ein Foto von Leser Klaas Dierks, auf dem ein – von den elektrischen Parkleuchten abgesehen – ähnlicher Phänomen derselben Zeit zu sehen ist, der an derselben Stelle den Zusatz „14/35“ trägt:
Da die Bezeichnung der Militäreinheit, welche der Wagen angehörte, auf der Motorhaube vermerkt ist, vermute ich, dass es sich bei diesen Kürzeln um einen Hinweis auf die Motorisierung handelt.
Zwar sind weder ein Phänomen 9/27 PS noch ein 14/35 PS in der mir vorliegenden Literatur zu dieser bis 1945 existierenden Marke zu finden, doch das will nichts heißen.
Kurz vor dem 1. Weltkrieg fand sich bei anderen deutschen Herstellern wie Adler aus Frankfurt am Main die Motorisierung 9/24 PS, sodass eine Variante 9/27 PS als kurzlebiger Vorgänger des gut dokumentierten Phänomen 10/28 PS denkbar ist.
Ebenso würde ein Typ 14/35 PS wie auf dem Foto von Klaas Dierks die Lücke zwischen letzterem und dem Typ 16/45 PS füllen, den es ab Ende des 1. Weltkriegs gab.
Auch wenn das nur Indizien sind, ist die zeitliche Einordnung des Wagens, für den der Großvater von Hans-Werner Dicke verantwortlich war, klar. Nicht nur handelt es sich um eine Aufnahme nach Kriegsbeginn – erkennbar an den Tarnüberzügen der Scheinwerfer.
Auch die stählerne Kopfbedeckung gibt einen wertvollen Hinweis. Sie wurde wohl bewusst angelegt, obwohl das Foto fern der Front entstand und die übrige Ausrüstung abgelegt ist.
Das spricht meines Erachtens dafür, dass der Stahlhelm zum Aufnahmezeitpunkt noch Neuigkeitswert hatte und den Adressaten des Fotos daheim so signalisiert wurde: „Macht Euch keine Sorgen, ich bin dank dieser Neuerung auf allen meinen Fahrten gut behütet.“
Bei der Recherche zum Thema Stahlhelm musste ich feststellen, dass die deutschen Soldaten diesen erst im Lauf des Jahres 1916 erhielten.
Auf französischer Seite hatte man bereits ab Frühjahr 1915 auf die fürchterlichen Verluste bei den Mannschaften durch Artilleriebeschuss im Stellungskrieg reagiert. Die Briten zogen ab Herbst 1915 nach.
Auf deutscher Seite hatten es die Entscheider im fernen Berlin wohl nicht so eilig mit dem Schutz ihrer Soldaten. Erst Anfang 1916 lief die Ausgabe von Stahlhelmen an.
So lässt sich unsere heutige Aufnahme auf frühestens 1916 datieren. Hans-Werner Dickes Großvater hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits das Eiserne Kreuz für besondere Tapferkeit verdient, wie das Band im Knopfloch seiner Feldjacke verrät.
Wofür genau er ausgezeichnet worden war, das hat sich im Nebel der Geschichte verloren. Doch Hans-Werner Dicke konnte mir noch ein hübsches Detail berichten.
Sein Großvater überstand den Krieg und war danach Cheffahrer bei einer Firma in Freudenberg, die Leim aus Tierhäuten herstellte. Von dieser einst bedeutenden Industrie ist in Freudenberg nichts geblieben – außer einer Sache.
So ist im dortigen Technikmuseum die 1904 gebaute und einzig überlebende Dampmaschine der Freudenberger Industrie in einem historischen Bau gut behütet zu bewundern. Die kurzeitig 100 PS leistende einzylindrige Maschine war bis 1972 im Einsatz, rostete dann aber jahrzehntelang vor sich hin.
Den zähen Bemühungen einiger Technikenthusiasten ist es zu verdanken, dass die Maschine erhalten blieb, restauriert wurde und heute hier zusammen mit vielen anderen technischen Antiquitäten bewundert werden kann.
Es ist ein schöner Gedanke, dass etwas aus der Welt des Großvaters von Hans-Werner Dicke – was er vielleicht selbst gesehen hat – nach weit über 100 Jahren noch erhalten ist und im 21. Jahrhundert vom positiven Genius des Menschen kündet.
Das ist der eine Aspekt der heutigen Phänomen-Geschichte. Der andere ist dieser:
Mensch und Maschine, beide wollen gut behütet sein – im Krieg und im Frieden. Vor allem für letzteren gilt es, sich einzusetzen, auch wenn dabei ideologische Gräben und konfligierende Interessen zu überwinden sind.
Der Wille zum Gespräch mit der anderen Seite ist dafür unerlässlich. Das fällt leider manchen maßgeblichen Akteuren schwer, wohl weil es nicht sie sind, die im Zweifelsfall den Stahlhelm und die Konsequenzen fahrlässiger Selbstüberschätzung zu tragen haben…
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Hallo KD,
da Sie offenbar mit der Militär-Historie en detail vertraut sind, wage ich es, Ihnen 2 Truppenbezeichnungen aus dem WK 1 zu benennen, die ich aus zwei Fotos mit Beckmann-Autos ablesen kann. Gerne würde ich Ihnen ggf auch die Bilder zur Verfügung stellen, was hier via Kommentar nicht möglich ist.
Das erste Auto ist ein Beckmann-Modell 10/30 PS, das von 1912 bis 1914 gebaut wurde. Die Truppenbezeichnung lautet „VIII / 1680“. Die Aufnahme ist 1915 in russisch-Polen (Kielce) entstanden.
Der andere Beckmann scheint ebenfalls ein 10/30 zu sein. Die Angabe auf der Motorhaube lautet „CA8 / Kraftfahr-Batl.“, Aufnahmedatum und Ort sind unbekannt.
Können Sie diese Truppenbezeichnungen, besonders das Fz 1 betreffend, zuordnen?
Wenn Sie im vorigen Jahr die einzelnen Blog-Beiträge „Spurensuche: Beckmann-Automobile“ verfolgt haben, dann können Sie mich einordnen – ich bin der Urenkel des Produzenten Paul Beckmann.
Mit vorweihnachtlichen Grüßen aus Pinneberg
Christian J. Börner
Hallo zusammen,
Hans-Werner Dickes Großvater präsentiert sich uns hier unter Berücksichtigung der sichtbaren Vegetation frühestens im Frühling/Sommer 1918, als ein einfacher Soldat der 17. Armee.
Warum dies? Die 17. Armee wurde erst am 01. 02. 1918 aus dem AOK 14 gebildet, die Vegetation spricht für die genannte Jahreszeit. Auch wenn es nicht bewiesen werden kann, ist die Chance gering, dass er als Soldat neben einem Fahrzeug der 17. Armee steht und nicht zu ihr gehört. Dafür müßte er relativ weit von der anderen, eigenen Armee entfernt gewesen sein. Zu welcher Einheit das Fahrzeug selbst gehörte, kann man nicht genau sagen, da die ab dem 15.02.1915 eingeführten Formationszeichen vom 01. 08. 1917 wieder abgeschafft wurden.
Der Großvater trägt die Felduniform M 1907/10 bzw. eine ihrer Fortentwicklungen, mit Doppellitzen am Kragen ohne irgendwelche Rangabzeichen (=einfacher Soldat). Die physische Nähe zum Automobil läßt da natürlich den Gedanken aufkommen, es handele sich demnach um einen Kraftfahrer. Allerdings scheinen die Schulterklappen blank zu sein und nicht das Kraftfahrer „K“ zu tragen. Da der Soldat seine Ärmelaufschläge vor uns versteckt, macht er uns eine genaue Identifizierung seiner Einheit nicht leichter. Ohne einen vollen Vor- und Nachnamen läßt sich so aus meiner Sicht zu dem Foto in dieser Hinsicht nicht viel mehr sagen. Der Umstand, allerdings, dass er noch im Sommer 1918 eine Felduniform 1907/10 trägt und nicht die inzw. eingeführte Bluse M 1915, zeigt, dass er entweder sehr achtsam mit seiner Kleidung umging (die Uniformen durften aufgebraucht werden, auch nach der Einführung der Bluse M 1915), oder, dass sie keinen großen Belastungen, beispielsweise an der Front, ausgesetzt war, was eher einer Beschäftigung in der Etappe nahelegt. Dagegen spricht nicht unbedingt das EKII, das gegen Ende des Krieges recht libertär verteilt wurde, um die Moral zu stärken. Dies sind allerdings nur auf Indizien aufbauende Vermutungen, keine harten Fakten. Für die bräuchte man mehr personenbezogene Infos.
Schöne Grüße,
KD