Babys dicker Bruder: Steyr 630 Vierfenster-Cabriolet

Wie der (damals noch) große deutsche Nachbar stand das kleine Österreich in den 1930er Jahre für Extreme.

Der fatalen Sympathie für die radikal-nationale Spielart des Kollektivismus stand ein Können auf dem Sektor der Karosseriegestaltung gegenüber, das noch heute begeistert.

Wenn ein österreichischer Sechszylinder mit sächsischer 8-Zylinder-Opulenz zusammentraf, war das kurz vor dem 2. Weltkrieg eine Klasse für sich – speziell wenn man nur noch den Himmel über sich hatte wie hier:

Steyr 530 „Gläser“-Cabriolet und Horch 8-Cabrio; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Stilistisch völlig eigenständig standen diese Schöpfungen Mitte der 1930er Jahre auf einer Höhe mit dem Besten aus Frankreich und Italien.

Es macht mich immer wieder sprachlos, wie soviel Schönheit mit soviel Elend in der Wahl der politischen Führung einhergehen konnte – und soviel Bereitschaft zur Beihilfe bei der Verfolgung erst der eigenen nicht-konformen Bürger und dann der Verheerung beinahe aller Nachbarstaaten.

Verlassen wir diese letztlich unersprießliche Ebene. Wie ich kürzlich hier bemerkte, schlummert im Menschen von jeher neben dem Genie der Wahn, im Mythos und der Dichtung der alten Griechen war das ein Dauerthema.

Versuchen wir es also auf eine andere Art, mal sehen, ob es gelingt. Die österreichische Qualitätsmarke Steyr – deren 6-Zylindermodell 530 wir auf dem eingangs gezeigten Foto links sehen – stand auf ihre Weise auch für Extreme, doch in positiver Hinsicht.

Neben dem großartigen Kleinstwagen Typ 50, der im Volksmund den Spitznamen „Baby“ trug, hatte Steyr ab Mitte der 30er auch dessen dicken Bruder im Programm, den Typ 630 als erwachseneren Nachfolger des 530.

Diesen in Deutschland heute völlig unbekannten Brummer mit über 5 Meter Länge sehen wir hier mit Werksaufbau als viertüriges Cabriolet:

Steyr 630 Vierfenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die im Vergleich zum 530 deutlich niedrigere Frontscheibe und das längere Chassis lassen den Wagen besonders mächtig erscheinen.

Leider ließ man die Motorleistung unverändert. Mit 55 PS aus 2,3 Liter bewegte man sich bei diesem Luxusautomobil lediglich in der Kategorie der oberen Mittelklasse. Am deutschen Markt waren der Hanomag „Sturm“, der Mercedes 230 und der Wanderer W45/50 praktisch identisch motorisiert.

Am US-Markt wäre so ein Dickschiff kaum unter 100 PS stark gewesen – in Europa hätte man zumindest 70-80 Pferdestärken vertreten können. Die Käufer eines solchen Manufakturwagens, von dem jährlich nur rund 100 Stück entstanden, hätten die höheren Kosten des Unterhalts sicher verkraftet.

Nebenbei ist die Zurückhaltung in Sachen Motorleistung gerade bei Oberklasseautos, die auch für Fernreisen genutzt werden, einer der Gründe, weshalb in den 30er Jahren in Deutschland und Österreich immer noch solvente Käufer zu den souverän motorisierten US-Fabrikaten griffen, mit denen sich entspannt jede Steigung nehmen ließ.

Wer die Käufer des Steyr 630 auf dem heute vorliegenden Foto waren, wissen wir nicht. Die Aufnahme ist zwar in Österreich entstanden, doch deutsche Besitzer sind nicht auszuschließen. Gerade die Wagen von Steyr genossen auch außerhalb Österreichs hohes Ansehen und so findet man etliche mit deutscher Zulassung in meiner Markengalerie.

Letztlich ist es auch egal – was bleibt, ist der Eindruck eines atemberaubenden Automobils auf einer Ansichtskarte, die im August 1940 auf die Reise ging. Da sind sie wieder – die eingangs erwähnten Extreme jener Zeit.

Deutschland hatte gerade erneut die Niederlande und Belgien verheert, um in Frankreich einzurücken – die Liste der weiteren „Kandidaten“ ist erschütternd lang.

Wirklich angekommen ist die im Hochsommer 1940 verschickte Ansichtskarte daher vielleicht erst im Hier und Jetzt. Sie erinnert durchaus passend an die Abgründe, die sich auftun, wenn Selbstüberschätzung und irrationale Motive das Handeln bestimmen.

Die Aufnahme des Steyr 630 beinhaltet aber auch etwas Tröstliches. Was auch immer an Unsinn das Führungspersonal der Gegenwart anrichtet – das Ewige bleibt davon unberührt. Und das sehen wir auf dieser Ansichtskarte:

Steyr 630 Vierfenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ganz gleich, was der Mensch der Gegenwart noch an Blödsinn oder Großartigem anstellt – wenn er nicht mehr da ist und die meisten seiner Schöpfungen ebenso, dann wird sich diese grandiose Ansicht noch genauso darbieten.

Vielleicht gibt es dann vor dieser Kulisse der Reichenspitzgruppe in Österreich noch (oder wieder) weidende Rinder im Wildgerlostal – gehalten als Hobby humanoider Roboter, die sich als rationalere Kreaturen durchgesetzt haben.

Nur die herrlich unvernünftigen Luxusautomobile der 1930er Jahre, die sind dann vermutlich vergangen und vergessen. Doch bis es soweit ist, halten wir die Erinnerung an sie wach…

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