Oldsmobile von 1938 bei der Instandsetzung im Osten

Während des 2. Weltkriegs verfügte keine der europäischen Parteien annähernd über die Fahrzeugkapazitäten, die für die immer rascheren Operationen benötigt wurden. Nach den Stellungskämpfen von 1914-18 war nur wenigen Militärs mit Weitblick bewusst, dass die Auseinandersetzungen der Zukunft Bewegungskriege sein würden.

So wurde nach Kriegsausbruch 1939 auf allen Seiten hastig alles an zivilen Fahrzeugen beschlagnahmt, was einigermaßen einsatztauglich erschien und nicht für unabweisbare private Zwecke benötigt wurde. Nach der Niederlage Frankreichs und dem Desaster der britischen Truppen bei Dünkirchen im Jahr 1940 fielen der deutschen Wehrmacht tausende PKW und LKW der Alliierten in die Hände, die  willkommene Ergänzungen des eigenen Fahrzeugbestands darstellten.

Geschätzt wurden von den Soldaten nicht nur die Frontantriebswagen von Citroen und die 02er-Modelle von Peugeot. Auch Beutefahrzeuge amerikanischer Provenienz wurden in den Wehrmachtsfuhrpark aufgenommen; sie waren in vielerlei Hinsicht das Modernste, was seinerzeit verfügbar war. Einige Typen von Buick, Chevrolet und Ford wurden vor dem Krieg sogar in Deutschland montiert.

So begegnen einem auf den unzähligen Privatfotos, die einst von deutschen Landsern an allen Fronten geschossen wurden, immer wieder US-Fahrzeuge mit Nummernschildern und taktischen Zeichen der Wehrmacht. Doch selbst auf diesem vermeintlich abgegrasten Feld macht man bisweilen überraschende Entdeckungen.

Folgendes Originalfoto zeigt ein solches Beispiel:

Oldsmobile_Bj1938_Ostfront

© Oldsmobile, Bj. 1938, bei der Wehrmacht; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen stammt unverkennbar aus dem General Motors-Konzern, nur die Identifikation der Marke gelang erst mit Hilfe der kompetenten Website KfZ der Wehrmacht. Dort hat Holger Erdmann eine einzigartige Sammlung von Originalfotos zusammengetragen, die alle nur erdenklichen Fahrzeuge auf deutscher Seite während des 2. Weltkriegs in strukturierter Form zeigen.

In der Rubrik „US-Autos“ kann man dort nach Marken stöbern, und nachdem die üblichen Verdächtigen wie Buick, Chevrolet, Chrysler, Dodge und Ford nicht zum Ziel führten, wurde der Verfasser schließlich bei Oldsmobile fündig. Wagen dieser bereits 1897 gegründeten Marke scheinen nur in geringer Zahl Eingang in den Beutefahrzeugbestand der Wehrmacht gefunden zu haben.

Der Wagen auf unserem Foto lässt sich jedenfalls als Oldsmobile der F-Serie des Modelljahrs 1938 identifizieren, vor allem die waagerechten Kühlerstreben verraten dies. Der Blick auf die technischen Daten des Wagens verrät, dass man ein solches Fundstück gewiss nicht verschmähte: Das Mittelklasseauto wurde von einem Reihensechszylinder mit 3,8 Liter Hubraum und über 90 PS angetrieben. Damit bewegte man sich leistungsmäßig auf dem Niveau eines Oberklasse-Horch 930 V mit Achtzylindermotor, dessen Fahrwerk kaum besser war.

Problematisch wurden solche Exoten natürlich dann, wenn komplexe Reparaturen anstanden. Bei normaler Alltagsnutzung waren die robusten „Amis“ kaum kleinzukriegen, doch speziell der Kriegseinsatz in Russland hinterließ früher oder später Spuren. Tatsächlich befindet sich auch der Oldsmobile auf unserem Foto offenbar bei der Instandsetzung:

Jedenfalls ist der Wagen vorne aufgebockt – man kann die entlastete Einzelradaufhängung gut erkennen und innen macht sich jemand am Auto zu schaffen. Vielleicht muss etwas an der Lenkung repariert werden. Um die Vorderstoßstange scheint ein Abschleppseil gewickelt zu sein, das in der gefürchteten Morastperiode nach Winterende an der Ostfront oft benötigt wurde. Das Reifenprofil ist alles andere als geländegängig, doch noch erstaunlich gut. Möglicherweise wurde irgendein von der Dimension passender Neureifen montiert.

Die Instandsetzungseinheiten der Wehrmacht mussten angesichts des bunt durcheinandergewürfelten Fahrzeugparks über großes Improvisationsvermögen verfügen. Für Beutefahrzeuge waren – mit Ausnahme einiger französischer Modelle – keine Ersatzteile zu bekommen und Spezialwerkzeug fehlte ganz.

Die Arbeitsbedingungen in Frontnähe kamen als zusätzliche Erschwernis hinzu. Au der Ausschnittsvergrößerung sieht man hinter dem Oldsmobile einen massiven Holztisch, auf dem unter freiem Himmel einige Teile ausgebreitet scheinen.

Was von den Instandsetzungsabteilungen täglich geleistet wurde, gehört zu den unbesungenen „Heldentaten“, über die es keine Literatur gibt. Die Frontsoldaten auf allen Seiten wussten aber natürlich, was sie ihren ölverschmierten Kameraden hinter den Linien schuldig waren…

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