Funktion UND Eleganz: Stoewer V5 Sport-Cabriolet

Mit dem 1. Weltkrieg endet in Deutschland die kurze, aber enorm fruchtbare Epoche des Jugendstils.

Ein letztes Mal – zumindest aus vorläufiger Sicht – hatten der Natur entlehnte organische Formen die Gestaltung von Bauten und Alltagsgegenständen bestimmt. Auch in weiten Teilen des Habsburgerreichs dominierte dieser variantenreiche Stil bis 1914.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in Deutschland, das zu den Zentren des Jugendstils in Europa zählte, danach ein Absturz in den Funktionalismus stattfand, der aus meiner Sicht bis heute die deutsche Seele beherrscht und verheert.

Dass nach dem verlorenen Krieg und angesichts der Belastung der Volkswirtschaft durch die maßlosen Auflagen des Versailler „Vertrags“ lange Zeit rein praktische Erwägungen das Alltagsleben der meisten Bürger bestimmen würden, liegt auf der Hand.

Doch unabhängig davon kam eine elitäre Bewegung auf, die den Funktionalismus in allen Gestaltungsfragen zur Doktrin erhob und dabei das menschliche Bedürfnis nach Ornament, Gefälligkeit und Gemütlichkeit rücksichtslos als überholt abtat.

Nicht durch die Funktion eines Baus oder Gegenstands gebotene Gestaltungselemente als überflüssig, ja falsch abzutun, das war Ausfluss keiner Kunstrichtung mehr, sondern einer Ideologie, die meist zu menschenverachtenden Ergebnissen geführt hat.

Ein frühes Beispiel dafür ist die von Technokraten erfundene „Frankfurter Küche“, welche zum sinnenfeindlichen deutschen Konzept der „Sättigungsbeilage“ passt. Dasselbe gilt für die von den Bauhäuslern ersonnenen gesichtslosen Massenquartiere.

Dieser radikale Bruch mit allen historischen Gestaltungstraditionen ist mitverantwortlich für das desolate Erscheinungsbild vieler unserer Städte. Noch 100 Jahre nach dem Bauhaus strahlen einem zwanghaften Kubismus entsprungene Neubauquartiere die immerselbe Tristesse aus.

Man muss sich dieses radikal-nüchternen Trends in den 1920ern Jahre bewusst sein, um das Aufleben der Sehnsucht nach der schönen Form in den 30er Jahren würdigen zu können.

Zur Illustration möchte ich nicht auf eine perfekte Werksaufnahme oder das Foto einer auf Hochglanz gebrachten Karosse verweisen, sondern auf diese Momentaufnahme einer Landpartie in den späten 1930er Jahren:

Steyr 530 und Horch 853; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hätte bei dieser Situation auch den Horch 853 auf der rechten Seite in den Vordergrund rücken können, denn ich besitze zwei aus unterschiedlichen Perspektiven geschossene Fotos der beiden Autos.

Doch da ich mit den in Deutschland gern übersehenen österreichischen Premium-Automobilen der Vorkriegszeit sympathisiere, soll hier der verschmutzte Steyr 530 mit Gläser-Karosserie mein Argument unterstützen, dass es in den 30er Jahren im Automobilbau zu einer Renaissance der reinen Schönheit kam, die schwer zu erklären ist.

Die Lust an der eleganten Form manifestierte sich damals sogar an der schwierigsten Partie des Autokörpers – dem Hinterteil. Hier haben wir ein Beispiel dafür, wobei ich keine Ahnung habe, mit was für einem Wagen wir es dabei zu tun:

unbekanntes Cabriolet, aufgenommen in Dortmund; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die der vermögenden Oberschicht vorbehaltene neue Lust an der puren Eleganz – gern auch auf Kosten der Praxistauglichkeit – lässt sich sogar an einem Wagen eines Herstellers veranschaulichen, welcher einer ewaigen Neigung zum Exzess denkbar unverdächtig war.

So entstand auf Basis des vor allem für seine Robustheit geschätzten, ansonsten konventionell gestalteten Typs „Sturm“ (evtl. auch „Rekord“) des Maschinenbaukonzerns Hanomag einst dieser hinreißender Roadster mit extrem flacher Frontscheibe:

Hanomag „Sturm“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Übrigens ist bis heute unklar, wer diese Spezialkarosserie gebaut hat. Leider sind nicht alle Blechkünstler jener Zeit (und den Begriff meine ich ernst) so perfekt dokumentiert wie die Manufaktur von Gläser aus Dresden etwa.

Man könnte stundenlang so weitermachen, doch eigentlich soll es heute ja um den Typ V5 von Stoewer gehen.

Dieser Wagen ist nun einerseits ein Beispiel für reinen Funktionalismus, jedenfalls in der Ende 1930 vorgestellten ursprünglichen Form. Stoewer gelang es damit, den ersten deutschen Frontantriebswagen auf den Markt zu bringen:

Stoewer V5 von 1931; Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Mit seinem immerhin 25 PS leistenden und 1,2 Liter messenden Vierzylinder konventioneller Bauart und dem Frontantrieb repräsentierte der Stoewer V5 zunächst eine rein technologische Entwicklungsstufe.

Dass es dem Nischenproduzenten aus Stettin gelang, diesen Coup kurz vor den Großserienherstellern DKW und Adler zu landen, unterstreicht die Wichtigkeit kleiner innovativer Wettbewerber in einem Markt, an dem es sich gern große Anbieter gemütlich machen.

In Deutschland gibt es diese gesunde Konkurrenz längst nicht mehr, doch Anfang der 1930er war das trotz der brutalen Auslese der späten 1920er Jahre noch anders.

Stoewer machte damals aber nicht nur mit neuen funktionellen Lösungen von sich reden, sondern vermochte auch wiederholt mit Spezialausführungen zu brillieren, die einen ganz eigenen Charakter besaßen und doch als elegant wahrgenommen wurden.

Eine Version des Stoewer V5 repräsentierte diese Balance aus Funktion und Eleganz besonders vollkommen – das vom Hersteller selbst entworfene Sport-Cabriolet:

Stoewer V5 Sport-Cabriolet von 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser rasant wirkende, sehr niedrig gehaltene Wagen wurde im Juni 1932 von seinen neuen Besitzern im Stoewer-Werk in Stettin abgeholt und auf eigener Achse nach Hause gefahren – ins 850 km entfernte Karlsruhe.

Obiges Foto zeigt den Wagen auf einem Halt unterwegs mit einem ziemlich mitgenommenen Überführungskennzeichen. Hinter der Stoßstange unterhalb des Kühlergrills sehen wir die noch unbeschriftete weiße Nummernschildfläche.

Dass wir es hier mit einem Fronttriebler zu tun haben, würde man kaum denken – fällt Ihnen ein modernes Auto mit Vorderradantrieb ein, das wie ein klassischer Sportwagen wirkt?

Das oben gezeigte Stoewer V5 Sport-Cabriolet kam jedenfalls glücklich in seiner neuen Heimat im Badischen an und nahm nur kurze Zeit später – Anfang Juli 1932 – am berühmten Concours d’Elegance in Baden-Baden teil, der damals als „Automobil-Turnier“ firmierte:

Stoewer V5 Sport-Cabriolet von 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Wagen nun mit geschlossenem Verdeck und dem offiziellen Nummernschild, daneben die uns schon bekannte Insassin.

Was meinen Sie, welchen Platz der Stoewer bei dem Schönheitswettbewerb errungen hat? Nun, den ersten natürlich, so ist es jedenfalls auf der Rückseite des Fotos vermerkt.

Dank Leser Joachim Ade, der eine Originalbroschüre dieser Veranstaltung besitzt, wissen wir, dass sich der Sieg auf die Kategorie „2-3-sitzige Cabriolets bis 1500ccm Hubraum“ bezog.

Bei den damaligen Concours-Veranstaltungen stand der überzeugende ästhetische Auftritt – übrigens auch der Besitzer – im Vordergrund. Im vorliegenden Fall war dies Frau Ministerialrat Schwarz aus Karlsruhe, wie die Broschüre von Joachim Ade verrät.

Die Funktion des Wagens war bei solchen Wettbewerben uninteressant und durfte im Fall einer Traditionsmarke wie Stoewer als über jeden Zweifel erhaben vorausgesetzt werden.

So verbinden sich am Ende unauffällige, zeitgemäße Funktion mit einer eleganten und zugleich charakterstarken äußeren Form. Davon brauchen wir im tristen Deutschland dieser Tage dringend mehr – und das nicht nur in punkto Autogestaltung.

Vielleicht erleben wir noch einmal eine Renaissance der Balance aus unauffälliger Funktion und sinneverwirrender Ästhetik wie auf dieser Aufnahme, die ich bei den Classic Days 2017 auf Schloss Dyck machte:

Horch 853 auf Schloss Dyck 2018: Bildrechte Michael Schlenger

Die grandiosen Fahrzeuge der 1930er Jahre verdienen aus meiner Sicht (und etlicher Kritiker der Neuauflage der Classic Days 2022) künftig wieder eine Kulisse wie diese, welche sich in der kulturell reichen Niederrhein-Region doch finden lassen sollte – wenn man es will.

Dazu muss jedoch der Veranstalter verstehen, dass ein Parkplatz in der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens rein funktionell betrachtet Vorteile haben mag, aber indiskutabel ist, was ein würdiges Ambiente für solche Kunstwerke auf vier Rädern angeht.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

10 Gedanken zu „Funktion UND Eleganz: Stoewer V5 Sport-Cabriolet

  1. Interessant ist, dass die US-Großserienhersteller innerhalb des von der Rationalisierung gebotenen Rahmens nach wie vor die ganze Bandbreite an Karosserieformen anboten – gleichzeitig gab s zahlreiche Austattungvarianten und Accessoires, die weiterhin eine Individualisierung ermöglichten, wenn man das wollte. Industralisierung und anspruchsvolle, differerenzierte Ästhethik mussten also kein Widerspruch sein – ausschlaggebend ist letztlich, ob die Käufer nur ein bezahlbares Fortbewegungsmittel wollten oder zugleich auch ein repräsentatives Fahrzeug. Sich wandelnde Mentalitäten spiel(t)en daher ebenfalls eine Rolle.

  2. Gerade als die Anschaffung eines neuen Autos noch Luxus war, hatten die Hersteller die Möglichkeit, bei der Gestaltung Flexibilität anzuwenden. Im Zuge der Absicht, den Autokauf einer größeren Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen, setzte sich bei der Gestaltung allmählich eine Rationalisierung durch.

  3. Danke! Ich lerne immer gern dazu, aber Scheinwerfer, Stoßstange und Felgen finden sich so auch bei Hebmüller-Versionen des Hanomag „Sturm“. Bliebe also die Maske mit obenliegendem Flügellogo – gab es die nur beim frühen Rekord von 1934-36?

  4. Ich glaube, es schon einmal geschrieben zu haben, bei dem Hanomag handelt es sich um einen Rekord der Baujahre 1934-1935.
    Erkennbar an Maske, Stoßstange, Scheinwerfern und Felgen.

    Grüße – Sven

  5. Thank you, Paul, very much appreciated! The problem with the „Bauhaus“ from my perspective is that it originally was a pretty elitist phenonemon, but eventually gave birth to mass-reproduced designs which are devastating century-old cities like no other style did in history and are depressing in most cases.

  6. Danke – natürlich alles richtig. Im vorliegenden Fall wissen wir es dank eines Lesers, dem die Ergebnisse des Concours vorliegen, inzwischen ganz genau: Der Stoewer (gemeldet von einer Frau Schwarz aus Karlsruhe) errang Platz 1 in der Kategorie 3 „2- bis 3-sitzige Cabriolets bis 1500 ccm“.

  7. Das unbekannte weiße Cabrio könnte meines erachtens ein 1938 adler trumpf sport cabrio mit buhne karosserie sein. Wenn man es googelt kommt auf der website von classicdigest ein ziemlich trauriges in blau mit hellen speichenfelgen.

  8. Nun, „erste Plätze“ damals muss man relativieren. Bei den sportlichen Wettbewerben gab es nicht nur die Unterteilung in Touren-, Sport- und Rennwagen, sondern auch bis zu 7 Hubraumklassen je Kategorie, Und darüberhinaus noch die Unterteilung in Privat- und Industriefahrer, wobei zu den letzteren alle zählten, die auf irgendeine Weise ihren Lebensinhalt mit Kraftfahrzeugen verdienten. Im Extremfall konnte es also unzählihe „erste Plätze“ geben.
    Bei den Schönheitswettbewerben war das ähnlich, damit die Enttäuschungen – vor allem bei wichtigen Persönlichkeiten – im Rahmen blieben, gab es auch hier jede Menge Klassen, theoretisch könnte es ich also um den Sieg bei den „frontangetriebenen Cabriolets mit Werkskarosserie“ gehandelt haben…

  9. Lots of interesting observations here Michael. It is true that the plain form of Bauhaus must have looked crude and ugly to the traditionalists of the time – and once I would have agreed – but in comparison to the ugly plainness and soulless „style“ of today, they are positive masterworks! For a brief period there in the 1930s, the modernists in architecture, cars, trains and planes, produced some magnificent designs. It was a real high point.

    I found the second photo interesting, where the passengers are removing their luggage from behind the rear seat. This was, of course, very common for the time but it’s rarely photographed. External access to the trunk only became common in the 1940s, but this is often forgotten. I have a 1952 Tatraplan and – due to the rear engine – all trunk access is from the front, folding down the rear seats. The space there is quite large. Tatra continued this arrangement into the 1960s with the T603! I am constantly told and see it written in print all the time, that this is a major inconvenience of the design. Well, it could be if you are inconvenienced by trivialities!

Kommentar verfassenAntwort abbrechen