Tradition weicht Moderne: Hansa & Fiat anno 1925

Die Mitte der 1920er Jahre markiert eine Zeitenwende speziell am deutschen Automobilmarkt.

Bis dahin herrschten noch formale Konzepte vor, die sich bis 1913/14 zurückverfolgen lassen – vor allem repräsentiert durch mehr oder weniger spitz zulaufende Kühler, zwar bereits in Kombination mit elektrischer Beleuchtung, aber noch ohne Vorderradbremse.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen war damit ziemlich genau im Jahr 1925 Schluss. Die Kühler wurden ab dann flach ausgeführt, Vorderradbremsen wurden Standard und wer bis dahin noch nicht auf Linkslenkung umgestellt hatte, tat es spätestens dann.

Was vielleicht nach Unterschieden in technischen Details klingen mag, ging mit einem unübersehbarem Wandel im Erscheinungsbild einher. Von einem Jahr auf’s andere sahen vor 1925 gebaute deutsche Autos „richtig alt“ aus.

Diese Zeitenwende wird auch für den von derlei Feinheiten unbelasteten Betrachter auf folgendem Foto unmittelbar deutlich:

Hansa und Fiat im Januar 1925; Origimalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese von alter Hand auf Januar 1925 datierte Aufnahme mag technisch nur mittelprächtig sein, für uns Vorkriegsauto-Archäologen stellt sie einen Glücksfall dar.

Sicher wird mancher den links zu sehenden Hansa zunächst als Typ C 8/24 PS von 1913-14 oder als Typ D 10/30 PS ansprechen wollen, wie er im 1. Weltkrieg öfters anzutreffen war.

Doch ein Detail spricht dagegen – das auf die linke Seite gewanderte Lenkrad, welches sich erst beim Hansa 8/26 PS findet, der von 1921-24 gebaut wurde:

Zusammen mit Audi gehört Hansa zu den wenigen deutschen Autobauern, die schon Anfang der 1920er auf Linkslenkung umstellten.

Doch davon abgesehen, ist der Hansa 8/26 PS äußerlich kaum von seinem ab 1913/14 gebauten Vorläufer zu unterscheiden. Zwar wurden damals meist noch Gasscheinwerfer verbaut, doch optional gab es bereits elektrische Beleuchtung ähnlich der, die an diesem Nachkriegsexemplar zu sehen ist.

Typisch für noch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg verwurzelte traditionelle Konstruktionen war die mittig geschwungene Vorderachse, welche später einer gerade ausgeführten wich. Die Gründe dafür wird sicher ein fahrwerkstechnisch versierter Leser nennen können.

Das Fehlen von Stoßdämpfern ist ein weiteres Merkmal der damaligen Vorkriegstradition.

Völlig anders stellt sich nun der ebenfalls mit Tourenwagenaufbau versehene, doch deutlich größere Wagen auf der rechten Seite dar. Meines Erachtens handelt es sich um einen Fiat:

Die wesentlich modernere Anmutung dieses Wagens ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Elemente.

Am markantesten ist sicher der flache Kühler, doch auch die Doppelstoßstange ist ein typisches Detail, das sich erst um die Mitte der 1920er Jahre durchsetzt.

Die mächtigen Scheinwerfer sind nun hochglänzend vernickelt, nicht bloß lackiert. Zudem machen sie durch ihre bessere Ausleuchtung der Fahrbahn die kleinen Zusatzscheinwerfer überflüssig, die sich um 1920 noch bei vielen Wagen finden.

Wer genau hinschaut, erkennt unterhalb der Stoßstange am vorderen Rahmenende die trommelförmigen Stoßdämpfer, deren Funktion auf der Reibung von Scheiben beruhte, die variabel gegeneinander gepresst werden konnten.

An den Vorderrädern, die nun Speichen aus Stahl statt solche aus Holz besitzen, fallen die sehr großen Trommelbremsen ins Auge. Sie sind der Hinweis dafür, dass wir es mit einem leistungsstarken Modell zu tun haben.

Vorausgesetzt, dass meine Fiat-These stimmt, kommt damit die 1925 eingeführte Flachkühlerausführung des nur vierzylindrigen Fiat 505 nicht mehr in Betracht. Es dürfte sich eher um einen der parallel angebotenen Sechszylindertypen handeln.

In Frage kommt zum einen der 1925 ebenfalls mit Flachkühler angebotene „kleine“ Sechszylinder-Fiat 510 mit 46 PS aus 3,5 Litern. Zum anderen könnte es sich um das Spitzenmodell 519 handeln, das einen 77 PS starken 4,8 Liter-Motor besaß.

Ich tendiere zu dem ganz großen Typen, überlasse das Feld hier aber gern den Kennern unter meinen Lesern (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Festzuhalten bleibt, dass dieses Foto uns nach bald 100 Jahren zum Zeitzeugen einer Zäsur macht, die sich im Straßenbild binnen kurzem unübersehbar bemekrbar machte. Dass meine Sympathie auch den damals rasch aussortierten traditionellen – und oft charakterstärkeren – Modellen gehört, bleibt davon unberührt.

Der Fortschritt braucht keine Nachhilfe – was überlegen ist, setzt sich von alleine durch. Doch die Bewahrung des Vertrauten und Verlässlichen, das dem Einzelnen oft genügt oder ihm schlicht ans Herz gewachsen ist, das erfordert Engagement – damals wie heute…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Tradition weicht Moderne: Hansa & Fiat anno 1925

  1. Der Fortschritt braucht keine Nachhilfe – was überlegen ist, setzt sich von alleine durch. Doch die Bewahrung des Vertrauten und Verlässlichen, das dem Einzelnen oft genügt oder ihm schlicht ans Herz gewachsen ist, das erfordert Engagement – damals wie heute…
    DANKE FÜR DEN NACHSATZ ! Gruß Rolf

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