Von München an die Riviera: 1929er Buick

Hand auf’s Herz: Was verbinden Sie mit der US-Marke Buick? Denken Sie dabei eher an solide Massenware aus dem General Motors-Konzern oder an die feine Gesellschaft in München und an der Riviera?

Nun, alles eine Frage der Perspektive. In den Staaten stand Buick für unspektakuläre Mittelklasse, doch am europäischen Markt genoss die Marke erhebliches Prestige.

Den Beweis dafür werde ich heute antreten – auf einer abwechslungsreichen Reise, die uns von München irgendwo an die Riviera – so vermute ich – führt. Am Ende werden Sie jedenfalls überzeugt davon sein, dass ein Buick ein geradezu luxuriöses Gefährt war!

Nebenbei vermittle ich ein wenig vom Handwerk des Identifizierens von Vorkriegswagen der 1920er Jahre. Und das wie immer in meinem Blog gratis, aber (hoffentlich) nicht umsonst.

Zum Einstieg habe ich ein Foto gewählt, das zwar achtbare Qualitäten aufweist, es einem aber nicht leicht macht, was das abgebildete Fahrzeug mit Münchener Zulassung angeht:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein stimmungsvolles Foto zweifellos und wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mir jetzt etwas zu dem Fahrer ausdenken, der es sich auf dem Kühler bequem gemacht hat.

Der Mann macht einen sympathischen Eindruck, und ich nehme es ihm keineswegs übel, dass er mit seiner Pose einiges von dem verbirgt, was einem die Ansprache des Wagens leicht machen würde.

Denn es ist noch genug zu sehen, um zu wissen, dass wir ein US-Fabrikat vor uns haben. Dieser Stil mit Zierleiste am hinteren Ende der Motorhaube, an welcher die seitlichen Parkleuchten angebracht sind, ist unverkennbar amerikanisch.

Zwar wurde das auch von europäischen Herstellern kopiert, am fleißigsten von der ruhmreichen deutschen Autoindustrie (sogar von Horch), aber mit etwas Erfahrung lassen sich Original und Kopie immer auseinanderhalten.

Typisch für ein amerikanisches Modell ist beispielsweise die Verzierung am vorderen Ende der Kotflügel. Solches „unnötige“ Dekor galt hierzulande als verpönt, der Funktionalismus hatte in deutschen Köpfen bereits einige Dachschäden angerichtet.

Eine weitere gestalterische Freiheit hatte man sich am Blech unterhalb des Kühlers in Form einer mittig angebrachten „Bügelfalte“ erlaubt. Spätestens hier fällt beim versierten Vorkriegsautofreund der Groschen: Das muss ein 1929er Buick sein!

Denn nur dort fand sich genau dieses Detail, hier am Beispiel eines in Magdeburg zugelassenen Exemplars:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich mag dieses Foto besonders, denn hier wird die enge Beziehung zwischen Mensch und Maschine deutlich, welche sich bei modernen Fahrzeugen nur noch schwer ergibt.

Der Freiheitsgarant Automobil war und ist eine Errungenschaft, welche größte Wertschätzung verdient – das kann ich gar nicht oft genug betonen.

Wenn ich nach 12 Stunden Fahrt abends in „meinem“ italienischen Bergdorf ankomme und die Luft einer anderen, seit Jahrhunderten kaum veränderten Welt atme, verdanke ich das ausschließlich meinem komfortablen und zuverlässigen Auto.

So ging das einst auch unseren Vorfahren, vorausgesetzt sie konnten sich den damals noch kolossal kostspieligen Spaß leisten. Damit wären wir zurück bei der Münchener Gesellschaft, mit der wir begonnen hatten.

Diese war uns schon einmal im Zusammenhang mit dem 1929er Buick begegnet:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Von München aus ist es nach dem Tankstopp kein allzu weiter Weg mehr bis Garmisch-Partenkirchen, wo uns der 1929er Buick ein weiteres Mal begegnet.

Diesmal haben wir es allerdings mit einer Cabriolet-Ausführung zu tun, welche wahrscheinlich bei einem deutschen Karosseriebauer entstanden war.

So etwas war hierzulande durchaus üblich. Denn selbst ein Buick war gemessen an den Einkommensverhältnissen in Deutschland bereits so teuer, dass die in Frage kommenden Käufer auch das Kleingeld für eine individuell in Handarbeit gefertigte Karosserie hatten.

Das Ergebnis sah dann aus der Ferne scheinbar beliebig aus wie hier:

Buick Cabriolet, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Leider wird der Eindruck durch das nachlässig zusammengelegte Verdeck buchstäblich heruntergezogen – die angebliche deutsche Ordnung wurde schon immer überschätzt. Dennoch lohnt sich ein genauerer Blick auf den Wagen.

Denn beim näheren Hinsehen offenbart sich ein Detail, welches uns verrät, dass wir es auch hier mit einem 1929er Buick zu tun haben. Sonst wäre dieses Auto schwer zu identifizieren.

Also treten wir näher heran – es ist ja nicht viel los auf den Straßen in Garmisch und der Fahrer schaut in die andere Richtung.

Vielleicht musste ja einer der Insassen einen unfreiwilligen Zwischenaufenthalt beim Zahnarzt Dr. P.C. Heinz einlegen, welcher seine Praxis im Gebäude der Apotheke hatte:

Wie soll man hier erkennen, dass dieser Wagen ein Buick – und dann noch einer von 1929 – gewesen sein soll?

Nun, dazu müssen wir noch einmal nach München zurück – ich weiß, es ist lästig, schließlich wollen wir an die Riviera, doch es geht nicht anders.

Immerhin müssen wir nicht in die Innenstadt, sondern kehren an den Ort im Voralpenland zurück, an dem einst das erste Foto mit dem im München zugelassenen 1929er Buick entstanden war.

Den schauen wir uns noch einmal genauer an:

Bitte prägen Sie sich das Muster auf der Nabenkappe des Vorderrads ein – ein wenig wie ein Fadenkreuz scheint es auszusehen.

Dieses Detail wird uns heute noch zweimal begegnen auf dem Weg an die Riviera.

Das erste Mal in Garmisch, wo wir erneut das 1929er Buick-Cabrio in Augenschein nehmen. Wir haben zum Glück ausreichend Zeit dazu.

Zwar sitzt der Fahrer wie auf heißen Kohlen, denn es steht ja noch die Überquerung der Alpen an. Doch die Zahnarztsitzung will kein Ende nehmen und so haben wir abermals Gelegenheit, uns heranzuschleichen:

Wieder nehmen wir die Nabenkappe am Vorderrad ins Visier – tatsächlich ist dort eine Art Fadenkreuz zu sehen, wobei unklar erscheint, was sich in der Mitte befindet.

Doch für unsere Zwecke genügt diese Beobachtung vollauf. Denn dieses Detail findet sich genau so nach meinem Eindruck nur am 1929er Buick.

Ausgestattet mit dieser Arbeitshypothese machen wir uns nun auf den weiteren Weg gen Süden. Die Herrschaften sind vom Zahnarzt zurück und es kann weitergehen.

Wohin sie damals wirklich unterwegs waren mit ihrem Buick-Cabriolet, das wissen wir nicht. Ihre Spuren verlieren sich mit diesem Dokument im Nebel der Geschichte.

Doch wir lassen uns nicht verdrießen und machen uns auf eigene Faust über die Alpen. Wo genau wir dabei landen, ob wirklich an der Riviera oder vielleicht eher an einem der oberitalienischen Seen, das vermag ich nicht zu sagen.

Jedenfalls landen wir nach vielen Stunden Fahrt über kaum befestigte Paßstraßen im sonnigen Süden. Wir kommen im „Hotel de Paris“ unter – weiß jemand, wo es sich befindet?

Wir wechseln unterdessen die Kleidung, denn die Reisemäntel haben unterwegs ordentlich Staub geschluckt. Erfrischt und nunmehr im feinen Dress mischen wir uns unter die Gesellschaft. Was begegnet uns da unverhofft?

Nun, das muss wieder ein 1929er Buick sein, diesmal als Reiselimousine, welche den einstmals vorhandenen Komfort eines Eisenbahnabteils mit der bis heute unübertroffenen Autonomie einer Benzinkutsche verbindet:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich hier eigens auf die Gestaltung der Nabenkappe hinweisen? Nein, diese grandiose Aufnahme muss als Ganzes genossen sein.

Na, was denken Sie jetzt über die Marke Buick? Wäre so eine repräsentative Sechsfenster-Limousine nicht etwas, was man gern auf einem der sogenannten Oldtimertreffen hierzulande einmal sehen würde?

Leider herrscht diesbezüglich meist Fehlanzeige, obwohl speziell das Modelljahr 1929 in Sachen Buick einst reich vertreten war im alten Europa.

Und dann noch dieser Stil der einstigen Besitzer – leider ist auch der Vergangenheit:

Der Hotelbedienstete links konnte damals nur von der sagenhaften Mobilität träumen, welche die feinen Herrschaften genossen – jedenfalls in Europa war das so.

In den Staaten dagegen konnte sich damals jeder ein Automobil leisten und hinter diesen sozialen Standard kann niemand, der bei Sinnen ist, zurückfallen wollen.

Dies ist eine Botschaft, welche sich aus meiner Sicht immer wieder aus dem Studium solcher Dokumente ergibt. Auf eigene Faust andere Länder und Lebensweisen zu „erfahren“, das bildet und bereichert nicht nur, es immunisiert auch gegen den Irrglauben, daheim bereits in der besten aller Welten zu leben.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Von München an die Riviera: 1929er Buick

  1. Vielen Dank für die schöne Bilderreise im Buick, der zunächst seinen Weg von Borsigwalde nach München nahm, und dann vermutlich durch einen schon damals existierenden General Motors & Opel-Händler den Weg zu seinen zurecht stolzen Besitzern fand, denn dieser Buick war ein technisch wie gestalterisch erstklassiges Fahrzeug ! Seinen 10 Jahre später entstandenen modelltechnischen Ur-Ur-Urenkel kann man sich sogar maßstabsverkleinert in 1:18 nachhause holen; dieses m.E. noch weitaus interessantere Exemplar von 1929 leider aber nicht – und ebenso ist es hierzulande auch in 1:1 kaum noch präsent, obwohl Ihr Bildbericht dessen einst ansehnliche Verbreitung bestens belegt !

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