Nachklang der 1920er Jahre: Peugeot 201B Coupé

Vor 90 Jahren zeichnete sich nicht nur in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine neue Zeit ab. Dass nichts bleiben sollte, wie es war, das war auch auf einem damals noch unpolitischen Gebiet zu beobachten – dem Automobildesign.

Den formal wohl modernsten Wagen jener Zeit fabrizierte nicht die meiner Meinung nach – von isolierten Spitzenleistungen abgesehen – überschätzte deutsche Autoindustrie, sondern ein US-Hersteller der zweiten Reihe: Graham aus Dearborn (Michigan).

Mit dem hochdynamisch gestalteten Modell „Blue Streak“ kam 1933 ein Wagen auf den Markt, der Schluss machte mit der meist kastigen Optik der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Diesen Wagen habe ich hier schon einmal vorgestellt. Zur Erinnerung die Aufnahme eines einst in Berlin zugelassenen Exemplars – einige Zeitgenossen hatten dort offenbar noch ein gesundes, d.h. von ideologischen Störungen ungetrübtes Verhältnis zum Automobil:

Graham „Blue Streak“ von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dieser gestalterischen Großtat konnte keiner mehr so weitermachen wie bisher und rollende Schuhkartons mit vertikalem Kühler auf den Markt werfen.

Eine der Marken, welche als erste in Europa mit einer Designoffensive reagierten, war Peugeot. Die Franzosen sollten in den Jahren darauf zu einzigartiger Form auflaufen – jedenfalls die schöne Hülle betreffend.

Wie groß der Kontrast zwischen dem vom obigen US-Vorbild geprägten Peugeot 201 ab 1934 und den bis 1933 gebauten Ausführungen desselben Typs war, will ich heute zeigen.

Dass es dabei quasi zurück in der Zeit geht, stört hoffentlich nicht. Ich finde, das macht die Sache noch reizvoller, außerdem drängt sich dieses Vorgehen förmlich auf.

Beginnen wir kurz nach dem, Ende des 2. Weltkriegs im nun wieder zu Frankreich gehörenden Straßburg. Vor der ehrfurchtgebietenden Kulisse des Kammerzellhaus aus dem 15.-16. Jahrhundert, welches bis heute existiert, steht ein Peugeot 201 von 1934/35:

Peugeot 201D von 1934/35; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Meine Leser wissen, dass ich das Automobil für die bedeutendste Zivilisationsleistung der Neuzeit halte. Aber die technische und vor allem formale Kompetenz unserer Vorfahren aus der vorindustriellen Zeit nötigt mir noch größeren Respekt ab.

Diese grandiose Schöpfung von Planern und Handwerkern vor fast 500 Jahren stellt mühelos das vorwiegend mit Maschinen geschaffene kleine Blechgebilde davor in den Schatten. Solche Demut vor dem enormen Können und Wollen im damaligen Europa muss sein.

Gleichwohl gilt es heute, einer anderen Sache gerecht zu werden. Also schärfen wir den Blick und nehmen das im Jahr 1467 entstandene Sockelgeschoss in den Fokus – denn so haben wir den Peugeot 201 von 1934/35 genau im Blick:

Technisch war der 1929 eingeführte Peugeot mit seinem 1,1 Liter „großen“ und rund 23 PS leistenden Vierzylindermotor vollkommen unauffällig.

Doch in dieser Klasse bot damals kein anderer europäischer Hersteller eine derartig lebendig wirkende Karosserie voller Spannung – sie wirkt schon im Stand in Bewegung befindlich.

Die Erklärung für diese Wirkung ist einfach: Die Karosserie meidet die öde Gerade, wo es geht, sie ist ein spannungsreiches Spiel aus Kurven, Schwüngen und Rundungen.

Noch radikaler sollte Peugeot dies beim Nachfolgetyp 202 umsetzen, der mit dem großen Schwestermodell 302/402 zu den Höhepunkten der Peugeot-Automobilgeschichte zählt.

Wie es der Zufall will, ist am rechten Rand des obigen Fotos das verkleidete Hinterrad eines dieser vom Chrsyler Airflow beeinflussten Peugeot-Typen abgebildet.

Haben Sie’s gesehen? Dann sind Sie jetzt bereit dafür:

Peugeot 302 oder 402; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht eine Skulptur auf Rädern? Für mich sind diese 02er Peugeots jedenfalls wahre Kunstwerke gemessen an dem, was in der Neuzeit von irgendwelchen sich kreativ wähnenden Zeitgenossen zurechtgeknetet wird.

Doch ich schweife schon wieder ab, eigentlich wollten wir doch in der Zeit zurückreisen!

Also: Die formal avancierten Peugeot-Modelle 201 und 202-402 der fortgeschrittenen 1930er Jahren haben wir bereits angerissen. Wie war das nun mit dem „Nachklang der 1920er Jahre“?

Genau den will ich nach dieser Herleitung (oder besser: Umleitung) präsentieren. Noch im Jahr des Erscheinens des alles Dagewesene in den Schatten stellenden Graham „Blue Streak“, 1933, baute Peugeot nämlich erst einmal unverdrossen seinen alten 201 weiter.

Und der sah beileibe nicht annähernd so elegant-dynamisch aus wie die gezeigten Ausführungen von 1934/35, sondern waren noch ganz der Gestaltungslogik der ausgehenden 1920er Jahre verhaftet.

Daher seien Sie nicht enttäuscht, wenn ich nun den Peugeot 201 im strengen Kleid zeige, welches noch auf sein Einführungsjahr 1929 verweist. Das entsprechende Foto ist dennoch ein hübsches Dokument der Eintracht von Mensch, Maschine und Natur:

Peugeot 201; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wären da nicht die seitlichen Luftklappen in der Motorhaube, würde man diesen Peugeot des Typs 201 auf 1929 und nicht auf 1933 datieren, als selbige anstelle von Luftschlitzen verbaut wurden.

Es fällt schwer zu glauben, dass dieses Coupé irgendetwas mit dem eingangs gezeigten Peugeot 201 oder gar dem stromlinienförmig gestalteten Nachfolger 202 zu tun hat.

Doch tatsächlich haben wir es mit technisch gesehen engen Verwandten zu tun. Bloß war der hübsche Zweisitzer, der mitsamt Beifahrerin verewigt wurde, formal noch in fast jeder Hinsicht eine Kreation der 1920er Jahre.

Das macht die Aufnahme so interessant – denn wir Nachgeborenen sehen dieses Fahrzeug und die Menschen, die einst mit ihm unterwegs waren, bereits aus der Perspektive der 1930er Jahre und der sich darin anbahnenden Zivilisationsbrüche.

Die junge Französin, die uns hier so nachdenklich anschaut, stand im Moment der Aufnahme an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte. Das konnte sie nicht ahnen, doch wir Nachgeborenen können mit unserem Wissen anders auf diese Dokumente schauen, die oft genug weit mehr sind als bloß irgendwelche alten Autofotos…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Nachklang der 1920er Jahre: Peugeot 201B Coupé

  1. Sie haben ja ein Adlerauge – dankeschön! Zu meiner Entschuldigung darf ich vorbringen, dass ich mich mit dem Wagen auf dem Foto bisher nur oberflächlich beschäftigt hatte – ich brauchte aber dringend ein wirkungsvolles Bild dieses einzigartigen Entwurfs für meine Story…

  2. Hallo Herr Schlenger,
    der Peugeot „302 oder 402“ auf dem vierten Photo kann eindeutig als 302 identifiziert werden. Werfen Sie mal einen Blick auf das untere Ende des Kühlergrills. 😉

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