Mein gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner begonnenes Porträt der einstmals angesehenen Breslauer Automarke findet eine durchaus solide Resonanz bei den Lesern meines Blogs.
Das ist keineswegs selbstverständlich bei einem vordergründig so entlegenen Thema, das einen noch dazu in eine Zeit zurückführt, die mit unserer Welt des 21. Jahrhunderts nur wenig gemeinsam hat.
Nebenbei sei bemerkt, dass sich immerhin drei Phänomene über die letzten mehr als 100 Jahre als Konstante erwiesen haben: allgemein verfügbare Elektrizität, individuelle Motorisierung und schnelle internationale Kommunikation.
Beim letzten Punkt mögen Sie jetzt stutzen – doch tatsächlich: Schon das Telegramm ermöglichte um 1900 eine – wenn auch teure und limitierte – weltweite rapide Textübermittlung, wie wir sie heute mit E-Mail oder anderen Diensten praktizieren. Nur für die Bildübertragung war man noch auf die Zeitung und damit Eisenbahn und Postdampfer angewiesen.
Was das Automobil betrifft, hat der Fortschritt natürlich wahre Wunder gewirkt. In punkto Fahrwerk, Verbrauch, Sicherheit und Komfort ist das moderne Automobil von seinen Urahnen so entfernt wie eine Boeing 767 von den ersten Wright-Flugapparaten:
Aber: das Versprechen des Automobils – nämlich den Besitzer aus eigenem Antrieb und nach eigenem Gusto an beinahe jeden Ort des Planeten zu transportieren – das wurde schon in der Zeit eingelöst, in der wir heute zurückreisen, nämlich 1908.
Sie werden überrascht sein, wohin uns die heutige Spurensuche in Sachen Beckmann dabei führen wird, das kann ich schon jetzt sagen.
Nun hat aber erst einmal Christian Börner das Wort, dem ich das Material und die Inspiration zu diesem Parforceritt durch die Beckmann-Historie verdanke, deren gründliche Aufarbeitung er sich zur Aufgabe gemacht hat:
„Auf geht’s – in das Jahr 1908, das für Beckmann bereits im Vorjahr begann. So präsentierten die Hersteller ihre 1908er Modelle nämlich schon im Dezember 1907 auf der Automobilausstellung in Berlin. Beckmann stellte dort gleich sechs Autos aus.
Erwartbar waren natürlich die bereits bewährten Vierzylindertypen, welche mit unterschiedlichen Aufbauten zu bestaunen waren. Doch wahrhaft Furore machte der neue Sechszylindertyp mit beeindruckenden 50 PS Leistung.“
Leser Wolfgang Spitzbarth (übrigens Betreiber der Website zu den Konstruktionen von Karl Slevogt) hat einen passenden Auszug aus „Der Motorfahrer“ von Ende 1907 beigesteuert:

Noch mehr hat mir Christian Börner zur Verfügung gestellt – und zwar einen Auszug der Besprechung des Beckmann-Sechszylinders in der „Allgemeine Automobil-Zeitung“ im Dezember 1907:
„Als Clou des Standes können wir das in jeder Beziehung den weitreichendsten Ansprüchen Rechnung tragende 50 PS Sechszylinder-Chassis ansprechen, die Type, mit welcher die Firma die nächstjährigen Konkurrenzen bestreiten dürfte und welche wir als geradezu idealen Wagen des fashionablen Sportmannes bezeichnen können. Kenner und Fachleute werden gewiss nicht verfehlen, dieser neuesten Errungenschaft unserer heimischen Industrie Bewunderung zu zollen. Es ist hier, vom Guten das Beste zusammengenommen, etwas vollkommen Erstklassiges geschaffen worden.“
Herrlich, nicht wahr? So berechtigt die Begeisterung ob des mächtigen Sechszylinder-Beckmann auch war, beschleicht einen doch der Verdacht, dass sich hier ein damals wie heute in prekären Verhältnissen lebender „Pressebengel“ mit einem kleinen Schmiergeld zu solchen Lobeshymnen hat motivieren lassen.
Zwar waren Sechszylinderautos in deutschen Landen damals rar, doch mit dem Protos 26/50 PS gab es ab 1908 einen Konkurrenten – und das aus bestem Berliner Hause.
Der „fashionable Sportsmann“ war daher nicht unbedingt auf einen Beckmann angewiesen, wenn ihm der Sinn nach einem 100-Kilometer-Wagen mit 6-Zylinder-Laufkultur stand.
Wie wir gleich sehen, wurden Beckmann-Autos tasächlich eher für ihre unbedingte Zuverlässigkeit und Sparsamkeit in der soliden Vierzylinder-Klasse geschätzt.
So weiß Christian Börner zu berichten:
„Das Beckmann’sche Geschäft mit Droschken/Taxis lief im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert. Die Beckmann Automobil-Vertriebs-Gesellschaft m.b.H. in Berlin-Wilmersdorf betrieb sogar einen eigenen großen Droschken-Fuhrpark.
Alleine im Jahr 1908 wurden 50 Stück aus Breslau dorthin geliefert. Beckmann-Droschken wurde bevorzugt mit 7/12 PS Zweizylinder- oder 10/14 PS Vierzylindermotoren georderte. Sie galten im Taxi-Gewerbe als sparsam und unverwüstlich. „
Hier haben wir eine hübsche Parade solcher Beckmann-Droschken, bei denen der Fahrer fast ausnahmslos außen saß – wie über Jahrhunderte bei Kutschen üblich:
Was in der Reichshauptstadt – damals neben London und Paris „die“ Kultur- und Industriemetropole in Europa – offensichtlich Erfolg hatte, konnte andernorts nicht unbemerkt bleiben.
Interessant und merkwürdig zugleich ist, dass die Automobile von Beckmann nicht unerhebliche Spuren in Dänemark, Schweden und Norwegen hinterlassen haben.
Man hätte aufgrund der geografischen Lage Breslaus vielleicht eher eine stärkere Präsenz in Osteuropa erwartet. Doch wie ich aus meiner eigenen Familiengeschichte weiß, war das engste Band der schlesischen Städte damals dasjenige an Berlin.
Offenbar wurde in Skandinavien genau registriert, was seinerzeit in Berlin angesagt war, jedenfalls in Sachen Automobil. Das erklärt, warum wir uns gleich warm anziehen müssen.
Doch keine Sorge, wir machen zum Akklimatisieren erst einmal einen Ausflug ins schöne Dänemark, wo angeblich mit die glücklichsten Menschen leben.
Ich glaube das sofort, auch wenn ich noch nicht dort war, denn ich habe noch nie etwas Gegenteiliges gehört. Wer so etwas Geniales wie das Romo Motor Festival veranstaltet, muss mit sich (und der Welt des Verbrennungsmotors) vollkommen im Reinen sein.
Wo waren wir? Im Jahr 1908, natürlich! Bevor ich weiter abschweife, übernimmt Christian Börner in bewährter Weise.
„Anno 1908 lief der erste Beckmann in Dänemark als Taxi, und zwar in Kopenhagen. Es war ein 7-sitziger 10/14 PS-Phaeton mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Anfang 1913 wurde dieser Wagen nach langem Gebrauch in den hohen Norden Norwegens verkauft und dorthin verschifft, denn das Straßennetz reichte bei weitem nicht bis ans Ziel. Käufer dieses Gebrauchtwagens war nämlich ein Fahrrad-Produzent, der seine Manufaktur in der Provinz Nord-Trøndelag auf der Insel Andøya in der Region Vesterålen hatte.“
Ich muss zugeben, dass mir das nichts sagte. Zwar war mein Paderborner Großonkel Ferdinand neben seiner Italien-Passion zeitlebens ein großer Norwegen-Reisender – noch heute höre ich ihn geheimnisvoll „Norrrwegen“ mit gerolltem „r“ sagen – doch die skandinavische Geografie ist mir zeitlebens fremd geblieben.
So habe ich erst von Christian Börner gelernt, dass die Insel Andøya sagenhafte 350 km nördlich des Polarkreises liegt. Dorthin hatte es also diesen 1908er Beckmann verschlagen, der offenbar an einem sonnigen Tag aufgenommen worden war (im Hochsommer klettern die Temperaturen dort auf über 13 Grad):
Wenn man der Überlieferung glauben kann, war dieser Beckmann „das erste Auto in Nord-Norwegen überhaupt und dürfte auf der Insel wenig Auslauf gehabt haben.“
So Christian Börner im O-Ton. Nun fragt man sich, was aus diesem Wagen geworden ist oder ob es noch andere Zeugnisse solcher Beckmann-Veteranen in Skandinavien gibt.
Ich sage ganz offen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe. Denn ich habe mit Christian Börner vereinbart, dass er uns nur peu a peu verrät, was er bisher über die Automobile herausgefunden hat, welche einst seine Vorfahren im schlesischen Breslau fertigten, wo er kurz vor Kriegsende auf die Welt kam.
Liebe Leser, nun müssen wir uns bis Mitte Januar gedulden, bevor wir Neues aus dem alten Europa erfahren, in dem einst auch die Wagen von Beckmann ihren Besitzern eine Mobilität selbst unter widrigsten Bedingungen ermöglichten, welche bis dato selbst Kaisern und Königen nicht zu Gebote gestanden hatte.
Welche ungeheure Zäsur im Leben der Leute die Ankunft der ersten Motorkutschen gewesen sein muss, das ersehen wir schon daraus, dass einst jeder – wirklich jeder – damit für Mitwelt und Nachwelt festgehalten werden wollte.
Was könnte das schöner illustrieren als diese für heute (und 2023) letzte Aufnahme eines Beckmann – genau des10/14 PS-Typs von 1908, der einst nach Norwegen gelangte?
Damit sagen Christian Börner und ich für’s Erste „Auf Wiedersehen“, was die Beckmann-Automobile angeht.
Im Neuen Jahr geht unsere Spurensuche weiter und wie immer sind alle Leser eingeladen, etwaige Beckmann-Dokumente aus ihren Sammlungen zu diesem Projekt beizusteuern, so wie das diesmal dankenswerterweise Wolfgang Spitzbarth getan hat.
Bis zum Jahreswechsel setze ich indessen im Hinblick auf andere Vorkriegsmarken meine Mission (so sagt man heute, wenn man etwas mit Leidenschaft tut) fort – ich habe noch einiges vor, bevor wir 2023 adieu sagen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Übrigens: Im „Conti Autoatlas“ von 1939 war der gesamte Verlauf der Sudeten- Autobahn bereits als „geplant“ eingetragen!
Das entdeckte ich bereits vor über 50 Jahren, als ich diesen beim Großvater rauskommt….
Ein auf Herrn Schlengers Blog
Erkenntnisreiches Jahr 2024 wünsche ich allen Lesern !
Oh ja, Cudell war mit den verbesserten De-Dion Konstruktionen extrem erfolgreich, auch in England und mit großem Absatz in USA (The Chainless Cudell) mit den Differential-Fahrzeugen. um die Jahrhundertwende war Cudell der größte Hersteller von Automobilen in Deutschland.
Dass Cudell solche Exporterfolge hatte, war mir völlig neu!
Spannend, danke!
Ich vergaß zu erwähnen:
ein CUDELL war das erste Automobil in Island (sogar auf einer Briefmarke verewigt), mehrere Cudell-Trikes wurden am Zarenhof in St. Petersburg gefahren, eines steht im Museum. Es gab Cudell-Wagen in Odessa, bei Leitner in Riga wurden Cudell-Fahrzeuge in Lizenz gefertigt. Die Firma „Dux Fahrradwerke“ von Juli Alexandrowitsch Meller fertigte ab 1900 in Moskau Cudell-Fahrzeuge in Lizenz (ein Katalog liegt im Finnischen Nationalmuseum). Die Anzahl der erhaltenen Ruppe&Sohn Piccolo-Automobile in Finnland und Norwegen ist legendär.
Das soll etwas die „Automobile Aktivität“ im Norden und Osten beleuchten.
Siehe: https://www.hf-gefrees.de/heft-12/
über die Planung der Sudetenautobahn. bei Thierstein wurde z.T. schon gebaut. Die Planung war fertig von der A9, Gefrees bis Breslau.
Deutschland war im gesamten Ostseeraum traditionell der wichtigste Handelspartner. Erst nach dem 1. Weltkrieg gelang es, den großen US-Firmen, auch in Nord- und Osteuropa Fuß zu fassen. Das mit der Sudeten-Autobahn war mir neu – wieder was gelernt!
Am Anfang war ich auch überrascht von der Vielzahl von wirklich uralten Automobilen aus der Zeit 1890-1910 in nördlichen Ländern wie Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und z.T. in Russland.
Man braucht sich z.B. nur auf https://www.veteranvogn.no in der Abteilung „Messing“ umzusehen.
So, wie einst die Nordmänner die Langboote bestiegen und über alle Weltmeere zu fahren, haben sich anscheinend ihre Nachfahren auf die Anfänge des Automobilismus gestürzt.
Die Archive in Russland sind ja dank EU nicht mehr zugänglich, das Archiv in Helsinki ist dank Finnisch wenig hilfreich. Aber im Norden und Osten war man in der Jugendzeit des Automobils doch deutlich aktiver.
Leider fehlten von Breslau aus leistungsfähige Straßen, die erst mit der „Sudeten-Autobahn“ entstehen sollten, welche aber nie gebaut wurde. Die Planung war fertig.