Ein schlicht umwerfender Typ: Gräf & Stift SR2

Heute begeben wir uns in die Untiefen der Psychologie zwischen den beiden Geschlechtern – natürlich nur als Vorwand, um sich mit Vorkriegswagen zu beschäftigen.

Bekanntlich sind viele eher schlicht strukturierte Herren der Auffassung, dass sie mit ihren Autos die Damenwelt beeindrucken können. Dabei interessiert die sich – von Ausnahmen abgesehen – weniger für die Gefährte selbst als für das, was diese über die Eignung von deren Besitzern als potenziellen Gefährten verraten.

Also: Hat man es mit einem eher soliden Typ zu tun, dem wirtschaftliche Vernunft auch auf vier Rädern wichtig ist? Das könnte doch ein dauerhafter Partner sein, mit dem man eine Familie gründen kann.

Oder hat man einen Filou vor sich, der sich mit einem fragwürdigen Untersatz mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, aber dabei dennoch eine gute Figur abgibt? Mit dem kann man zumindest eine Weile Spaß haben, bevor man sich etwas Besseres sucht.

Und dann gibt es noch den schlicht umwerfenden Typ, der alles hat, was sich frau heimlich wünscht: Geld, Bildung und Manieren. Ansehen ist in dem Fall wichtiger als Aussehen.

So einem gibt man sich bei allem Selbstbewusstsein gerne hin und vermittelt ihm das Gefühl, dass sich seiner natürlichen Autorität alles unterordnet.

So oder so ähnlich stelle ich mir vor, was in den Köpfen von Frauen vorgeht, die mit älteren, gesetzten und einfluss(reichen) Herren der Schöpfung nur zu gern ihr Dasein zubringen. Der damit einhergehende Akt der äußerlichen Unterwerfung scheint ihnen leicht zu fallen.

Das passende Beweisfoto will ich heute präsentieren. Ich hatte zunächst keine Ahnung, was für ein Wagen darauf zu sehen ist, doch die Situation gefiel mir ausnehmend gut, obwohl ich nicht gerade der Typ bin, der die Verehrung von haufenweise Frauensvolk nötig hat:

Gräf & Stift SR2; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was halten Sie davon? Würden Sie Ihre derzeitige Situation und Position vielleicht gern gegen die der hier abgebildeten Personen tauschen?

Mir scheint zumindest das Gedankenexperiment nicht übel zu sein – jetzt irgendwo bei Sonnenschein im Grünen in gut gelaunter Gesellschaft herumzulümmmeln, das hätte etwas.

Und dann noch so ein umwerfender Typ im Mittelpunkt – was will man mehr? Natürlich meine ich nicht den Herrn, welcher es sich auf dem Rücken eines seiner „Opfer“ gemütlich gemacht hat und seine Lage zu genießen scheint.

Nein, die Rede ist von dem phänomenalen Tourenwagen, der vor rund 100 Jahren einfach umwerfender Qualitäten hatte. Denn das ist ein mächtiger Gräf & Stift – wahrscheinlich des Sechyszlindertyps SR2 von Beginn der 1920er Jahre.

Sein 7,7 Liter große Motor leistete anfänglich 75 PS, was ihn zum idealen Reisewagen im Alpenraum machte. Mit solch einem Gerät konnte man bei Bedarf vollbesetzt und vollbepackt mühelos nach Italien reisen und dort nach Lust und Laune umherkreuzen, ohne sich um die Haltbarkeit des Aggregats Gedanken zu machen.

Das – und nicht etwa die theroretisch erreichbare Höchstgeschwindigkeit – war der Sinn dieser niedrigdrehenden Riesenmotoren, deren Drehmoment zugleich den Schaltaufwand auf ein Minimum reduzierte.

Die Hinweise auf Hersteller und Typ finden sich in Form der auf zwei Reihen verteilten Luftschlitze in der Motorhaube, welche das vordere Drittel auslassen, und der markanten Anlenkpunkte der hinteren Blattfeder, welche hier als Ausleger („Cantilever“) ausgeführt ist.

Anordung und Form der entsprechenden Wartungsdeckel sind typisch für den Gräf & Stift jener Zeit. Das Vorhandensein von Vorderradbremsen spricht für ein spätes Exemplar:

Ob die Bremsen an der Vorderachse analog zu anderen führenden Herstellern wie Delage bereits Anfang der 1920er Jahre zumindest als Option verfügbar waren, ist mir nicht bekannt.

Beim Nachfolgetyp Gräf & Stift SR3 mit nunmehr 90 PS waren sie serienmäßig, allerdings scheint der mehr Luftschlitze in der Motorhaube besessen zu haben (siehe meine Gräf & Stift Galerie).

Ganz sicher bin ich mir meiner Sache freilich nicht – mir fehlt wirklich aussagefähige, gut bebilderte aktuelle Literatur zu den Modellen von Gräf & Stift (Tipps sind willkommen).

So oder so war dieser große Sechszylinder von Gräf & Stift trotz wenig aufregender Gestaltung ein schlicht umwerfender Typ.

Kein Wunder, dass ihm die Damenwelt zu Füßen lag. Diese beiden Ladies hat es förmlich umgehauen, aber zumindest die eine lässt erkennen, dass sie mit ihrem Los durchaus zufrieden ist:

Was meinen Sie? Hatten diese Damen es etwa schlecht getroffen, welche hier einem eher schlicht anmutenden, aber gleichwohl souveränen Typ zu Füßen liegen?

Gemessen am Schicksal des weit überwiegenden Teils ihrer Geschlechtsgenossinnen hatten sie das große Los gezogen und man darf annehmen, dass sie ihre scheinbar unterwürfige Rolle zu genießen wussten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

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