Vor 100 Jahren ein seltener Gast: Daimler 16/45 PS

Autos der Marke Daimler vor dem Zusammenschluss mit Benz Mitte der 1920er Jahre sind ein seltener Gast in meinem Blog.

Das liegt allerdings nicht daran, dass ich nicht über entsprechendes Bildmaterial verfüge. Vielmehr ist mir keine Literatur bekannt, welche die frühen Modelle dieser Marke wirklich erschöpfend behandelt und die Details der einzelnen Typen und Aufbauten minutiös beschreibt.

Das ultimative Werk über die „Mercedes“-Wagen von Daimler muss meines Erachtens noch geschrieben werden. Warum das bisher nicht geschehen ist, weiß ich nicht.

Ich kann mir das nur mit mangelnder Unterstützung des Herstellers erklären – denn was auf dem Sektor möglich ist, das zeigen die gleich vier Standardwerke zu den einstigen Marken der Auto-Union, dere Traditionspflege dankenswerterweise Audi übernommen hat.

Sollte es „die“ Daimler-Bibel wider Erwarten tatsächlich doch geben, dann lasse ich mich gern vom Stern der Erkenntnis erleuchten. Bis dahin muss ich mich damit begnügen, begründete Mutmaßungen über Wagen der Marke wie diesen anzustellen:

Mercedes-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto. Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist diese reizvolle Aufnahme Anfang August 1924 vor einem Wirtshaus in Bayern, so ist es jedenfalls auf dem Abzug überliefert.

Dort war ein solches Fahrzeug ganz gewiss ein noch seltenerer Gast als in meinem Blog. Denn ganz gleich, um welchen Typ es sich genau handelt, wurden von Daimler in der ersten Hälfte der 1920er Jahre nur einige tausend Automobile gebaut.

Am häufigsten gefertigt worden zu sein scheint der noch vor dem 1. Weltkrieg entwickelte 4-Liter-Typ mit Hülsenschiebermotor nach „Knight“-Patent. Diese ventillosen Konstruktionen hatten zwar ihre Tücken, ihr geräuscharmer Lauf ließ sie dennoch zu einem Erfolg werden.

So blieben die Mercedes-„Knight“-Modelle rund 15 Jahre im Programm und speziel vom 16/45 PS-Typ entstanden über 5.000 Stück – für deutsche Verhältnisse eine durchaus beachtliche, wenn auch nicht außergewöhnliche Stückzahl.

Mein Verdacht ist, dass wir es hier mit solch einem der Mercedes „Knight“-Wagen der frühen 1920er Jahre zu tun haben:

Zwar wirkte der Mercedes 6/25 PS – der erste Kompressortyp der Marke – aus dieser Perspektive recht ähnlich, doch lassen mich die riesigen Scheinwerfer und die Proportionen des Kühlers annehmen, dass wir ein deutlich stärkeres Modell vor uns haben.

Beim Typ 10/40 PS – ebenfalls mit Kompressor – würde ich hier zumindest die Ansätze der in Fahrtrichtungen außen liegenden Auspuffrohre erwarten. Dabei unterstelle ich, dass dieser Typ überwiegend oder durchgängig mit diesem prestigeträchtigen Detail daherkam.

So bleibt meines Erachtens der kompressorlose Typ 16/45 PS mit „Knight“-Schiebermotor der wahrscheinlichste Kandidat. Vielleicht weiß ein sachkundiger Leser mehr.

Da mich die Mercedes-Autos der Zwischenkriegszeit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ziemlich kalt lassen (ich halte etliche Typen für untermotorisiert und überschätzt), will ich zum Abschluss ohnehin den Blick auf etwas ganz anderes lenken.

Das eine ist die Schönheit dieses traditionellen bayrischen Wirtschaftshauses, die sich garantiert keinem „Star“-Architekten zuschreiben lässt:

Die Fassade selbst kommt völlig ohne Zierrat aus – es ist nur die Proportion und Geometrie der Sprossenfenster nebst Fensterläden, welche in Verbindung mit liebevoll gepflegten Blumen die wohltuende Harmonie dieses Gebäudes ausmacht.

Spätere, sich modern dünkende Generationen, haben diesen zeitlos schönen Bauten oft schweren Schaden zugefügt – sei es durch Beseitigen der Fensterläden, Einbau sprossenloser Kunststoffenster und allerlei An- oder Umbauten mit geschmacklosen Elementen, wie sie von gewieften Verkäufern angepriesen wurden.

Ob Eternitplatten, Glasbausteine, Aluminiumtüren, Hochglanzziegel oder sonstige Scheußlichkeiten – keinesfalls wurde damit eine Verbesserung erzielt. Ich wüsste auch kein Land, wo nach dem Krieg dermaßen flächendeckend solcher Schindluder mit der historischen Bausubstanz getrieben wurde und wird.

Kommen wir zu dem zweiten Aspekt, den ich nicht unerwähnt lassen wollte – und das ist die kaum minder erbauliche Rückseite des heute vorgestellten Fotos.

Dieses wurde nämlich aus einem alten Album herausgeschnitten und dabei wurde das umseitig aufgeklebte Foto mit überliefert:

Der Hutform der jungen Dame nach zu urteilen, entstand diese Aufnahme ebenfalls in den frühen 1920er Jahren. Damals waren noch Automobile aus der unmittelbaren Vorkriegszeit unterwegs wie die eindrucksvolle Chauffeur-Limousine auf der linken Seite.

Doch auch die traditionelle Pferdekutsche war noch nicht ganz ausgestorben. Das dürfte speziell in Städten der Fall gewesen sein, in denen etweder Touristen gern eine gemütliche Rundreise mit der Kutsche unternahmen oder man sich abends kostengünstiger als mit dem Automobil ins Theater oder in die Oper kutschieren lassen wollte.

Wo dieses zufällig erhaltene Foto aufgenommen wurde, konnte ich auf die schnelle nicht herausfinden. Das repräsentative Gebäude im Stil der Neo-Renaissance im Hintergrund ist regional schwer einzuordnen, wie das bei Bauten des Historismus oft der Fall ist.

Vielleicht gibt der spektakuläre Brunnen davor einen Hinweis auf den Ort – nebenbei ein Exemplar, wie es das in der Neuzeit nicht mehr gibt, ebenso wie gelungene Platzanlagen. Aber deshalb verbringen wir ja Zeit mit den besten Hervorbringungen unserer Altvordereren und das waren wahrlich nicht nur ihre Automobile.

So gibt am Ende ein seltener Gast vor einem bayrischen Wirtshaus Anlass dazu, sich zu fragen, was noch alles verlorengegangen ist und was davon wir vielleicht besser würdigen und sorgfältiger bewahren sollten, damit auch die Welt von morgen etwas davon hat.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

4 Gedanken zu „Vor 100 Jahren ein seltener Gast: Daimler 16/45 PS

  1. bevor wir irgendwas „bewahren“ können, müssen wir erst mal was loswerden …. ich bete, dass es ab 8.1. endlich klappt, den Superkleber für Politikerstühle zu lösen …

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