Der Monat Januar ist fast geschafft – und er hat auch mich wie jedes Jahr geschafft. Denn nach dem Jahreswechsel habe ich stets außergewöhnlich viel geschäftlich zu tun. Dann reicht am Abend die Energie meist nur noch für Routine-Einträge im Blog.
Das erklärt, weshalb Sie diesen Monat über Gebühr auf die Fortsetzung der Beckmann-Spurensuche warten mussten, die ich seit letztem Jahr gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner unternehme.
Die einst achtbare Automarke aus Breslau in Schlesien (seit 1945 zu Polen gehörig) hat in der gängigen Literatur und im Bewusstsein der deutschen Vorkriegsautofreunde kaum Spuren hinterlassen – dabei verdient sie es, wieder ins rechte Licht gerückt zu werden.
In der letzten Folge bekam man eine Ahnung davon, in welcher Liga Beckmann einst unterwegs war. Diese Firma war kein obskurer Fabrikant irgendwelcher Kleinstwagen oder abwegiger Konstruktionen, sondern ganz auf der Höhe der Zeit und im mittleren bis gehobenen Segment präsent.
Das lässt sich mit dem Material aus den Jahren 1909-1910 illustrieren, das Christian Börner für uns zusammengetragen und kenntnis- wie beziehungsreich kommentiert hat.
Wie immer wechseln sich sein O-Ton und meine Anmerkungen ab – nebenbei eine Koproduktion, die uns beiden viel Freude macht und völlig reibungslos verläuft, obwohl wir uns noch nie persönlich kennengelernt haben.
Heute nehmen wir drei Beckmann-Modelle von anno 1909 exemplarisch ins Visier, von denen gesicherte Angaben überliefert sind und nicht lediglich die bisweilen fehlerhaften Angaben in der jüngeren Sekundärliteratur. Damit hat Christian Börner das Wort:
„Die Zeitschrift Automobil-Welt veröffentlichte im März 1909 sogenannte Wagentafeln verschiedener Hersteller, gegliedert nach Preiskategorien. Dieser Unterteilung folgend seien drei der Typen herausgegriffen, die die Firma Beckmann damals anbot – wobei das Basismodell 8/14 PS mit Zweizylindermotor außen vor bleibt.
In der Preisklasse von 10.000 bis 12.000 Goldmark erwartete den solventen Käufer der vierzylindrige Typ 10/18 PS – übrigens mit einem von Mutel aus Frankreich zugekauften Aggregat:“

Anmerkung von meiner Seite: Bei der Lektüre wird man vielleicht über die eigentümliche Schreibweise von „Phaeton“ stolpern, womit anfänglich solche offenen Tourenwagen bezeichnet wurden.
Tatsächlich ist hier die korrekte Aussprache der altgriechischen Bezeichnung angegeben: „Pha-eton“ – nicht „Phäton“, wie bisweilen zu hören. Auch solche kleinen Details gehören für mich zu Beschäftigung mit der Welt von gestern.
Jetzt schaltet sich aber wieder Christian Börner ein, damit der Blick auf Beckmann nicht schon an dieser Stelle verlorengeht (das holen wir später nach).
Der Preisklasse 12.000 bis 15.000 Goldmark angehörig war 1909 der Beckmann Typ 21/40 PS – er besaß einen vom Hersteller selbstkonstruierten Vierzylinder.
Dieser hatte wie damals häufig der Fall noch keinen einteiligen Zylinderblock, sondern war zusammengesetzt aus zwei paarig gegossenen Doppelzylindern:“
Der wesentlich längere Radstand und die weit höhere Leistung des drehmomentstarken 6,3 Liter-Motors machten dieses Beckmann-Modell zu einem formidablen Reisewagen. Ein Traum wäre es natürlich, ein solches Exemplar irgendwo im Süden abgelichtet zu finden.
Als nächste Steigerung könnte man nun den kolossalen Vierzylindertyp 25/50 PS erwähnen, der mit 7,3 Litern Hubraum ein für heutige Verhältnisse unvorstellbares Zylindervolumen aufwies und sogar schon mit 4-Gang-Getriebe verfügbar war.
Doch Christian Börner hat für uns aus der Automobil-Welt von 1909 etwas noch reizvolleres herausgesucht – nämlich einen der damals am deutschen Markt äußerst seltenen 6-Zylinder.
„Auch unter den Wagen der schwindelerregenden Preisklasse 15.000 bis 20.000 Goldmark wurde man bei Beckmann fündig – in Form des nochmals in der Länge gewachsenen 31/50 PS-Typs:
Der 31/50 PS-Sechszylindermotor dieses grandiosen Wagens bestand aus drei paarig gegossenen Zylindern mit den Abmessungen des Vierzylindertyps 21/40 PS. Nach dem Baukastenprinzip fügte Beckmann also hier einfach noch ein weiteres Zylinderpaar hinzu.“
An dieser Stelle geht Christian Börner nun auf das ein, was ich an dieser Stelle ebenfalls in den Vordergrund gerückt hätte: nämlich die für uns Nachgeborenen im 21. Jahrhundert unvorstellbaren Preisdimensionen, in denen sich die Beckmann-Wagen anno 1909 bewegten – wie natürlich andere frühe Fabrikate auch.
„Die Auszüge aus der Automobil-Welt geben uns zwar Auskunft über die Preiskategorien, in denen die Beckmann-Automobile anno 1909 angesiedelt waren, sagen aber nichts darüber aus, in welcher Relation der Kaufpreis zum Verdienst der Masse der Bevölkerung stand.
Dazu ein Beispiel: So lag der durchschnittliche Monatslohn eines Arbeiters im Deutschen Reich 1909 bei 86 Goldmark (Quelle). Im Jahr entsprach das brutto also 1032 Mark. Jetzt können Sie ob mit oder ohne Rechner überschlagen, wie lange ein Arbeiter für irgendein Automobil hätte schuften müssen – ohne die Abzüge für Abgaben und Lebensunterhalt.
Das macht eindrucksvoll deutlich, dass sich damals überhaupt nur sehr begüterte Menschen Autos leisten konnten.
Der „niederste“ Berufsstand, der das hinbekam, war der der Landärzte. Sie konnten ihren Beruf mit einem motorisierten Zweisitzer weit effektiver ausüben, als mittels an- und auszuspannender und auch in Ruhezeiten haferfressender Pferde Hausbesuche zu machen.
Mit seinem 4/8 PS-„Doktorwagen“ hatte Opel im selben Jahr ein ideales und mit einem Preis ab 3.950 Mark noch finanzierbares Angebot für diese Berufsgruppe auf den Markt gebracht.“
Beckmann hatte in der Kleinwagenklasse damals kein Modell im Angebot – was im nachhinein vielleicht ein Fehler war, denn dort war das Absatzpotenzial zumindest volumenmäßig beträchtlich und der Deckungsbeitrag vieler solcher Doktorwagen in Schlesien und anderswo hätte höher ausfallen können als der weniger gehobener Modelle.
An dieser Stelle weist Christian Börner auf ein interessantes Detail hin, welches den Rang der Marke Beckmann in der damaligen Autohierarchie illustriert:
„Zwar sind von Beckmann Erfindungen mit nachhaltigem Einfluss auf die Autoentwicklung nicht bekannt, aber in einigen Punkten waren die Breslauer Wagen vielen Wettbewerbern einen Schritt voraus. So wurden Beckmann-Autos zu der Zeit bereits mit Drahtseil-(Bowden-)zügen zur Betätigung von Zündung und Vergaser ausgerüstet, während andere Hersteller weiterhin Gestänge verwendeten und erst später dem Vorbild Beckmann folgten.“
An der Wende zum Jahr 1910 war Beckmann weiterhin auf der Höhe der Zeit, wie wir gleich sehen werden.
Unterdessen trieb die Autokonjunktur aber auch einige fragwürdige Blüten. Ein kurioses Beispiel aus jener fernen Zeit hat Christian Börner für uns aufgetan:
Diese köstliche Aufschneiderei – man beachte die großspurige Wortwahl – hat Christian Börner zu einer launigen Kommentierung veranlasst, mit der er mich trefflich persifliert – selbst wenn das nicht seine Absicht gewesen sein dürfte.
Denn bekanntlich neige ich selbst zu dergleichen Abschweifungen und Bezügen zu einer oft sich heillos selbst überschätzenden Gegenwart:
„Was ist uns entgangen seit den Tagen von Beckmann & Co.? Über 100 Jahre lang hätten Unfälle mit Personen- und Sachschäden vermieden werden können! Fatal, dass dieses visionäre Assistenzsystem nicht den verdienten Erfolg fand, weil sich damals trotz Aussicht auf Millionenverdienst kein „Reflektant“ unter den „Kapitalisten“ dafür begeisterte. Heute beschäftigen sich Heerscharen von Entwicklern damit, unsere vierrädrigen Computer so zu dressieren, dass es rundherum piept, wenn Kollisionsgefahr besteht (oder auch nicht). Dabei wurden uns einst wohltönende Glockensignale für diesen Fall versprochen…“
Christian Börner bekommt gekonnt die Kurve aus der Parodie zurück in die Dokumentation und berichtet, wie es weiter mit Beckmann ging:
„Im Jahr 1910 brachte Beckmann seinen ersten Motor in Blockbauweise auf den Markt, und zwar als Nachfolger des von Mutel zugekauften 10/18 PS-Aggregats. Damit waren dem Trend der Zeit entsprechend die aus Einzelzylindern, später aus paarweise gegossenen Zylindern bestehenden Motoren passé.
Beckmann bot damals im Einklang mit den neusten Tendenzen im Karosseriebau ein Schmankerl in Form dieses sportlichen Tourenwagens mit moderner „Windkappe“:
Für diesen in jeder Hinsicht großzügig bemessenen 25/50 PS-Vierzylinder wurde eine Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h angegeben – auf den Straßen von 1910 zwar ein eher theoretischer Wert.
Doch man ahnt die souveräne Leistungsentfaltung des 6,3 Liter-Motors und träumt sich mit diesem enormen Wagen bei schönstem Wetter und mit niedergelegtem Verdeck auf eine Tour durch grandiose Berglandschaft oder über pfeilgerade alte Römerstraßen.
Zum Abschluss erhält noch einmal Christian Börner das Wort, denn besser könnte ich es selbst nicht sagen. Er beschreibt den Zauber dieser großvolumigen Tourenwagen aus einer längst vergangenen Zeit wie folgt:
„Wenn ich bei einer gütigen Fee einen Wunsch frei hätte, dann beträfe er dieses Objekt meiner Begierde…“
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
wie schoen….. !