Repräsentant des Zeitgeschmacks: Buick von 1925-27

Meine jüngste Besprechung des Brennabor Typ R 6/25 PS hat nicht nur Zustimmung erfahren. Speziell meine Kritik der kruden Gestaltung dieses von 1925-28 gebauten Fahrzeugs mochte manchem harsch erscheinen.

Ich will heute darlegen, dass mein Urteil nicht lediglich subjektiv und dem modernen Geschmack geschuldet ist. Als Maßstab für den damaligen Zeitgeschmack ziehe ich dazu einen Wagen heran, der nicht lediglich in ein paar tausend Exemplaren entstand, sondern von dem pro Jahr 200.000 bis 250.000 Wagen abgesetzt wurden.

Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesen Stückzahlen nur um ein US-Fabrikat handeln kann. Die amerikanischen Hersteller hatten nach dem 1. Weltkrieg in nahezu jeder Hinsicht die Führungsrolle am globalen Automarkt übernommen.

Speziell ab Mitte der 1920er Jahre repräsentierten US-Wagen den automobilen Zeitgeschmack auch in weiten Teilen Kontinentaleuropas und verdrängten die technisch wie gestalterisch oft rückständigen einheimischen Fabrikate. Nur in Frankreich und Italien konnten Citroen und Fiat ihre Position einigermaßen halten.

Wer sich schon immer gefragt hat, warum sich renommierte deutsche Hersteller wie Adler, Opel, Horch oder Stoewer ab 1925 darum bemühten, möglichst amerikanisch erscheinende Wagen auf den Markt zu bringen, findet die Antwort darin: Weil alle Welt US-Wagen wollte.

Warum selbst auf größere Serien eingestellte Hersteller wie Brennabor hierzulande letztlich das Nachsehen hatten und der Großteil der Kundschaft lieber „Amerikaner“wagen kaufte, findet heute die Antwort am Beispiel der Buick-Modelle von 1925-27.

Zur Erinnerung: Brennabor stieg damals mit diesem Gefährt des Typs R 6/25 PS in den Ring:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So reizvoll dieses Dokument auch ist – diesem Tourer mit seiner aus primitiven Formen zusammengesetzten Karosserie ließ sich schon damals ästhetisch wenig abgewinnen.

Die Frontpartie habe ich bereits in meinem letzten Blogeintrag beanstandet – hier kann man nun auch die an einen militärischen Kübelwagen erinnernde Heckpartie studieren.

Lassen Sie dieses Vehikel noch einmal auf sich wirken – ich verspreche Ihnen: Am Ende werden Sie sich an einem offenen Wagen derselben Zeit erbauen können, an dem einst wirklich fähige Gestalter ihres Amts gewaltet haben.

Lassen wir nun einige Bilder erzählen, auf welchem Stand die moderne Autogestaltung damals war. Beginnen wir mit dem Buick des Modelljahrs 1925, in dem auch der Brennabor Typ R 6/25 PS erschien.

Hier zunächst eine Aufnahme aus England, welche die charakteristische Kühlerpartie und die markante Gestaltung der Vorderkotflügel und der Scheinwerfer erkennen lässt:

Buick von 1925 mit britischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst in England, wo damals eine größere Herstellervielfalt herrschte als in deutschen Landen, fanden die neuartig gestalteten US-Autos Anklang und wurden dort teils auch hergestellt.

Die Mittelklassewagen von Buick boten ein unverwechselbares Gesicht und man schreckte nicht vor dem Auge schmeichelnder Formgebung zurück, welche die quasi-religiöse Doktrin „form follows function“ souverän ignorierte, weil man den Käufergeschmack im Blick hatte.

Die Buicks von damals kamen hervorragend an, sodass für das Jahr 1926 nur wenige Änderungen am äußeren Erscheinungsbild erfolgten. Dazu gehört eine waagerechte Stange zwischen den Scheinwerfern, wie hier zu sehen:

Buick von 1926 mit türkischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man neben erwähnter Scheinwerferstange nun auch die zeittypische Gestaltung der Haubenpartie, von der Brennabor damals Lichtjahre entfernt war.

Hatte die Marke aus Brandenburg vor dem 1. Weltkrieg noch international Erfolg, ist mir von den Modellen um Mitte der 1920er Jahre nichts Vergleichbares bekannt.

Auch das gibt zu denken, was die Zeitgemäßheit angeht. Obiges Foto eines 1926er Buick ist übrigens in der Türkei entstanden, wo man damals ebenfalls US-Großserienfabrikaten klar den Vorzug vor den einst geschätzten deutschen Automobilen gab.

In Deutschland wurde auch die Tourenwagenversion des 1926er Buick gern gekauft – hier haben wir ein Exemplar vor einem mir unbekannten Monumentalbau:

Buick von 1926 mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Unser kleiner Ausflug ins „Buick-Territorium“ jener Zeit führt uns nun erneut zurück nach England.

Dort entstand die folgende Aufnahme vor der Kulisse kaum weniger beeindruckender Schöpfungen der Natur – großen alten Bäumen, wie man sie auf der Insel noch heute weit häufiger findet als in von der „Flurbereinigung“ verheerten heimatlichen Gefilden:

Buick von 1926 mit britischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sind Sie allmählich auf den (Zeit)Geschmack gekommen? So sah der nämlich ab Mitte der 1920er Jahre aus und die rapide wachsenden Marktanteile amerikanischer Fabrikate in Europa und speziell in Deutschland kündeten davon, was die Käufer wirklich wollten.

Das waren: Repräsentativ wirkende, wohlgestaltete, leistungsfähige und gemessen am Gebotenen preiswerte sowie zuverlässige Autos. All das boten in der vom Markt geforderten Stückzahl damals vor allem US-Wagen – da nutzten auch hilflose Appelle deutscher Wettbewerber an den Patriotismus der Kunden nichts.

Bleibt zum Abschluss noch ein Blick ins Jahr 1927.

Während Brennabor mit seinem Typ R 6/25 PS einige tausend deutsche Kunden (mehr als grobe Schätzungen scheint es nicht zu geben) zufriedenstellen konnte, begeisterte Buick hunderttausende mit wirklich dem Zeitgeschmack entsprechenden hervorragenden Wagen, vor denen man sich gern inszenierte.

Werfen Sie nochmals einen Blick auf das eingangs gezeigte Foto eines offenen Brennabor Typ R 6/25 PS und vergleichen es nun mit dem folgenden aus derselben Zeit:

Buick von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich weiß: Es ist gemein, einen Tourer mit einem Zweisitzer-Cabrio zu vergleichen und es ist gemein, den griesgrämigen und ungesund erscheinenden Insassen des Brennabor diese sportliche junge Dame entgegenzusetzen.

Aber so sah die Konkurrenz damals aus und es hat seinen Grund, weshalb die Amerikaner mit ihrem Stil und ihrer Qualität bei den damaligen Zeitgenossen das Rennen machten.

Das ist kein Urteil aus heutiger Sicht, sondern entspricht den damaligen Gegebenheiten. Die Freunde hiesiger Vorkriegswagen müssen diese bittere Pille schlucken.

Heute haben die Amis die Lufthoheit im IT-Bereich, auch da gibt es nichts zu deut(sch)eln…

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8 Gedanken zu „Repräsentant des Zeitgeschmacks: Buick von 1925-27

  1. Schön, dass es solche Evidenz gibt! In der mir zugänglichen Literatur gibt es nur nicht näher begründete Vermutungen mit auffallend runden Zahlen (20.000), die so kaum stimmen können (gilt für etliche deutsche Hersteller der 20er). Die höchste bekannte Zahl wäre natürlich interessant, aber auch die niedrigste, weil man dann abschätzen kann, welche die Start-Seriennummer war (das war nicht immer die 1, sondern gern auch die 100 oder 1000). Fotos von Brennabor-Wagen des Typs R aus dem Ausland sind natürlich interessant – aber m.E. wohl die Ausnahme. Von den viel seltener gebauten Modellen vor dem 1. Weltkrieg findet man mühelos Auslandsaufnahmen u.a Osteuropa und Skandinavien), später wird das schwierig. Statistisch ist das schon signifikant, wenn man viele tausend Fotos aus ganz Europa gesehen hat (ich bin auf keine Marke spezialisiert und interessiere mich für alles bis 1945). Vielleicht habe ich aber auch eine Bilderquelle irgendwo übersehen (inkl. überlebender Exemplare). Auch Videos etwa wären großartig, um sie in in einen Blog-Kommentar einzubinden. Anderes Thema: Habe von einem befreundeten Sammler noch zwei schöne Fotos eines Brennabor Juwel, der optisch ganz dem Zeitgeschmack entsprach – unklar ist nur, ob 6- oder 8-Zylinder. Kommt irgendwann im Blog und dann freue ich mich wieder auf einen Austausch – gern auch kontrovers, denn nur so lernen wir etwas dazu. Beste Grüße, M. Schlenger P.S. Wenn etwas aus meinem Fundus für eine anstehende Brennabor-Publikation (Buch, Broschüre, Ausstellung, Netz-Präsenz…) interessant ist, stelle ich gern alles zur Verfügung.

  2. Es ist eine Freude sich hier auszutauschen.

    Zu den Produkt.zahlen. Es existiert ein Foto des 10.tsd. Typ R. Die bekannten Chassisnr. belegen eine noch höhere Zahl, wir reden also nicht nur von ein paar tausend Fahrzeugen. Klar, kein Vergleich zu den Amis.

    Heute sind auch noch mindestens 6 Typ R bekannt. Selbst wenn nicht, wäre das ein Gegenbeleg ?

    Ja, es gibt Zeugen für Auslandsverkäufe. Auch Fotos aus Spanien, Holland usw.

  3. Alles richtig, aber hier ging es vorrangig um die Frage, wie damals (in Europa) der optische Zeitgeschmack war. Und dem entsprachen die Ami-Wagen am besten; wer da nicht mithalten konnte, blieb auf der Strecke. Brennabor erkannte die Zeichen der Zeit zwar noch und baute noch ein paar nette Modelle, aber am Markt erreichte man leider nicht mehr viel. Anderer Punkt: Gibt es wirklich Zeugen von nennenswerten Brennabor-Auslandsverkäufen ab Mitte der 20er? Das war ja auch ein Aspekt meines Beitrags. Brennabor war ja noch sehr bekannt aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, aber ich habe noch kein Foto eines späteren Wagens im Ausland gefunden. Und interessehalber: Hat von den (angeblich) zehntausenden Wagen des Typs R 6/25 PS eigentlich das eine oder andere Fahrzeug überlebt? Vom weit seltener gebauten „S“ ist mir das immerhin bekannt.

  4. Ich denke, hier hinkt jeder Vergleich zw. deutschem und amerikanischem Automobilbau. Es gab doch Gründe, warum z.B. Produktionszahlen nach 1914 bis Mitte der 20er so unterschiedlich waren usw., das hier zu diskutieren führt zu weit.
    Nur soviel:
    Ohne Krieg hätte Brennabor um 1914-15 schon eine Fließbandproduktion mit Typ M einführen wollen. Habe das mal in einem Artikel in der VFV Info dargelegt. Ganz klar, die Amis hatten die Nase vorn, sprich Verkauszahlen. Optisch waren norme dt. Mittelklasse und Kleinwagen meist hinten dran. Oberklasse ?

    Brennabor Typ S entstand den Reichsteins nach, nach amerikanischem Vorbild.

    Und ja, es gab in den 20ern Wettbewerbe an denen Brennabor erfolgreich teilnahm. Zu der Taxi Verbreitung kann ich feststellen, daß dt. Firmen dieses Segment nicht brach liegen ließen. Brennabor Taxis z. B. waren, belegbar, weit verbreitet.

    Ja, es ist „gemein“ einen 2 Sitzer Sportcoupe mit einem Tourenwagen zu vergleichen. Typ R gab es auch als solchen, in verschiedenen Ausführungen, auch schmucke. 😀

    Hinweis: Mitte 20er, da zählt ja 1926 dazu, da kam der Brennabor 6 Zyl.

  5. Nun doch noch ein paar Worte zu der Primitivität der Brennabor- Wanne:
    Sicher, man hat nicht viel Aufwand betrieben bei der „Karossierung“ der einfachen Massenprodukte in Brandenburg.
    Die unterschiedliche Höhe der Türen kann ich mir auch nicht erklären, halte es aber für sicher daß man einen Grund dafür hatte und es also nicht gestalterische Willkür war, die dazu führte !
    Die Verwenung von Scharnierbändern an den Türen bedingt plane Bordwandflächen was in Verbindung mit überlappenden Türrahmen von einfachster Ausführung zeugt.
    Aber – wo fand man in diesen Jahren schon einen fest angebauten Kofferraum? Der zeugt durchaus von praxisgerechter Gestaltung !
    Und die User – ‚tschuldigung: Nutzer(innen) – der zweckdienlichen Kalesche interessierten sich offenkundig für andere Sratussymbole mehr.
    Deshalb ein Lob noch heute für den Einblick in die Reisegesellschaft vor 100 Jahren die uns der Fotograf nach Abnahme der rechtsseitigen Steckscheiben hier gewährte.
    Die einfachstmögliche Machart der Karosserie (und auch der Kotflügel) zeugt von der kosten- „bewußten“ Kalkulation in Brandenburg wo man ja als Kapitalgesellschaft profitgierige Anteilseigner im Rücken hatte und nicht eine standes- und qualitätsbewußte Unternehmerfamilie!
    Wir vergessen heute allzu leicht ,
    daß bei dem damaligen technologischen Stand herstellungstechnischer Aufwand noch weitgehend gleichzusetzen war mit manpower, also Einsatz an Arbeitsstunden und das Verhältnis zum Maschineneinsatz sich erst jetzt
    Und mit Vosprung in den USA zugunsten desselben wesentlich änderte…

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