Fährt auch mit Oberleitung: Simson „Supra So“ 8/40 PS

Die kalauernde Überschrift muss sein. Zudem entspricht es ganz der Wahrheit, dass auch Automobile mit Oberleitung fahren können. Dem kann ich heute sogar eine neue Dimension hinzufügen!

Das älteste mir bekannte Beispiel sind die O-Busse der Vorkriegszeit, von denen mir meine aus dem schlesischen Liegnitz gebürtige Mutter zu berichten wusste. Sie waren einst überall dort stark verbreitet, wo es dank heimischer Kohle oder Wasserkraft Strom satt gab.

Dieses geniale, da nicht schienengebundene Elektro-Verkehrsmittel ist zwar jeder modernen U-Bahn ökonomisch überlegen, aber der Deutsche hat es gern kompliziert und teuer – ob es einen Mehrwert bringt, ist nachrangig.

Damit die Moderne einziehen konnte, musste erst einmal Bewährtes zerstört werden – also verschwanden die O-Busse, dann die Straßenbahnen und selbst die irre Mühe des Rückbaus des Schienennetzes der Bahn scheute man nicht.

Nach diesem jahrzehntelangen Feldzug konnten „Experten“ dann die Stromzufuhr aus der Oberleitung als Neuerung verkaufen, die freilich erst einmal erprobt werden muss, weil damit ja keine Erfahrungen vorliegen…

So in etwa – stelle ich mir vor – müssen die Politprojekte zu LKW-Oberleitungen auf den deutschen Autobahnen entstanden sein, die an bisher drei Abschnitten gebaut wurden. Eine davon bestaune ich seit Jahren regelmäßig auf der A5 vor Darmstadt.

190 Millionen Euro hat der Steuerzahler für diese Possen berappen müssen. Das Geld ist aber nicht weg, es haben jetzt bloß die ausführenden Firmen und Zulieferer sowie Heerscharen von Planern und – vermutlich – Provisionsempfängern in der Politik.

Da inzwischen der Rückbau der ersten dieser Schildbürger-Anlagen ansteht, will ich dem Thema Oberleitung in Sachen Auto eine neue Facette hinzufügen – diese hier:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beigesteuert hat dieses prachtvolle Dokument zum Thema Automobil mit Oberleitung Leser Matthias Schmidt (Dresden). Er ist es auch, dem ich bislang die meisten Aufnahmen des abgebildeten Autotyps in meinem Blog verdanke (siehe Simson-Galerie).

Die Rede ist vom Simson Typ Supra So 8/40 PS – einem von 1925-29 in Suhl (Thüringen) gebauten Modell, hinter dessen Spitzkühler sich ein bemerkenswerter Motor verbarg.

Das nur knapp 2 Liter messende Aggregat leistete dank strömungsgünstig im Zylinderkopf hängender Ventile und Steuerung über obenliegende Nockenwelle 40 PS. Dafür waren damals sonst größere und kostspieligere Motoren mit 2,5 bis 3 Liter Hubraum erforderlich.

Damit war der Simson Typ So bis zu 100 km/h schnell, was ihn in Verbindung mit den Vierradbremsen in Deutschland auch noch Anfang bis Mitte der 1930er Jahre zu einem durchaus leistungsfähigen Fahrzeug machte.

Nun mögen Sie sich fragen, wie ich darauf komme, dass dieser einst von der „Oberleitung“ einer Radrennveranstaltung genutzte Simson erst in den 30ern abgelichtet wurde.

Ich gebe zu, dass es einiger Recherchen bedurfte, welche sich interessanterweise aber nicht auf den Wagen, sondern das daneben abgebildete Rennrad bezogen:

Die Vorkriegsfahrrad-Experten unter Ihnen werden es erkennen, aber mir zunächst nicht klar, dass dieses Rad einen präzisen Hinweis auf seine frühestmögliche Entstehung liefert.

Schaut man genau hin, weist das Rad am hinteren Ausfallende einen drahtseilbetätigten „Umwerfer“ auf, mit dem auf einem dreiteiligen Zahnkranz am Hinterrad unterschiedliche Übersetzungen gewählt werden konnten. Zum Ausgleich war weiter vorne ein Kettenspanner vorgesehen.

Diese Konstruktion entspricht genau der 1932 erstmals vorgestellten „Super Champion“-Schaltung des Schweizer Radrennfahrers Oscar Egg (1890-1961). Er soll auch einer der ersten gewesen sein, welche die auf dem Foto zu sehenden Trinkflaschenhalter einsetzten.

Damit haben wir die frühestmögliche Datierung für den Simson „mit Oberleitung“. Wohl einen Vertreter derselben sehen wir im Hintergrund in Form eines feisten Herrn mit merkwürdig kleinen Händen, dem ich nichts Positives abgewinnen kann.

Solche unangenehmen Typen bekamen ab 1933 Oberwasser und nutzten zielsicher das Angebot an Ämtern und Titeln, welche das neue Regime für Zivilversager und opportunistische veranlagte Vertreter des bisherigen Establishments zu bieten hatte.

Meine Sympathie gilt ganz dem jungen Fahrer mit den erkennbar trainierten Unterarmen – jawohl, Radfahren ist nicht nur Beinarbeit – der Vertreter einer von Kampfgeist beseelten Generation war, die man einige Jahre später in den 2. Weltkrieg hetzte.

Leider ist nichts über den Radler und die Umstände der Aufnahme bekannt – wie gerne würde man dem Thema „Auto mit Oberleitung“ am Ende doch noch Konkretes und Erhellendes abgewinnen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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