Hausbacken – oder nicht? Mercedes 170 V Cabrio A

Eines vorab: Auch wenn ich in meinem Blog gern meinungsstark auftrete – in diesem subjektiven Genre kann niemand seriöse Literatur erwarten – so stammt die Zuschreibung „hausbacken“ für den heutigen Star aus dem Hause Daimler-Benz nicht von mir und ich distanziere mich in bester Zeitgeistmanier ausdrücklich von ihr.

Es war Altmeister Werner Oswald, der einst in seinem Standardwerk „Deutsche Autos 1920-1945“ diese Ansicht äußerte – gemünzt auf eine spezielle Ausführung des damaligen Volumenmodells der Schwaben: das Cabriolet A auf Basis des 170 V.

Tatsächlich hausbacken finde ich aber nur die Standardausführungen des Ende 1935 eingeführten Mercedes-Benz 170 V, was auch das brave Cabriolet B einschließt:

Mercedes-Benz 170 V Cabriolet B; Modeaufnahme aus Budapest; Originalfoto: Michael Schlenger

So schön dieses Zeitzeugnis aus Ungarns Hauptstadt auch ist, so kommt mir der Mercedes-Benz 170 V grundsätzlich bieder-solide vor wie das Paar davor – auch wenn dieses nach heutigen Maßstäben (gibt es die noch?) als „overdressed“ gelten würde.

Doch gemessen an den Standards der „guten Gesellschaft“ der späten 1930er Jahre war das Erscheinungsbild der beiden lediglich Standard, mit dem man nichts falsch machen konnte.

So in etwa würde ich auch das Gesamtpaket beschreiben, welches der Mercedes 170 V repräsentierte. Zu diesem Urteil komme ich ausnahmsweise nicht durch willkürliche Geschmacksurteile, sondern durch nüchterne Betrachtung der Fakten.

Im Folgenden beschränke ich mich auf das Angebot deutscher Serienhersteller in dieser Hubraumklasse. Zuvor seien kurz die wichtigsten Daten des Mercedes festgehalten:

1,7 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) mit 38 PS, Heckantrieb, Höchstgeschwindigkeit: 105 km/h; hydraulische Bremsen, Karosserie in Gemischtbauweise

Nichts davon war in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre am deutschen Markt auch nur annähernd bemerkenswert – bemerkenswert war eher, dass Daimler-Benz sich damals eine so konventionelle Auslegung leisten konnte und bei der Kundschaft enormen Erfolg hatte.

Das muss seine Gründe gehabt haben – neben dem Mercedes-Nimbus konnte ich in der Literatur immerhin den kultiviert laufenden Motor und das komfortable Fahrwerk finden.

Versetzen wir uns einmal in die Lage derer, die sich in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg ein Automobil dieser Kategorie leisten konnten. Dabei gehen wir alphabetisch vor.

Den Anfang macht somit der Adler Trumpf 1,7 Liter – hier ein Exemplar mit niederländischem Kennzeichen, das wohl in den 1960er Jahren aufgenommen wurde:

Adler Trumpf 1,7 Liter; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit seiner abgerundeten und in die Karosserie integrierten Kühlerpartie, dem Verzicht auf Trittbretter und dem modernen Frontantrieb repräsentierte der Adler in mancher Hinsicht das zeitgemäßere Konzept als der Mercedes.

Leistung und Höchstgeschwindigkeit waren annähernd identisch, allerdings mussten Adler-Käufer sich noch mit seilzugbedienten Bremsen begnügen und der Mercedes bot einen etwas größeren Innenraum. Mein Fazit: Unentschieden.

Kommen wir zu einem weiteren Fahrzeug, das man von der Machart her als Konkurrenten des Mercedes 170 V betrachten könnte. Die Rede ist vom Hanomag „Rekord“:

Hanomag „Rekord“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Hanomag besaß zwar nur einen 1,5 Liter-Vierzylinder, bot aber mit 35 PS und Spitze von knapp 100 km/h kaum weniger Leistung.

Wie der Mercedes kam er mit Hydraulikbremsen daher, hatte im Unterschied zu diesem bei ähnlichen Abmessungen aber eine moderne Ganzstahlkarosserie.

Die Luftklappen in der Haube sorgten für ein markantes Erscheinungsbild, welches das Fehlen einer prestigeträchigen Kühlerfigur verschmerzen lässt. Gleichwohl bewegte sich der in kleineren Stückzahlen gebaute Hanomag preislich in ähnlichen Sphären wie der Mercedes und man darf bezweifeln, dass er dieselbe Wertigkeit besaß.

Allerdings wurde der Hanomag von vielen für seine Nehmerqualitäten geschätzt. Viele Exemplare überstanden den Krieg und blieben noch lange im Alltag präsent.

Mein Fazit: Der Hanomag war vermutlich das vernünftigere Auto für denjenigen, dem Prestige und Komfort gleichgültig waren und der einen Wagen für’s Leben suchte. Und die schicken Cabriolets auf Basis des Hanomag „Rekord“ überzeugten auch formal.

Der nächste Vergleichskandidat in der 1,7-Liter-Klasse wäre der Hansa 1700:

Hansa 1700 Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Interessanterweise kam der Hansa 1700 mit einem 1,6 Liter-Aggregat aus, das dennoch immerhin 40 PS leistete und zudem ein 6-Zylinder war.

Formal wirkte der Hansa eleganter und bot ähnliche Abmessungen, allerdings keinen 4-Türer wie der Mercedes 170 V. Dafür besaß er eine Ganzstahlkarosserie und war billiger.

Mein Fazit: In der Klasse hätte ich den Hansa bevorzugt, weil er das vom Konzept her exklusivere Fahrzeug war, ohne freilich von den Fahrleistungen überlegen zu sein. Auch wird das Finish des Mercedes im Detail wesentlich besser gewesen sein, das hat mich aber noch nie interessiert, solange das Fahrzeug seinen Dienst verrichtet, gut aussieht und Spaß macht.

Nun möchte ich noch einen Exoten ins Spiel bringen, der in der Klasse gern übersehen wird – den Stoewer R-180:

Stoewer R-180; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese nur in geringen Stückzahlen gebauten Wagen des Stettiner Traditonsherstellers gehörten zum raffiniertesten, was Ende der 1930er Jahre in Deutschland in dieser Klasse gebaut wurde.

Der Motor des Stoewer war mit 1770 ccm kaum größer als der des Mercedes, aber er bot die Leistung, die man in dieser Klasse erwarten würde: 45 PS. Das Stuttgarter Angebot entsprach dagegen eher dem Stand im 1,5 Liter-Segment.

Kombiniert mit Frontantrieb und Hydraulikbremse war das Stoewer-Paket das technisch zeitgemäßeste, nicht zuletzt dank der autobahntauglichen Geschwindigkeit von 110 km/h.

Mein Fazit: Den Stoewer hätte ich ohne weiteres dem Mercedes vorgezogen, zum einen weil sein hoher Preis durch seine avancierte Technik und beste Verarbeitung gerechtfertigt war, zum anderen weil Stoewer dank der limitierten Stückzahlen die Exklusivität bot, welche beim über 70.000mal gebauten Mercedes definitiv nicht gegeben war.

Sie sehen, der Funke will bei mir nicht überspringen, was den kernsoliden Mercedes 170 V mit seinem üppigen Chromornat und der detailversessenen Machart betrifft.

„Hausbacken“ kommt er mir in den gängigen Ausführungen vor, was nichts Verkehrtes sein muss – wer wüsste nicht einen daheim gebackenen Kuchen zu schätzen? Doch der Duft der großen weiten Welt, die Eleganz einer schnittigen Karosse, der stilvolle Auftritt – all‘ das will sich nicht so recht einstellen.

Und nun kommt das Cabriolet A auf Basis des Mercedes-Benz 170V daher, und wirft alle bisherigen Einschätzungen und Meinungen über den Haufen – und das obwohl Meister Oswald ausgerechnet diese Version als „eher hausbacken“ bezeichnete:

Mercedes-Benz 170 V Cabriolet A; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie, das soll ein Mercedes 170 V sein? – Der offene Zweitürer sieht doch richtig schick aus, auch wenn der Bub ganz vorn eine säuerliche Schnute zieht.

Als ich dieses Foto für kleines Geld erwarb – die 5 EUR-Kategorie ist mein bevorzugtes Jagdrevier – dachte ich an alles Mögliche von DKW über Steyr bis Wanderer.

Doch als ich das Original näher betrachtete, erkannte ich die Radkappen mit dem Stern in der Mitte, wie sie sich auch an diesem braven Mercedes 170 V aus Kriegszeiten finden:

Mercedes-Benz 170 V Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Kontrast könnte kaum größer sein – und doch besaßen die beiden Wagen das gleiche Chassis, wenn auch wohl verkürzt im Fall des Cabriolet A.

Letzteres teilte sich den Aufbau mit einer ebenfalls erhältlichen Roadster-Variante, welche sich hauptsächlich durch das minimalistische Verdeck abgrenzte.

Offenbar musste jemand bei Daimler-Benz die Notwendigkeit gesehen haben, den Standardversionen die eine oder andere exklusivere Ausführung zur Seite zu stellen.

Da scheint im Fall des 170 V Cabriolet A ebenso gelungen zu sein, wie noch einige Male später in der Geschichte des Hauses. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an den elend lahmen Mercedes-Diesel des Typs W123, den der Vater eines Grundschulkameraden besaß.

Das allenfalls als Taxi erträgliche Gerät hatte einen zum Luxus tendierenden Cousin, der mir Jahre später in Form eines 280er Coupé auf Basis des W123 begegnete – wieder der Wagen eines Schulkameraden, aber nun mit dem Stil, den man sich von einer Marke dieses Kalibers wünscht.

Man könnte jetzt noch auf das Angebot von Wanderer in der 1,7 Liter-Klasse eingehen, doch dafür fehlt mir heute die Zeit. Am Gesamtbild würde das nichts ändern.

So endet an dieser Stelle meine Odyssee durch die Welt der deutschen 1,7-Liter-Klasse der späten 1930er Jahre am Ende glücklich und das ausgerechnet mit einem Mercedes 170 V. Doch auch der homerische Held fand einst nur auf Umwegen den rechten Weg…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Hausbacken – oder nicht? Mercedes 170 V Cabrio A

  1. Ja, das komfortable Fahrwerk wird oft hervorgehoben. Das Interieur scheint auch deutlich hochwertiger gewesen zu sein als bei manchen Konkurrenten – und das Prestige der großartigen Luxusmodelle wird ebenfalls ein Faktor gewesen sein.

  2. Man darf nicht vergessen: Mercedes hatte diese Eingelenk-Pendelachse in Verbindung mit einfach wirkenden Stoßdämpfern, das ergab auf damaligen Straßen einen sagenhaften Komfort. Daß die Straßenlage die tollste nicht war – das bedeutete damals wenig und wurde erst im Zeitalter von LKW-Spurrillen zum Problem.
    Damals wussten die Passagiere die sänftenhafte Federung zu schätzen.

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