Schneller als man(n) denkt: Ein Whippet um 1928

Manche Dinge gehen schneller als man denkt – nicht nur im großen Weltgeschehen, das oft mit plötzlich freigesetzten Energien und rapiden Richtungswechseln aufwartet. Nein, sogar vor der eigenen Haustür kann es mitunter schneller gehen als Mann denkt.

Die merkwürdige Schreibweise hat ihren guten Grund. Wenn man wie ich in der hessischen Wetterau wohnt, wo das nächste Waldstück und der nächste Feldrand nie weit entfernt sind, sind Besitzer von Hunden mit Auslauf-Bedürfnis keine Seltenheit.

Mindestens zweimal am Tag kommt eine Nachbarin mit ihrem großen Windhund und einem zwar kleineren, aber sportlicheren „Whippet“ vorbei. Sie hat ihre Vierbeiner fest im Griff, weshalb ich mir keine Sorgen mache, wenn sie sich nähert und unsere Katze Ellie regelmäßig Interesse bei den Hunden weckt.

Katzen aktivieren vor allem bei dem Whippet den Jagdinstinkt – dann braucht es eine starke Hand und besagte Nachbarin verfügt darüber. Neulich glaubte allerdings auch ihr Gatte, der Sache gewachsen zu sein und führte die beiden Hunde aus.

An unserer Hofeinfahrt entfalteten sich dann die Dinge schneller als man(n) dachte – der Whippet wurde angesichts unserer Ellie ganz wild und riss sich los. Es dauerte eine Weile, bis wir den Whippet dank unseres Nachbarn wieder eingesammelt hatten. Unsere Katze – selbst eine kleine Jägerin – hat er nicht gekriegt.

Tja, meine Herren, im Zeitalter „starker Frauen“ sollte man(n) sich der eigenen Kräfte nicht nur theoretisch gewiss sein, sondern sie in der Praxis auch abrufbereit haben.

Also bitte die Armmuskeln nicht nur mit dem Bierglas trainieren, sonst übernehmen die Damen demnächst ganz den Laden und die Herren werden zum Chauffeur degradiert oder schauen betröppelt in die Röhre – wie hier:

Whippet um 1928; Originalfoto aus Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Dieses schöne Foto verdanke ich der Großzügigkeit von Helmut Kasimirowicz, bekanntlich seit Jahrzehnten Sammler, was den Eisenacher Lizenz-Nachbau des Austin Seven angeht – den Dixi DA1 3/15 PS, welcher die Basis für das erste BMW-Serienautomobil darstellte.

Da er wusste, dass ich mit dem Gefährt auf diesem Foto mehr anzufangen weiß als er, hat er es mir mit etlichen anderen vermacht. Das ist mir Ehre, Verpflichtung und Vergnügen zugleich.

Im vorliegenden Fall gilt das besonders, haben wir es doch mit einem Automobil zu tun, das perfekt zu der kleinen Geschichte passt, die ich eingangs erzählt habe. Denn auch das ist ein „Whippet“ – zwar klein, aber nicht zu unterschätzen.

Wieselflink jagte der Wagen ab 1927 den Herstellern Ford und Chevrolet einen Schreck ein, denn angeboten mit einem 30 PS-Vierzylinder oder einem 40 PS-Sechszylinder war er der billigste US-Serienwagen in dieser Kategorie überhaupt.

Hinter dem Konzept stand die Firma Willys-Overland, die es mit dem Whippet ausdrücklich auf Beutemachen am europäischen Markt abgesehen hatte. Der Coup gelang und der Whippet war in Europa kaum zu bremsen, wozu die eigens gegründete Firma Willys-Overland-Crossley beitrug, die auch in Berlin eine Niederlassung hatte.

Schon im ersten Jahr liefen über 100.000 Whippets vom Band – wobei man sagen muss, dass sechstellige Produktionszahlen pro Jahr für die US-Autoindustrie an sich Standard waren – sofern es sich nicht um Luxusfabrikate handelte.

Da speziell die deutschen Autohersteller – von Opel abgesehen – damals keine wirklich großangelegte Serienfabrikation zustandebrachten – fanden auch jede Menge „Whippets“ Käufer auf dem chronisch unterversorgten Markt in Deutschland.

Entsprechend finden sich zahlreiche Wagen dieser Marke mit deutschem Kennzeichen in meiner US-Auto-Galerie. Der „Whippet“ schlug schneller zu, als man(n) es sich auf den Teppichetagen der rückständigen etablierten Hersteller in Deutschland vorstellen konnte.

Sogar in München – schon vor 100 Jahren nicht gerade als Armeleute-Metropole bekannt – fanden sich Käufer des „Whippet“ – hier als zweitürige Limousine („Coach“):

Whippet um 1928; Originalfoto aus Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Mir scheint hier klar zu sein, wer das Sagen hat – die wenig beeindruckenden männlichen Protagonisten jedenfalls nicht. Die selbstbewusste Dame posiert entsprechend besitzergreifend von dem Gefährt nebst Insassen.

Viel mehr möchte ich heute dieser schönen Aufnahme, die im Alpenraum entstand, gar nicht abringen. Sie passte bloß gut zu meinem kürzlichen Erlebnis und nochmals ermahne ich die Herren der Schöpfung:

Wenn Sie sich allein auf die Chromosomen-Ausstattung und die Tradition verlassen, aber sonst nichts Greifbares für ihren Status tun, dann werden Sie schneller als man(n) denkt, von überlegeneren und agileren Kräften abserviert.

Das kann keiner wollen, zudem sind nach meiner Wahrnehmung die Damen durchaus zufrieden, wenn die Herren öfters die Muskeln spielen lassen – bei der Gartenarbeit, beim Schrauben und Renovieren oder beim Sport.

Dazu sollten die Muskeln freilich sichtbar sein – das ist auch eine Mahnung an die junge Milchbart-Generation: Was nicht frühzeitig aufgebaut wird, ist später kaum nachzuholen. Also öfter mal den „Whippet“ in sich entdecken oder den auf vier Beinen bändigen lernen!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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