Hut ab! Ein Whippet „Four“ Roadster von 1929

Eigentlich wollte ich heute abend keinen neuen Eintrag im Blog verfassen – die Woche war anstrengend, die Augen wollen zufallen und morgen steht die nächste Folge der Beckmann-Spurensuche an.

Dazu passend läuft im Hintergrund die Bach-Kantate BWV 82a „Ich habe genug„, dargeboten von der wunderbaren Martina Janková (Supraphon SU 4134-2, 2013).

Wer sich fragt, wie man eigentlich diese oft von Weltentrückung geprägten geistlichen Texte ertragen kann, ohne depressiv zu werden, dem sei versichert: Die schiere Schönheit der Bach’schen Kompositionen würde selbst das Telefonbuch von Mexiko City adeln, wenn dieses die Vorlage liefern müsste.

Ich bin sicher, Bach war nicht gläubiger als seine Zeitgenossen. Er muss das Leben sehr geliebt haben – er zeugte 20 Kinder – und dürfte sein einzigartiges Können zuvörderst zur Freude seiner Mitmenschen zur Geltung gebracht haben.

So inspiriert mich beglücktes Heidenkind seine Musik nun doch noch dazu, zumindest einen kleinen nächtlichen Ausflug in die Welt der Vorkriegsautos zu unternehmen. Zufällig ist wie so oft die Auswahl des Gegenstands meiner Betrachtung.

So gedachte ich ursprünglich bloß ein paar weitere Fotos einzuscannen und für künftige Besprechungen aufzubereiten. Dabei fiel mir etwas in die Hände, das mir bekannt vorkam.

Ich erinnerte mich, dass ich vor fast genau fünf Jahren hier eine Vierzylinderversion des Ende der 1920er Jahre in Europa gern gekauften „Whippet“ aus dem Hause Willys-Overland gezeigt hatte, wenn auch eher am Rande:

Willys-Overland Whippet „Four“ Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der kompakte Wagen wirkte nicht annähernd so eindrucksvoll wie die Sechszylinderversion, doch mit dem Aufbau als zweitüriger „Roadster“ kam er beinahe sportlich daher.

Tatsächlich gelang es dem Hersteller aus Toledo in Ohio damit sogar das Ford „Model A“ noch zu unterbieten – sowohl im Preis als auch in der Leistung.

Nur gut 30 PS leistete das Aggregat, das aber immerin mit sieben Kurbelwellenlagern aufwarten konnte. Auch die Zentralschmierung aller Lager war nicht selbstverständlich. „Hut ab„, muss man da sagen, und der Erfolg des kleinen Whippet am Markt spricht für sich.

Der flotte Roadster bot mit seiner Zweifarblackierung zudem eine Gestaltung wie ein „Großer“ – gewissermaßen ein Cadillac im Miniaturformat. Der Winker unterhalb des Suchscheinwerfers an der A-Säule deutet darauf hin, dass dieses Exemplar einst in Deutschland zugelassen war.

Ich hatte seinerzeit nicht viele Worte zu dem Auto und den Herrn daneben verloren – nicht ahnend, dass sich fünf Jahre später die Gelegenheit dazu ergeben würde.

Denn in den hunderte von Aufnahmen umfassenden, nur grob vorsortierten Fotostapeln meines Fundus fand sich heute tatsächlich ein weiteres Dokument desselben Wagens:

Willys-Overland Whippet „Four“ Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diesmal heißt es wiederum „Hut ab“, aber in anderer Hinsicht. Denn nun sehen wir den Besitzer des Wagens mit entblößtem Haupt.

Das Haar ist akkurat gescheitelt und mit Pomade auf Hochglanz gebracht – die Filmstars jener Zeit lieferten damals noch Vorbilder, an denen man sich optisch nach oben orientieren konnte – 1929 waren das Leinwandgrößen wie Gary Cooper beispielsweise.

Auch die Kleidung „unseres“ Whippet-Eigentümers war ganz auf der Höhe der Zeit: Mäntel mit breiten Schultern und doppelter Knopfleiste ließen selbst schmalschultrige Vertreter des „starken“ Geschlechts durchaus eindrucksvoll erscheinen.

Die Hosen waren weit geschnitten und ohne Bügelfalte ebenso undenkbar wie ein Oberhemd ohne Krawatte oder Fliege.

Damit konnte jeder gut aussehen, auch bei kleinem Wuchs. Die moderne Idee, sich als erwachsener Mann mit bleichem und behaartem Gebein in der Öffentlichkeit zu zeigen, wäre (außer im Badedress) als absurd empfunden worden.

Und das zurecht: Niemand, ich wiederhole: niemand will nackte Männerbeine sehen, außer bei Spitzenathleten am Startblock zum 100 Meter-Lauf oder am Elfmeterpunkt.

Ich meine: Nicht nur in automobiler Hinsicht waren die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts stilvoller und geschmackvoller sicherer als ihre Wiederholung in unseren Tagen.

Also: „Hut ab“ vor unseren Altvorderen, jedenfalls was die heute gern als „oberflächlich“ belächelten Äußerlichkeiten betrifft. Das Leben ist schon an sich eine Zumutung in vielerlei Hinsicht – da kann man wenigstens etwas ästhetische Rücksicht walten lassen…

Schlummert ein, Ihr matten Augen“ singt Martina Janková passenderweise gerade…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gefährt und Gefährte: Willys Overland „Whippet“ Cabrio

„Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“, legte einst Friedrich Engels dem Philosophen Hegel in den Mund.

Marxisten drücken damit aus, dass der Einzelne die Verhältnisse zu akzeptieren hat, die sich aus „Gesetzmäßigkeiten“ ergeben, die nur „Intellektuellen“, nicht aber dem Untertan zugänglich seien.

In der Praxis soll sich das Individuum mit den Lebensverhältnissen abfinden, die aus der Herrschaft einer Bürokratenkaste resultieren, welche meint, alles zu wissen und alles zu können – der aber nichts gelingt außer der Verwaltung des Mangels.

In derselben Tradition stehen die, welche den Verzicht auf Energie und damit Wohlstandszuwachs als neue Einsicht und Tugend predigen. Dabei ist in der Geschichte Kultur stets nur aus der Überwindung blanker Notwendigkeiten entstanden.

Können, Konkurrenz und Kapital sind die Voraussetzung kultureller Blüte – das war in der Antike so, in der Renaissance und seit Beginn der Industrialisierung. Erst die daraus resultierenden Überschüsse und Freiräume ermöglichten dem Einzelnen, ein selbstbestimmtes Dasein jenseits der Notwendigkeiten zu führen.

Das erschwingliche Automobil für jedermann ist für mich ein Paradebeispiel. Unter einem Regime lupenreiner Bürokraten, wie es sich in Berlin und Brüssel etabliert hat und das alle Lebensbereiche reglementiert, wäre es nicht dazu gekommen.

Ohne den freien Wettbewerb von Ideen, ohne unternehmerische Risikobereitschaft und Überfluss an renditesuchendem Kapital hätte es folgende Situation nie gegeben:

Willys Overland „Whippet“ 1926-28; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat sich Ende der 1920er Jahre ein Automobilist aus der Stadt die grandiose Bergwelt erfahren. Der Aktionsradius und die Autonomie seines Wagens ermöglichte ihm ein Reisen, das zuvor selbst Königen und Kaisern nicht zu Gebote stand.

Mit einem Mal konnte man sich selbst ein Bild von der Welt, von Land und Leuten machen, der kalten Jahreszeit oder dem Trubel der Städte, der bösen Stiefmutter oder schlimmeren Formen der Verfolgung entfliehen.

Dass der Autoverkehr selbst wiederum Probleme schafft, ist trivial – jede menschliche Aktivität zeitigt Folgen seit Urzeiten.

Aber es macht das menschliche Genie aus, damit umgehen zu können. Auf den menschlichen Erfindungsgeist, seine Anpassungsfähigkeit und sein Streben nach Verbesserung seines Daseins sollten wir mehr vertrauen als auf Planer, Prediger und Politiker.

Wie gesagt: Das erschwingliche und dabei zuverlässige und geräumige Automobil, das wir heute als selbstverständlich ansehen – das ist eine Errungenschaft des vielgescholtenen Kapitalismus, ganz ohne staatliche Lenkung oder Intervention entstanden.

Genau so ein Fahrzeug sehen wir vor uns:

Das ist ein „Whippet“-Tourenwagen im Erscheinungsbild von 1926 (dem Jahr seiner Einführung) bis 1928. Spätere Modelle besaßen glattflächige Vorderkotflügel, nicht optisch aus zwei Teilen zusammengesetzt wie hier.

Allein im ersten Jahr entstanden weit über 100.000 Exemplare davon und das musste auch so sein, denn kühles Ausloten des Marktpotentials und konsequentes Skalieren auf industriellem Niveau war und ist das Geheimnis hinter jedem erschwinglichen Produkt.

Nun könnte man der Ansicht sein, dass es mit dem Ford Model A doch bereits ein für jedermann in den Vereinigten Staaten erschwingliches Automobil mit ordentlicher Leistung und ausreichendem Platzangebot gab.

Doch damit verkennt man die Kräfte des Wettbewerbs und des Gewinnstrebens. Tatsächlich hatte sich Willys Overland das Ziel gesetzt, ein dem Ford mindestens ebenbürtiges, aber noch billigeres Auto zu bauen.

Das gelang mit dem „Whippet“ durchaus, wenngleich man damit eher auf den europäischen Markt abgezielt zu haben scheint, wo die Kaufkraft der Masse wesentlich geringer war.

Tatsächlich begegnet man dem „Whippet“ auch in deutschen Landen immer wieder, obwohl Automobile für den Durchschnittsbürger hier noch unerschwinglich waren.

Neben dem Basismodell mit 40 PS leistendem Vierzylindermotor fand dennoch auch die stärkere Sechszylinderversion Käufer. Hier haben wir ein solches Fahrzeug mit deutscher Zulassung in der äußerlich überarbeiteten Ausführung ab 1929:

Willys Overland „Whippet“ ab 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit den geglätteten Koflügeln und der raffinierter gearbeiteten Kühlermaske wirkt der Wagen hier geradezu repräsentativ. Dabei haben wir es nach amerikanischen Verhältnisse mit einem absoluten „Billigheimer“ zu tun.

Dieser Whippet war nämlich der preisgünstigste Sechszylinderwagen, der damals auf der Welt zu bekommen war. Äußerlich war er, wenn ich richtig informiert bin, nur an der weit größeren Zahl der Luftschlitze in der Motorhaube zu erkennen (rund 30 statt rund 20 beim Vierzylinder).

Für die damaligen Besitzer war ein solcher Wagen aber nicht nur bloßes Gefährt – also ein rein funktioneller Gegenstand – sondern zugleich auch Gefährte, insofern als er ihnen eine Bandbreite des Daseins ermöglichte, die anderen verschlossen blieb.

Die Rolle des Automobils als geschätztes, bisweilen sogar geliebtes Familienmitglied kommt auf obiger Aufnahme schön zum Ausdruck.

Gefährt und Gefährte – diese Doppelrolle spielte das Automobil von jeher. Und unzählige Besitzer hielten zusammen mit ihrem Gefährt auch die übrigen Gefährten ihres Daseins fest.

Das waren neben Familie und Freunden immer wieder auch Vierbeiner wie dieser hier:

Willys Overland „Whippet“ ab 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar bin ich kein Hundebesitzer – ich bevorzuge Katzen als vierbeinige Gefährten – doch fasziniert mich stets das Selbstbewusstsein, dass diese Tiere auf solchen Fotos ausstrahlen.

„Vorkriegshunde und ihre Autos“, das wird irgendwann – wie schon einmal angedroht – Gegenstand einer Bildrevue in diesem Blog sein.

Heute belassen wir es jedoch bei diesem Beispiel eines Whippet.

Moment mal, werden jetzt die Kenner einwenden – ein Whippet ist doch eine ganz andere Hunderasse, eher windhundähnlich. Vollkommen richtig, doch meinte ich auch nicht den vierbeinigen Gefährten des Autobesitzers sondern das von ihm besetzte Gefährt.

Denn auch dieses ist ein Whippet, wie das Markenemblem erkennen lässt – zumindest auf dem Originalabzug:

In dem Fall müssen Sie mir glauben, liebe Leser. Auf dem Emblem steht in dem oberen Feld „Willys Overland“ und in dem unteren „Whippet“.

Umbekehrt glaube ich Ihnen, wenn Sie mir verraten, wofür „DTC“ auf dem Emblem weiter unten steht – ich kann mich ja nicht um alles kümmern…

Dann wissen wir sicher auch, ob dieser Whippet einst ebenfalls in Deutschland zugelassen war oder eher in Island – dort war Willys Overland nämlich ab 1914 die erste Automobilfirma mit eigener Vertretung.

Immer diese Erwerbsorientierung, immer diese Geschäftstüchtigkeit der Amis! Nun, wem die daraus erwachsende wirtschaftliche Dominanz nicht passt, konnte und kann ja selbst in den Wettbewerb eintreten – Kapitalist sein ist schön, macht aber eben auch Arbeit…

Schließen möchte ich ganz untypisch mit einem letzten Blick auf den Gefährten, der einst mit dem Gefährt des Whippet-Besitzers festgehalten wurde:

Kultur beginnt jenseits der Notwendigkeiten, das umriss ich eingangs.

Dazu gehören nicht nur Dinge wie höfliches Benehmen und Humor, Kunst und Spiel, Abenteuerlust und Wissenshunger, sondern auch ein respektvoller Umgang mit den Mitgeschöpfen in unserer technologischen Zivilisation.

Damit meine ich heute ausnahmsweise nicht das in Stahl gegossene und in Blech geprägte Automobil, diesen Freiheitsbringer par excellence, sondern die Vierbeiner, die unser Leben auf so wundersame Weise bereichern.

Einen solchen treuen Gefährten zu verlieren, das ist schlimmer als irgendwann einem noch so teuren Gefährt adieu zu sagen, das weiß ich aus Erfahrung.

„Wäre ja nicht notwendig gewesen, sich solche Gefährte(n) zuzulegen“, könnte jetzt ein Frugalitätsfetischist sagen. Das Diktat des Notwendigen ist die blanke Barbarei, sage ich.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Einst ein exklusives Vergnügen: Ein „Whippet“ von 1929

Heute begebe ich mich wieder in die Niederungen der US-Automobilfabrikation der späten 1920er Jahre – die zugleich hierzulande ein exklusives Vergnügen blieben.

Was paradox klingt, wird bestechend klar, wenn man sich vor Augen führt, wie wenige Deutsche sich seinerzeit überhaupt ein Automobil leisten konnten.

Kürzlich stieß ich auf eine Statistik der ehemaligen „Auto Revue“, die das am Beispiel der Region „Groß-Berlin“ veranschaulicht. 1928 waren in Groß-Berlin etwas mehr als 33.000 PKW zugelassen – und das bei einer Bevölkerungszahl von 4,3 Mio. Menschen.

Demnach kam ein PKW auf 130 Einwohner – während in den Vereinigten Staaten rechnerisch fast ein Auto auf eine Familie entfiel. Natürlich hatte das vor allem mit den damals prekären Einkommensverhältnissen der Deutschen zu tun.

Ein weiterer Faktor war jedoch die Unfähigkeit der einheimischen Hersteller, einen trotz wirtschaftlich desolater Lage wachsenden Markt zu bedienen. So kam es, dass 40 % der 1928 im Raum Groß-Berlin zugelassenen PKW ausländische Fabrikate waren.

15 der 20 am häufigsten vertretenen Importmarken waren solche aus den USA.

Im Raum Groß-Berlin waren von Chrysler und Chevrolet jeweils mehr Autos unterwegs als von Adler oder Brennabor. Nur die GM-Tochter Opel hatte bei den Brot- und Butter-Autos die Nase vorn.

Ansonsten blieben Automobile eine exklusive Angelegenheit, wie der auffallend hohe Marktanteil von Mercedes-Benz zeigt – der bei über 10 % lag.

Angesichts dieses Befunds wundert es nicht, wie stolz sich hierzulande Besitzer eines US-Billigheimers wie des „Whippet“ aus dem Hause Overland inszenierten:

Whippet von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Plag

Man sieht dieser schönen (hier bereits präsentierten) Aufnahme nicht an, dass der Wagen das preisgünstigste US-Fabrikat seiner Klasse war und noch unterhalb des Ford Model A angesiedelt war.

Es gab ihn aber nicht nur in der Arme-Leute-Ausführung mit 30 PS-Vierzylinder, sondern auch als 40 PS-Version mit sechs Zylindern. Der nur von 1927 bis 1931 gebaute Whippet war damit das weltweit billigste Auto mit Sechszylinder-Laufkultur.

Eventuell ist auf obigem Foto ein solcher Sechszylinder-Whippet zu sehen , der ab 1928 nur anhand der Zahl der Luftschlitze vom Vierzylindermodell unterscheidbar war.

Sehr wahrscheinlich nur die vierzylindrige Basisvariante des Whippet ist auf der folgenden „neuen“ Aufnahme zu sehen:

Whippet von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Foto mag die Liebhaber des Außergewöhnlichen enttäuschen, aber mir geht es in meinem Blog um das gesamte automobile Spektrum im deutschsprachigen Raum in der Vorkriegszeit und ich finde, dass auch dieses Dokument seinen Charme hat.

Man sieht den beiden jungen Damen nicht an, welches Privileg es damals darstellte, bei kalter Witterung mit einem ab Werk ohne Heizung ausgestatteten Whippet unterwegs zu sein.

Doch genau so verhielt es sich – gemessen an der Lebenswirklichkeit der allermeisten Deutschen war das ein wahrhaft exklusives Vergnügen. Auch der Schäferhund wird gewusst haben, wie gut er es bei Frauchen getroffen hatte.

Bleibt die Frage, wie sich dieser unscheinbare Wagen als Whippet von 1929 identifizieren lässt. Nun, wie so oft ist es ein winziges Detail, das dabei hilft:

Betrachtet man die Dachpartie am Ende der Hintertür, erkennt man eine leicht abfallende Regenrinne. Von deren Ende reicht eine Linie zunächst vertikal nach unten, die sich dann einen Schwung nach hinten erlaubt und mit der umlaufenden seitlichen Zierleiste verschmilzt.

Dieses verspielte Detail findet sich – neben den übrigen eher beliebigen Karosserieelementen – an Whippet-Limousinen des Modelljahrs 1929 und wohl nur dort.

Das macht den Whippet zwar nicht wirklich raffiniert, verrät aber etwas über das Bemühen der einstigen Gestalter, dem Geschmack der Kundschaft außerhalb der USA entgegenzukommen.

Übrigens zeichnete sich der Hersteller des Whippet – Overland aus Ohio – schon vor dem 1. Weltkrieg durch eine konsequent globale Verkaufsstrategie aus – 1913 verkaufte man Autos in 37 Ländern weltweit.

Damit konnten anfänglich auch deutsche Marken mithalten, doch in den 1920er Jahren verlor man die Kompetenz für in großem Stil erfolgreiche Modelle und musste sich sogar am heimischen Markt einer erdrückenden Konkurrenz geschlagen geben…

So kam es zu diesem Foto, das im Oktober 1934 in Breitenfurth bei Wien entstand-

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

In Deutschland ganz groß: US-Kleinwagen „Whippet“

Heute begegnen wir in meinem Blog für Vorkriegsautos wieder einem Modell, das heute zwar kaum noch jemand hierzulande kennt, das aber vor gut 90 Jahren in deutschen Landen ziemlich verbreitet war.

Die Rede ist vom „Whippet“ des US-Herstellers Overland, der nur von 1927 bis 1931 gebaut wurde, jedoch wie kaum ein anderes Fahrzeug für den Erfolg amerikanischer Großserienfahrzeuge in Deutschland steht.

Als Vorgeschmack ein Foto eines solchen Wagens aus dem Fundus eines Lesers, das ich hier bereits vor längerer Zeit vorgestellt habe:

Whippet von 1929; Foto aus Privatbesitz (dem Autor bekannt)

Bevor ich anhand weiterer Originalaufnahmen näher auf die Verbreitung von Fahrzeugen dieser Marke am deutschen Markt eingehe, sind vielleicht einige Zahlen aufschlussreich, die ich in einem zeitgenössischen Buch fand: „Die deutsche Automobilindustrie“ von Otto Meibes, Berlin 1928.

Demnach gab es in Deutschland im Jahr 1926 nur 1 Automobil auf 125 Einwohner. In Großbritannien und Frankreich dagegen war es bereits 1 Auto auf 60 bzw. 70 Einwohner. Selbst in Schweden war damals die Automobildichte bereits deutlich höher als hierzulande (1 Fahrzeug auf 95 Einwohner).

Noch drastischer fällt der Vergleich mit den USA aus. Dort kam 1926 ein Automobil auf sechs Einwohner, wobei Kinder und alte Leute eingerechnet sind. An dieser Kennziffer wird die Leistungsfähigkeit der US-Automobilindustrie jener Zeit deutlich.

Maßgeblich für die Fähigkeit, bezahlbare Fahrzeuge für jedermann in ausreichender Stückzahl zu produzieren, war die konsequente Ausrichtung auf Gewinnerzielung und damit zugleich Stärkung des Kapitals durch rationelle Serienfertigung.

Mangels wettbewerbsfähiger Anbieter am deutschen Markt wurde das rasante Wachstum des Fahrzeugbestands in Deutschland (im Schnitt annähernd 20-30 % pro Jahr) im wesentlichen durch ausländische Hersteller ermöglicht.

Die US-Produzenten exportierten gegen Ende der 1920er Jahre zwar nur rund 5 % ihres Fahrzeugausstoßes, das genügte aber, um den Markt in Europa quasi nebenher abzudecken (Quelle: Otto Meibes, wie oben angegeben).

Wie anders die Maßstäbe der amerikanischen Automobilindustrie gegenüber der hiesigen war, macht der „Whippet“ von Overland eindrucksvoll deutlich:

Whippet Limousine von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Plag

Der Wagen auf diesem schönen Foto von Leser Michael Plag befand sich im Besitz von Vertretern des gehobenen Bürgertums. Dabei war das Ende der 1920 Jahre bloß das kleinste Auto, das von einem amerikanischen Hersteller in Serie produziert wurde.

Preislich war der Wagen in der Vierzylinderversion knapp unterhalb des Ford Model A angesiedelt, war aber auch mit einem Sechszylinderaggregat verfügbar. So gelang es Overland, mit dem Whippet nur ein Jahr nach Beginn der Fertigung bereits auf Platz drei der Autohersteller in den Vereinigten Staaten zu landen.

Was nach US-Maßstäben ein Kleinwagen war, stieß am deutschen Markt auf lebhafte Aufnahme bei denjenigen, die ein vergleichbares vollwertiges Familienauto in dieser Preisklasse bei inländischen Herstellern offenbar vergeblich suchten.

Im erwähnten Buch von Otto Meibes von 1928 klingt dieser Befund wie folgt: „Im Bau von billigen Personenkraftwagen ist das Ausland der deutschen Automobilindustrie immer noch weit voraus.“ Zudem hält er fest, dass sich die inländischen Hersteller zuwenig an wirtschaftlichen Erfordernissen orientierten.

Gleichzeitig deutet er an, dass sie sich zu sehr mit kostenträchtigen Sporteinsätzen beschäftigten und der Bildung von Kapital zwecks Investitionen in die Ausweitung des Geschäfts zu wenig Beachtung schenkten.

Dies wog umso schwerer, als die Produzenten in Deutschland ohnehin über eine nur relativ schwache Kapitalausstattung verfügten.

So konnte es sich die Firma Overland offenbar mühelos leisten, in Berlin eine eigene Produktion des Whippet aufzuziehen, während die damals noch zahlreichen lokalen Hersteller keine Konsolidierung zustandebrachten, die zu einer wesentlichen Steigerung der Stückzahlen und damit wirtschaftlichen Vorteilen geführt hätte.

Entsprechend häufig stößt man auf historischen Fotos auf PKWs der Marke Whippet mit deutschem Kennzeichen. Hier ein weiteres Exemplar des Jahrgangs 1929:

Whippet 98A Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Zahl der Luftschlitze nach zu urteilen handelt es sich hierbei um eine Sechszylinderversion. Datieren lässt sich der Wagen anhand der Gestaltung des Unterteils des Kühlergehäuses auf das Jahr 1929.

Diese Aufnahme entstand übrigens im Mai 1932 in Reichelsheim im Odenwald. Den Gasthof im Hintergrund mit dem schönen Namen „Zum Schwanen“ gibt es heute noch und das Umfeld hat sich nur wenig verändert.

Neben den soliden Limousinen aus dem Hause Overland scheinen sich hierzulande auch einige sportlich wirkende Varianten des Modells „Whippet“ verkauft zu haben. So bot der Hersteller auf verkürztem Radstand auch einen hübschen Zweisitzer an.

Dieser verfügte nicht nur über eine elegante Zweifarblackierung, sondern war auch mit Drahtspeichenrädern erhältlich.

Der Wagen auf dem folgenden Foto lässt sich anhand der Zahl der Luftschlitze und der Länge des Vorderwagens als Vierzylinderversion Model 96A von 1929 identifizieren:

Whippet Model 96A Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Lassen wir nach diesem Befund nochmals Otto Meibes zu Wort kommen. Er konstatierte 1928 in Europa reichlich Exportmöglichkeiten für Kraftfahrzeuge:

„Will sich die deutsche Automobilindustrie in erhöhtem Maße an dem Weltexport beteiligen, so ist die Voraussetzung dafür, sobald wie möglich die gleiche produktionstechnische Stufe wie die der ausländischen Konkurrenz zu erreicht.“

Wie wir heute wissen, gelang dies – doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Volkswagen seinen Siegeszug antrat.

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Flink wie ein Windhund: Ein „Whippet“ in der Pfalz

Wer interessiert sich eigentlich noch für Vorkriegsautos – oder besser gefragt: wer interessiert sich eigentlich in Deutschland noch für Vorkriegsautos?

Während die „Prewar“-Szene in Frankreich, Holland und England quicklebendig ist und auch der Generationswechsel zu klappen scheint, hört man hierzulande immer wieder, dass die wirklich alten Autos kaum noch jemanden begeistern.

Das mag daran liegen, dass der Hang zum Individuellen und Abseitigen nicht gerade dem deutschen Nationalcharakter entspricht. Lieber wacht man ängstlich darüber, nicht aus dem „Geleitzug“ auszuscheren und unauffällig im Strom mitzuschwimmen.

So gibt man sich entweder besinnungslos fortschrittlich und findet es großartig, was die Industrie gerade an „vernetzten“ Gimmicks in Automobile hineinkonstruiert oder man schließt sich dem quasi-religiösen Kult um einzelne Marken wie Porsche an.

Selbst auf Entdeckungsreise gehen und sich von der überwältigenden Auswahl an automobilen Zeugen aus vergangenen Zeiten hinreißen zu lassen, das liegt vielen Bewohnern des Musterlandes betreuten Lebens und Denkens offenbar nicht.

Doch macht der Verfasser auch erfreuliche andere Erfahrungen. Mal kauft jemand einen Vorkriegswagen ohne Papiere und ohne Historie und versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Ein anderer vertieft sich in die Geschichte seiner Familie und möchte wissen, mit welchem Auto die Urgroßeltern sich für’s Fotoalbum haben ablichten lassen.

Die entsprechenden Anfragen an den Verfasser zeigen, dass die automobile Vorkriegsgeschichte immer noch viele Menschen bewegt und begeistert. Dabei treten mitunter großartige Funde zutage wie dieser:

Whippet „4“ oder „6“; Originalfoto aus Privatbesitz

Zunächst einmal ist dies eine schön inszenierte Aufnahme eines Wagens der späten 1920er Jahre, die wir einem Leser verdanken, der ungenannt bleiben möchte.

Das Auto wurde eigens auf einen Feldweg abseits der Landstraße gefahren und vor abwechslungsreichem Hintergrund aus vorteilhafter Perspektive fotografiert.

Auch wenn einige deutsche Hersteller wie Brennabor oder Wanderer in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre einen ähnlichen Stil mit üppig verchromter Kühlermaske und Doppelstoßstange pflegten, spricht das Bauchgefühl eher für ein US-Fahrzeug.

Der stilisierte Windhund lässt zunächst an einen Wagen der Luxusmarke Lincoln denken, wo ab 1925 eine entsprechende Kühlerfigur verbaut wurde. Doch Kühlerform und Dimensionen passen nicht dazu.

Dann fiel dem Verfasser aber ein, dass es neben dem großen „Greyhound“ in der Familie der Windhunde noch einen etwas kleineren, kaum weniger flinken Vertreter gibt, den „Whippet“.

Und mit einem „Whippet“ auf vier Rädern haben wir uns vor längerer Zeit schon einmal beschäftigt, nämlich auf dieser Aufnahme aus Kiel:

Auf der Abdeckung des Ersatzrads springt der Whippet zwar in die entgegengesetzte Richtung und nicht durch einen Reifen, doch seine Identität ist eindeutig: „Overland“ ist auf dem Originalabzug darüber und „Whippet Six“ darunter zu lesen.

Sollte es sich bei dem von vorne aufgenommenen Auto ebenfalls um einen Wagen der Marke Whippet handeln, die zwischen 1927 und 1931 im Willys-Overland-Konzern existierte?

Nun, die Literatur („Clark/Kimes: Standard Catalog of American Cars“) liefert auf Seite 1.535 (kein Tippfehler…) die Information, dass ein durch einen Reifen springender Windhund zu den Markenzeichen von „Whippet“ gehörte.

Kühlerform und Ausführung der Vorderschutzbleche passen zu Abbildungen von Whippets aus dem Jahr 1929. Nun könnten Kenner von US-Vorkriegsautos sagen, dass ein Whippet bloß ein Massenprodukt war, das mit Ford und Chevrolet konkurrierte.

Sicher – schon im ersten Produktionsjahr (1927) baute Willys-Overland mehr als 100.000 Whippets. Dabei handelte es sich anfänglich um Vierzylinder mit 30 PS, kurze Zeit später folgte ein 40 PS leistender Sechszylinder, beide mit Vierradbremsen.

1928 entstanden dann über 300.000 dieses kompaktesten US-Serienwagens, dessen Preis knapp unterhalb dessen der Ford-Modelle angesiedelt war. Man darf angesichts dieser Produktionszahlen das logistische Können vor 90 Jahren schon bewundern.

Wer die „Globalisierung“ für ein Phänomen der Gegenwart hält, muss überdies zur Kenntnis nehmen, dass Willys Overland den „Whippet“ nicht nur im Heimatland, sondern auch in Großbritannien und ab 1928 sogar in Berlin fertigte.

An dieser Stelle beginnt die Sache spannend zu werden. „Unser“ Whippet trägt nämlich ein deutsches Kennzeichen:

Die Kennung römisch „II“ in Verbindung mit „D“ verweist auf die damals zu Bayern gehörige Pfalz, die Ziffernfolge erlaubt die Zuordnung zu Neustadt an der Weinstraße.

Nach der Lage der Dinge haben wir es hier sehr wahrscheinlich mit einem in Berlin-Adlershof aus angelieferten Einzelteilen montierten „Whippet“ zu tun.

Die für die europäische Produktion zuständige Firma Willys Overland Crossley konnte 1928 die Auslieferung des eintausendsten in Berlin gefertigten Wagens vermelden. Darin sind allerdings auch die Modelle von Willys-Overland mit schiebergesteuertem Motor (Knight-System) enthalten.

Da die Produktion von Willys Overland Crossley angesichts der Weltwirtschaftskrise wohl 1930 endete – genau weiß man das nicht – werden vom konventionell motorisierten „Whippet“ wohl nur einige hundert Exemplare in der Reichshauptstadt entstanden sein.

Einer dieser soliden Wagen fand damals offenbar einen Käufer in der Pfalz und das eingangs gezeigte Foto ist alles, was von dem Auto erhalten blieb. Doch nein, nicht ganz!

Whippet-Emblem; Wiedergabe des Fotos mit freundlicher Genehmigung des Urhebers

Das Kühleremblem mit dem springenden Windhund ziert noch heute ein altes Holztor auf dem Anwesen der einstigen Besitzer. Über den Verbleib des Whippet selbst ist nichts bekannt.

Wenn die Literatur in diesem Punkt nicht irrt, hat kein einziger in Deutschland gefertigter Wagen aus dem Hause „Willys Overland“ überlebt.

An dieser Stelle sei eine Publikation gepriesen, die die einstige Autoproduktion von Willys Overland Crossley in Berlin anhand rarer Zeugnisse dokumentiert:

„Austin und Willys aus Berlin“ von Klaus Gebhardt, Verlag Kraftakt, 2013

Sorgfältig recherchierte, reich bebilderte und spannend geschriebene Publikationen wie diese vermisst man für Marken wie Adler, Brennabor, NAG usw. – doch damit sind wir wieder beim Thema Desinteresse oder in manchen Fällen schlicht Unfähigkeit…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.