Mitunter bringt einen das aktuelle Zeitgeschehen dazu, über zeitlos Aktuelles zu sinnieren. Gelegenheit dazu bietet sich dieser Tage reichlich, meine ich.
Diesmal geht es um den Unterschied zwischen charakterlosen Typen und Typen mit Charakter. Wie ich gerade jetzt darauf komme, mag sich jeder selbst ausmalen.
Jedenfalls kennt wohl jeder den Typus des geländegängigen Opportunisten, des smarten Slalomfahrers, der allen Hindernissen geschickt ausweicht, um ans Ziel zu gelangen – in der Regel eines, das entgegen hehren Bekundungen eng ans Ego geknüpft ist.
Nichts gegen das Ego und damit verbundene Ziele. Doch finden sich bisweilen auch Naturen, denen auf ihrem persönlichen Weg das Geschmeidige weniger liegt, die keine Konfrontation scheuen und sich gern auch robuster Methoden (oder Rhetorik) bedienen.
Dieser Typus des Kämpfers ist selten Sympathieträger, aber oft einer, der sich Anerkennung dadurch erwirbt, dass er sich treu bleibt und auf eine schroffe Weise authentisch ist, die ihn glaubwürdiger macht als die biegsameren Karrieristen, welche allzuoft das Rennen machen.
Wie gesagt, Beispiele für beide Typen – den charakterlosen Mollusken und den robust-aneckenden Charakter – finden sich zu allen Zeiten.
Und da es an Typen ohne Charakter in unseren Tagen leider nicht mangelt, wir uns hier aber vor allem an positiven Beispielen erbauen wollen, beschränke ich mich im Folgenden auf einen Vorkriegstypen, bei dem man spontan ausrufen möchte: „Der hat Charakter!“

Na, was denken Sie über diesen Typen? Nun, bezogen auf den Herrn neben dem Wagen. der sich im Januar 1938 hat ablichten lassen, ist wohl soviel konsensfähig:
Gut betucht und nicht öffentlichkeitsscheu, selbstbewusst, aber im persönlichen Umgang vielleicht nicht der angenehmste. Auf jeden Fall einer, der weiß, wo es lang geht und dabei ungewöhnliche Wege nicht scheut – und sei es bei der Wahl seines Wagens.
Denn dieses nur auf den ersten Blick konventionelle Auto gehörte in der ersten Hälfte der 1930er Jahre zu den modernsten deutschen Autos der unteren Mittelklasse. Das waren in technischer Hinsicht insbesondere die Fronttriebler von Adler und Stoewer.
Während die Marke aus Frankfurt am Main sich einer gut geölten Großserienproduktion bedienen konnte, um ab 1932 den 1,5 Liter-Typ Trumpf an den Mann zu bringen, blieb die unverwüstliche Traditionsmarke Stoewer aus Stettin der Manufaktur verhaftet.
Dennoch hatte sie das Kunststück vollbracht, mit dem Typ V5 anno 1930 noch vor DKW Deutschlands ersten frontgetriebenen Serienwagen vorzustellen, was gern vergessen wird.
Der Stoewer R-140, den wir auf dem Foto sehen, war dann der erheblich verbesserte, weit stärkere und besser aussehende Nachfolger. Er kam 1932 mit 25 PS aus 1,4 Litern auf den Markt, doch schon 1933 hatte man den Motor auf 1,5 Liter (30 PS) vergrößert.
Ob die Höchstgeschwindigkeit von angeblich 85 km/h davon tatsächlich unberührt blieb, wage ich angesichts der Konkurrenz von Adler zu bezweifeln. Immerhin gab es laut Literatur eine sportlich abgestimmte Version mit angemessener Spitze 100 km/h.
Die viertürige Ausführung, welche auf dem Foto zu sehen ist, erschien 1934. Dass Stoewer diese Limousine zu fast demselben Preis anbieten konnte wie Adler sein Modell Trumpf, ist erstaunlich.
Geschuldet war es vielleicht dem Verzicht auf gefällige Details, ein weniger geschmeidiges Finish und ein robusteres Auftreten, was Laufkultur und Fahreigenschaften angeht.
Aber das machte womöglich gerade den Unterschied: Das war ein Typ mit Charakter!
Und wie eine zweite Aufnahme zeigt, war das ein Typ, der nicht nur in der Welt der gelackten Schuhe auf Anklang stieß, sondern auch keine Berührungsängste hatte, was die Welt der harten und schmutzigen Arbeit angeht, wo dennoch auf Ordnung Wert gelegt wird:
Mir sind solche ehrlichen Charaktertypen mit manchen Kampfspuren und Dellen, vielleicht auch dem einen oder anderen offensichtlichen Mangel lieber als perfekt gestylte Vertreter, bei denen man nicht weiß, woran man ist – bis man feststellt, dass das Äußere reines Blendwerk ist und sich dahinter Leere oder abgründige Absichten verbergen…
Die echten Charaktertypen sind heute so rar gesät wie einst und ich wage es zu bezweifeln, dass mehr als ein Dutzend dieser Stoewer-Frontantriebstypen mit viertürigem Limousinenaufbau noch unter uns weilen…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Exzellent beobachtet und kommentiert – Hut ab, wieder einmal!
Während unser Blog- Wart sich sich müßige Gedanken um den Charakter unserer politischen(und sonstigen) Eliten macht und der Motor unseres Nachkriegsmodells stottert sehen wir uns die beiden interessanten und sicher sehr seltenen Fotos des hübschen aber (zu?) langsamen Stoevers näher an: Das erste stellt die übliche besitzanzeigende Geste des gediegenen Herrn welchen Charakters auch immer in perfekter Profi- Qualität dar und verdient somit das Prädikat Photografie. Die Schärfe und Ausleuchtung macht die Analyse auch der letzten Details möglich.
Zunächst scheint der Wagen für sein Alter (immerhin min. 4,5 J.) in recht gepflegtem Zustand zu sein und zeigt schon die Anpassung an die ab Mitte 1938 wirksamen Vorschriften der neuen StvZO. Mindesthöhe der Platzierung des Winkers , also: höhersetzen! Das dank der Schärfe klar sichtbare Loch für die alte Platzierung sowie der Vergleich mit dem hellen Wagen zeugt davon. Ebenfalls neu war die Pflicht zur Anbringung eines linksseitig zu führenden Rückstrahlers (gerne auch als „Katzenauge“ bezeichnet) von min. 50 mm Durchmesser.
Er wurde, wenn es die Platzverhältnisse ohne Beeinträchtigung der Lesbarkeit der Beschriftung zuließen, kurzerhand auf dem Kennzeichenschild unten links angebracht oder eben, wie hier zu sehen, an einem kleinen Stiel, was die vorgeschriebene Ausrichtung der Licht abstrahlenden Fäche senkrecht zur Fahrbahnebene erleichterte, und meist nicht so genau genommen wurde
Was hier besonders betont werden muß ist m. E. die Mittelpfostenlosigkeit der viertürigen Karosse ! Diese Bauart traute sich in Deutschhand kaum jemand zu, ist jedoch in Verbindung mit umlegbarer Sitzlehne vorn gerade bei Limousinen der kleineren Klassen ein ungeheurerKomfort- Vorteil. Man „läuft“ geradezu hinein !