Geht Ihnen das auch so auf die Nerven wie mir, dass bei Personen des öffentlichen Lebens immer wieder betont wird, ob einer „schwarz“ oder „weiß“ ist? Ich dachte eigentlich, dass rassistische Raster überholt seien.
Dennoch werden sie immer noch gern bemüht, wenn es es der Freund-Feind-Bestimmung oder der Unterscheidung zwischen Gut und Böse dient. Außerdem gibt es in der Realität niemanden mit ganz schwarzer oder ganz weißer Hautfarbe. Besonders kurios die Fälle, in denen Personen mit schlicht südländischem Teint „den Schwarzen“ zugeschlagen werden.
Man sollte meinen, dass dergleichen Selektionen Geschichte seien. Gelten lasse ich als Ausnahme bestenfalls die Darstellung auf alten Fotos. Doch auch da gibt es nur selten echtes tiefes Schwarz und echtes strahlendes Weiß.
Meist herrschen – wie im richtigen Leben die Grautöne vor – allerdings im positiven Sinne, denn sie sorgen für die Abstufungen im Spektrum, welche die Bilder von einst auch ohne Farben mehr oder wenig lebendig machen.
Als Beispiel mag diese Aufnahme dienen, die einen Wagen der Marke Presto aus Chemnitz zeigt, wahrscheinlich einen Typ P 8/25, der bis 1919 gebaut wurde – hier auf einem Foto der frühen 1920er Jahre:

Die feinen Zwischentöne auf solche Fotos sind nicht nur ästhetisch wirkungsvoll: Generell entfalten sie ihren Reiz, wenn es um Automobile geht, die sich der eindeutigen Zuordnung entziehen – also dem Schwarzweiß-Denken zuwiderlaufen.
Vor längerer Zeit stellte mir Leser Jason Palmer aus Australien eine Aufnahme in digitaler Form zur Verfügung, die ebenfalls einen Presto aus der Zeit kurz vor oder kurz nach dem 1. Weltkrieg zeigt – wohl auch einen Typ P 8/25 PS, der seit 1913 in Produktion war.
Doch dieses Exemplar wies ein Detail auf, das nicht zum übrigen Schwarzweiß-Schema in Sachen Presto passen wollte – einen Spitzkühler nach Vorbild von Benz bzw. Daimler:
Eine solche Ausführung auf offenbar identischem Chassis war mir noch nie begegnet und sie sollte lange Zeit die einzige bleiben.
Zwar waren kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg solche Spitzkühler bei etlichen deutschen Herstellern ab Werk als Alternative zu Flachkühlern oder im Zubehör erhältlich. Bloß bei Presto schien mir das andernorts nicht dokumentiert zu sein.
Das Bild änderte sich, als mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) gleich zwei Fotos eines ganz ähnlichen Presto in digitaler Form zur Verfügung stellte.
Hier haben wir die erste Aufnahme:
Wie der Presto auf dem Foto von Jason Palmer besitzt dieser Presto eine Frontbeleuchtung, die so erst nach dem 1. Weltkrieg Standard wurde. Typisch ist die Kombination aus großem Hauptscheinwerfer und leicht angewinkelten kleinen Lampen zur Ausleuchtung von Kurven.
Wann dies genau aufkam, ist mir nicht bekannt, aber ich habe das mit Bewusstsein nur bei frühen Nachkriegsautos gesehen, während elektrische Hauptscheinwerfer bei vielen Fabrikaten bereits kurz vor dem 1. Weltkrieg optional erhältlich waren.
Den 1920er Jahren zuzuordnen ist außerdem der Fahrtrichtungsanzeiger auf der linken Seite neben der Windschutzscheibe.
Von diesem nachgerüsteten Detail abgesehen, ist der abgebildete Wagen praktisch identisch mit dem Spitzkühler-Presto auf dem zweiten Foto von Matthias Schmidt:
Da die Nummmernschilder beider Wagen mit „IV“ (für den Raum Chemnitz) beginnen und sogar das Reifenprofil übereinstimmt, ist zu vermuten, dass es sich um dasselbe Auto handelt.
Wie kann das aber sein, wo doch das Auto einmal schwarz und einmal weiß erscheint? Tja, das ist genau die Falle des Schwarzweiß-Denkens, in die man so gerne tappt – speziell auf dergleichen historischen Fotos.
Je nach Beleuchtung, Belichtung, Entwicklung, Qualität und Erhaltung des Abzugs kann ein und dieselbe Farbe im Schwarz-Weiß-Prozess ganz hell oder ganz dunkel erscheinen.
Denkbar, dass der Presto auf dem ersten Foto rot lackiert war – dann kann er auf einem solchen Foto dunkelgrau erscheinen, aber eben auch hellgrau. Das lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Außerdem kann der Wagen natürlich umlackiert worden sein.
Letztlich ist es auch egal, denn so oder so läuft ein Presto jener Zeit mit Spitzkühler jedwedem Schwarzweißdenken zuwider. Es gibt meines Wissens keine Literatur dazu, welche solche Exemplare zeigt und zeitlich wie typbezogen einordnet.
Dass es tatsächlich noch mehr dieser Zwischentöne gab, die gern übersehen wurden, das beweist eine weitere Aufnahme aus dem Fundus von Matthias Schmidt, welche ebenfalls einen Presto mit Spitzkühler zeigt – aber mit einer abgeflachten Variante:
Was der renommmierte Hersteller aus Chemnitz in den chaotischen Jahren der frühen Nachkriegszeit alles fabrizierte, um sich über Wasser zu halten, bis man mit dem völlig neuen Presto Typ D 9/30 PS ab 1921 einen großen Erfolg landete, das fasziniert.
Immer wieder erstaunt mich die Vielfalt an neu auftauchenden Facetten bei deutschen Vorkriegswagen speziell der ersten Jahre nach dem 1. Weltkrieg. Mit stereotypem Schwarzweiß-Denken wird man der prallen Wirklichkeit jener Zeit nicht gerecht…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Danke! Auf der Website ist so ein Spitzkühler-Presto von 1919 als angeblicher Vorläufer des Typs D 9/30 PS (ab 1921) vermerkt. Sonst in der Literatur nicht zu finden – sehr interessant. Ich schreibe Herrrn Mugler mal an deswegen.
Siehe Webseite:
http://www.presto-chemnitz.de/
Albrecht Mugler
Hofer Straße 2-4
D-09353 Oberlungwitz
Deutschland
http://www.presto-chemnitz.de
mailanpresto@presto-chemnitz.de
Im Museum für sächsische Fahrzeuge (https://fahrzeugmuseum-chemnitz.de/) langweilen sich einige Presto, aber besonderes Interesse ist nicht vorhanden.
Früher war man viel mehr an „Vorkrieg“ interessiert, aber mittlerweile kaum noch, gerade ein Presto-Motorrad steht noch in der Ausstellung.
Anläßlich einer Sonderausstellung im Horch-Museum (https://www.horch-museum.de/) gab es ein Buch zu Ausstellung. Ich müsste nur mal im Archiv kramen. Herausgeber ist nämlich das Horch-Museum und verkauft wurde im Museum-Shop.
Ja-Presto bedürfte dringlich einer Erinnerung !!