Bremer Braut bei Bingen: BMW 327 Cabriolet

Heute brauche ich keine umständliche Einleitung und komme gleich zur Sache: Fühlen Sie sich vom Christkind großzügig bedacht oder ließ Weihnachten zu wünschen übrig?

Gab es Streit in der Familie? Wollte das vegane Schnitzel nicht zu Klößen und Rotkohl passen? Waren die verwöhnten Kinder undankbar und wollten Sie belehren? Oder, was schlimmer wäre: Waren Sie unfreiwillig allein?

Ich werde seit Jahr und Tag von alledem verschont, freue mich aber auch für jeden, der harmonisch nach alter Tradition Weihnachten als Familienfest feiert. Es soll ein jeder nach seiner Fasson selig werden – nichts ist schlechter, als im falschem Leben festzustecken.

Für all‘ die, deren Erwartungen enttäuscht wurden, werde ich unterdessen gerne seelsorgerisch tätig. Schauen Sie, nie war alles vollkommen, aber oft genug in der Geschichte war manches vollkommen, selbst unter den schwierigsten Umständen.

Davon sollten wir das uns Beste in Gegenwart und Alltag gönnen, wann immer das geht, auch wenn es sich in den großen Dingen nicht zum Besseren wendet hierzulande.

Das Bild, das ich heute präsentiere, bringt das in Perfektion zum Ausdruck. Man weiß, wann es entstand und man möchte nicht tauschen mit den Menschen, die darauf abgebildet sind.

Und dennoch gibt es da einige Dinge zu sehen, die zeitlos und einfach zauberhaft sind:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich über diesen Wagen viele Worte verlieren? Selbst wer nicht vertraut ist mit deutschen Vorkriegsautos, dem ist dieses Exemplar auf merkwürdige Weise bekannt.

Für manche ist dieses 327er Cabriolet, das ab 1937 gebaut wurde, die Quintessenz eines BMW – man erkennt ihn sofort und ist hingerissen.

Für einen Moment steht die Zeit still, denn hier ist das Beste aus der Vorkriegswelt und der sich ankündigenden Moderne vereint.

Kühler und Scheinwerfer sind keine eigenständigen Bauteile mehr, man kann ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie mit dem Wagenkörper verschmelzen. Doch die Kotflügel sind gerade noch als solche erkennbar, kraftvoll geformt wie wohltrainierte Muskeln.

Die Trittbretter sind nur noch angedeutet, funktionslos geworden, die niedrige Frontscheibe fügt sich ebenso dem Diktat des Luftstroms wie die ganze Vorderpartie. Wie der kurz nach dem Krieg als Improvisation entstandene sensationelle Jaguar XK 120 sah der BMW 327 schon im Stand wie ein sprungbereites Raubtier aus.

Nicht zufällig schmückt genau dieser Wagen den Deckel des lange ersehnten, über 400 Seiten starken BMW-Standardwerks von Nyncke/Simons/Zeichner (BMW 1929 bis 1945, Verlag Geramond, 1. Auflage 2022).

Es gehört zu den vielen Verdiensten dieses Werks, endlich den Männern Ehrerbietung zu zollen, welche in den späten 1930er Jahren das Gesicht von BMW geprägt haben.

Das Buch macht Schluss mit der Geringschätzung der Leistung der Gestalter deutscher Vorkriegswagen, die für den Erfolg mindestens so entscheidend waren wie die Techniker.

Für die aus jeder Richtung vollkommene Linie des BMW 327 war Wilhelm Kaiser verantwortlich. Geboren 1908 und gelernter Karosseriebauer, kam er 1936 zu BMW nach Eisenach. Sein Name ist für immer mit den sensationellen Typen 327/328 verbunden.

Ab 1941 verliert sich seine Spur – man weiß schlicht nicht, was aus ihm geworden ist. Dieses Verschwinden aus der Geschichte ist typisch für unzählige seiner Zeitgenossen – so wohl auch für die beiden hier:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Außer dass dieses Paar aus Bremen stammte, wissen wir nur, dass es auf der rechten Rheinseite gegenüber von Bingen haltgemacht hatte, als diese Aufnahme entstand.

Der Titel „Bremer Braut bei Bingen“ ist spontan dieser Tatsache entsprungen. Zwar ist auf der Rückseite des Originalabzugs nichts vermerkt, doch mir kam die Landschaft im Hintergrund bekannt vor.

Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich für eine Weile in Wiesbaden wohnte und bei schönem Wetter abends nach der Arbeit Ausflüge mit dem Motorrad in den Rheingau unternahm. Doch die bei gemütlicher Fahrt mit gerade einmal 40 PS aus einzylindrigen 500ccm gewonnenen Eindrücke genügten, um sich ins Langzeitgedächtnis einzubrennen.

Der Aufnahmeort war in der Nähe der Burgruine Ehrenfels gegenüber der Stelle, an der die Nahe in den Rhein mündet. Auf der anderen Seite des Flusses erkennt man am Horizont die Silhouette der Rochus-Kapelle.

Wenn man von hier weiter dem Fluss folgte, war man binnen kürzester Zeit in einer der bis heute großartigsten deutschen Landschaften – dem Mittelrheintal.

Dorthin wird auch der Fahrer des BMW 327 mit seiner Bremer Braut weitergefahren sein – dieser Rheinabschnitt präsentiert sich in unseren Tagen (hoffentlich) noch so wie einst.

Ich war schon lange nicht mehr dort, doch heute bin ich für eine Weile zurückgekehrt, habe mich an den warmen Sommerwind im Gesicht erinnert und an die Landstraße, die bei weniger Verkehr zum genüsslichen Kurvenräubern einlädt.

Was mag aus dem BMW 327 geworden sein, der auf unserem Foto das Abzeichen des staatlichen NSKK auf dem Kühlergrill trug – der auf das Kraftfahrwesen spezialisierten Unterorganisation der NSDAP?

Und was mag aus dem hier so zufrieden erscheinenden Paar geworden sein? War er überzeugter Nationalsozialist oder wies die NSKK-Zugehörigkeit auf eine oberflächliche Anpassung hin, um weiteren Bücklingen gegenüber dem Regime zu entgehen?

Nichts davon wissen wir und alles ist möglich. Auch, dass wir hier das letzte Zeugnis der beiden sehen. Vielleicht verschwanden sie in den Kriegswirren wie Wilhem Kaiser, dem wir das ikonische Design des BMW 327 verdanken.

Wir sehen: alles Persönliche hat eine ungewisse Zukunft, aber die Schöpfungen der Vergangenheit bleiben uns im besten Fall als beglückende Begleiter auf dem weiteren Weg. Der BMW 327 wird uns dabei wiederbegegnen, das kann ich schon jetzt versprechen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

8 Gedanken zu „Bremer Braut bei Bingen: BMW 327 Cabriolet

  1. Hallo,
    der 327 ist vom 327/28 äußerlich nur durch die Zentralverschlussräder zu unterscheiden. Schlitze auf der Motorhaube gab es nicht, zumindest nicht ab Werk. Vielleicht eine Verwechselung mit dem 328 der solche Schlitze hatte. Ich habe in den letzten Jahren beruflich häufig diese Typen in der Werkstatt gesehen und kann mich an keine Lüftungsschlitze auf der Haube erinnern.
    Die Instrumente waren bei 327/28 Runduhren anstelle der Pilzförmigen beim 327.
    Allerdings ist alles untereinander tauschbar, was heute üblich ist und auch damals wurden 327 mit dem 328er Motor nachträglich aufgerüstet. (Anhand der FIN nachweisbar) Auch Räder und Instrumente wurden und werden heute gerne getauscht.

  2. Danke – es geht doch nichts um: „zurück zur Quelle“! In diesem Blog ist außerdem – durch das Thema vorgegeben – alles gleichermaßen aktuell.

  3. Hallo,
    auch wenn man meinen könnte, das ist ja alles nicht mehr aktuell, weil es schon den nächsten Blogg-Beitrag gibt, möchte ich doch noch auf den Zweifel von Herrn Weigold bzgl. des Führen eines Standers nur bei offiziellen Fahrten eingehen, wie von mir behauptet. Laut dem Organisationshandbuch der NSDAP von 1937, S. 413, durfte der Stander sogar nur bei „großer Dienstfahrt“ gesetzt werden. Da das NSKK ab 1935 Teilorganisation der NSDAP war, waren auf diesen Dienstfahrten Uniformen Pflicht. Wir haben hier also ein dokumentiertes Dienstvergehen, was allerdings nicht mehr justiziabel sein dürfte und die Insassen schon damals nicht gejuckt haben dürfte.

  4. Noch eine Präzisierung: Das NSKK war eine Parteiorganisation – also nicht „staatlich“, wenn auch „offiziös“.
    Ob es zum Führen des NSKK- Standers einer „offiziellen Mission“ bedurfte ist zu bezweifeln, ob die zivile Kleidung des Paares im Gegensatz zum Führen des Standers steht ebenfalls.
    Der Heimatort von Wilhelm Kaiser ist wohl der südöstlich auf der Höhe gelegene Stuttgarter Vorort Sillenbuch !

  5. Hallo Herr Schlenger,
    ein feines Foto haben Sie da wieder ausgegraben!
    Ist der Geburtsort des von Ihnen erwähnten Herrn Kaiser bekannt?
    Das Auto trägt übrigens nicht nur ein NSKK Abzeichen am Kühler sondern auch einen offiziellen Stander der Organisation am Auto. Interessant, dass trotzdem beide Insassen in zivil in dem Auto fahren, den das Führen des Standers signalisiert eigentlich eine Fahrt in offizieller Funktion.
    Schöne Grüße,
    KD

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