Zum Wochenende hin gibt’s wie in jedem anständigen Haushalt, der nichts verkommen lässt, Resteverwertung. Die gereichte Kost wird indessen nicht so schwer werden wie beim jüngsten „BMW meets Bach“-Thema – versprochen!
Auch gibt es diesmal wenig zu sinnieren oder zu recherchieren – denn eigentlich tische ich Ihnen heute nur x-mal das Gleiche auf. Als geübter Hobbykoch meine ich aber, auch einer simplen Rezeptur traditioneller Machart einige raffinierte Seiten abgewinnen zu können.
Auf der Menükarte steht nur ein einziges Gericht – doch zum Glück nicht angerührt in der für ihren kalten Funktionalismus berüchtigten Frankfurter Küche – sondern in den prächtigen Adlerwerken unweit des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main.
Viele Jahre – von der kaufmännischen Ausbildung über das VWL-Studium bis zu meiner Tätigkeit bei einem örtlichen Wertpapierverwalter (Kennern als „Asset Manager“) bekannt – fuhr ich täglich mit der Bahn dort vorbei, ohne mir viel dabei zu denken.
Erst als ich in der Frühzeit meines Dilettierens über Vorkriegsautos auf alten Fotos vor bald 10 Jahren über diese Aufnahme stolperte, begann ich eine intensivere Beziehung zu der Traditionsmarke Adler zu entwickeln – jedenfalls, was deren Automobile betrifft:

Die wirklichen Veteranen der Altautofraktion wussten es natürlich lange vor mir: Das war ein Adler des Typs 6/25 PS, der ab 1925 in rund 6.500 Exemplaren gebaut wurde.
Das technisch konventionelle Fahrzeug mit 1,6 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) war der bis dato größte Erfolg der Marke. Mit Vierradbremsen, vier Gängen und 12 Volt-Elektrik sowie markentypisch makelloser Verarbeitung war der Wagen ein grundsolides Angebot.
Im Unterschied zu einigen anderen Wagen der um 1925 einsetzenden Flachkühler-Ära am deutschen Markt wirkte der Adler durchaus gefällig gestaltet. Mit seinen serienmäßigen Scheibenrädern und der markant gestalteten Frontpartie stach er aus der Masse ähnlicher Fahrzeuge deutscher Provenienz hervor.
Sofern sich der Käufer für die spektakuläre Adler-Kühlerfigur entschieden hatte, kam der Wagen beinahe repräsentativ daher:
Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle die Frage, was mich dazu bewogen hat, den adretten Adler 6/25 PS im Titel mit „Stimme(n) aus der Stille“ in Verbindung zu bringen.
Nun, das ist einfach erklärt. Ich suchte nach einem Motto, das sich für einen Bilderreigen des Immergleichen eignet, der ohne viele Worte auskommt und zugleich die Frage aufwirft: Was ist aus all den tausenden Wagen dieses Typs geworden, die in den meisten Fällen als Tourer und nur selten mit geschlossenem Aufbau gekauft wurden?
Zum Glück hatte ich gerade eine Platte mit Liedern der geheimnisvollen italienischen Sängerin Mina (nicht zu verwechseln mit Milva) aufgelegt und gerade wickelte sie mich mit der Nummer „La Voce del Silenzio“ auf’s Angenehmste ein.
Das wäre doch ein passender Titel – die alten Adler Fotos als paradoxe „Stimme(n) aus der Stille“ zu präsentieren und zu lauschen, was sie uns – wenn auch stumm – am Ende doch zu sagen vermögen. Und das ist eine ganze Menge, wie wir im Folgenden sehen werden.
Dieser Adler etwa erzählt – mag er selbst sonst völlig schweigend dastehen – von der gestalterischen Schönheit so banal erscheinender Gegenstände wie eines Gartenzauns an einer großzügigen Vorstadtvilla:
Das folgende Exemplar wiederum lässt uns an den bisweilen auftretenden Problemen damaliger Kameras teilhaben.
Hier war unbeabsichtigt Seitenlicht auf den eingelegten Film gefallen. Das konnte beispielsweise passieren, wenn man den belichteten Film herausnehmen wollte, aber vergessen hatte, ihn zuvor ganz zurückzuspulen:
Der aufmerksame Betrachter erfährt hier aber auch etwas anderes: Auffallend viele dieser Adler wurden nachträglich mit wohl ledernen „Seitenschürzen“ an den Vorderkotflügeln ausgestattet. Das kenne ich in dieser Häufung von keinem anderen Wagen.
Ich schließe daraus, dass die vorderen Kotflügel ihren Zweck nur unvollkommen erfüllten. Der Hersteller scheint darauf nicht reagiert zu haben. Auch die bei obigem Modell montierte Doppelstoßstange stammte aus dem Zubehörhandel.
Überhaupt fällt auf, dass die Fahrer deutscher Wagen jener Zeit oft die Behebung von Mängeln ihrer Fahrzeuge selbst in die Hand nahmen – im Fall von Stoßstangen nahm man meist Maß an den moderneren US-Modellen, welche den Stil auch solcher funktioneller Bauteile vorgaben.
Wer auf dem Land wohnte, wo außer dem Hausarzt und dem Gutsbesitzer kaum ein Mensch ein Auto besaß, konnte freilich noch gut auf Stoßstangen verzichten. Wenn sich einer freilich in die Großstadt traute – hier im Fall von „Vati in Darmstadt“ – galt es vorsichtig zu sein:
Erst recht kam man ohne großstädtischen Ballast aus, wenn man einen Tourenwagen des Typs Adler 6/25 PS bestimmungsgemäß in der Botanik ausfuhr, um sich an derselben und der Stille zu erbauen, die beim Abstellen des Motors zu vernehmen war.
Dieser Herr etwa fühlte sich irgendwo im Wald mit sich, der Welt, seinem Adler so zufrieden, dass er genau hier und genau so für die eigene Erinnerung und die Nachwelt festgehalten werden wollte:
Andere Vertreter (m/w/d) der Adler-Fraktion wiederum bevorzugten die reizvolle Umgebung eines herrschaftlichen Landsitzes, auch wenn es wohl nicht der eigene war.
Vielleicht bekommt jemand heraus, vor welcher Schlossanlage diese Aufnahme entstand. Der Abzug trägt auf der Rückseit den Stempel eines Fotogeschäfts aus Kassel – das könnte helfen:
Auf der folgenden Aufnahme geht es zwar weit bodenständiger zu, jedenfalls die Architektur im Hintergrund betreffend, aber immerhin ist hier überliefert, wo das Foto entstand und auch wann.
Denn umseitig ist vermerkt: „Pinneberg, Juni 1930“: Die teuer gekleideten Kinder neben dem Wagen wollen eher nicht zu den einfachen Häusern in dieser Straße passen – zum Adler dagegen durchaus:
So viel Menschliches ist auf diesen nur vordergründig schweigenden Dokumenten zu sehen. Da beginnt der Adler 6/25 PS allmählich in den Hintergrund zu rücken, wenngleich er als Charaktertyp auch in solchen Situationen stets auf Anhieb zu erkennen ist.
Bei der Gelegenheit darf ich an die bereits erwähnten Seitenschürzen erinnern – diese nicht gerade schmückenden Teile, welche eine spätere Kotflügelgestaltung vorwegnehmen. Sie müssen von vielen Fahrern des Adler 6/25 PS als Notwendigkeit empfunden worden sein:
Weiter geht es mit der Resteverwertung auf gehobenem Niveau. Dass ich einigen von Ihnen auch mit bereits vorgestellten Aufnahmen des Adler 6/25 PS eine Freude machen kann, das weiß ich genau.
So zeige ich mit Vergnügen wieder dieses Foto eines Wagens des Typs, der in den 1960er Jahren in der DDR regelmäßig bei Veranstaltungen in der dort bereits vorbildlich organisierten Veteranenszene mit von der Partie war. Wir wissen in diesem Fall sogar, wem dieses schöne Exemplar gehörte, nämlich Heiner Goedecke aus Leipzig:
Von diesem speziellen Fahrzeug, das sehr wahrscheinlich noch existiert, finden sich in einem älteren Blog-Eintrag einige weitere Fotos.
Das hatte ich fast vergessen, als mir kürzlich eine Aufnahme desselben Adler 6/25 PS in die Hände fiel, die ebenfalls zu dieser Zeit bei einer Veranstaltung in der DDR entstanden sein muss.
Hier haben wir das gute Stück neben einem russischen Militär-LKW, wenn ich es richtig sehe:
Zu diesem speziellen Exemplar können sicher noch einige Zeitzeugen etwas sagen. Doch ich will mich nicht zu weit vom heutigen Motto entfernen: „Stimme(n) aus der Stille“. Denn hier sind die alten Fotos selbst die Botschaft und vieler Worte bedarf es nicht.
Nebenbei: Wie so ein Adler 6/25 PS in der Tourenwagenausführung aussah, werden Sie spätestens jetzt verinnerlicht haben, ohne dass ich darauf ausführlich eingehen musste.
Also lassen wir noch ein letztes Mal für heute eine Aufnahme eines Adler 6/25 PS ganz aus sich selbst heraus sprechen und lauschen, was sie uns vielleicht zu sagen hat:
Ein zauberhaftes Dokument finde ich. Hier ist der Wagen ebenso wie die Fachwerkscheune im Hintergrund nur eine gut gewählte Kulisse. Der Fotograf hat die Schärfentiefe mit seltener Präzision auf den Bub hinter dem Lenkrad gelegt, dafür musste man sehr versiert sein.
Und jetzt überlasse ich es ganz Ihnen, was Ihnen dieses schöne stille Foto sagt, das einen Moment festhält, von dem nichts geblieben ist als – bestenfalls – die Scheune mit ihren verwitterten Balken und den typischen Tonziegeln, die man hierzulande nur noch selten findet.
Damit Sie das Wochenende aber nicht allzu melancholisch beginnen, sei Ihnen anempfohlen, was die hinreißende Mina einst zum Thema „Stimme der Stille“ zu singen hatte. Das war anno 1968 – seitdem geht es stilistisch leider eher den „Bach runter“…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wie immer,sehr schöne Fotos!Das Bild vor der Schlossanlage kommt mir doch bekannt vor,ich würde behaupten es ist Schloss Wilhemsthal in Calden bei Kassel.
Da passt dann auch der Stempel des Fotohändlers in Kassel!