Na, was sind Ihre Assoziationen beim heutigen Titel? Meine sind so abwegig, dass Sie nicht darauf kommen werden – erst das vorzustellende Foto, welches mich dazu inspirierte, wird für die gewünschte Aufklärung sorgen.
Also sind Sie heute ausnahmsweise zuerst dran:
Denken Sie zuerst an „Room with a view“ – das wunderbare Titellied eines eher peinlichen deutschen ÖR-Streifens von anno 1988, das einst von Tony Carey gesungen wurde?
„Damals war die Welt noch in Ordnung. Toller Song“ – so lautet der erste Kommentar auf YouTube unter diesem Stück – jedenfalls heute, als ich das Video aufgerufen habe. Im gleichen Jahr 1988 hatte ich den Führerschein in der Tasche und machte mein Abitur.
Nur 15 Monate Wehrdienst als Panzergenadier an der innnerdeutschen Grenze trennten mich damals noch von der Freiheit. Der Krieg blieb kalt, und das war auch deshalb besser so, weil die Bundeswehr schon damals keine echte Armee war – was ich mit Blick auf das Personal an der Spitze unseres Landes heute erst recht begrüße.
Aber: „Zimmer mit Aussicht“ , das war auch der Titel eines britischen Kinofilms, der 1985 – also vor genau 40 Jahren – herauskam. Er spielt im wahrsten Sinne des Wortes mit den Klischees um das viktorianische England.
Das Beste an dem Schinken ist, dass er in Florenz und Umgebung spielt, während ich mit der damals „entdeckten“ Helena Bonham Carter noch nie etwas anfangen konnte. Einziger Lichtblick ist Maggie Smith, die später in der legendären Adelsserie „Downton Abbey“ zur Rolle ihres Lebens fand – aber das nur nebenbei.
Was hat es es nun mit dem „Zimmer mit Aussicht“ auf sich, welches ich Ihnen heute in Sachen Vorkriegsautomobile nahebringen will?
Nun, an sich ist die Sache ganz einfach. Es handelt sich um eine geniale Vorwegnahme des Konzepts des „Tiny House“ – der Miniaturbehausung, die den in Sachen Wohneigentum heillos unterausgestatteten Deutschen seit einigen Jahren angepriesen wird.
Das Lob der minimalistischen Wohnkammer, die einen all der Lasten enthebt, die mit einem richtigen Haus mit großzügigem Grundstück einhergehen, soll darüber hinwegtäuschen, dass die heutige Erwerbstätigen-Generation „dank“ weltweit einzigartiger Zwangsabgaben nicht mehr den Wohlstand ihrer Eltern zu erreichen vermag.
Dieses auf das „reiche“ Deutschland beschränkte Phänomen registriere ich schon seit langem mit einer Mischung aus Amüsement und Verärgerung. Denn an sich hätte ich am Konzept des kleinen „Zimmers mit Aussicht“ gar nichts auszusetzen, würde es nicht zugleich mit aggressiver Propaganda gegen das Automobil für jedermann einhergehen.
Dabei ließ sich doch beides schon vor 100 Jahren auf vollkommene Weise vereinen – das Dach über’m Kopf, beste Aussicht auf die Welt und die Möglichkeit, jederzeit seine Zelte abbrechen zu können und unabhängig von Zugfahrplänen einen besseren Ort in der Welt aufzusuchen – und sei es bloß außerhalb der Metropolen irgendwo auf dem Land.
Wie reizvoll das Mitte der 1920er Jahre aussehen konnte, ist hier zu besichtigen:

Dieses rollende Einraum-Mobil mit luftigem Ausguck basierte offenbar auf dem Citroen Type C 5CV, der ab 1922 gebaut wurde und als erstes französisches Großserienauto gilt.
Das Fahrzeug war mit seinem 900ccm-Vierzylinder unterhalb des Fiat 501 angesiedelt, der ab 1919 das früheste Massenfabrikat in Europa war. Mit elektrischem Anlasser und Diifferential hob sich der kleine Citroen jedoch von den ähnlichen Cyclecars jener Zeit ab.
Über 80.000 Exemplare entstanden bis Mitte der 1920er Jahre, darunter viele offene Versionen mit dem auch hier zu sehenden spitz zulaufenden Bootsheck, das im Französischen treffend „Cul de poule“ genannt wurde – Hühnerarsch auf gut Lutherisch.
Wer sich an den Opel 4 PS „Laubfrosch“ erinnert fühlt, muss zur Kenntnis nehmen, dass den vor dem 1. Weltkrieg auch im Kleinwagensegment versierten Rüsselsheimern 1924 nichts Besseres mehr einfiel, als am Citroen „Maß zu nehmen“, vorsichtig formuliert.
Das Besondere an dem hier präsentierten Exemplar des Citroen 5CV ist die Umgestaltung des offenen Bootsheck-Tourers in ein adrettes Coupé. Dazu montierte man einen kunstlederbezogenen Dachaufsatz, den es wohl im Zubehör gab.
Garantiert nicht serienmäßig war auch der „Freisitz“ mit Designerstuhl aus dem Hause „Henri Moreau“ – einem französischen Möbelgestalter jener Zeit.
Wer jetzt meint, dass dieser Citroen als Werbemobil unterwegs war, macht mir die Story kaputt! Für mich war dies das Werk eines Visionärs, der seiner Zeit weit voraus war und als herumzigeunernder Freigeist einfach nur sein motorisiertes Zimmer mit Aussicht genoss…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.