Hier ist jeden Tag Hochzeit: Presto Typ D 9/30 PS

Es gibt erstaunlich viele Dinge, die – bei allem Trennenden – Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam haben. Zuallererst kommt keiner an den Naturgesetzen, Logik und Mathematik vorbei, auch wenn es immer Zeitgenossen gibt, die meinen, dies ignorieren zu können.

Manche davon bringen es erstaunlich weit damit und das bringt mich zu nächsten Gemeinsamkeit – einem Hang, sich über die schnöden Realitäten der Welt hinwegzutäuschen, indem man diese als Teil einer höheren Ordnung versteht.

Ich halte es da eher mit dem Barbesitzer Flavio aus meinem Feriendomizil im italienischen Umbrien. So kamen wir kürzlich überein, dass der Mensch und die Erde im kosmischen Kontext viel zu unerheblich seien, als dass sich irgendeine übergeordnete Instanz – wenn es sie denn gibt – dafür auch nur interessieren würde.

Der Gedanke war schon in der „heidnischen“ Antike verbreitet man – findet ihn in „De rerum natura“ des römischen Schriftstellers Titus Lucretius Carus.

Eine einzige Kopie dieses bemerkernswerten, doch aus christlicher Sicht ketzerischen Stoffs hat sich erhalten, die im 15. Jh. von Poggio Bracciolini wiederentdeckt, aber wohlweislich erst einmal unter Verschluss gehalten wurde. Eine großartige Nacherzählung dieser Story ist „The Swerve“ von Stephen Greenblatt (2012).

Damit soll nicht gesagt werden, dass die auf der ganzen Welt zu findenden religiösen Glaubensvorstellungen nicht ihre Berechtigung hätten. Sie erfüllen für viele eine wichtige Funktion – das eigene kleine Dasein für sich selbst in einem großen Ganzen einzuordnen, das jedes Vorstellungsvermögen sprengt.

Dieses Bedürfnis ist den meisten ebenso gegeben wie ein anderes universelles Phänomen – den Bund zwischen Mann und Frau, die zusammenleben möchten, feierlich zu begehen und ihm einen höheren Wert zu geben, als er sich in der Praxis dann in vielen Fällen einstellt.

Dazu gehört meist ein besonders feierlicher, dem Alltag enthobener Auftritt, der den Beteiligten das Besondere vor Augen führen soll. Zu den äußeren Merkmalen gehört seit langem ein aufwendiges Automobil – möglichst eines, das man sich sonst nicht leisten kann:

Presto Typ D 9/30 PS Hochzeits-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben ein Hochzeitspaar, das sich eine Fahrt in einer besonderen Ausführung des in den frühen 1920er Jahren recht verbreiteten Presto Typ D 9/30 PS gönnte.

Der Vierzylinderwagen des Herstellers aus Chemnitz gehörte nach dem 1. Weltkrieg bis etwas 1925 zu den meistgebauten deutschen Autos überhaupt, blieb aber für Normalsterbliche wie jedes Kraftfahrzeug unerreichbar, sodass die absoluten Zahlen überschaubar blieben.

Einige tausend davon sind einst entstanden. Davn haben im Lauf der 10 Jahre seit Entstehen meines Blogs rund 40 verschiedene Exemplare den Weg hierhergefunden – in Form zeitgenössischer Fotos, versteht sich.

Die meisten davon zeigen klassische Tourenwagen, also offene Ausführungen mit dünnnem Notverdeck und seitlichen Steckscheiben – die günstigste Variante.

Geschlossene Aufbauten, die wesentlich teurer waren und den 30 PS-Wagen erst recht bei voller Besetzung mit sieben Insassen an seine Leistungsgrenze brachten, finden sich nur ausnahmsweise.

Umso bemerkenswerter daher, dass mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) kürzlich zwei Fotos eines solchen Presto Typ D 9/30 PS zusandte, der eine praktisch identische Karosserie mit den repräsentativen ovalen Seitenfenstern besaß:

Presto Typ D 9/30 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Mir gefällt diese Aufnahme auch wegen der hier zu sehenden prächtigen Charaktere, die mit der Fotosituation sehr gelassen umgehen und sich gut aufgelegt zeigen – eher die Ausnahme in deutschen Landen nach meiner Wahrnehmung.

Man erkennt hier den typischen oben abgerundeten Spitzkühler und die kiemenartigen Luftschlitze im hinteren Teil der Motorhaube, was den Presto Typ D meist leicht erkennbar macht.

Die scheibenförmigen Abdeckungen der Räder waren ein in den frühen 1920er Jahren markenübergreifend öfter anzutreffendes Zubehör. Echte Scheibenräder wurden erst etwas später gängig. Nachgerüstet war außerdem die Stoßstange.

Man sieht: Man kann mit so einem Presto auch ohne Hochzeit im Alltag gute Figur abgegeben und miteinander harmonieren – etwas, was ich auch für mich beanspruche (ohne den schönen Wagen freilich, der heute eine große Rarität ist).

Das glückliche Zusammenleben erfordert aus meiner Sicht weniger eine formale Vereinbarung (die schnell vergessen ist) als den Wunsch, es täglich Wirklichkeit werden zu lassen.

Das unbedachte Bonmot vom „Schönsten Tag im Leben“ hat für mich einnen fürchterlichen Beiklang im Sinne von: „Besser wird’s danach nicht mehr“. Das möchte ich aber doch gerade in einer glücklichen Beziehung, dass die schönsten gemeinsamen Tage noch in der Zukunft liegen und im Idealfall sogar einen Alltag beschreiben, an dem immer Hochzeit ist.

Genau diese Gedanken verbinde ich mit den heute gezeigten Aufnahmen.

Deren letzte ist die folgende. Sie zeigt den Presto, der anderen als Hochzeitswagen diente, nochmals in einer harmonischen Situation, welche für die gutsituierten Besitzer vielleicht nicht Alltag darstellte, aber doch immer wieder in Reichweite war:

Presto Typ D 9/30 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Übrigens stammten diese Herrschaften aus dem Raum Leipzig, wie das Kennzeichen verrät.

Dass ihr Presto mit dem markanten Seitenfenster nicht derselbe war wie der auf meinem eingangs gezeigten Foto, das zeigen einige Details.

Vielleicht findet sich ein sachkundiger Kommentator, der diesem auffallenden Aufbau noch mehr abgewinnen kann als Gedanken über Sinn und Unsinn des Heiratens…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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