Für uns Bewohner des „pale blue dot“ – lokal genannt Erde, im Universum wegen Irrelevanz vermutlich namenlos – gibt es nur weniges, wo sich die Dinge nicht durch Einnnehmen einer neuen Perspektive anders darstellen.
Mir fallen als Beispiele nach reiflicher Überlegung bloß in sich geschlossene logische Systeme wie Mathematik und – mit Abstrichen – Physik und Informatik ein.
Alle übrigen Phänomene, mit denen wir es real zu tun haben, können sich immer wieder anders darstellen, wenn ein unabhängiger Kopf eine neue Perspektive darauf wirft.
Nahezu immer ist unser „Wissen“ nur vordergründig und vorläufig – und so besteht wissenschaftlicher Fortschritt genau darin, bisherige Modelle der von uns wahrgenommenen Wirklichkeit zu kritisch zu prüfen, ggf. über den Haufen zu werfen oder weiterzuentwickeln.
Wenn also das nächste Mal jemand erzählt „the science is settled“ oder „follow the science“ dann lächeln Sie und tun am besten das Gegenteil von dem, was man damit verlangt.
Wenig bis nichts ist auf Dauer „sicher“ und man „muss“ überhaupt nichts im Leben außer seinen Mitmenschen möglichst wenig in objektiver Hinsicht zur Last fallen, Steuern an irgendeine Obrigkeit zahlen und schließlich sterben.
Nachdem wir das geklärt hätten, möchte ich zum angenehmen Teil überleiten und ein Beispiel dafür bringen, wie eine neue Perspektive Erstaunliches zu vermitteln vermag.
Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen daran, wie wir hier dem Wagen auf dem folgenden Foto seine wahre Identität entlockt hatten, obwohl er auf den ersten Blick etwas anderes zu sein schien:

Trotz auffallender Ähnlichkeit mit dem Typ G1 6/18 PS, der Anfang der 1920er Jahre unter der Marke Dixi in Eisenach gebaut wurde, bestätigten sich meine Zweifel.
Die trommelförmigen Gasscheinwerfer und der kurze Radstand verwiesen bei sonst nahezu identischer Gestaltung auf das nur 1919/20 gebaute Übergangsmodell R 5/14 PS – hier speziell in der späteren Gestaltung.
Dieses Ergebnis, das ich gemeinsam mit einigen Kennern unter den Lesern meines Blogs gewann, ist ein schönes Beispiel für den Wert des Selberdenkens unabhängig davon, was irgendwo bereits geschrieben steht oder von einer Koryphäe behauptet wird.
Das gilt natürlich genauso für alles, was ich hier leichterhand mit gepflegtem Halbwissen zu später Stunde herunterschreibe. Wenn ich etwas übersehen oder etwa falsch interpretiert habe, dann ist es gut, wenn mich jemand korrigiert, der mehr Informationen hat – oder schlicht über eine andere Perspektive verfügt, die mir bislang verbaut war.
Wie sehr das Einnehmen einer ungewohnten Perspektiv einen neuen Blick auf die Dinge ermöglicht, das zeigt folgendes Foto. welches ich abermals Leser Matthias Schmidt (Dresden) verdanke:
So etwas bekommt man – unabhängig vom abgebildeten Wagen – selten bis nie zu sehen.
Die Heckansicht eines Vorkriegsautomobils um 1920 darf man getrost zu den Raritäten zählen – doch in meinem Blog findet so etwas selbstverständlich Platz. Vermutlich schätzen meine Leser auch solche ungewohnten Perspektiven auf das Thema.
Das muss nicht heißen, dass Sie alles genau so sehen wie ich das tue – dieses Bedürfnis, immer und überall Konsens zu erzielen, ist für mich eine Beleidigung der Vernunft. Sie können hier immer ganz andere Sichtweisen vertreten – nur meine müssen Sie als legitim hinnehmen, das ist meine einzige Spielregel.
Jetzt aber zu dem Tourer mit typischem Aufbau aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg. Wie soll man hier überhaupt auch nur den Hersteller herausfinden?
Ganz einfach, indem man sich nicht vom Gesamtbild irritieren lässt, genau hinschaut und nach etwaigen Anhaltspunkten im Detail sucht. Diese findet man bei Automobilen jener Zeit praktisch nur an der Kühlerpartie, so auch hier:
Zugegeben: Man muss die Kühlerfigur der Marke Dixi schon einmal gesehen haben, um hier einen Kentauren mit nach hinten wehender Mähne zu sehen.
Diese schöne Figur gehört zu den vielleicht phantasievollsten, die je den Kühler eines deutschen Automobils serienmäßig schmückte – aber auch das ist eine Frage der Perspektive, sicher fällt einem Leser noch etwas Extravaganteres ein.
Nachdem der Kentaur uns auf Dixi gebracht hat, könnten wir uns von den vier schrägstehenden Luftschlitzen in der Motorhaube wieder einmal dazu verleiten lassen, hier einen der recht verbreiteten Typen G1 6/18 PS oder G2 6/24 PS zu sehen.
Doch abermals sind es die Karbidscheinwerfer – hier sogar mit dem dazu erforderlichen Gasentwickler auf dem Trittbrett zu sehen – die uns nachdenklch machen. Das muss doch ein früher Dixi Typ R 5/14 PS sein, wie er kurz nach dem 1. Weltkrieg gebaut wurde.
Denn die äußerlich so ähnlichen, stärkeren G-Typen besaßen durchweg elektrische Scheinwerfer. Also haben mir hier wieder ein Exemplar dieses wenig dokumentierten Typs vor uns – und das im wahrsten Sinne des Worts, denn wir stehen ja hinter ihm.
Die außergewöhnliche Perspektive erlaubt uns dabei noch einen interessanten Blick auf zwei ganz andere „Typen“ im Zusammenhang mit diesem Dixi:
Hier haben wir nämlich zum einen den Fahrer des Dixi – ein angestellter Chauffeur – mit typischer Schirmmütze und vielleicht Dixi-Emblem darauf. Er ist passend zu seiner repräsentativen Aufgaben gekleidet und macht einen gut genährten Eindruck.
Zum anderen sehen wir einen Mechaniker, der wohl ein Problem an dem Auto lösen musste, mit dem der Chauffeur selbst überfordert war. Dieser hagere Typ gefällt mir ebenfalls gut – man sieht ihm den nüchternen und konzentrierten Blick des mit Maschinen vertrauten Menschen an.
So unterschiedlich wie diese beiden hier harmonisch vereinten Männer sind auch die Blickwinkel, aus denen sich ein solches Automobil betrachten lässt, aus gesellschaftlicher, ästhetischer und technischer Sicht.
Jede dieser Perspektiven hat ihre Berechtigung, keine davon kann beanspruchen, die einzig richtige zu sein, erst alle zusammen ergeben ein umfassendes Bild – bis ein Foto auftaucht, das wiederum neue Einblicke erlaubt – vielleicht in den Motorraum oder das Passagierabteil.
Insofern ist auch zu diesem Dixi längst nicht alles gesagt und ich hoffe, dass sich uns hier wie bei andere Vorkriegsfabrikaten immer wieder neue alte Perspektiven eröffnen…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Möglicherweise war die Lampe auf weißes Licht umgebaut – oder verdreht oder gar nicht funktionsfähig. Schätze, dass dies anno 1920 auch kaum jemanden interessiert hat, jedenfalls nicht auf dem Land mit wenig Verkehr.
Das ist anzunehmen – aber eben nicht rot !
Und seitlich abstrahlwndes,Licht war vermutlich auch unzulässig…
Ja, richtig, hatte ich auch gesehen, aber vergessen zu kommentieren – ein schönes Beispiel dafür, dass es immer wieder neue Perspektiven auf vermeintlich Altbekanntes gibt. Vielleicht war die Signalwirkung des bestrahlten Nummernschilds größer als die der kleinen Gaslaterne selbst…
Mir ist hier vor allem der quer gedrehte kleine Scheinwerfer für die Ausleuchtung des Amtl. Kennzeichens aufgefallen – bei Fehlen jeglicher Rückleuchte!
So noch nie gesehen….