Alles muss raus! Adler „Standard 6“ 4-Fenster-Cabriolet

Alles muss raus“ – das ist nicht nur die Kurzfassung des Prinzips der absoluten Meinungsfreiheit, die auch widerlegbaren Blödsinn und behauptete Beleidigungen umfasst – meisterhaft begründet 1859 in John Stuart Mills Werk „On Liberty“. Der ultraliberale Bösewicht war nebenbei auch ein früher Verfechter des Frauenwahlrechts…

Alles muss raus“ – das gilt aber auch für den Staub im Auge, der mich heute halb blind gemacht hat, als ich das seit wohl über 10 Jahren wuchernde Efeu-Kunstwerk beseitigte, welches sich über die gesamte Breite des Gartens der Schwiegereltern entlang des Zauns zum Nachbargrundstück erstreckte.

Die Vorbesitzer fanden es es wohl irgendwie natürlich, dieses auf Dauer zerstörerische Gewächs „gedeihen“ zu lassen – das andere Extrem zum modischen Schotter“garten“.

Alles muss raus„, das ist aber zugleich das Prinzip jedes gründlichen Frühjahrsputzes, und genau das ist, wonach mir trotz tränenden Auges heute noch der Sinn steht – jedenfalls, was das überfällige Aufräumen in Sachen Adler „Standard 6“ angeht.

Sie wissen natürlich, dass Sie in meiner Adler-Galerie bereits bislang die umfassendste Fotodokumentation des ab 1927 in gut 20.000 Exemplaren gebauten Sechszlindermodells der altehrwürdigen Adler-Werke aus Frankfurt am Main fanden.

Doch heute habe ich im Rahmen meiner „Alles muss raus“-Offensive nochmals ein Dutzend neuer alter Fotos dieses gängigen Typs aufgearbeitet, der sich stilistisch eng an den damals in der Klasse dominierenden US-Modelle orientierte.

Speziell die Limousine war amerikanischen Vorbildern nachempfunden, was nicht das Schlechteste war, da die Amis damals vorgaben, wie ein modernes Serienauto auszusehen hatte und damit auch am deutschen Markt abräumten.

So war die Ganzstahlkarosserie des Adler Standard 6 damals ganz auf der Höhe der Zeit:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieser zufrieden dreinschauende Besitzer des Wagens mit der typischen Adler-Kühlerfigur, der in einer Raute eingefassten „6“ auf der Scheinwerferstange und den markant angeordneten sieben Radbolzen war wohl ein „Selbstfahrer“.

Doch gab es Ende der 1920er Jahre noch jede Menge Wagen dieses Kalibers, die von angestellten Chauffeuren bewegt wurden – im Unterschied zu den USA war das Autofahren in Deutschland noch längst keine Selbstverständlichkeit.

Das galt offenbar auch für einen hohen Beamten der deutschen Reichspost, dessen Fahrer sich hier mit „seinem“ Wagen hatte ablichten lassen.

Warum die „6“ hier fehlt? Keine Ahnung, vielleicht wollte der Chauffierte „bescheiden“ erscheinen. Es gab ja auch das optisch identische Vierzylindermodell „Favorit“, dessen Räder allerdings anders aussahen:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Einen weiteren Adler Standard 6 mit Limousinenaufbau und Chauffeur sehen wir auf dem nächsten Foto.

Allerdings fällt hier unterhalb der Seitenfenster ein schmaler hell abgesetzter Streifen auf -das habe ich so noch nirgends gesehen – ein Hinweis darauf, dass es mehr als nur „Standard“ bei diesem Adler gab:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dagegen wirkt die gängige Karosserie von Ambi-Budd (Berlin) doch eher schlicht, wie in dieser Seitenansicht eines Adler Standard 6 zu besichtigen ist, die mit der weniger vorteilhaften einfarbigen:Lackierung daherkommt:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Viel macht allerdings die Wahl der Perspektive aus, wie das nächste Foto beweist, auf dem nun wiederum ein Fahrer mit seinem anvertrauten Adler zu sehen ist.

Wie alle bisher gezeigten Aufnahmen dieses Typs ist auch dieser Wagen mit einer Doppelstoßstange nach US-Vorbild ausgestattet:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dass der Adler gar nicht so groß war, wie er hier vielleicht erscheint, das wird deutlich, wenn man „belebtere“ Aufnahmen dieses Typs mit identischem Aufbau heranzieht.

Ein Beispiel dafür ist dieses Foto, auf dem gleich drei Herren vor dem Auto posieren:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn Sie jetzt denken, dass diese Männer vielleicht einfach etwas stattlicher daherkamen als damals üblich, dann kann ich einige weitere Aufnahmen beisteuern, die diesen Eindruck als Fehleinschätzung entlarven.

Auf dem folgenden Foto erscheint der Adler ebenfalls moderat dimensioniert, was auch zu seiner Motorleistung von 45 PS (später 50 PS) passt:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Selbst wenn man auf die Idee verfällt, das Auto nur mit Frau und Kind abzulichten, stellt sich nicht der Eindruck eines besonders großen Automobils ein.

Man würde den Adler Standard 6 daher konsequent in der gehobenen Mittelklasse einsortieren, was nach damaligen deutschen Maßstäben bedeutete, dass nur sehr wenige gut Situierte hierzulande sich so einen Wagen leisten konnten

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie genau man nun damals im Deutschland der späten 1920er Jahre zu soviel Geld gelangte, um sich so ein teures Automobil aus einheimischer Produktion leisten zu können, das ist schwer zu sagen.

Man sieht es den damaligen Besitzern meistens nicht an, ob sie Unternehmer, Spitzenbeamte oder gut verdiendende Freiberufler waren.

In einigen Fällen hat man den Eindruck, dass es sich nicht unbedingt um sympathisch wirkende Zeitgenossen handelte, aber das tut den Qualitäten der Automobile keinen Abbruch, speziell, wenn sie von Könnerhand abgelichtet wurden wie hier:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Jetzt ist es aber irgendwann auch gut mit diesen Standard-Limousinen, mögen Sie jetzt denken. Aber ich darf an an das heutige Motto erinnern: „Alles muss raus!

Und so kann ich Ihnen eine weitere Aufnahme nicht ersparen, die auf den ersten Blick auch bloß so eine 0815-Limousine auf Basis des Adler Standard 6 zeigt.

Aber bei näherem Hinsehen erkennt man, dass es offenbar auch andere geschlossene Aufbauten gab, die ich in der mir zugänglichen Literatur nicht finden konnte:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit nähern wir uns allmählich dem im Titel angekündigten Exotenmodell auf Basis des Adler „Standard 6“.

Dieser Wagen war nämlich trotz Verfügbarkeit der in Großserie gebauten Limousinenkarosserie aus dem Hause Ambi-Budd dermaßen teuer, dass sich unter den relativ wenigen dafür in Frage kommenden Käufern am deutschen Markt etliche fanden, die sich auch einen in Manufaktur hergestellten Spezialaufbau leisten konnten.

Zwei schöne Beispiele dafür kann ich heute vorstellen und meiner Überzeugung folgend, dass alles raus muss an die interessierte Öffentlichkeit, will ich diese Dokumente nicht länger zurückhalten, welche ich Sammlerkollegen verdanke, die meinen Blog schon einige Jahre mit hervorrragenden Fotos versorgen.

Nummer 1 ist diese Aufnahme von Leser Matthias Schmidt (Dresden). Sie zeigt einen Adler Standard 6 mit einem raren Aufbau als 4-Fenster-Cabriolet irgendwo im Alpenraum:

Adler Standard 6 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Sie erinnern sich hier vielleicht an das, was ich kürzlich festgestellt habe – nämlich, dass man bei deutschen Cabriolets von Ende der 1920er Jahr öfters eine ungewöhnlich hohe Seitenlinie findet, welche nicht das Niveau der Haubenpartie fortsetzt.

Was man sich bei dieser markenunabhängig anzutreffenden wenig ansprechenden Lösung dachte, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen. Überhaupt ist mein vorläufiger Eindruck nach nur rund 10 Jahren Auseinandersetzung mit Vorkriegswagen der, dass in der Literatur dergleichen gestalterische Aspekte kaum eine Rolle spielen.

Die Ästhetik und die ihr zugrundeliegenden Prinzipien scheint in deutschen Landen nur wenigen Zeitgenossen ein bedeutsamer Aspekt zu sein. Man sieht es der ganzen Republik an, dabei sollte man angesichts vielfältiger Miseren der Meinung sein, dass man wenigstens im Erscheinungsbild brillieren kann, wenn schon sonst nicht mehr.

Sie meinen, das hat in Deutschland keine Tradition? Nun, sicher nicht in der Breite, aber doch im Einzelfall, der sich dann so herrlich eigenwillig darstellt wie auf dem letzten Foto für heute, das einen weiteren Adler Standard 6 mit rarem Aufbau als 4-Fenster-Cabriolet zeigt:

Adler Standard 6 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Lassen wir einmal die optisch unvorteilhafte Stoßstange aus dem Zubehör außen vor, die sich bei deutschen Autos aus der Großstadt – hier: Berlin – öfters fand. Dieser Adler Standard 6 mit 4-fenstrigem Cabrio-Aufbau macht durchaus gute Figur.

Der von mir beanstandete hohe Türabschluss ist in diesem Fall verkraftbar und das liegt an der schönen Situation, die vielleicht irgendwann in einem ebenso frischen Vorfrühling entstand, wie wir ihn gerade erleben.

Das Verdeck bleibt geschlossen, solange die Natur sich noch zögerlich zeigt. Doch der Frühling rückt näher und es gilt nun für Zwei- und Vierbeiner : „Alles muss raus!“

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Alles muss raus! Adler „Standard 6“ 4-Fenster-Cabriolet

  1. Ihre eher rhetorische Frage „Wie genau man nun damals im Deutschland der späten 1920er Jahre zu soviel Geld gelangte, um sich so ein teures Automobil aus einheimischer Produktion leisten zu können…“ lässt sich in einem Fall ganz einfach damit beantworten: Wenn man – korrekt: Frau – den steinreichen Großindustriellen Hugo Stinnes zum Papa hatte, dann war das kein finanzielles Problem.
    Fräulein Clärenore Stinnes konnte sich einen Adler Standard 6 leisten, mit dem sie vom Mai 1927 bis Juni 1929 die Welt komplett umrundete – als erster Mensch überhaupt. Über diese Reise, die eher eine Expedition war, gibt es reichlich Material zum Nachlesen, aber auch Filmmaterial. Eine Kurzfassung findet der Interessent hier:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Cl%C3%A4renore_Stinnes

Kommentar verfassenAntwort abbrechen