Es fällt nicht immer light, ich meine: leicht, in einem Ozean aus Informationen, Meinungen und Einflüssen den Blick auf’s Wesentliche und damit den eigenen Kurs zu halten.
Unterwegs hält das Dasein jede Menge Ablenkungen, Verführungen und Verirrungen bereit – das ist schon das Thema der „Odyssee“ am Anfang der europäischen Literaturgeschichte.
Feste Prinzipien und das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten sowie das eigene Urteilsvermögen waren und sind das A und O für ein gelungenes, selbstbestimmtes Leben.
Das beginnt bereits bei so banalen Dingen wie dem Wetter. Für den heutigen Sonntag war für den Raum Bad Nauheim eine Abfolge leichter Schauer „vorhergesagt – mit einer ans Magische grenzenden Genauigkeit, was deren Beginn und Ende betrifft.
Der Einheimische begegnet diesen modellbasierten Prognosen schon deshalb mit Skepsis, weil sich an den Taunusausläufern und der angrenzenden Ebene oft Mikroklimata etablieren – auf gut deutsch: Während es in Nauheim schüttet – kann in den Ortsteilen wenige Kilometer östlich die Sonne scheinen oder es kommen nur ein paar Tropfen herunter.
Im Ergebnis ist der Garten der Schwiegereltern in der Kernstadt Ende Juli von sattem Grün geprägt, während das Gras beim Blogwart außerhalb verdorrt ist. Daraus zu schließen, dass sich wenigstens darin der wie jedes Jahr angekündigte Hitzetod manifestiert, ist einigermaßen verfehlt – am frühen Abend zeigte das Außenthermometer 17 Grad an.
Ach ja, die leichten Schauer erwiesen sich in der Kernstadt als stundenlanger Dauerregen. Der eigene Blick zum Himmel war wie so oft wertvoller als die Fantasieprodukte der IT-gestützten Wetterklempner ohne eigenes, erfahrungsbasiertes Urteil.
Was diese Vorrede mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Wie immer alles und nichts, ganz wie Sie mögen.
Ich jedenfalls mag solche manchen abwegig oder lästig scheinende Herleitungen aus dem Erleben des Alltags – speziell wenn ich das dazu passende Dokument präsentieren kann:

„Im Blick das Wesentliche“ – das gilt hier gleich in mehrfacher Hinsicht.
Beginnen wir mit dem Kennzeichen – die Kombination aus römisch „1“ und „A“ stand in der Vorkriegszeit stets für den Großraum Berlin.
Auch am anderen Ende des Wagens offenbart ein kurzer Blick Wesentliches in Form des niedergelegten Verdecks eines Landaulets, also eines Wagens, bei dem nur die Passagiere auf der hinteren Sitzbank die Möglichkeit hatten, unter freiem Himmel unterwegs zu sein und so sich ein Bild von der Welt (nicht nur vom Wetter) zu machen.
Man darf anhand dieser Indizien die Aussage wagen, dass man es sehr wahrscheinlich mit einer Droschke aus Berlin zu tun hat.
Der Blick auf’s Wesentliche erschließt einem dann auf dem Kühlergrill nicht nur den Hersteller des Wagens – Nash aus den USA – sondern obendrein die Zylinderzahl 6.
In den Staaten war jedem Kind klar, dass dieser Nash, dessen Frontpartie so nur 1926 aussah, einen Sechszylindermotor besaß – denn Vierzylinder baute man zuletzt 1924. Interessanter wäre die Information gewesen, welche der drei verfügbaren Versionen dieser „Nash Six“ nun genau repräsentierte.
So gab es die Varianten „Advanced Six“ mit 60 PS, den „Special Six“ mit knapp 50 PS und den „Light Six“ mit 40 Pferdestärken – zuvor übrigens als Ajax angeboten.
Ich gehe davon aus, dass anno 1926 ein Taxi im topografisch wenig anspruchsvollen Berlin mit der schwächsten Motorisierung auskam. Die einheimische Konkurrenz bewegte sich leistungsmäßig in derselben Liga, kam aber meist nur vierzylindrig daher.
Dergleichen Details sind es aber gar nicht einmal unbedingt, die mich an dieser Aufnahme so faszinieren. Vielmehr ist es der Blick des Fahrers neben dem Nash, in dem ich alles Wesentliche zu erkennen meine: Ernsthaftigkeit, Selbstbewusstsein, Entschlossenheit – alles Eigenschaften, die für ein Überleben als freier Fahrer am Markt notwendig waren.
Hinzukommen musste jedoch noch etwas weiteres Wesentliches: Der Wille, den Passagier zufriedenzustellen, vielleicht sogar zu einem Stammkunden zu machen.
Auf eigene Faust eine Leistung anzubieten, für die ein Fremder freiwillig zu zahlen bereit ist, das erfordert mehr als nur jeden Morgen ins Büro zu gehen, um dort genau definierte Arbeiten zu verrichten, deren Abnehmer man nicht kennt, die vielleicht sogar überflüssig sind. Dafür muss man das Wesentliche im Blick haben – nämlich sich das Interesse des Kunden zueigen zu machen, ihm im besten Fall mehr zu bieten, als er erwartet hat.
Das erfordert besondere Anstrengung und wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie an den Händen unseres Nash-Fahrers eine beträchtliche Anspannung. Der Mann war zum Erfolg verdammt und er wusste das.
Man mag ihn um seinen Job nicht beneiden, aber hätte er lieber in einer Fabrik, im Kontor oder gar in der Landwirtschaft arbeiten wollen? Wohl kaum. Hier wollte einer auf eigenen Beinen stehen, vielleicht hatte er Pläne für einen eigenen Betrieb, eventuell eine Werkstatt oder einen Autosalon – im Berlin war einst alles möglich mit dem Wesentlichen im Blick…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.