Wenn Ihnen der Titel meines heutigen Blogeintrags etwas uninspiriert vorkommt, liegt das daran, dass die Idee „Turiner Wartburg mit vier Takten“ zu verwirrend gewesen wäre.
Zudem mag ich das Bild mit den Zwillingen – übertragen, aber auch ganz konkret, wie Sie am Ende sehen werden. Übrigens verdanke ich die Inspiration zur heutigen Abhandlung und einen Teil der Fotos Leser Andreas Schulz (Rostock).
Der Gegenstand der Betrachtung als solcher ist ein bereits öfters besprochenes Fahrzeug – der erfolgreiche Fiat 1100, welcher ab 1937 gebaut wurde (zunächst noch als 508 C bezeichnet). Als Nachfolger des 1 Liter-Modells 508 Balilla erhielt er einen neuen 1,1 Motor, dessen Konstruktion mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen sich im Sport bewährt hatte.
Das auf 32 PS gedrosselte Aggregat sollte für Jahrzehnte in Produktion bleiben – und das aus gutem Grund. Auch in meinem 1964er Fiat 1100D verrichtet dieser Motor (nun mit 48 PS) vorbildlich sein Werk – ruhig und geschmeidig laufend, zugleich drehfreudig. Man hört den Motor von außen kaumt, so leise ist er.
Der Mode der 30er Jahre folgend besaß der Fiat 1100 eine strömungsgünstig erscheinende Frontpartie (die modernisierte Version ab 1939 bringe ich bei Gelegenheit):

Die Standard-Limousine wurde als Viertürer angeboten, die gegenläufig angeschlagen waren, wobei die Türgriffe senkrecht ausgeführt und in der Türhaut eingelassen waren. Man sieht das bei näherem Hinsehen gerade noch auf dem obigen Foto.
Dieses Exemplar war im nordhessischen Witzenhausen zugelassen und ist ein Beispiel für einen Import des Modells aus Italien. Es gab aber eine parallele Produktion im ehemaligen NSU-Autowerk in Heilbronn, weshalb die dort montierten Fiats als NSU-Fiat firmierten.
Sie waren technisch identisch mit dem Turiner Original, aber in einer Hinsicht erwiesen sie sich als ungleiche Zwillinge: Die NSU-Fiats wurden nämlich mit einem nur zweitürigen Aufbau vom Karosseriewerk Weinsberg ausgeliefert und der sah so aus:
Diese Werksaufnahme hat mir mein Oldtimerkamerad und Sammlerfreund Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf) vermacht – wissend, dass ich früher oder später etwas Instruktives damit anzufangen weiß. Ihm sei bei der Gelegenheit nochmals herzlich gedankt!
Man sieht hier nicht nur den abweichenden Aufbau als variable Cabriolimousine (in Italien unbekannt), sondern auch Details wie die traditionell gestalteten Türgriffe.
Über den Aufnahmeort lasse ich mich gern aufklären – ich dachte erst an die AVUS in Berlin, bin mir aber nicht mehr so sicher, ob das passt.
Für eine weitere Variante des Themas „ungleiche Zwillinge“ hat nun Andreas Schulz gesorgt, der mich um Bestätigung gebeten hat, dass das Auto seiner Eltern in der DDR der 60er Jahre ebenfalls ein NSU-Fiat 1100 war:
Doch so identisch die Perspektive ist, so sehr ergeben sich auch bei diesen Heilbronner Zwillingen wieder Unterschiede im Detail.
Ja, der Aufbau stammt ebenfalls vom Karosseriewerk Weinsberg, doch diesmal haben wir es mit einer ganz geschlossenen Limousine zu tun.
Ein Kuriosum sind hier außerdem die Radkappen mit Mercedes-Stern – wie die nicht originalen Stoßstangen nicht untypisch für das Improvisationsvermögen der Ostdeutschen nach dem Krieg, die Vorkriegsautos bis in die 70er Jahre im Alltag fuhren.
Es gab technisch, leistungsmäßig und ästhetisch kaum etwas Besseres. Die von kleinen Geistern in Ostberlin initiierte sozialistische Planwirtschaft hatte die ostdeutsche Automobilwirtschaft immer mehr an die Kette gelegt und am Ende stranguliert.
Nur eine Ausnahme in optischer Hinsicht gab es und dazu kommen wir noch.
Unterdessen wurden auch im Westen unseres Landes nach dem 2. Weltkrieg noch eine Weile überlebende Fiat 1100 bzw. NSU-Fiat 1100 weitgefahren, obwohl ihr Bestand durch den Einsatz beim Militär dezimiert worden war.
Hier sehen wir ein Beispiel aus der amerikanischen Besatzungszone Württemberg (daher die Kennung AW):
Auch hier komme ich auf das Thema „ungleiche Zwillinge“ zurück, damit wenigstens etwas unnützes Wissen bei Ihnen hängenbleibt, wenn Sie schon den Besuch meines Blogs der stets neutralen und sachlichen Berichterstattung im Fernsehen vorziehen.
Vorne angeschlagene Türen und senkrechte Türgriffe sind ein klarer Hinweis auf? Einen Fiat 1100 aus Turin, richtig! Dieses Exemplar wirkt dazu passend wie für den Urlaub im Süden gemacht – hell lackiert und sogar mit Lenkrad in Wagenfarbe.
Für den allltäglichen automobilen Straßenkampf in „Bella Italia“ hatte man sich sogar eine extra starke Stoßstange mit Hörnern zugelegt! Aber in Wahrheit wird man wohl eher noch Urlaub in der Heimat gemacht haben, während ein eigenes Auto bis etwa 1960 ohnehin nur für relativ wenige Deutsche in Reichweite war.
Diese schöne Aufnahme habe ich übrigens bewusst ausgewählt, um zum nächsten ungleichen Zwilling überzuleiten. Diesmal sind es aber nicht nur die Ähnlichkeit der Perspektive und die gleichzeitigen Unterschiede im Detail, die mich dazu bringen.
Diese Aufnahme zeigt wieder den NSU-Fiat der Eltern von Andreas Schulz und Sie werden im Geist die Unterschiede zum 1100er Fiat aus Turin vermerken.
Doch viel interessanter sind letzlich die ungleichen Zwillinge auf der Motorhaube des Wagens – das sind nämlich Andreas Schulz und seine Zwillingsschwester! Hier half auch der Versuch nicht, die beiden gleich zu kleiden – schon von Haltung und Temperament her unterscheiden sich die beiden.
Damit wären wir fast am Ende der heutigen Betrachtung – doch eine Sache will noch erzählt werden und die ist vielleicht das Großartigste an der Story.
So zufrieden nämlich die Familie Schulz mit ihrem bald 30 Jahre alten NSU-Fiat 1100 in technischer Hinsicht war, so sehr wünschte man sich mehr Platz im Innenraum für die wachsende Familie.
Und daher entschloss man sich kurzerhand zu etwas, was schlicht genial war. Man behielt Chassis und Motor des NSU-Fiat 1100 bei – denn wie gesagt: etwas Besseres gab es in der DDR nicht – und setzte die Karosserie des einzigen wirklich optisch rundum gelungenen ostdeutschen Autos darauf – die des Wartburg 311.
Dieser Entwurf von Hans Fleischer – Gestalter einiger anderer Meisterstücke – fand bei Erscheinen anno 1955 auch international Anerkennung. Für mich vermitteln der Wartburg 311 und seine zahlreichen faszinierenden Varianten eine Vorstellung davon, was die Autoindustrie im Osten unseres Landes ermocht hätte, wenn man sie hätte machen lassen.
Es war alles da: die Tradition, auf der man aufbauen konnnte, das Können und der Wille – nur in der Politik saßen bornierte, bildungsferne Zentralisten mit ideologischen Zwangsvorstellungen, welche die totale Kontrolle alles Wirtschaftens beinhalteten.
Ich finde es immer wieder bewundernswert, was unsere ostdeutschen Landsleute unter den immer restriktiveren Bedingungen des Regimes im Privaten zustandebrachten. Dass viele fast ein ganzes Leben unter diesen Umständen zubringen mussten, bedrückt mich.
Wir Deutschen in Ost und West sind vor diesem Hintergrund wie Zwillinge, die getrennt wurden – wir kommen aus demselben Stall, erfuhren aber dann unterschiedliche Prägungen.
Dabei können wir voneinander lernen und eines sollten wir nicht: uns von interessierter Seite gegeneinander aufbringen lassen – dazu sind die Familienbande zu stark, hoffe ich…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Danke!
Danke!
Sie haben recht – die Stoßstange ist typisch für den Lizennachbau von Simca.
Meines Erachtens kann der Wagen der Familie Schulz sehr wohl eine Cabriolimousine sein. Die Struktur des Verdeckbereichs unterscheidet sich von den Blechpartien und über dem Windschutzscheibenrahmen ist eine Stoßfuge. Wenn das Verdeck geschlossen ist sollte ursprünglich kein großer optischer Unterschied zur Limousine bestehen. Farbkontraste zwischen Karosserielack und Verdeckstoff entstanden oft erst mit der „Restaurierung“ der Autos.
Joachim Schmidt (Fahrer einer Adler Trumpf Junior Cabriolimousine mit Farbkontrast)
Bei dem vermeintlichen Fiat 1100 mit verstärkten Stoßstangen und württembergischen Kennzeichen dürfte es sich vielmehr um den französischen Cousin Simca 8 handeln. Ich meine auch, auf dem Kühlergrill das Simca-Emblem erkennen zu können.
Guten Abend!
Danke für den aufschlußreichen Vergleich! Avus sollte übrigens hinkommen, wie ein Vergleich mit historischen und aktuellen Fotos nahe legt.
KD