Aus eigener Erfahrung weiß ich: Die erste Million ist am schwersten. Denn egal wie ich rechne – ich bin immer noch weit davon entfernt und auch die schöne Zeit der Lire-Scheine ist leider vorbei, in der das Millionärsdasein relativ leicht war.
Das ist aber nicht weiter schlimm, denn wirklich leicht wird das Leben ohnehin erst ab der zweiten Million – das Foto, das ich Ihnen heute präsentieren will, bestätigt das.
Ford brauchte mit seinem Model T von 1908 bis 1920, bis erstmals die Produktion von 1 Million Fahrzeugen pro Jahr gelang. Leichter war dann der Weg bis zu 2 Millionen, diese Zahl schaffte man nämlich 1923.
Man nimmt das so gelassen zur Kenntnis, aber wenn man einmal darüber nachdenkt, ist das aus heutiger Sicht unglaublich. 1 Million Wagen pro Jahr, das waren bei sechs Arbeitstagen pro Jahr über 3.000 Stück pro Tag.
Möglich war das nicht nur dank der Fließbandmontage, sondern insbesondere durch intelligente Verteilung der Produktion auf über 20 Standorte in Nordamerika. Die Organisation einer identischen Fabrikation an so vielen Orten gleichzeitig mit demselben Standard bleibt angesichts der damaligen Mittel eine bewundernswerte Leistung.
Fords schärfster Konkurrent Chevrolet brauchte für die erste Million deutlich länger – 1927 überschritt man die Marke. Die zweite Million war dann ein Kinderspiel, sie gelang anno 1928. Und mit jeder weiteren Million – also jährlich – änderte sich auch das Erscheinungsbild des Chevy geringfügig, doch so markant, dass man die Jahrgänge unterscheiden kann.
Die Exemplare des Modelljahrs 1928 lassen sich gut an dem in einem ovalen Feld eingefassten Kühleremblem erkennen:

Technisch ist dieses Foto, das mir Michael Plag bereits vor einigen Jahren in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, ganz hervorragend.
Allerdings ist zu konstatieren, dass es den beiden Herren aus Provinz Starkenburg im südlichen Hessen doch erkennbar an Bodenhaftung mangelte. Auch die Inszenierung vor Schloss Solitude in Stuttgart wirkt etwas neureich.
Dass sich so ein Millionär mit vier Rädern auch viel bodenständiger in Szene setzen lässt und das Ergebnis gleichwohl sehr reizvoll ist, das will ich Ihnen heute beweisen.
Tatsächlich macht sich genau so ein 1928er Millionseller aus dem Hause Chevrolet auch in einem weit moderat erscheinenden Umfeld ganz ausgezeichnet. Er war ja genau für solche braven Leute gemacht, die in adretten Holzhäusern lebten.
Das war allerdings im vorliegenden Fall nicht irgendwo in den Staaten, sondern auf dem Lande wohl im Umfeld von Berlin, wo dieses Exemplar zugelassen war:
Hier finden sich – vom Misthaufen abgesehen – alle Elemente wieder, die ich im letzten Blog-Eintrag hervorgehoben hatte und die uns heute wie angekündigt wieder begegnen, wenn auch in abgewandelter Form.
Die Damen sind hier zwar in höheren Sphären angesiedelt, doch steht bei Bedarf eine Leiter zur Verfügung, sollte jemand das Bedürfnis verspüren, eine von ihnen auf dem kürzesten Wege aus ihrer „Miss-lichen Lage“ zu befreien.
Natürlich wäre das nur einem ausgewiesenen Gentleman erlaubt, der sich zu benehmen weiß, solange das gewünscht wird. Er sollte zudem über gewisse Mittel verfügen, um als attraktiv wahrgenommen zu werden.
Ein wackerer Schäferhund, der ganz verliebt dreinschaut, weist den einwandfrei gekleideten Herrn schon einmal als sensiblen Kenner des Animalischen aus. Der Besitz eines bodenständigen Wagens lässt zudem einen wirtschaftlich soliden Zeitgenossen vermuten:
Habe ich etwas vergessen in der Aufzählung dessen, was ein perfektes Autofoto der Vorkriegszeit ausmacht?
Vermissen Sie technische Details wie den Hubraum (2,8 Liter) des Vierzylindermotors (Seitenventiler) oder die PS-Zahl (35)? Vermutlich kaum – denn die Wirkung dieser Aufnahme beruht auf anderen Elementen.
Ergänzen möchte ich nur, dass dieses Auto in den USA für die breite Masse erschwinglich war – praktisch für jedermann, der einer regelmäßigen Arbeit nachging. Im armen Deutschland der 1920er Jahre sah das ganz anders aus – dort war selbst so ein Chevy nur für weit überdurchschnittlich Verdienende erreichbar.
Für die wenigen, die sich hierzulande so etwas leisten konnten, war das meist das erste eigene Auto und entsprechend bodenständig präsentierte man sich, auch wenn man zu einer internationalen Millionärsschicht gehörte – den Besitzern des 1928er Chevrolet!
Dass man in der deutschen Oldtimerszene des 21. Jh. dieses Fahrzeug praktisch nicht findet, obwohl es einst durchaus einige Käufer fand, finde ich merkwürdig. So etwas ist repräsentativer für den Markt im Vorkriegsdeutschland als das meiste, was man sonst an ausländischen Fabrikaten zu Gesicht bekommt.
Ich gönne ja jedem Millionär seinen Bentley oder Bugatti, aber so ein bodenständiger Vertreter seiner Art aus dem Hause General Motors von 1928 dürfte heute an Seltenheit hierzulande alles in den Schatten stellen.
In den Staaten bekommt man so ein Gerät immer noch für deutlich weniger als 10.000 Dollar – vielleicht eine Idee für jemanden, der sich einen bezahlbaren US-Klassiker zulegen will und dem die Fords jener Zeit zu allgegenwärtig sind.
Ein bisserl abheben mag man sich dann ja doch ganz gerne, wobei die Bodenhaftung mit so einem Vertreter einer einstigen US-Millionärsdynastie immer noch gegeben ist…
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In der Tat – danke für den Hinweis! Die absurde Hubraumsteuer war ein massives Hindernis für die Volksmotorisierung in Deutschland.
Neben den Kosten zur Anschaffung eines solchen Wagens darf man auch die Folgekosten nicht außer Acht lassen (Kraftstoff, Schmierstoffe, Versicherung, KFZ-Steuer). Alleine die Steuer belief sich im Jahr auf 401 RM (lt. AVD Clubbuch 1930 ab 1.4.1929), wenn man den Hubraum mit 2,802 l (Quelle Wikipedia) angab. Das würde heutigen 1.764,40 Euro entsprechen. Man musste also wirklich gut bei Kasse sein, um einen Kraftwagen zu halten.
Danke insbesondere für die Erinnerung an die Deutschland-Montage!
Tatsächlich ist es mir bisher nicht gelungen, genau diese schöne Ausführung von 1928 zu sichten, während ich die Modelle von 1927 und 1929 schon vor die Linse bekam. In diesen beiden ungeraden Jahren wies die Kühlermaske eine Nase oder Zacke auf, doch die hier gezeigte ovale Form wäre auch für einen Ford die ideale Lösung ! Dem Baustil des Hauses entsprechend mutmaße ich 3 holde Holsteinerinnen oder vielleicht Däninnen, jedenfalls näher zur Ostseeküste gelegen. Ob mit Starkenburger oder Berliner Kennzeichen – der Chevrolet war dank Borsigwalder Montage auch hierzulande gut vertreten !