Tropfenform – Designtrend der 1930er Jahre

Ein Fahrzeug, das auf Klassikerveranstaltungen immer wieder formal aus dem Bild fällt, ist der VW Käfer. Selbst die letzten in Mexiko produzierten Exemplare wiesen noch die typische tropfenähnliche Grundform auf.

© Mexiko-Käfer Bj. 1985; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Käfer hat sich im kollektiven Gedächtnis als einzigartiges Auto verankert, auch aufgrund jahrzehntelanger Präsenz. Doch bei seiner Entstehung in den 1930er Jahren war er mit seiner an der Stromlinie orientierten Form ganz ein Kind seiner Zeit.

Beschäftigt man sich mit den Vorläufern und Geschwistern des Volkswagens, wird es rasch unübersichtlich. Nachfolgend der Versuch, für mehr Klarheit zu sorgen:

Die aerodynamische Vorarbeit wurde schon in den 1920er Jahren geleistet, im Wesentlichen von Paul Jarays Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft. In der Folge kristallisierte sich die Tropfenform als gestalterisches Ideal heraus, an dem sich Konstrukteure in mehreren Ländern abarbeiten sollten.

Noch vor Tatra und den ersten VW-Versuchswagen hatte die US-Karosseriefirma Briggs 1933 einen Prototypen vorgestellt, der technisch und formal alle Charakteristika aufwies, die in den Folgejahren in zahllosen Varianten durchdekliniert wurden (ausführlicher Bericht). Hier der Ausschnitt eines Originalfotos:

Briggs_Prototyp_1933© Briggs Prototyp 1933; Fotoabzug: Sammlung Michael Schlenger

Ebenfalls 1933 entwickelte das Konstruktionsbüro Porsche für NSU einen Wagen, der die Wesensmerkmale des Volkswagens vorwegnahm. Das Auto wurde in einigen Exemplaren gebaut, aber von NSU letztlich nicht in Produktion genommen. Tatsächlich markiert dieser Entwurf den Anfang des VW-Stammbaums.

© Porsche Typ 32; Bildquelle: http://www.flickr.com; Urheberrecht: Georg Sander

Im Frühjahr 1934 stellte Tatra seine Interpretation des Themas vor, den Typ 77. Dabei ähnelt vor allem die Seitenpartie ab der A-Säule dem Briggs von 1933, ohne dass man eine direkte Beeinflussung behaupten kann. Hier eine Abbildung des Tatra-Prototyps, der in einigen Details vom Serienmodell abwich:

© Sammelbild Tatra 77 Prototyp 1934; Sammlung Michael Schlenger

1935 wurden von Porsche die Vormodelle des Volkswagens entwickelt. Während die Grundform dem Entwurf für NSU folgt, erinnern Dachline und Fensterpartien an den Briggs-Prototypen und den ab 1934 gebauten Chrysler Airflow.

Die freistehenden Scheinwerfer waren dagegen nicht auf der Höhe der Zeit. Gleichzeitig fällt der Verzicht auf Trittbretter auf, die im Serienmodell wieder auftauchten.

© Sammelbild Volkswagen Versuchsmodell 1935/36; Sammlung Michael Schlenger

1936 stellte die Steyr-Daimler-Puch AG in Österreich den Typ 50 vor. Mit vorn eingebautem Motor fällt er zwar technisch aus dem Rahmen. Doch formal gehört der Wagen in die hier vorgestellte Familie. Markant ist der Verzicht auf Trittbretter, der VW beim Käfer in 65 Jahren Produktionsdauer nicht gelungen ist.

Im Vergleich zum Kleinwagenversuch von Mercedes in Form des Typs 130 war der Steyr überzeugender. Der kompakte 4-Zylinder-Boxer erlaubte eine stromlinienförmige Frontpartie, gleichzeitig war die Gewichtsverteilung dank Heckantrieb ausgewogen. Hier eine Abbildung des leistungsstärkeren Steyr 55:

© Sammelbild Steyr 55; Sammlung Michael Schlenger

Die Fahrleistungen des Steyr entsprachen denen des Mercedes 130. Mit 12 Volt-Elektrik, 4-Gängen, Einzelradaufhängung und erstaunlich geräumigen Innenraum stellte Steyrs „Baby“ trotz seines Erscheinungsbildes ein erwachsenes Auto dar. Der Absatzerfolg war beachtlich (13.000 Stück bis 1940).

Vom Steyr war es nicht weit zum 1937 vorgestellten Adler 2,5 Liter, dem Autobahnadler. Seine Karosserie war das Werk von Karl Jenschke, der den Steyr 50 entworfen hatte. Die Seitenlinie entspricht weitgehend dem Briggs-Prototypen, während die Frontpartie an den Tatra 77 Prototypen, den Steyr 50 und an den Chrysler Airflow erinnert:

© Sammelbild Adler 2,5 Liter „Autobahnadler“; Sammlung Michael Schlenger

Lässt man diese Vertreter des Stromlinientrends in den 1930er Jahren Revue passieren, gewinnt man den Eindruck, dass damals viele Köpfe gleichzeitig in dieselbe Richtung gedacht haben.

Oft liest man, Porsches Volkswagen sei von Tatra oder den Mobilen von Josef Ganz abgekupfert. Doch die Betrachtung zeigt, dass hier in kurzer Zeit ähnliche Konzepte realisiert wurden, die aus derselben Grundidee abgeleitet waren.

An diesem Designkonzept hielt nach dem Krieg neben Volkswagen auch Tatra bis in die 1950er Jahre fest. So wurde ab 1948 in über 6.000 Exemplaren der Tatra 600 „Tatraplan“ gefertigt.

Er war eine verkleinerte Version des Vorkriegsmodells 87 mit 4-Zylinder-Motor. Dessen 52 PS reichten je nach Übersetzung für bis zu 140 km/h Spitzengeschwindigkeit – ein schöner Beleg für die Wirksamkeit des Tropfenkonzepts.

© Tatra 600 „Tatraplan“; Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Heute ist dieser Verwandte des VW Käfer ein Exot. Sieht man den Tatraplan „in natura“, wird einem klar, wie großzügig er im Vergleich zum Volkswagen war. Mit den Fertigungskapazitäten von VW hätte das Modell großen Erfolg haben können.

1952 wurde die Produktion infolge planwirtschaftlicher Fehlentscheidungen eingestellt. Tatra sollte künftig nur noch LKWs bauen. Die späteren Wagen vom Typ 613 hatten außer dem Heckmotor wenig mit ihren Vorgängern gemeinsam.

Ein Gedanke zu „Tropfenform – Designtrend der 1930er Jahre

  1. Ein früher Vertreter der Tropfenform war der Wikov 35 Kapka, der 1931 mit der „Karosserie der Zukunft“ als aerodynamisches Auto auf Basis des Wikov 35 vorgestellt wurde, dessen Vierzylinder aus 1743 ccm eben 35 PS herausholte :

    http://www.jan-tucek.wz.cz/reklama_wikov.html

    Wikov entstand 1918 aus der Vereinigung der Betriebe von
    Franz Wichterle und František Kovářík, die zunächst konkurrierend Diesel- und benzinbetriebene Stationärmotoren sowie ein Locomobil herstellten. Jedoch war auch der Wikov 35 Kapka seiner Zeit voraus, und nachfolgend wurde mit dem Wikov 40 wieder ein konventionelle Autos produziert, bis der Pkw-Bau 1935 ganz aufgegeben wurde. Heutzutage ist Wikov ein Getriebehersteller und im Firmengelände an der Wrahowitzer Straße in Prostějov na Moravě befindet sich nun eine Gießerei :

    http://www.slevarna-anah.cz/de/vitejte-ve-slevarne-anah-prostejov-sro

    https://www.wikov.com/cs/o-nas/historie

    Mehr Erfolg mit aerodynamischen Karosserien hatte Josef Sodomka jr., der in Vysoké Mýto / Hohenmaut u.a. den Aero 50 Dynamik, aber auch Lancia, Studebaker und sogar einen Rolls Royce elegant verwandelte.
    Auch Beneš und Stalin bekamen seine Sonderanfertigungen, aber „Undank ist der Welt Lohn“ – er wurde enteignet und dazu noch 2 Jahre lang inhaftiert.

    http://geevee.nl/carrosserie-sodomka

    https://www.secret-classics.com/en/aero-50-dynamik/

    https://gerolt.de/tatra-oldtimer/josef-sodomka/

    Zum Typ 613 wäre noch der wesentlich beliebtere Vorgänger Tatra 603 zu erwähnen, der ebenso von einem luftgekühlten V8 angetrieben wurde. Besonders gefreut habe ich mich hier über das „Wiedersehen“ mit dem hobby Auto-Salon !

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