Sollten wir uns Sorgen wegen des Sommers machen? Immerhin wurde am heutigen 4. Juni 2025 von besorgten Funktionären diverser selbstloser deutscher Organisationen der sogenannte „Hitzeaktionstag“ veranstaltet.
Allzu sorglose Untertanen werden dabei über die im Sommer drohenden Gefahren aufgeklärt, der wohl erstmals mit intensivem Sonnenschein und unerhörten Temperaturen jenseits der kritischen 30 Grad-Marke aufwarten soll.
Wie man sich außerdem bei sportlicher Aktivität sorgfältig auf das Extremzenario „Hitze“ vorzubereiten hat, dafür sensiblisieren einen selbstlose Volkspädagogen mittels des „Musterhitzeschutzplans“ des Bundesgesundheitsministeriums.
Soviel Sorge um das Wohl der ahnungs- wie sorglos dem Sommer entgegentaumelnden Menschen in diesem Land (Älteren noch als „Staatsbürger“ bekannt) ist beinahe rührend.
Mich sorgt unterdessen etwas ganz anderes: Dass nämlich dieser Sommer wie schon der letzte so gar nicht den Visionen der steueralimentierten Apokalyptiker entsprechen will.
Strömender Regen bei maximal 18 Grad erfreuen aktuell zwar den Gärtner in mir, doch der in derselben Brust beheimatete Sonnenanbeter macht sich Sorgen, ob der in den prächtigen Wochen des Mai sorgsam herangezüchtete Teint bald wieder flöten geht.
Doch weder die eine noch die andere Sorge ist von Bedeutung gemessen an dem, was unsere Altvorderen vor rund 90 Jahren bewegt haben mag. Die dazu passende Bilderserie habe ich an den letzten beiden Abenden vorbereitet, weshalb Sie länger als gewohnt auf Neues aus der Welt von gestern warten mussten.
So schön und ausdrucksstark alle diese zusammengehörigen Aufnahmen auch sind, liegt doch beinahe durchgängig ein Schatten der Sorge darüber – verkörpert durch einen einzelnen Protagonisten, wie schon auf dem ersten Foto zu sehen:

Bevor wir uns an die Identifikation des Wagens mit der ein wenig an DKW erinnernden Frontpartie machen, sei darauf hingewiesen, dass wir es mit einem Fahrzeug zu tun haben, welches eine österreichische Zulassung der frühen bis mittleren 1930er Jahre aufwies.
Die bis 1930 übliche Kombination aus Buchstabe und römischen Ziffern wich einer neuen Systematik. Ab 1931 stand zwar weiterhin vorne ein Buchstabe bzw. eine Buchstabenkombination zur Identifikation der Region – „B“ im vorliegenden Fall verweist auf Niederösterreich (ohne Wien). Doch folgte danach eine neue Zahlenkennung, in der Regel eine fortlaufende Nummer.
Im Fall von Niederösterreich war der laufenden Nummer nach meinem Verständnis eine meist ein- oder zweistellige Zahl zur Identifikation des Landkreises vorangestellt. Die „21“ stand für „Wiener Neustadt“ 50 Kilometer südlich von Wien.
Datiert ist diese Aufnahme wie die folgenden auf Sommer 1936.
Im selben Jahr wurde eine optisch überarbeitete Version des Tatra 57 eingeführt, der seit 1931 in Produktion war. An der Technik dieses Fahrzeugs mit luftgekühltem V4-Motor (ohc) an der Front wurde nichts Wesentliches geändert. Das 1,2-Liter-Aggregat leistete weiterhin gut 20 PS und ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von an die 85 km/h.
Die Bauart des Wagens brachte es mit sich, dass der Kühlergrill nur eine Attrappe war, aber damit erfüllte Tatra die Erwartungen vieler Käufer an ein klassisches Erscheinungsbild. Das war auch aus der Seitenansicht gegeben, wenngleich der Tatra 57 nicht ganz die Eleganz des stärkeren Schwestermodells Tatra 75 erreichte:
Der Bedenkenträger von der ersten Aufnahme begegnet uns hier ebenso wie sein Gegenbild in Gestalt des heiteren Mädchens, das diese Bilderfolge ebenfalls prägt.
Nicht nur der Wagen, auch die Kleidung der abgebildeten Personen verrät, dass wir es mit Zeitgenossen zu tun haben, die zumindest keine materiellen Sorgen kannten.
Wohle bei einem Besuch von Verwandten auf dem Lande entstand die folgende Aufnahme, die von einer heilen Welt und unbeschwerten Kindheit erzählt.
Vielleicht hatte der Cousin Geburtstag und wurde gebührend gefeiert und beschenkt:
Der Bub freut sich offenbar diebisch, zumal man ihm sein erstes eigenes Auto geschenkt hatte – da konnte man auch den Haarschnitt verkraften, den man ihm zu seinem Ehrentag verpasst hatte. Auch sein kleiner Freund in Form eines Hundes scheint mit sich und der Welt ganz im Reinen zu sein.
Das uns schon bekannte Mädchen schaut hier mit einem eigentümlichen Blick in die Kamera – ein wenig scheu, ein wenig melancholisch, mit dem Anflug eines Lächelns, ganz wunderbar eingefangen wie überhaupt die ganze Szene.
Ganz anders, beinahe besorgt erscheint sie uns auf dem nächsten Foto:
Jedenfalls bekommt man auf diesen Fotos eine Vorstellung davon, dass in dieser Familie gerne und gut fotografiert wurde, alle sind die Anwesenheit der Kamera gewohnt und setzen sich jeweils auf ihre Weise in Szene.
Übrigens wurden diese Aufnahmen alle im derselben Format gemacht, ich habe lediglich Ausschnitt und Proportionen so angepasst, wie mir das aus meiner Erfahrung als Fotoamateur optimal erschien.
Die Hauptarbeit bestand im Beseitigen der vielen Flecken auf den Originalabzügen, die ursprünglich in einem Album einklebt waren, aber zuletzt mitsamt Teilen der Beschriftung ausgeschnitten und nachlässig behandelt wurden.
Davon sehen Sie auf den hier wiedergegebenen Bildern nichts mehr. Das ist ein Beispiel dafür, dass der Blog-Eintrag weit weniger Zeit kostet als seine Vorbereitung:
Ich hoffe, Sie sind ebenfalls der Ansicht, dass sich dieser Aufwand lohnt.
Für mich ist das allemal der Fall, denn bei der Bearbeitung der alten Originale im Detail kommt man den darauf abgebildeten Menschen ganz nahe und entwickelt bei einer Serie wie dieser ein beinahe persönliches Verhältnis zu ihnen.
Vergessen wir nicht: Diese Aufnahmen waren einst nur für einen selbst oder enge Verwandte gedacht – wir genießen das Privileg, nach bald 90 Jahren noch einmal Zeuge längst vergangener persönlicher Momente und Erlebnisse zu sein.
Dazu zählt im Fall auch dieser bezaubernde Schnappschuss vom „1. Schultag“ unseres – gemessen am Tatra 57A – kleineren Fotomodells:
Wer gegenüber der Magie solcher Momentaufnahmen kalt bleibt oder hier die Farbe unserer bunten Fotowelt vermisst, ist ein armer Tropf.
Und noch etwas: Alle heute gezeigten Dokumente sind reine Amateurprodukte, erstellt mit einer der damals gängigen Sucherkameras ohne jede Hilfe, was Belichtungszeit und Schärfeeinstellung angeht.
Mit Übung waren solche Ergebnisse von jedermann zu erreichen, wenn man denn wollte. Übung und Erfahrung, Disziplin und Kalkül waren freilich Voraussetzung. Vielleicht mangelt es manchem heute daran bzw. die Leute werden dumm gehalten, sodass sie sich ohne externe Hilfe und Automatiken nicht mehr zurechtfinden im Leben.
Die Herausforderungen in unserem Lebensalltag sind jedenfalls ein Witz gegen das, was unseren Vorfahren bevorstand. Was davon mag sich im Sommer 1936 bereits abgezeichnet und Anlass zur Sorge ggegeben haben?
Wenn Sie hier unser kleines Fräulein vermissen, das uns bereits ans Herz gewachsen ist, dann keine Sorge. Sie begegnet uns noch einmal.
Ich wollte Ihnen aber nicht diese Aufnahme vorenthalten, so wenig hier von dem hübschen kleinen Tatra zu sehen ist, der seinen einstigen Besitzer den Alltag versüßte.
Jede der hier abgebildeten Personen verdiente eine eigene Betrachtung, könnte Anlass zu einer Kurzgeschichte oder zumindest dem Versuch eines Psychogramms geben. Aber das erledigt das Kopfkino schon von alleine, wenn man sich darauf einlässt.
Sagen wir nun dem Sommer adieu – doch nur dem des Jahres 1936. Im Dezember jenes Jahres entstand eine letzte Aufnahme, die den Tatra 57A aus Wiener Neustadt zeigt, nun wieder mit seiner stolzen kleinen „Besitzerin“:
Von hier an nahm die Fahrt des Daseins einen ungewissen Verlauf, doch ich bin zuversichtlich, dass unsere hier inzwischen selbstbewusste kleine Dame ihren Weg gut durch die Zeit gefunden hat.
Es dürfte ihr bis ans Lebensende gehegtes Fotoalbum gewesen sein, aus dem ich diese Zeugnisse vor einigen Jahren erwerben konnte.
So, und nachdem wir all‘ das Revue haben passieren lassen, lassen wir uns keine albernen Sorgen einreden vor Dingen, die das Dasein selbstverständlich mit sich bringt.
Ja, es gibt auch in unseren Tagen Anlass, über die eine oder andere Entwicklung besorgt zu sein. Die Aussichten auf „Hitze“ und Schwitzen im Sommer – oder auch das genaue Gegenteil davon – gehören aber nicht dazu.
Zumindest in der Hinsicht dürfen wir sorglos durch den Sommer gehen (oder mit einem Fahrzeug unserer Wahl fahren). Die schlecht gelaunten Panikprofessoren und prekär entlohnten Angstverbreiter dürfen gern bei Verdunkelung zuhausebleiben…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.