Herr Doktor hat heut‘ Zeit! DKW F8 Luxus Cabriolet

Besuch beim Arzt oder Besuch vom Arzt – beides gehört normalerweise zu den Dingen, auf die man gern verzichtete. Wobei man heilfroh ist, dass es ihn gibt…

Ich kenne aus der Kinderzeit noch den Landarzt des alten Schlags. Dr. Gundermann war ein freundlicher älterer Herr, der seine Praxis in einer Jugendstilvilla am Ortseingang hatte.

Das war für mich als Kind aus einem der Neubaugebiete der 1960er Jahre (immerhin hatten wir einen großzügigen Bungalow) der früheste Kontakt mit Qualitätsarchitektur. Vertieft wurde der später durch die phänomenale Bausubstanz in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim und in Friedberg/Hessen, wo ich das Augustiner-Gymnasium besuchte.

Das mag erklären, weshalb ich für die seit 100 Jahren immergleichen Schuhkasterlbauten der „Moderne“ nur Mitleid übrighabe. Zum Glück hat in Europa trotz der Verheerungen der Weltkriege genügend unseres baulichen Erbes überdauert, dass man dieses aufsuchen und darin eintauchen kann.

Dabei ist es keineswegs nur elegante, opulente oder repräsentative Architektur, die mich anzieht. Auch durchschnittliche Bauten auf dem Lande hatten in der Historie eine Qualität, die mich immer wieder fragen lässt: was ist bei uns eigentlich schiefgelaufen?

Ich meine, dass es nicht allein die Katastrophe des 2. Weltkriegs war, welche die Traditionslinien hierzulande unwiderbringlich gekappt war. Dass man sich speziell in Deutschland entschlossen hat, nur noch progressiv zu sein, das kam erst später.

Folgendes Foto aus meiner Sammlung illustriert, dass auf dem Lande eine zumindest äußerlich heile Welt überdauert hatte, auch wenn in jedem Dorf die Gefallenenmahnmale des 1. Weltkriegs eine traurige „Ergänzung“ erhielten.

Egal, wie Ihnen gerade zumute ist, ganz gleich was sie belastet, deprimiert oder erzürnt – versetzen Sie sich in die frühe Nachkriegszeit, nehmen Sie Platz und genießen diese Szene:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht wunderbar? Jetzt stellen Sie sich im Hintergrund einen Sichtbeton-Bau der Gegenwart vor und direkt neben Ihrem Tisch ein Nissan Micra Cabriolet…

Sehen Sie, was ich meine? Die Situation auf diesem Foto ließe sich mit modernem Material nicht wiederholen, stattdessen würde man sich hier sofort „sauwohl“ fühlen, nicht wahr?

Dabei ist diese Aufnahme in einer Zeit großer Not entstanden, und es stellte ein außerordentliches Privileg dar, einen solchen Moment „heile Welt“ genießen zu können.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit“ – so lautet das Motto, also nehmen wir uns ebenfalls Zeit und schauen, was dieses Dokument hergibt. Beginnen wir links mit dem offenen Wagen, der auf den ersten Blick kostspielig wirkt. Der zweite Blick offenbart, worum es sich handelt:

Gewiss, das war einmal ein ziemlich luxuriöses Fahrzeug. Der Kühlergrill erinnert tatsächlich stark an die sächsische Premiummarke Horch.

Dabei haben wir es mit einem 20 PS-Auto zu tun. Das verrät die Form des Kühleremblems, welche typisch für eine andere Marke aus dem Auto Union-Verbund war – DKW!

Die frontgetriebenen DKWs mit ihren sparsamen und zuverlässigen Zweitaktmotoren wurden nach ihrer Einführung anno 1931 im Lauf der Zeit äußerlich immer raffinierter.

Speziell das ab 1935 verfügbare Luxus-Cabriolet besaß eine Qualität, welche den Standardausführungen abging: Stahlkarosserie, reichlich Chrom und Ledersitze. Die Motorleistung blieb zwar dieselbe, aber das tat dem Prestige keinen Abbruch.

Unser Foto zeigt die letzte Variante des Front Luxus Cabriolets auf Basis des 1939 eingeführten DKW F8 – hier erkennbar an den senkrechten Streben im Kühlergrill.

Dieses Detail erlaubt die Ansprache sogar bei einem des Zierrahmens und Markenemblems auf dem Kühler beraubten Wagens wie diesem, der kurz nach dem 2. Weltkrieg in Chemnitz fotografiert wurde:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen auf dieser Aufnahme hat untenliegende Scheibenwischer, während an dem oben gezeigten Fahrzeug die spätere Anordnung am oberen Scheibenrahmen zu sehen ist.

Die Karosserien dieser DKW F8 Front Luxus Cabriolets sollen erst im Horch-Werk entstehen, wurden aber aus Kapazitätsgründen von Baur in Stuttgart gebaut. Es handelte sich letztlich um teure Manufakturfahrzeuge, die alles andere als volkstümlich waren.

Aufgrund ihrer geringen Leistung wurden die DKW-Zweitakter im Krieg vom Militär nur fern der Front eingesetzt. Eingezogen wurden sie aber durchaus, sofern der zivile Besitzer keine Gründe dafür vorbringen konnte, dass er darauf angewiesen ist.

Hier haben wir einen F8 mit geschlossenem Aufbau, das bei einer Luftwaffenheit zum Einsatz kam – wie üblich mattgrau bzw. mattblau lackiert:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach einigen Jahren Militäreinsatz blätterte die Lackierung der Chromteile ab und schon ist man bei der Optik des oben gezeigten F8 Luxus Cabriolets.

Dieses Auto muss also im Krieg bei einer Militäreinheit unterwegs gewesen sein. Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 gab es noch zahlreiche solcher PKW, die über Nacht herrenlos wurden.

Was die Sieger übrigließen, fand bald wieder neue Besitzer, denn neue Autos gab es erst einmal so gut wie keine. Dass ehemalige Wehrmachtsfahrzeuge auf neue Privatbesitzer zugelassen wurden, war an der Tagesordnung – das wurde pragmatisch gehandhabt.

Speziell Ärzte und Veterinäre auf dem Land gehörten zu den ersten, die wieder motorsiert waren – sofern sie nicht ohnehin den Krieg über ihre Autos behalten konnten.

Sie haben sicher das Schild mit dem Roten Kreuz und der Aufschrift „Arzt“ hinter der Windschutzscheibe des eingangs gezeigten DKW gesehen. Demnach gehörte dieser F8 in der Cabriolet-Ausführung nach dem Krieg einem Doktor – wobei ich das Nummernschild noch nicht einordnen konnte (Lösungsvorschläge willkommen!).

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit!“ so mag einst die junge Dame gejubelt haben, die hier zusammen mit der Mutter(?) bei einem Arztbesuch der vergnüglichen Art abgelichtet wurde:

Die beiden gut gebräunten Herren scheinen das Wochenende zu einem Ausflug auf’s Land irgendwo im Mittelgebirge oder Alpenraum (vermute ich) genutzt zu haben.

Hier haben gerade vier Menschen viel Freude miteinander und aneinander, ganz wunderbar. Dabei liegt das Grauen des Kriegs noch nicht weit zurück. Ein Zeuge davon ist nicht nur der ziemlich mitgenommene ehemalige Wehrmachts-DKW.

Haben Sie das zweite Auto im Hintergrund bemerkt? Man darf sich nicht von den großen Scheinwerfern täuschen lassen: Das ist ein VW-Kübelwagen, der wie der DKW nach der Kapitulation auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer gefunden hat.

Was mögen die zwei Autos und die vier Menschen auf dieser Momentaufnahme in den Jahren davor erlebt haben? Wir wissen nichts davon, aber eines sagt uns dieses Foto: Der Mensch ist ein Überlebenskünstler.

Zum Überleben braucht es freilich im Zweifelsfall nicht nur einen guten Arzt, sondern auch die schönen Dinge im Leben, an denen man sich erfreuen oder auf die man sein Streben ausrichten kann.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit – vielleicht unternehmen wir ja eine Fahrt im Cabriolet!“. Das ist ein Arztbesuch der schönsten Art und mein Wort zum Sonntag: Lassen Sie sich vom Gang der Dinge nicht betrüben, machen auch Sie etwas draus!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Krieg und Frieden: Morris 8 und VW beim Tanken

Auf diesem Oldtimer-Blog für Vorkriegswagen geht es nicht nur um die schier unerschöpfliche Vielfalt an Marken und Typen, die einst die Straßen bevölkerten.

Soweit möglich werden die Fahrzeuge anhand zeitgenössischer Originalfotos in ihrem einstigen Kontext gezeigt, also im realen Einsatz zusammen mit den Menschen, die sie einst fuhren.  

Das liefert andere Eindrücke und Erkenntnisse als die Präsentation anhand von Werks- und Prospektfotos oder gar moderner Aufnahmen, die die überlebenden Autos oft in einem Zustand „besser als fabrikneu“ zeigen.

In vielen Fällen spiegelt sich in vermeintlich unscheinbaren Privataufnahmen eindrucksvoll die Zeitgeschichte wider – mal berührend, mal bedrückend.

Heute geht es um zwei Fotos, die anhand eines Wagentyps von den Umbrüchen der 1940/50er Jahre erzählen. Das erste Bild transportiert uns mitten in den 2. Weltkrieg:

© Morris Eight Series 1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir eine Gruppe deutscher Wehrmachtssoldaten – zwei (Unter)Offiziere und vier Mannschaftsdienstgrade – hinter einer kompakten Limousine posieren. Ein Vermerk auf der Rückseite des Fotos erwähnt als Aufnahmeort Holland.

Das Auto ist schnell als Morris Eight Series 2 identifiziert. Typisch sind der schrägstehende schmale Kühlergrill, die ebenfalls schrägen, nach hinten versetzten Luftschlitze in der Haube und die auffallend filigrane Stoßstange.

Folgender Bildausschnitt liefert weitere Details:

Die Kühlermaske ist in Wagenfarbe lackiert, auf dem in Fahrtrichtung rechten Schutzblech ist das Kürzel „WH“ für „Wehrmacht Heer“ aufgemalt, während unter der Stoßstange noch ein ziviles Kennzeichen zu sehen ist.

Dass die Kühlermaske ursprünglich verchromt gewesen sein muss, verraten die Speichenfelgen. Denn die erste Serie des 1935 vorgestellten 1-Liter-Vierzylinders wurde mit Chromgrill und Speichenfelgen ausgeliefert, während bei der Serie 2 ab 1938 ein lackierter Grill und Scheibenräder kombiniert wurden.

Folgendes, 2016 beim Goodwood Revival in England auf dem Besucherparkplatz aufgenommene Foto zeigt einen Morris Eight der 1. Serie in voller Pracht:

So technisch bodenständig der 24 PS-Wagen daherkam, wies er doch ein Detail auf, das bei deutschen Kleinwagen jener Zeit undenkbar war: Ledersitze vorne und hinten. Man sieht dies auf dem Originalfoto aus Kriegszeiten recht gut.

Der einst in Holland fotografierte Morris dürfte ein Beutewagen gewesen sein, der beim Westfeldzug 1940 dem Wehrmachtsfuhrpark einverleibt wurde. Damit kam man im Fronteinsatz nicht weit, doch wir haben es hier mit einer Einheit hinter den Linien zu tun. Die Soldaten wirken älter und dürften zum Nachschub gehört haben.

Was aus den Männern auf dem Foto wurde, wissen wir nicht. Ob man den Krieg überstand oder nicht, war spätestens ab 1944 Glückssache. In wessen Gefangenschaft die Überlebenden 1945 endeten, konnte ebenfalls über Leben und Tod entscheiden.

Der Neuanfang nach 1945 sollte nach dem Willen der Kriegsgeneration von einem friedlichen Mit- und Nebeneinander der europäischen Völker geprägt sein – vom grassierenden Gleichschaltungswahn selbstherrlicher Brüsseler Technokraten konnte damals niemand etwas ahnen.

Den Gedanken der friedlichen Koexistenz aus geteiltem Leid klug gewordener Nachbarn dokumentiert das folgende Foto auf eindrückliche Weise:

© Morris Eight Series 1 und VW Käfer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir links wieder einen Morris Eight der 1. Serie und rechts einen Volkswagen aus dem Landkreis Springe bei Hannover. Das Foto kann ausweislich des deutschen Kennzeichens frühestens 1956 entstanden sein.

Wo aber ist dieses außergewöhnliche Foto entstanden? Dazu werfen wir einen näheren Blick auf die rechte Hälfte des Abzugs:

So unscharf es auch erscheint, ist auf der Säule hinter dem Volkswagen das Wappen von „BP“ montiert, was für „British Petroleum“ steht. Auch kann man auf der Zapfsäule neben dem Käfer den Schriftzug „Petrol“ ahnen.

Demnach zeigt dieses Foto sehr wahrscheinlich eine Situation an einer Tankstelle im England Ende der 1950er Jahre. Den genauen Ort kennen wir nicht, doch das Nummernschild des Morris Eight liefert zumindest ein Indiz:

Die Buchstabenkombination „NV“ wurde von März 1931 bis Oktober 1937 in der mittelenglischen Grafschaft Northhamptonshire vergeben. Einschränkend ist zu sagen, dass Autos in Großbritannien ihr Kennzeichen auch bei einem Umzug oder Verkauf in andere Regionen behielten.

Doch die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass das Foto einst in der Nähe des ursprünglichen Zulassungsorts des Morris entstand. Was dort der Besitzer des VW einst wohl verloren hatte?

Mag sein, dass eine Dienstreise eines deutschen Unternehmensvertreters der Anlass war. Oder jemand wollte alte Bekanntschaften aus der Vorkriegszeit wiederaufleben lassen. Viele Deutsche und Engländer pflegten ungeachtet der beiden Weltkriege enge persönliche Bande, man denke nur an das englische Königshaus.

Die Besitzer des alten Morris bzw. des recht neuen Volkswagens blicken hier einträchtig in die Kamera:

Irgendetwas muss die beiden an einer englischen Tankstelle zusammengeführt haben. Ob Absicht oder Zufall – das Foto und seine Vorgeschichte mahnen uns, sich auch in Zeiten des „Brexit“-Volksentscheids“ nicht von interessierten Kreisen zu einer antibritischen Stimmung verleiten zu lassen…

Ein Ford Buckeltaunus mit Heckmotor

Zu den schönen Seiten der Oldtimerei gehört, dass man immer wieder neue Entdeckungen macht. Das klingt merkwürdig bei einem historischen Gegenstand, der sich nicht mehr vermehren kann – doch die heute unvorstellbare Marken- und Typenvielfalt der Vergangenheit macht es möglich.

Dieser Tage stieß der Verfasser auf ein altes Foto, das auf den ersten Blick einen frühen Ford Taunus aus den 1930er bis 50er Jahren zeigt.

© Originalfoto Ford Buckeltaunus; Sammlung: Michael Schlenger

Der Karosserie nach ein Buckeltaunus der ersten Serie, der nach dem Krieg äußerlich unverändert weitergebaut wurde. Doch dann fällt der Blick auf die Scheinwerfer – so haben die beim Ford Taunus nie ausgesehen.

Die Chromumrandung ist viel zu stark und dürfte nicht rund sein, sondern sollte – wie auch das Scheinwerferglas – nach unten spitz zulaufen. Merkwürdig mutet die Stoßstange mit der weit außen liegenden Schloßschraube an, außerdem fehlen die Stoßstangenhörner.

Nächste Auffälligkeit: Die vordere Felge und die Nabenkappe sehen genauso aus wie die des Volkswagens. Die beim Ford Taunus serienmäßigen Radkappen fehlen.

Ein Blick auf die hinteren Kotflügel liefert ebenfalls Überraschendes. Sie sind stärker ausgeformt, als bei der Werkskarosserie. Auch hier ist die vom Volkswagen bekannte Felge zu sehen. Markant außerdem der grobstollige Reifen, der auf Geländeeinsatz ausgelegt zu sein scheint.

Endgültigen Aufschluss gibt die Betrachtung der Heckpartie. Zwar entsprechen Seitenfenster, Gürtellinie und Platzierung des Winkers den Verhältnissen beim Buckeltaunus. Doch da ist noch eine aufgesetzte Hutze – hier wurde Luft für einen Heckmotor angesaugt!

Es bleibt nur eine Erklärung: Jemand hat eine Buckeltaunus-Karosserie auf ein Volkswagen-Fahrgestell montiert.

Von den Abmessungen her war das machbar: Der Radstand von Buckeltaunus und Volkswagen liegt nur 1 cm auseinander. Länge und Breite der beiden Karosserien entsprechen sich ebenfalls weitgehend. Beide Autos verfügten über separate Chassis.

Nur die Spurweite des Volkswagen war deutlich größer als die des Ford. Das erklärt den breiteren Kotflügel hinten und lässt vermuten, dass auch die Vorderkotflügel angepasst wurden. Dieser Umbau kann erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden sein, vorher wurde der Volkswagen nicht in Zivilversion verkauft.

Während des Krieges wurden über 50.000 Kübelwagen und Allradversionen auf dem VW-Fahrgestell gebaut, die letzten im April 1945. Nach der Kapitulation wurden die überlebenden Fahrzeuge einfach stehengelassen – spätestens, wenn das Benzin alle war.

In ländlichen Gegenden sicherten sich Bauern und Forstleute zurückgebliebene Exemplare des geländegängigen Wagens. Dennoch war es riskant, mit einem Ex-Militärfahrzeug unterwegs zu sein, zumal da kein legaler Erwerb möglich war.

Lösung: Wehrmachtsaufbau entsorgen und auf das Fahrgestell eine zivile Karosserie setzen. Das lag nahe, wenn Chassis und Technik eines Vorkriegswagens nicht mehr zu retten waren. Genau das scheint sich der Besitzer des abgebildeten Ford gedacht zu haben.

Man wüsste gern, welche Änderungen noch notwendig waren, um dieses Fahrzeug seinerzeit zugelassen zu bekommen. Das Nummernschild deutet auf Österreich hin – vermutlich hat man es dort in der frühen Nachkriegszeit nicht so genau genommen.

Heute wäre ein solcher Zwitter ein Wagen von großem historischen Wert – sehr original, obwohl nicht werkskonform. Dass eine solche Notlösung irgendwo überlebt hat, ist sehr unwahrscheinlich. Eher finden sich Käfer-Aufbauten auf ehemaligen VW-Kübel-Fahrgestellen (Beispiel).

Tropfenform – Designtrend der 1930er Jahre

Ein Fahrzeug, das auf Klassikerveranstaltungen immer wieder formal aus dem Bild fällt, ist der VW Käfer. Selbst die letzten in Mexiko produzierten Exemplare wiesen noch die typische tropfenähnliche Grundform auf.

© Mexiko-Käfer Bj. 1985; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Käfer hat sich im kollektiven Gedächtnis als einzigartiges Auto verankert, auch aufgrund jahrzehntelanger Präsenz. Doch bei seiner Entstehung in den 1930er Jahren war er mit seiner an der Stromlinie orientierten Form ganz ein Kind seiner Zeit.

Beschäftigt man sich mit den Vorläufern und Geschwistern des Volkswagens, wird es rasch unübersichtlich. Nachfolgend der Versuch, für mehr Klarheit zu sorgen:

Die aerodynamische Vorarbeit wurde schon in den 1920er Jahren geleistet, im Wesentlichen von Paul Jarays Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft. In der Folge kristallisierte sich die Tropfenform als gestalterisches Ideal heraus, an dem sich Konstrukteure in mehreren Ländern abarbeiten sollten.

Noch vor Tatra und den ersten VW-Versuchswagen hatte die US-Karosseriefirma Briggs 1933 einen Prototypen vorgestellt, der technisch und formal alle Charakteristika aufwies, die in den Folgejahren in zahllosen Varianten durchdekliniert wurden (ausführlicher Bericht). Hier der Ausschnitt eines Originalfotos:

© Briggs Prototyp 1933; Fotoabzug: Sammlung Michael Schlenger

Ebenfalls 1933 entwickelte das Konstruktionsbüro Porsche für NSU einen Wagen, der die Wesensmerkmale des Volkswagens vorwegnahm. Das Auto wurde in einigen Exemplaren gebaut, aber von NSU letztlich nicht in Produktion genommen. Tatsächlich markiert dieser Entwurf den Anfang des VW-Stammbaums.

© Porsche Typ 32; Bildquelle: http://www.flickr.com; Urheberrecht: Georg Sander

Im Frühjahr 1934 stellte Tatra seine Interpretation des Themas vor, den Typ 77. Dabei ähnelt vor allem die Seitenpartie ab der A-Säule dem Briggs von 1933, ohne dass man eine direkte Beeinflussung behaupten kann. Hier eine Abbildung des Tatra-Prototyps, der in einigen Details vom Serienmodell abwich:

© Sammelbild Tatra 77 Prototyp 1934; Sammlung Michael Schlenger

1935 wurden von Porsche die Vormodelle des Volkswagens entwickelt. Während die Grundform dem Entwurf für NSU folgt, erinnern Dachline und Fensterpartien an den Briggs-Prototypen und den ab 1934 gebauten Chrysler Airflow.

Die freistehenden Scheinwerfer waren dagegen nicht auf der Höhe der Zeit. Gleichzeitig fällt der Verzicht auf Trittbretter auf, die im Serienmodell wieder auftauchten.

© Sammelbild Volkswagen Versuchsmodell 1935/36; Sammlung Michael Schlenger

1936 stellte die Steyr-Daimler-Puch AG in Österreich den Typ 50 vor. Mit vorn eingebautem Motor fällt er zwar technisch aus dem Rahmen. Doch formal gehört der Wagen in die hier vorgestellte Familie. Markant ist der Verzicht auf Trittbretter, der VW beim Käfer in 65 Jahren Produktionsdauer nicht gelungen ist.

Im Vergleich zum Kleinwagenversuch von Mercedes in Form des Typs 130 war der Steyr überzeugender. Der kompakte 4-Zylinder-Boxer erlaubte eine stromlinienförmige Frontpartie, gleichzeitig war die Gewichtsverteilung dank Heckantrieb ausgewogen. Hier eine Abbildung des leistungsstärkeren Steyr 55:

© Sammelbild Steyr 55; Sammlung Michael Schlenger

Die Fahrleistungen des Steyr entsprachen denen des Mercedes 130. Mit 12 Volt-Elektrik, 4-Gängen, Einzelradaufhängung und erstaunlich geräumigen Innenraum stellte Steyrs „Baby“ trotz seines Erscheinungsbildes ein erwachsenes Auto dar. Der Absatzerfolg war beachtlich (13.000 Stück bis 1940).

Vom Steyr war es nicht weit zum 1937 vorgestellten Adler 2,5 Liter, dem Autobahnadler. Seine Karosserie war das Werk von Karl Jenschke, der den Steyr 50 entworfen hatte. Die Seitenlinie entspricht weitgehend dem Briggs-Prototypen, während die Frontpartie an den Tatra 77 Prototypen, den Steyr 50 und an den Chrysler Airflow erinnert:

© Sammelbild Adler 2,5 Liter „Autobahnadler“; Sammlung Michael Schlenger

Lässt man diese Vertreter des Stromlinientrends in den 1930er Jahren Revue passieren, gewinnt man den Eindruck, dass damals viele Köpfe gleichzeitig in dieselbe Richtung gedacht haben.

Oft liest man, Porsches Volkswagen sei von Tatra oder den Mobilen von Josef Ganz abgekupfert. Doch die Betrachtung zeigt, dass hier in kurzer Zeit ähnliche Konzepte realisiert wurden, die aus derselben Grundidee abgeleitet waren.

An diesem Designkonzept hielt nach dem Krieg neben Volkswagen auch Tatra bis in die 1950er Jahre fest. So wurde ab 1948 in über 6.000 Exemplaren der Tatra 600 „Tatraplan“ gefertigt.

Er war eine verkleinerte Version des Vorkriegsmodells 87 mit 4-Zylinder-Motor. Dessen 52 PS reichten je nach Übersetzung für bis zu 140 km/h Spitzengeschwindigkeit – ein schöner Beleg für die Wirksamkeit des Tropfenkonzepts.

© Tatra 600 „Tatraplan“; Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Heute ist dieser Verwandte des VW Käfer ein Exot. Sieht man den Tatraplan „in natura“, wird einem klar, wie großzügig er im Vergleich zum Volkswagen war. Mit den Fertigungskapazitäten von VW hätte das Modell großen Erfolg haben können.

1952 wurde die Produktion infolge planwirtschaftlicher Fehlentscheidungen eingestellt. Tatra sollte künftig nur noch LKWs bauen. Die späteren Wagen vom Typ 613 hatten außer dem Heckmotor wenig mit ihren Vorgängern gemeinsam.

Tatra 77: Wegbereiter der Stromlinie im Serienbau

Anfang der 1930er Jahre lag die Senkung des Luftwiderstands durch Stromlinienkarosserien im Automobilbau in der Luft.

Einen wenig bekannten Versuch hatte bereits 1928 die britische Firma Streamlined Cars Ltd. mit dem Burney Streamline unternommen. Mit aerodynamischer Form und Heckmotor nahm er das später von Tatra und Volkswagen umgesetzte Konzept vorweg. Es kam allerdings zu keiner Serienfertigung. Ähnliches gilt für den Entwurf von John Tjaarda von 1931.

Erst der tschechischen Firma Tatra gelang ab 1934 der Bau eines Stromlinienwagens in größerer Stückzahl. Dabei griff Tatra auf die Patente von Paul Jarays Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft zurück.

Neben der markanten Form war der Antrieb durch einen luftgekühlten 8-Zylinder-Motor im Heck charakteristisch für das Modell von Tatra, wenngleich das Konzept nicht neu war.

Die als Tatra 87 bekannte Ausführung wurde bis 1950 mehr als 3.000mal gebaut, etliche Exemplare existieren noch. Der folgende Film präsentiert das Fahrzeug eines niederländischen Sammlers, wobei „Die Moldau“ des tschechischen Komponisten Smetana als passende Untermalung dient.

© Videoquelle: YouTube; Urheberrecht: Peter van de Waard

Weit seltener zu sehen bekommt man dagegen die von 1934 bis 1938 nur rund 250mal gebaute Vorgängerversion Tatra 77. Diese ursprüngliche Ausführung verfügte noch nicht über eine selbsttragende Karosserie, wog erheblich mehr und war schwieriger zu fahren als das spätere Erfolgsmodell.

Formal wies der Tatra 77 einige Besonderheiten auf, etwa bei der Gestaltung der Frontpartie. Die längere Karosserie lässt den Wagen noch eindrucksvoller erscheinen. Mit seiner fließenden Form löste der Tatra größere Begeisterung aus als der zeitgleich vorgestellte, doch plumpere Chrysler Airflow.

Ein rarer unrestaurierter Tatra 77 war 2015 in der Düsseldorfer Classic Remise zu bestaunen. Die folgende Fotostrecke erlaubt einen Rundgang um das Fahrzeug, das hoffentlich eines Tages wieder in seiner vollen Pracht zu bewundern sein wird.

Tatra 77 Restaurierungsobjekt; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein Konkurrent für Tatra 77 und 87 hätte übrigens der 1935 vorgestellte Skoda 935 werden können. Doch trotz überzeugender Konstruktion kam er über das Prototypenstadium nicht hinaus.