Australien-Deutschland und zurück: Rolls-Royce 20 HP

Wer einen Blick auf die Stichworte meines Blogs mit Markennamen im dreistelligen Bereich wirft, muss beeindruckt sein. Woher kennt der sich bloß mit so vielen Herstellern und Modellen der Vorkriegszeit aus?

Nun, mehr als oberflächliche Kenntnisse würde ich mir allenfalls bei einer handvoll deutscher Marken zugestehen – Adler, NAG, Presto, Protos und Stoewer – doch selbst dort ist mein Wissen sehr lückenhaft und ich lerne laufend dazu (wie im richtigen Leben).

Bei allen übrigen Fabrikaten beschränkt sich meine Weisheit auf den Inhalt einer eher moderat ausgestatteten Autobibliothek, die Gabe zur Kombination und den Mut zum eigenen Urteil (wer’s dann unter meinen Lesern besser weiß, wird’s schon korrigieren).

Zwar schrecke ich selten vor etwas zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass ich einen Heidenrespekt speziell vor der umwerfenden Vielfalt an französischen Marken habe (von den in die Tausenden gehenden US-Herstellern ganz zu schweigen).

Und bei zwei Fabrikaten überlasse ich von vornherein den Kennern das Feld: Bugatti und Rolls-Royce. Dort haben Amateure wie ich nichts verloren, da bin ich realistisch.

Hier kommt ein Bugatti-Rennsportwagen herangestürmt – das erkenne auch ich – und die Anfang September 1928 aufgenommene Situation ist großartig. Das war’s aber auch schon.

Bugatti im Renneinsatz 1./2. September 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dokumente wie dieses verlangen echte Kennerschaft gestützt auf umfangreiche Archive, viel Erfahrung und beste Kontakte – nichts davon kann ich in Sachen Bugatti vorweisen.

Eines kann ich jedoch recht gut, meine ich, was sich auch bei den beiden genannten Marken als nützlich erweist: Regelmäßig die Angel mit wechselnden Ködern in Form historischer Autofotos in das endlose Meer hinauswerfen, das sich Internet nennt.

So habe ich 2022 parallel zu diesem Blog auf der Facebook-Plattform eine streng auf historische Fotos von Vorkriegsautos in Europa fokussierte Gruppe aufgebaut.

Wer beim Stichwort „Facebook“ die Augen verdreht, dem sei folgendes gesagt:

Erstens: Man kann sich dort zu jedem Thema mühelos, unterhaltsam und mit Gewinn mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen. Ein wenig Zeit und Intelligenz vorausgesetzt kann man das von Werbung und dergleichen weitgehend unbehelligt tun.

Zweitens: Wer dann noch immer an „German Angst“ leidet, ist herzlich eingeladen, es einfach besser zu machen – dummerweise ist Deutschland aber in der Hinsicht Dritte Welt.

So, und nun schauen wir doch einmal, was sich im Netz erreichen lässt, wenn man es richtig anstellt. Dazu nehmen wir dieses Foto her, das mir kürzlich in die Hände fiel:

Rolls-Royce 20HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein verwackelt aufgenommenes Vorkriegsauto im Deutschland der 1960er Jahre – das erkennt auch das ungeschulte Auge.

Wer ein bisschen mehr weiß, wird dieses urtümlich und doch respekteinflößende Fahrzeug als Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit identifizieren.

Da hört es aber auch schon auf – jedenfalls bei mir. Immerhin hatte ich so etwas schon einmal gesehen, jedenfalls als Tourenwagen.

Beim alljährlichen Goodwood Revival Meeting in Sussex stehen solche Autos schließlich wie selbstverständlich auf dem Besucherparkplatz herum. Die Besitzer kommen oft über hunderte Kilometer auf eigener Achse angereist:

Rolls-Royce 20 HP beim Goodwood Revival 2017; Bildrechte Michael Schlenger

Natürlich hätte ich bemerken können, dass die horizontalen Kühlerlamellen ein Kennzeichen des „kleinen“ 20 HP-Modells von Rolls-Royce waren – habe ich aber nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die unzähligen anwesenden Vorkriegswagen abzuschreiten.

So machte ich mir erst gar nicht die Mühe, auch nur einen Versuch der Einordnung des obigen im Nachkriegsdeutschland abgelichteten Rolls-Royce zu unternehmen.

Stattdessen lud ich das Foto in meiner Facebook-Gruppe hoch, verfasste eine deutsche und eine englische Beschreibung und wartete ab, was passieren würde. Man muss dazu wissen, dass die Gruppe über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.

Die meisten Gruppenmitglieder stammen natürlich aus englischsprachigen Ländern und genau auf das dort versammelte Wissen hatte ich spekuliert.

5 Minuten nach dem Hochladen schickte mir David Smallacombe aus Australien die Nachricht, dass es sich um einen Rolls-Royce 20 HP mit Zulassung in New South Wales handeln dürfte.

Weniger als 12 Stunden später schrieb mir Mark Roberts, dass das Auto erst kürzlich wieder nach Australien zurückgekehrt sei, nachdem es einen Besitzer in Übersee gehabt hatte.

Einen Tag später gab Mark Roberts via Facebook die Details des Rolls bekannt: Baujahr 1925, Karosserie Park Ward, Chassis-Nr. GNK50.

Ab dem Punkt konnte ich selbst übernehmen, denn ich war sicher, dass die Geschichte dieses Autos in bester britischer Tradition erschöpfend dokumentiert ist. So war es auch. Hier ein Auszug (Quelle; deutsche Fassung von mir):

Das Rolls-Royce Twenty-Fahrgestell GNK50 wurde am 24. Januar 1925 von einer Mrs. Hill (London) bestellt. Am 16. April wurde es an den Karosseriebauer Park Ward geschickt. Nach Fertigstellung des Aufbaus erhielt der Wagen – noch ein frühes Modell mit Dreiganggetriebe und Zweiradbremsen – das Londoner Kennzeichen XY5030.

Die Besitzerin scheint dann nach Australien ausgewandert oder zurückgekehrt zu sein, denn der Wagen wurde am 6. Oktober 1925 in das Dampfschiff Demosthenes verladen, das nach Sydney fuhr. Dort blieb das Auto fast vier Jahrzehnte lang.

Im Dezember 1963 berichtete der Rolls-Royce Owners‘ Club of Australia, dass der nunmehrige Besitzer Tony Strachan damit zu einer Europareise aufgebrochen sei.

Der Wagen kam in Athen an Land und wurde quer durch Europa (einschließlich Deutschlands) gefahren. Er verblieb in England, wo er 1964 an einer Veranstaltung in Goodwood teilnahm. Neuer Besitzer wurde Constantine Savalas von der US-Botschaft in London.

Der war übrigens der Bruder des Schauspielers Aristotelis „Telly“ Savalas, der als „Kojak“ in der gleichnamigen Fernsehserie bekannt wurde. Constantine Savalas brachte den Rolls Twenty in den späten 1960er oder frühen 70er Jahren in die USA.

Nach mindestens zwei dokumentierten Besitzerwechseln kam „unser“ Rolls-Royce 20 mit seinem immer noch originalen Park Ward-Limousinenaufbau aus Neuengland zurück nach Australien und erfuhr dort eine behutsame Auffrischung:

Rolls-Royce 20 HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto via Mark Roberts (Australien)

Ziemlich genau 60 Jahre nach seiner Zwischenstation in Deutschland (erkennt jemand den Aufnahmeort?) ist der Rolls-Royce somit wieder in Australien, wo er die ersten fast 40 Jahre seines Autolebens verbrachte.

Man muss sich das vorstellen: Nach knapp 100 Jahren ist dieses wunderbare Fahrzeug immer noch voll einsatzfähig – in unseren überwiegend belanglosen Zeiten müsste man das eigentlich als nachhaltig bezeichnen, wenn man es ernst damit meinte.

Nur eines hat die Gegenwart für sich, was diese automobilen Schöpfungen angeht: Nie war es leichter, alles zu erfahren, was darüber noch irgendwo auf der Welt bekannt ist. Deshalb, aber wirklich auch nur deshalb, leben wir Altautofreunde in der besten aller Zeiten.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Australien-Deutschland und zurück: Rolls-Royce 20 HP

  1. Nicht jeder Renn-Bugatti ist automatisch ein T35B, denn „Le Patron“ kann durchaus als Erfinder des Baukastensystems gelten. Angefangen hat die Erfolgsgeschichte dieses Modells 1924 mit dem T35, einem 2-Liter Achtzylinder mit 100 PS nach der damals gültigen Grand-Prix-Formel. Ursprünglich als reiner Werksrennwagen gedacht begann man aber recht schnell das Fahrzeug in unveränderter Form auch an begüterte Privatfahrer zu vermarkten. Bereits 1925 stellte man unter der Nomenklatur T35A den „Grand Prix imitation“ vor, der anstelle des hochdrehenden rollengelagerten Rennmotors die einfachere gleitgelagerte Version mit Batteriezündung des Strassenmodells T30 hatte, und bis auf Speichen- anstelle von Leichtmetallrädern ansonsten optisch und technisch identisch mit dem GP-Renner war. Trotz zusätzlicher Strassenausrüstung wie Kotflügel, Beleuchtung, Dynastarter und Batterie bot man dieses Modell ca. 40 % günstiger an. Damit konnte man prächtig flanieren, aber mit den 70 PS auch durchaus motorsportlich aktiv sein.

    1926 änderte sich die Grand-Prix-Formel auf 1.5 Liter, die Bohrung-Fub-Abmessungen 60 x 88 mm des 2-Liters wurden erst auf 52 x 88 und später auf 60 x 66 geändert, und das neue Modell, welches ansonsten unverändert blieb, erhielt die Bezeichnung T39. Der fast quadratische Motor des T39/2 erzielte durch Weiterentwicklung und Feintuning sogar die 100 PS des 2-Liter Vorgängers. Für Rennen ausserhalb der WM war die 2-Liter-Grenze nun nicht mehr relevant, durch eine andere Kurbelwelle erhöhnte man den Hub auf 100 mm und 2.3 Liter, und nannte das Modell T35T (T für Targa Florio, dem ersten Einsatz dieses neuen Motors). Die Motorleistung blieb mehr oder weniger unverändert zum T35, der T hatte aber mehr Drehmoment. Mit nunmehr 60 x 100 mm war allerdings die Maximalgrösse des Bugatti-Achtzylinders erreicht, mehr ging nicht.

    Das GP-Modell T39 war wegen des hohen Preises und der Komplexität des Motors für Privatfahrer eher ungeeignet, da aber die 1.5-Liter-Voiturette-Klasse ausserhalb der WM-Läufe ein beliebtes Tummelfeld für Amateure war, konstruierte man einen neuen Vierzylinder, 69 x 100 mm, gleitgelagert mit Batteriezündung, ca. 60 PS, den man T37 nannte, und für ca. 50 % des T39-Preises äusserst erfolgreich vermarktete.

    Mit dem T36 (52 x 66, Bohrung des T39/1 und Kurbelwelle des T39/2) versuchte Bugatti sich auch in der 1100er Klasse zu etablieren, aber trotz erster Versuche mit Kompressoraufladung konnte man sich nicht gegen die schnellen – und preisgünstigeren – Amilcar C6 durchsetzen, und das Modell wurde nicht weiterverfolgt.
    Nach langem Zögern (Originalton Ettore Bugatti „Kompressoraufladung ist unsportlich“) war man aber gezwungen diese Technik nun doch einzusetzen. Aus dem T39 wurde für 1927 der kompressoraufgeladene T39A ca. 115 PS), aus dem T35 der T35C (C für Compresseur, ca. 120 PS), aus dem T35T der T35TC (ca. 130 PS, später in T35B geändert), und aus dem Sportwagen T37 der Kompressor-Rennwagen T37A (ca. 85 PS). Warum man anstelle des „C“ für die T37 und T39 ein „A“ verwendete, beim T35A ja ursprünglich eine Herunterstufung, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.

    Alle diese Modelle waren in Sachen Chassis und Karosserie identisch, die kleinen Unterschiede erschliessen sich eigentlich nur den Spezialisten.

    Mit dieser Modellpalette konnte man einige Jahre ganz gut leben, neben den erfolgreichen Einsätzen des Werksteams wurden durch unzählige Privatfahrer hunderte (Klassen)Siege eingefahren, wer gewinnen wollte kam um einen Bugatti nicht herum. Aber 1930 hatte die Konkurrenz, vor allem Maserati und Alfa Romeo, gewaltig aufgeholt, und die finale Version der T35-Familie wurde 1931 eingeführt. Der nun T51 genannte 2.3-Liter-Rennwagen hatte einen DOHC-Zylinderkopf und erreichte ca. 170 PS, mit Rennbenzin auch gerne eine Schaufel mehr. Das Modell gab es auch als 1.5-Liter (T51A) und ganz selten als 2 Liter (T51C), und wurde bis 1933 gebaut und verkauft.

    Über einen Zeitraum von fast 10 Jahren war der T35 und seine Derivate ein Erfolgsmodell, welches die Rennstrecken der Europas – und auch darüber hinaus – dominierte, bis auf Details Chassis und Karosserie unverändert, mit Motoren von 1.1, 1.5, 2.0 und 2.3 Liter, Gleit- und Rollenlagern, SOHC und DOHC, mit und ohne Kompressor, und alles mit dem gleichen Basismotor (jeweils für 8C und 4C). Alle 8C konnten beliebig oberhalb des unteren Kurbelghäuses ausgetauscht werden, und Komplettmotoren als 4C bzw. 8C untereinander, da die Chassis identisch waren.

    Aber dieses Baukastensystem ging weit über die Rennwagen hinaus, das Chassis wurde mit längeren Radständen und veränderter Hinterachsaufhängung auch für die Strassenmodelle T40, T38, T43 und T55 verwendet. Der T40 hatte den 1.5-Liter-Motor des T37, der T38 den 2-Liter des T35A, der T43 den 2.3-Liter des T35T, der T43A den des T35B, und der T55 den des T51. Wobei die reinen Rennmotoren allerdings leicht gedrosselt waren.
    Obwohl Bugatti nur eine relativ kleine Manufaktur war, konnte man durch dieses Baukastensystem nicht nur den kompletten Markt für Rennwagen abdecken, sondern auch den für Sportwagen sowie Strassenautos bis hin zur oberen Mittelklasse.

    Nun zu dem von Michael gezeigten Photos des Rennwagens. Es zeigt Albrecht Fürst zu Hohenlohe-Bartenstein und Jagstberg beim Oberjoch-Bergrennen (Hindelang, Allgäu) am 2.9.1928, mit einem T37 oder T37A. Für einen T37 spricht der Zeitpunkt der Anschaffung (da gab es den T37A noch nicht), für einen T37A mit Kompressor seine erzielte Zeit, die mit einem T37 nicht zu schaffen war. Möglicherweise wurde der T37 nach einiger Zeit gegen einen T37A ausgetauscht, ich eruiere noch…

  2. Einmal mehr vielen herzlichen Dank für Ihre immer wieder wunderschönen Zeitreisen. Aber das Bugatti Bild , ich denke es ist ein 35B , übertrifft wirklich alles . Nach meinem Geschmack , das eindrucksvollste Bild von allen . Hier stimmt wirklich alles , die Perspektive, die Geschwindigkeit, die Zuschauer und letztlich der BUGATTI … einfach grandios, vielen vielen Dank ! Ihr Olaf Wachsmuth

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