Entdeckung auf zwei Rädern: Fiat 501 Tourer

Zurückgekehrt aus dem Süden muss ich mich in deutschen Landen stets erst wieder ein wenig einfinden. Dass wir doch alle bloß „Europäer“ seien, das behaupten nur Leute, die nichts mit den Kulturnationen unseres Kontinents anfangen zu wissen.

Gerade weil jenseits des Alpenhauptkamms und vor allem südlich der Po-Ebene so vieles großartig anders ist, zieht mich Italien von jeher so an wie kein anderes Land.

Bei der Gelegenheit sei versichert, dass der träge dahinfließende Po randvoll ist – die im Hochsommer verbreiteten Panikmeldungen erweisen sich regelmäßig als Märchen.

Wer übrigens von falscher Bewirtschaftung und Windindustrie verschonte gesunde Wälder sehen möchte, dem sei angeraten, statt der Tour an die Adria kurz vor der Küste die Abfahrt „Cesena Nord“ zu wählen und die Route nach Süden einzuschlagen – ins grüne Herz von Umbrien hinein.

Mehr als zwei Stunden lang geht es durch wildromantische Täler, die auch nach einem langen Sommer mit üppigen Laubwäldern aufwarten, bis man in der umbrischen Ebene anlangt.

Dort bietet sich dem Reisenden, Pilger oder Wanderer eine seit 2500 Jahren gepflegte Kulturlandschaft, die bis heute intakt ist:

Blick auf Spello (Umbrien) am 25. September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

In diese in Deutschland nur wenig bekannte Region Italiens zog es mich kürzlich wieder – diesmal weil mir der Sinn nach Entdeckungen auf zwei Rädern stand.

Dass sich dabei ausgerechnet ein Fiat 501 als einer der Höhepunkte erweisen sollte, das konnte ich nicht ahnen. Wer in meinem Blog bereits länger mitliest, weiß natürlich um die Meriten dieses frühen Großserienmodells der Turiner Firma.

Als erster europäischer Hersteller überhaupt brachte Fiat 1919 mit dem 1,5 Liter-Typ 501 ein für die Massenfabrikation geeignetes Automobil auf den Markt. Rund 80.000 Exemplare davon wurden in alle Welt verkauft.

Auch nach Deutschland mit seiner der Marktnachfrage nicht annähernd gewachsenen Autoindustrie gelangten zahlreiche Fiats dieses für seine Robustheit berühmten Vierzylindermodells.

Dort fanden sogar 501er mit Sonderkarosserie Absatz wie dieser sportlich angehauchte Tourer (ausführlicher Beitrag):

Fiat 501 Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit minimalistischen Kotflügeln – die ihren Namen in diesem Fall besonders verdienen – , ungewöhnlich niedriger Gürtellinie und Verzicht auf ein Trittbrett wirkt der Fiat kompakt, geradezu unscheinbar.

Dass der 501 in Wahrheit ein beeindruckend dimensioniertes Fahrzeug war, speziell in der Ausführung als serienmäßiger Tourer, das war mir lange Zeit nicht bewusst.

Sicher: mir war das Modell von zeitgenössischen Bildern vertraut, die ich im Blog besprochen habe. Doch trotz seiner einstigen Verbreitung in deutschen Landen war mir noch nie ein Exemplar in natura begegnet.

Das sollte sich erst ändern, als ich in ganz anderer Mission in Italien unterwegs war, nämlich auf zwei Rädern ganz ohne Motorkraft. Anlass dazu gab eine Veranstaltung für historische Fahrräder, die von Enthusiasten im umbrischen Foligno ausgerichtet wird.

Wem der Name Foligno nichts sagt, der sollte wissen, dass in der uralten Stadt inmitten der Valle Umbra der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre verbrachte, außerdem wurde dort die erste Ausgabe von Dantes Commedia Divina gedruckt.

Leider haben alliierte Bombardierungen der Altstadt im 2. Weltkrieg schwere Schäden zugefügt, weshalb Foligno nicht mehr mit der makellosen Schönheit anderer umbrischer Städte aufwarten kann. Dennoch ist auch dort die Identifikation mit der Region groß und Traditionen wie die Giostra della Quintana werden begeistert fortgeschrieben.

Von Foligno aus findet jährlich im September eine Ausfahrt mit klassischen Stahl-Rennrädern und sonstigen historischen Drahteseln statt – die Francescana Ciclostorica.

Auf zwei Rundkursen geht es durch die Valle Umbra – und im Fall der längeren Route auch hinauf in die über dem Tal liegenden Orte wie Assisi, Spello, Trevi und Montefalco, allesamt von modernen Entstellungen verschont und mit grandiosen Kunstschätzen gesegnet.

Der sportliche Aspekt ist nebensächlich – der Genuß der Landschaft und der guten Gesellschaft Gleichgesinnter steht im Vordergrund. Unterwegs wird wiederholt gehalten, um sich mit kulinarischen Köstlichkeiten zu stärken, wozu einer der ausgezeichneten Weine der Region gehört – also nichts für Verzichtsfetischisten.

Ich hatte mir für die Teilnahme auf Basis eines Rahmens der Torpedowerke aus Frankfurt/Main einen „Halbrenner“ gebastelt, wie er von 1900 bis 1930 beliebt war. Die Anbauteile dazu hatte ich meinem Fundus entnommen und nach eigenem Gusto montiert.

Hier präsentiert sich das Gerät vor dem Einsatz:

Torpedo „Halbrenner“ in Collepino (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn Sie sich spätestens jetzt fragen, was das Ganze mit Vorkriegsautomobilen zu tun hat, dann kann ich nur zu etwas Geduld raten – es lohnt sich auszuharren.

Ich hatte mich in Anbetracht der nicht vorhandenen Gangschaltung für den kürzeren Kurs entschieden, welcher lediglich 35 km umfasste und sich – vom kurzen Anstieg zu einem Weingut abgesehen – auf ebene Strecken beschränkte.

Am Morgen der Fahrt präsentierte sich das Wetter den über 500 Teilnehmern zunächst unfreundlich. Doch 10 Minuten nach dem vorgesehenen Starttermin hörte es auf zu regnen und nach dem frenetischen Absingen der italienischen Nationalhymne ging es auf die Reise.

Ich hatte mir ein zum Rad passendes Outfit zugelegt und noch am Vortag letzte Details wie die passende Krawatte ausgewählt – so konnte man sich als Deutscher durchaus sehen lassen, meine ich:

Start zur La Francescana Ciclostorica 2023 in Foligno: Bildrechte: Luca Petrucci

Die Fahrt gestaltete sich trotz wiederholter Regenschauer sehr erfreulich.

Das lag nicht zuletzt daran, dass die zahlreichen weiblichen Teilnehmer große Sorgfalt auf die in Italien noch ausgiebig gepflegten Äußerlichkeiten verwendet hatten, ohne welche keine den Niederungen des Notwendigen enthobene Kulturnation bestehen kann.

Mit spektakulären Hüten, Frisuren und Kleidern sowie maximal unpraktischem Schuhwerk begaben sich die Vertreterinnen des schönen Geschlechts gutgelaunt auf die von mancher Pfütze und kühler Brise begleitete Tour.

Hin und wieder war ein kurzer Zwischenhalt erforderlich, damit die lokale Polizei den Radlern freie Bahn auf den wenigen Passagen verschaffen konnte, die über öffentliche Straßen führten.

Dann ergab sich Gelegenheit, mit der Nachbarin anzubandeln oder Studien bei den Vorausfahrenden zu betreiben:

La Francescana Ciclostorica; Bildrechte: Michael Schlenger

Selbstredend mussten solcherlei Anstrengungen früher oder später dazu führen, dass sich Appetitgefühl einstellt.

Bei der von mir gewählten kurzen Tour waren gleich drei Pausen vorgesehen, bei denen man sich zuverlässig durch das regionale Angebot an Köstlichkeiten essen konnte.

Gleich der erste Halt führte zum Weingut Arnaldo Caprai, dessen Weine (keineswegs nur der lokale Sagrantino) nach meiner Einschätzung zu den besten Umbriens gehören, ohne (vor Ort) übermäßig teuer zu sein.

Um dorthin zu gelangen, war die einzige nennenswerte Steigung zu bewältigen, welche der Autor selbstredend im ersten und einzigen Gang absolvierte, während es etliche andere Teilnehmer offensichtlich weniger militant angingen:

La Francescana Ciclostorica 2023, Weingut von Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Jetzt sind wir quasi in Sichtweite dessen, was im Titel des heutigen Blog-Eintrags angekündigt wurde – eine Entdeckung auf zwei Rädern, welche sich als absolut beeindruckender Fiat 501 entpuppte.

Denn als wir Pedalisten auf dem Weingut der Familie Caprai angelangten, hatten sich dort zu unsere Begrüßung bereits einige Vertreter der Fiat-Dynastie versammelt.

Sie umfassten gleich drei Generationen der Turiner Automobile, obwohl zwischen dem ältesten Vertreter und dem jüngsten nur rund 20 Jahre liegen.

Die ganze Zeitspanne von 1919 bis 1939 sehen wir hier – in automobiler Hinsicht wie auch sonst eine Periode ungeheurer Umwälzungen, doch in diesem Fall vollkommen beschaulich:

Fiat Vorkriegswagen auf dem Weingut Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien), September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

So interessant das Nebeinander von gleich drei Versionen des Erfolgsmodells 508 „Balilla“ auch ist, gilt unsere besondere Aufmerksamkeit heute den beiden Fiats ganz links.

Sie kontrastieren in außerordentlicher Weise und illustrieren den Sprung in die Moderne, den Fiat Ende der 1930er Jahre mit dem 1100er („Millecento“) vollzog, dessen geschmeidiger und drehfreudiger Motor noch bis in die 1960er Jahre kaum verändert gebaut werden sollte.

Leider kann ich in diesem Fall nur mit einer Ausschnittsvergrößerung mäßiger Qualität aufwarten, da ich zum Aufnahmezeitpunkt noch nicht wusste, was ich daraus in meinem Blog machen würde:

Jedenfalls wird hier schlagartig deutlich, wie grundlegend sich die Gestaltungsprinzipien bei Fiat – aber auch bei anderen Herstellern – zwischen 1919 und 1939 wandelten.

Denn diese beiden Wagen stehen jeweils stellvertretend für diese Baujahre.

Dass der weit moderner geformte Millecento keineswegs ein Kleinwagen war, auch wenn er neben dem 20 Jahre älteren Tourer so wirkt, dass begreift man, wenn man einmal direkt davor steht.

Dazu bot sich bei einem späteren Halt die Gelegenheit, auch wenn sich das Wetter zwischenzeitlich gegen uns Zweiradfahrer verschworen hatte und die Aussicht auf eine Fortsetzung der Tour in einem solchen Automobil durchaus verlockend erschien:

Fiat 1100 „Musone“; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer sich hier an den Ford „Eifel“ erinnert fühlt, liegt mit seinem Bauchgefühl nicht schlecht.

Auch Fiat folgte Ende der 1930er Jahre – wie übrigens auch Renault – stilistischen Tendenzen, welche die damals führende US-Autoindustrie entwickelt hatte.

Mit dem spitz zulaufenden Kühler sollte der Millecento bis in die späten 1940er Jahre gebaut werden. Hier haben wir ihn in Bestzustand mit originaler Zulassung in der umbrischen Hauptstadt Perugia.

So wenig es an dem markant gestalteten, technisch ausgereiften und bestens verarbeiteten 1100er Fiat auszusetzen gibt, so verblasst er mit seinen beinahe modernen Proportionen aus meiner Sicht gegen den älteren 501, der uns in eine frühe Ära mit vollkommen anderen Gestaltungsprinzipien transportiert.

So etwas wie Familienähnlichkeit will sich jedenfalls nicht erkennen lassen, wenn man dann direkt vor einem Exemplar von Fiats erstem Großserienerfolg steht:

Fiat 501 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Hätte ich die Wahl, würde ich mich für das ältere Modell entscheiden – wobei mir die Tatsache entgegenkommt, dass ich bereits Besitzer eines originalen Fiat 1100 aus den 1960er Jahren bin, dessen kultivierter kopfgesteuerter Motor wie gesagt eine Vorkriegskonstruktion ist.

Mit nur 23 Pferdestärken statt deren 32 wie im 1100er war der 501 natürlich nicht annähernd so leichtfüßig zu bewegen. Doch seine Stärken entfaltete der langhubige Motor gerade auf hügeligen Strecken, wie sie in Italien überwiegen, und früh erlangte er legendären Ruf für astronomische Laufleistungen – die damals noch aufwendige Pflege vorausgesetzt.

So begegnet einem der Fiat 501 in allen Weltregionen – selbst im fernen Australien haben einige davon überlebt. Nun stand ich in Italien endlich vor einem Original und diese Entdeckung gehörte zu den schönsten, die ich auf zwei Rädern machen durfte.

Das war eigentlich schon alles, was ich Ihnen erzählen wollte. Beim nächsten Mal kehre ich wieder zum üblichen Muster der Besprechung historischer Fotos von Vorkriegswagen zurück.

Nur für den Fall, dass Sie den Autor noch einmal in Bewegung sehen wollen, habe ich ein kurzes Video meiner Ankunft in Foligno eingefügt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Entdeckung auf zwei Rädern: Fiat 501 Tourer

  1. Danke für die Blumen, doch wir fuhren in der Ebene und wenn so ein Teil mit frisch geschmierten Lagern erst einmal in Bewegung ist, läuft es fast von alleine.

  2. Sehr sportlich Herr Schlenger gratulation zur Kondition. 30 km auf so einem alten Rad ist beachtlich.
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

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